35. AMSTERDAM-MARATHON, 17. Oktober 2010 ¤ AUFBAUKÄMPFE Stierstädter Halbmarathon, 11.7.10 Karbener Halbmarathon, 8.8.10 Bruchköbeler Halbmarathon, 21.8.10 Münster-Marathon, 12.9.10 Lauf gegen das Vergessen Frankfurt (10 km), 3.10.10 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Uhrwerk Orange Vol. II - Das Wunderwerk von Amsterdam HELDENHAFT ENTSCHLOSSEN BARMHERZIG: Die Majuskeln im Amsterdamer Wappen gaben die Marschrichtung vor. Nach ROTTERDAM im Frühling wollten Marathona Peanut und ich im Herbst ein zweites flinkes Rennen auf niederländischem Boden hinlegen. In der weiten, weiten Welt sind wir sowieso immer am stärksten. Die Grachtenstadt im Norden sollte uns zu einem neuen Uhrwerk Orange im Nachbarland führen. Amsterdam ist ähnlich flach und schnell wie die Postmoderne im Süden und mit seiner Premiere 1975 sogar fünf Jahre älter in der Tradition. Obendrein bieten Start und Ziel im riesigen Olympiastadion von 1928 und die Streckenführung über originale Teile des Olympischen Marathons eine ganz besondere und einmalige Aura. In der achtzig Jahre alten Kampfbahn wurden die wichtigsten Spiele von Ajax und das Europacup-Finale von 1962 zwischen Benfica Lissabon und Real Madrid ausgetragen. Karel Lismont, Bill Rodgers, Gerard Nijboer und Haile Gebrselassie erlebten hier Sternenstunden. Amsterdam zählt neben den Majors zu den größten Marathons der Erde. Und: 2010 war das kleine Jubiläum... | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DIE STRECKE ::. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nach einer halben Runde im Olympischen Stadion führte die Route in den Vondelpark. Es folgte eine Schleife über den Stadionweg rund um den Stadtbezirk Zuid, und die Route bog in den Marathonweg. Über den Amstelveense- und Stadionweg ging es ostwärts zum Amsteldijk. Hier schwenkten die Läufer Richtung Süden und strebten auf der Olympiastrecke von 1928 entlang der Amstel bis zum beschaulichen Dorf Ouderkerk. Dort bogen sie wieder nach Norden ab, und liefen entlang der Amstel in den Osten der Stadt sowie in die Innenstadt mit ihren Grachten. Neben der Landschaft mit ihren malerischen Windmühlen und Landhäusern beiderseits der Amstel, säumte das Nationalheiligtum Reichsmuseum den Weg. Außerdem schlängelte sich der Marathon zweimal durch den herbstlichen Vondelpark. Mit dem Stadioneinlauf in die olympische Kampfbahn fand der Marathon ein stimmungsvolles Ende. Achtung! Amsterdam liegt zwar zweieinhalb Meter und dem Meer, jedoch kann Wind aus der vermeintlich leichten Strecke ein schwieriges Unterfangen machen. Frankreichs Boughera El-Ouafi brauchte bei seinem Olympiasieg 1928 2:32:57 Stunden. Gerard Nijboer stellte 1980 mit 2:09:01 eine inoffizielle Weltbestzeit auf. Seit 2010 hält Getu Feleke aus Äthiopien den Kursrekord von 2:05:43. Schnellste Frau war bislang Äthiopiens Gete Wami mit 2:22:20 Stunden. Eine virtuelle Streckenführung GPSies | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DIE VORBEREITUNG ::. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Unsere ganze Vorbereitung war darauf ausgerichtet, folgende Zeitziele zu knacken: 2:49 Stunden (Kampfläufer Vitus) resp. 3:59 Stunden (Marathona Peanut). Dabei bestand das Programm aus 16 Wochen. Erstmals konnte ich in der Leistungsgruppe von Spiridon Frankfurt mitlaufen. Übungsleiter Kurt Stenzel, mehrmaliger Deutscher Meister und Zwölfter der Marathon-WM 1993 in Stuttgart, hatte mich eingeladen. Peanut zog alles durch, wobei ich ihr einmal in der Woche Tempoarbeit leistete. Ein Trainingsbeispiel - die Gipfelwoche vom 9. bis 15. August 2010: Mo.: 16 km Wiederherstellung nach Halbmarathon-Wettkampf Di.: VM: 6 km Auflockerung, Di.: NM (Mördereinheit mit Spiridon Frankfurt auf der Kampfbahn Hahnstraße): Di.: Aufwärmübungen, danach 8 x 4 Min. + 3 x 30 Sek. (insg. 22 km) im Wald, Di.: dazu 18 km Rad Mi.: 12 km ruhiger Dauerlauf Do.: VM: 22 km Steigerungslauf im Hügelgelände, Do.: NM: Bahntraining mit 1 x 2000 m, 2 x 1000 m + 3 x 400 m, insg. 12 km Fr.: 5 km Auflockerung mit Lauf-Einmaleins Sa.: 40 km langer Ausdauerlauf So.: 20 km aktive Erholung Täglich: 20 Min. Kräftigung für Rücken, Bauch, seitlichen Rumpf sowie vordere und hintere Oberschenkel. Dazu Dehnen und die Frequenzübung „Tapping“ (schnellstmögliches Auf-der-Stelle-Treten). Die bestrittenen AUFBAUKÄMPFE: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
26. INT. STIERSTÄDTER KERBELAUF, 11.7.10 (Halbmarathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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21. KARBENER STADTLAUF, 8.8.10 (Halbmarathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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27. BRUCHKÖBELER STADTLAUF, 21.8.10 (Halbmarathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Der AUFBAU-MARATHON (Klick auf das Emblem öffnet einen separaten Bericht) 9. MÜNSTER-MARATHON, 12.9.10 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
7. LAUF GEGEN DAS VERGESSEN FRANKFURT, 3.10.10 (10 km) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Vitus´ TRAININGSWOCHEN vom 28. Juni bis 17. Oktober in der Übersicht: 01. Wo. (152 km): Training 02. Wo. (112 km): Halbmarathon (8. in 1:27:26) 03. Wo. (151 km): Training 04. Wo. (162 km): Training und Peanuts Anschluß an Spiridon Frankfurt 05. Wo. (151 km): Training 06. Wo. (119 km): Halbmarathon (12. in 1:24:57) 07. Wo. (155 km): Training 08. Wo. (111 km): Halbmarathon (3. in 1:28:28) 09. Wo. (150 km): Training 10. Wo. (123 km): Training 11. Wo. (97 km): Direkte Wettkampfvorbereitung - MÜNSTER-MARATHON (47. in 2:55:15) 12. Wo. (100 km): Wiederherstellung 13. Wo. (151 km): Training 14. Wo. (140 km): 10-Kilometer-Lauf (3. in 39:16) 15. Wo. (121 km): Direkte Wettkampfvorbereitung 16. Wo. (93 km): Direkte Wettkampfvorbereitung - AMSTERDAM-MARATHON (243. in 2:54:38) Gesamt: 2088 km | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DAS RENNEN ::. 35. AMSTERDAM MARATHON, 17. Oktober 2010 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Donnerstag, 14. Oktober Zum zweitenmal in diesem Jahr verschlug uns der Marathon nach Holland. Nachdem uns der Frühling in die zerbombte Hafenstadt im Süden führte, lockte uns der Herbst in die von Fliegern verschonte Schöne am IJsselmeer. Rotterdam und Amsterdam unterschieden sich stark: An der Rotte arbeitet, an der Amstel lebt man! Nach 4 ½ Stunden waren wir von Frankfurt aus in Amsterdam eingetroffen. Peanut hatte uns eine Privatunterkunft im westlichen Grachtengürtel klargemacht. Bei der Ankunft trafen wir auf eine spezielle Frau mit besonderem Einrichtungsstil. Eine Künstlerin wollte uns ihre Wohnung eine Woche überlassen und in der Zeit bei ihrem Freund unterkommen. Aufgrund neuer Steuergesetze mußte die Aktion geheim bleiben. Wir wohnten also sehr privat und illegal dazu! Und zwar über den Dächern direkt am Zusammenfluß von Herengracht und Brouwersgracht. Anstelle von Schränken, Regalen und einer Einbauküche bestand unser Zuhause auf Zeit aus am Boden aufgestapelten Büchern, Bildern und Graphiken, meditativen Klangschalen und Om-Glöckchen, rituellen Kerzen und Heilsteinen. Von der Decke wallten schwere Vorhänge, auf dem Tisch stand ein Bild vom Dalai Lama. Kaffee und Tee wurden mit einem Pfeifenkessel von Hand aufgebrüht. Außer einem Feldkocher, einem Kofferfernseher und diversen Lichtspendern war die Einrichtung frei von elektrischem Gerät. Wir weilten in einem Refugium der Beschaulichkeit und des Friedens - mit Coffeeshops an jeder Ecke. Haschisch durchwehte die Luft. Freitag, 15. Oktober Grundverschieden gestaltete sich unser Besuchauf der Marathon Expo in den Sporthallen Zuid am Olympiastadion. Die Stände waren im Eilverfahren abgeklappert, und die Startertüten - in denen nur das weiße Lätzchen und vier Nadeln lagen - ebenso rasch besorgt. Durch den Versand nachhause wäre den Sportlern vieles erspart geblieben. So hatten wir zumindest die Metro bereichert. Amsterdam erwies sich als Geldtreiberei. Während Peanut auf der Messe nicht einen Heller springen ließ, ließ ich mich immerhin zum Kauf zweier Rennhosen hinreißen. Am Nachmittag unternahmen wir einen Lauf von sechs Kilometern mit Steigerungen im Renntempo durch den Westerpark. Sonnabend, 16. Oktober Wie in den Vornächten schliefen wir ungewöhnlich lang aber auch nicht richtig fest. Eine durchgängige Matratze und Decke hatte jede Bewegung des Bettpartners übertragen. Hinzu gesellte sich in der ersten Nacht eine Mücke als Dritte im Bunde. Obendrein bereitete mir ein Hühnerauge am kleinen Zeh Sorgen. Doch der Schmerz hielt sich in Grenzen... Ein Lockerungstrab über die Kanäle am Morgen, ein Spaziergang am Mittag und nachmittags das Zurechtlegen der Rennbekleidung und eine lockernde Massage: das war der Sonnabend. Zum Abendessen haben wir uns Reis mit Gemüse und Lachs gemacht. Sonntag, 17. Oktober Heute sollte Hollands Hauptstadt vom AMSTERDAM-MARATHON dominiert werden. Unser Wecker war auf 4.44 Uhr gestellt. Eine zerrüttete Nacht mit zwei erkämpften Stunden Schlaf lag hinter mir. Peanut wäre auch gern länger im Bett geblieben. Doch draußen kündigte sich mit kühlem, sonnigem Herbstwetter und nur einem milden Lüftchen ein fast perfekter Marathontag an. Vom Hauptbahnhof waren wir mit den Metros 51 und 50 zum Amstelveenseweg gefahren, und von dort waren´s noch zehn Minuten per pedes zur Sporthalle Süd. Anderthalb Stunden vorm Start betraten wir die Umkleidehalle. Sämtliche Habseligkeiten konnten auf dem Weg zur Aufstellung in einem Zelt vorm Olympiastadion eingelagert werden. 9.35 Uhr - fünf Minuten nach Torschluß und zehn Minuten vorm Peng - waren wir in die große Arena hineingetaucht. Peanut fand ihren Block gleich am Marathontor, ich selbst mußte mich noch durch die ganze Südkurve durchschlagen. Stewards kontrollierten die Zugänge zu den Blöcken. In letzter Sekunde waren wir drin... Mehr als 31 000 Läufer aus 73 Ländern, davon 10 241 über die klassische Distanz, bedeuteten einen neuen Teilnehmerrekord. Zehntausend Zuschauer bevölkerten die Traversen der Kampfbahn von 1928. Das waren die erhabenen Augenblicke jenes Oktobermorgens, als Stadtoberhaupt van der Laan den Schuß abfeuerte. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Die Kampfbahn von 1928 (© Amsterdam-Marathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Kilometer 0 bis 10: Vom Olympiastadion durch den Vondelpark rund um den Alten Süden Punkt 9 Uhr 45 erfolgte der START. Wegen dem großen Feld wich die Route von den Vorjahren ab. Die halbe Runde auf der Stadionbahn verlief von der Ehrentribüne durch die Nordkurve in entgegengesetzter Richtung. So konnte der Läuferwurm mit einer nur unmerklichen Krümmung durch das Marathontor entschwinden. Im Verlauf war auch noch ein Tunnel gewichen. Andererseits bargen ein Engpaß und Schienen im Amstelveenseweg gleich zum Auftakt die Gefahr, sauber die Beine weggetreten zu bekommen. Nach einem hitzigen ersten Kilometer führte die Strecke mit einer leichten Steigung durch den Vondelpark und durch ein schmales Tor wieder aus dem Grün hinaus. Nun mußte ein Rechtsbogen von zehn Kilometern rund um den Stadtbezirk Zuid durchgehalten werden. Das Tempo für einen Marathon unter 2:50 Stunden konnte ich anfangs überhaupt nicht finden, hätte dafür jeden Kilometer in 4:02 Minuten zurücklegen müßen. Durch die Behinderungen zeigte die Stoppuhr aber für zwei Kilometer 4:20 Minuten an. Nach zehn Kilometern drohte sogar ein Kampf selbst um die Unterbietung der Drei-Stunden-Marke. Zwei Dutzend Afrikaner und Asiaten wieselten mir im Gegenverkehr des Stadionwegs entgegen. Mit einigen hundert Metern Abstand folgten noch mal sieben Leute, darunter mit Stitzinger der erste Niederländer. Später brachte die gleiche Stelle eine Begegnung zwischen Peanut und mir. Meine Große hatte sechs Kilometer hinter sich, ich war zwei weiter. Kilometer 11 bis 20: Von Rivierenbuurt auf olympischen Wegen nach Ouderkerk Den zusammen mit der alten Kampfbahn ehrfürchtigsten Abschnitt bildeten die Kilometer 13 bis 20. Die Strecke schlängelte sich über das geschliffene Pflaster des Olympiamarathons. Was einem da so durch den Kopf ging... wer da schon drübergerannt ist... die Helden der Vergangenheit... 1928 waren 69 am Start, 57 kamen ins Ziel. Frankreichs El-Ouafi siegte vorm Chilenen Plaza und Marttelin, Finnland... Leider war der historische Sektor der schlimmste im ganzen Rennen für mich. Im Amstelpark fiel ich in eine unergründliche, zeitlupenhafte Lähmung. Ich lief fast am Anschlag und kam trotzdem nur im Schneckentempo von der Stelle. Jemand in einem rot-weißen Trikot aus Berlin ließ mich locker stehen. Fürchterlich! Ruderer zogen auf der Amstel ihre Bahn. Zugleich brachte mich ein Dampfer mit kitschiger Volksmusik fast zum Lachen. Lautsprecher ahmten gute Stimmung und fröhliche Zuschauer nach. Mit der Überquerung der Amstel im südlich vor Amsterdam liegenden Dorf Ouderkerk aan de Amstel war ich zum zwanzigsten Kilometer vorgedrungen. Ein ländliches Idyll mit alten Landhäusern lud hier zum Schlußmachen ein. Aber man fährt nicht ins Ausland, um aufzugeben... Kilometer 21 bis 30: An der Amstel lang mit einer Schlinge um Overamstel wieder nach Norden Mit 1:27:44 Stunden war mein Halbmarathon zwei Minuten langsamer als in Rotterdam im Frühling. Welten! Eine frische Brise vom Meer fuhr in die Räder der Windmühlen. Es ging über baumlosen Acker. Und ausgerechnet am schwersten Punkt überhaupt ging ein wundersamer Ruck duch den Kampf. Schon geraume Zeit hatte ich hochmütiges Englisch im Nacken. Das Wort „Competition“ (Wettkampf) fiel. Die das sagten, zogen nun an mir vorbei. Zwei von der Insel. Der eine ein erfahrener Mann mit dem schönsten Laufstil, den man sich vorstellen kann, hochfliegenden Fersen und langem, gleichmäßigen Schritt. Ein rotbraunes Jersey der „Tamar Trotters“ hing auf seinen Schultern. Der andere ein durchtrainierter, zäher Bursche mit geschorenem Schädel und der Unerbittlichkeit eines Kampfhundes. Sicher glaubten die Engländer, ich sei müde. Damit hatten sie ja fast Recht. Eine Kapitulation war aber nicht vorgesehen. Und so entbrannte unter der tiefen Herbstsonne ein fanatischer Kampf... So wie mir die Läufer von der Insel kilometerlang im Kreuz gehangen hatten, würde ich nun deren Windfang ausnutzen. Neben Wasser konnte man sich alle fünf Kilometer mit dem roten Fliegerbier AA Drink und Bananen stärken. In keinem Marathon habe ich mehr feste Nahrung aufgenommen, bei den letzten Rennen gar keine. Diesmal gleich drei von den Südfrüchten. Der Wind und die Kühle zehrten viel Energie. Mit den üblichen Siruptütchen wäre ich nie durchgekommen. Im Schatten der Angelsachsen nahm der Lauf nun eine unerwartete Wendung. „Seventeen kai to go“ (noch 17 Kilometer) war das Letzte, was ich hörte. Fünf Kilometer weiter war das fremde Palaver verstummt. Kilometer 31 bis 40: Ab Watergraafsmeer im großen Bogen um Oost und weiter an der Singelgracht Die Route verlief nun durch den mit Verlaub gesagt beschaulichen Osten Amsterdams. Eigentlich war überhaupt kein Mensch unterwegs. Wenn da mal eine Ansammlung herumstand, handelte es sich um Radfahrer, die an Schleusen mürrischen Blickes auf die Erlaubnis zum Überqueren der Strecke warteten. Anfeuerungen gab es keine. Dafür machte ich Läufer um Läufer nieder. Tod oder Gladiolen hatte ein holländischer Sportlehrer propagiert. Ich rannte auf der letzten Speiche - immerhin war das der vierte Marathon im Jahr - und erwartete jeden Augenblick den gefürchteten „Mann mit dem Hammer“. Doch der kam nicht. Der Marathon von Münster hatte die erhoffte Durchhaltekraft gebracht. Der Kopf wollte, und Bauch und Beine gaben alles her. Über leere Straßen waren Watergraafsmeer und Oost überrannt. Dazu das rot-weiße Leibchen aus Preußen. Auch der Tamar-Trotter rückte mir noch mal auf den Leib - der Ältere der beiden Tommys. Der andere war längst zerbrochen. Noch mal flammte das Scharmützel auf. Aber jetzt griff ich selbst an. Am 38. Kilometer hatte ich mir den Engländer zurechtgelegt - und eingangs des Vondelparks war dieser hartnäckige Gegner endgültig VERNICHTET. Ein Wadenkrampf konnte mich nicht mehr aufhalten. Der Abschnitt zwischen Kilometer 35 und 40 war mit 20:16 Minuten der schnellste im ganzen Marathon. Kilometer 41 bis 42,195: Durch den Vondelpark zum Olympischen Stadion Über den Amstelvenseweg erfolgte die Zielannäherung und der beifallsüberschüttete Platz vorm Stadion öffnete den Blick auf den Marathonturm mit der Feuerschale und das Marathontor. CITIUS-ALTIUS-FORTIUS: das Motto der Amsterdamer Spiele erstrahlte auch nach 82 Jahren noch voller Stolz über dem Reichsmonument. Paavo Nurmi bestritt damals den 10-Kilometer-Lauf, für mich waren allein die letzten zweihundert Meter des Marathons zur historischen Tribüne unbeschreiblich. Die totale Erhöhung! Durch eine schnellere zweite Rennhälfte fehlten am Ende nur 4 ½ Minuten zum Ziel „2:49:59“. Ich besetzte den 243. Gesamtplatz (Männer und Frauen wurden zusammen gewertet), und nahm in der Länderwertung die 7. Stelle für Deutschland ein. Gewonnen wurde Amsterdam von einem Afrikaner. Dabei hatte der Verlauf lange wie eine Kopie des Kampfs von Rotterdam angemutet: die gleichen Trikots, die gleichen Anweisungen vom Krad. Nur daß der blutjunge Getu Feleke diesmal die Tradition der Siege des „armen“ Äthiopien über das „reiche“ Kenia an der Amstel fortsetzte. Feleke legte die 42 Kilometer in 2:05:43 zurück. Das war neuer Streckenrekord! Am 35. Kilometer hatte sich Feleke von der blau-gelben Armada aus Kenia gelöst. Meter für Meter wuchs sein Vorsprung, und nach 37 Kilometern war der härteste Gegner, Wilson Chebet, um 100 Meter abgeschüttelt. Mit Dechase wurde ein weiterer Äthiopier Dritter. Die schnellsten Holländer folgten dichtauf nach 2:16 Stunden (Schröer) und 2:17 (Stitzinger). Stitzinger heulte Rotz und Wasser: Krämpfe hatten Besseres vereitelt. Nach 3:14 Stunden lief der Eisschnelläufer Erben Wennemars über den Strich. Und dann begann das Zittern, Bangen und Leiden mit meiner Freundin... Peanut fand in der Kühle ihre perfekte Verbündete, und lief mit eigener Kontrolle der Zwischenzeiten einem Uhrwerk Orange gleich den Marathon ihres Lebens. Dabei hatte sie losgelegt wie die Feuerwehr. Nach 5 Kilometern betrug ihr Vorsprung auf die angepeilten 3:59 Std. eine Minute, nach 10 Kilometern waren es schon zwei Minuten, nach 25 Kilometern vier, und als diese vier Minuten auch noch am 30. Kilometer Bestand hatten, und sie sich immer noch locker und schnell fühlte, wußte sie, daß sie unter vier Stunden bleiben wird. Vom 35. Kilometer an verlor sie zwar Sekunde um Sekunde ihres Vorsprungs, aber mit Kampfeseifer und Standhaftigkeit konnte sie 2 ½ Minuten über die Amsterdammer Siegesmeile und ins ZIEL retten. Der Moment, als mein Mädel weit vorm Vier-Stunden-Pacer den Stadionplatz erreichte, ihr Strahlen, der Zuruf „Ich schaff´s!“, und ihr Lauf durchs Marathontor in die Kampfbahn, waren für mich das Größte überhaupt! Es hätte schlimm enden können, aber es ist noch mal gutgegangen. Nach 3:57:35 war das Bollwerk der vier Stunden zum zweiten Mal geknackt. Und dabei strotzte Peanut hinter der Linie immer noch vor Energie! | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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FAZIT Strecke: Amsterdam ist ebener als Berlin, aber nicht so schnell wie Rotterdam. Zum engen Auftakt kam das rauhe Pflaster entlang der Amstel. Ferner droht in Amsterdam im Oktober stets Regen. Wind kann sowieso alles vermasseln. Organisation: Hollands Marathons scheinen sich aufs Notwendige zu beschränken. Wir kannten das von Rotterdam. Alles lief reibungslos aber ohne jede Strahlkraft ab. Keine Feier leitete den Marathon ein, kein Ausklang schuf eine Erinnerung erhabener Art. Erfreulich wirkte sich die Trennung der Rahmenwettbewerbe vom Marathon aus. Der Start im Olympiastadion blieb den Marathonläufern vorbehalten. Der Rest startete räumlich und zeitlich weit vom Marathon getrennt. Damit kamen nur die langsameren Marathonis jenseits der fünf Stunden in Berührung mit dem Rest. Ausstrahlung: Die Begeisterung auf den Bordsteinen war eher bescheiden. Im Grunde zeigten nur die Leute an Start und Ziel Interesse am Marathon - und das waren selber Athleten, Freunde und Verwandte. Wirkung: Amsterdam war schnell und ohne großen Schattenwurf überrannt. Die Journaille von „De Telegraaf“ und „De Echo“, die als Unterstützer der Veranstaltung auftraten, berichteten mit winzigen Artikeln im Innenteil ihrer Blätter. Einzig dem Fernsehsender „RTV Nord-Holland“ war der Lauf etwas mehr wert. RTV übertrug direkt und in voller Länge. Daß man Deutscher ist, sollte man nicht erwähnen! Für die Materialinteressierten: Wir liefen mit Asics Gel-3010 (Blitzmädel Peanut) und Adidas adiZero Boston (Vitus). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
POST-MARATHON-KULTUR Eine offizielle SIEGERSTUNDE gab es nicht. Peanut und ich fanden uns vorm Stadion. Ich hatte meinem Blitzmädel einen Strauß hoher Gladiolen besorgt. Im Bauch des Stadions war Bier kalt gestellt. Dazu haben wir Fleischbällchen gegessen und den Blick ins Innere des Olympiastadions genossen. Beim Aufbruch habe ich mir eine riesige Beule am Kopf gestoßen. Abends wollten wir unsere Freude noch etwas länger feiern. Daher haben wir uns hübsch gemacht und uns in einem wegen ihrer Holzvertäfelung und der dunklen Ausleuchtung sogenannten „Braunen Cafés“ im Grachtenviertel verlustiert. Noch vor Mitternacht ging es ab nach Never, Neverland. Montag, 18. Oktober Bei einem ausgiebigen Frühstück haben wir auf dem Fernsehsender RTV N-H die Zusammenfaßung des Marathons gesehen. Der Nachmittag bestand aus einem Rundgang durchs historische Joordan-Viertel. Peanut wollte sich das Versteck des jüdischen Mädchens Anne Frank etwas genauer ansehen. Eine endlose Schlange funkte dazwischen. Ebenso scheiterte der Aufstieg zur Spitze der Westerkerk, die ungeplant eine Stunde früher schloß. Somit beschränkte sich der Ausflug auf einen Bummel durch die Prinsen- und Keizersgracht, und ein Mahl im „Rosereijn“. Der Höhepunkt wartete am Abend mit einem Rockkonzert im „Bitterzoet“: ...... Royal Republic und Fata El Moustache Morgana Dienstag, 19. Oktober Die Nacht endete abrupt durch eine gewaltige Explosion um vier Uhr. In der Frühe waren wir schon wieder locker laufen, wir haben flämisches Brot gegessen und uns auf einen Grachtenspaziergang gemacht, um uns in einem der vielen kleinen Läden längs der Singel die Marathonmedaillen gravieren zu lassen. Die Gravur der Medaillen mit Name, Platz und Zeit wurde von „Alfons de Lette“ ausgeführt und kostete vierzig Kröten. Ferner hat sich Peanut einen handgemachten Ring mit Blutkoralle geleistet. Wir waren in einem schönen alten Café und einer Schenke am Spuiplein. Auf unseren Streifzügen durch die nächtliche City haben wir Lokale der Haarlemmerstraat beehrt. „Best Stoner food in town since 1985“: dieses Siegel war dem „Green House“ verliehen... Ich wußte, daß es nicht gut ist. Aber ab und zu muß es sein. So habe ich nach jahrelanger Abstinenz im Keller des Coffeeshops „Green House“ einen Joint durchgezogen - bereits gerollt und unvergeßlich! Nach einer nebelumwaberten Kreuzfahrt mit den Schiffen auf den alten Porzellankacheln waren wir irgendwann wieder über der Erde und haben uns im verholzten Braunen Café „De Blauwe Druif“ weiterhin mit Hellem verwirrt. Mittwoch, 20. Oktober Der Schlußtag kann als „Rundgang durchs Sündenbabel“ bezeichnet werden. Im Morgengrauen mußten wir die Wohnung verlassen, die Esoterikerin verabschiedete uns. Nun verblieben noch sechs Stunden bis zur Abreise - sechs Stunden in einem Quirl aus hupendem Blech, hunderttausenden Fietsers und mindestens genauso vielen Reisenden inmitten der Freudenhäuser, Haschischwinkel und Ramschbasare der Altstadt. Los ging´s im Rotlichtviertel De Wallen. Wir haben unsere Nasen ins Dampfloch „Grasshopper“ getaucht, wurden von Dirnen mit am Fenster plattgedrückten blanken Brüsten gelockt, haben in einem uralten Backhaus mastigen Käsekuchen gelöffelt und vor der Oude Kerk gestanden, in der Rembrandts Frau Saskia begraben ist. Vom zentralen Nieuwmarkt sind wir zum Hauptplatz Dam mit dem Königlichen Palast gewandelt, und haben zum Aufbruch in einer Kneipe am Bahnhofsplatz noch zwei, drei Blonde gekippt. In der fünften Nachmittagsstunde mußten wir zum Zug. Einen rauschenden Empfang in Frankfurt haben wir nicht erwartet. Den gab es dort nie. Dank u wel Die Amsterdamer Künstlerin Hennie (für die Überlassung ihrer Bude) Marathona Peanut (für die große Ruhe und den kühlen Kopf im Irrgarten der Windschiefen, die 3:57 vom Marathon waren sowieso das Allergrößte in Amsterdam!) Die Sturmtruppe von Spiridon Frankfurt (für die Schinderei im Sommer) Kampfläufer Vitus, 30. Oktober 2010 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Wetter: sonnig, 8 bis 11ºC, leichter bis mäßiger Nordwind (Windstärke 2) Zuschauer: geschätzt 80 000 Gesamtteilnehmer: 31 463 (Rekord) Im Ziel Halbmarathonläufer: 10 447 8-km-Läufer: 2784 1-km-Läufer: 0409 Firmen-Halbmarathonläufer: 847 Firmen-8-km-Läufer: 1127 Marathonläufer Am Start: 10 241 (73 Nationen) Im Ziel: 7887 Männer 1. Getu Feleke (Äthiopien) 2:05:43 (SR) 2. Wilson Chebet (Kenia) 2:06:10 3. Chala Dechase (Äthiopien) 2:07:22 4. Cherkos Feleke (Äthiopien) 2:07:29 5. Hailu Mekonnen (Äthiopien) 2:07:37 6. Shadrack Kiplagat (Kenia) 2:07:56 Frauen 1. Alice Timbilil (Kenia) 2:25:01 2. Eyerusalem Kuma (Äthiopien) 2:27:02 3. Robe Guta (Äthiopien) 2:27:43 4. Woinshet Girma (Äthiopien) 2:27:51 5. Shitaye Bedaso (Äthiopien) 2:29:48 6. Miranda Boonstra (Niederlande) 2:34:24 Kampfläufer Vitus (Spiridon Frankfurt) Startnummer: 7248 Nation: Deutschland Zeit: 2:54:38 Platz: 243 von 7887 Gesamt Platz: 23 von 1087 in Klasse M45 Zwischenzeiten 05 km: 0:20:47 (20:47) 10 km: 0:41:23 (20:36) 15 km: 1:02:01 (20:38) 20 km: 1:23:04 (21:03) HM: 1:27:44 25 km: 1:44:02 (20:58) 30 km: 2:04:33 (20:31) 35 km: 2:25:21 (20:48) 40 km: 2:45:37 (20:16) Geschwindigkeit: 14,497 km/h Peanut (Spiridon Frankfurt) Startnummer: 12012 Nation: Deutschland Zeit: 3:57:35 (PB) Platz: 4545 von 7887 Gesamt Platz: 80 von 234 in Klasse W45 Zwischenzeiten 05 km: 0:27:39 (27:39) 10 km: 0:54:33 (26:54) 15 km: 1:22:00 (27:27) 20 km: 1:49:39 (27:39) HM: 1:55:52 25 km: 2:17:38 (27:59) 30 km: 2:46:15 (28:37) 35 km: 3:15:35 (29:20) 40 km: 3:44:49 (29:14) Geschwindigkeit: 10,656 km/h Ergebnisse Amsterdam-Marathon | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||