40 JAHRE TSV NEUPOTZ
Neupotz, 6. Juli 2023
Prolog
 
Nach der Farce mit einem geraubten Podiumsplatz beim Alb-Race im schwäbischen Berghülen war ich von dem Glauben besessen, daß sich die Geschicke im nächsten Rennen zum Guten wenden. Aber im Grunde wußte ich, daß ich das Kapitel Radsport nach dem letzten Rennen im Vorjahr besser geschlossen hätte. Trotzdem blieb der feste Glaube an einen Podiumsplatz. Der Pfälzer Turn- und Sportverein Neupotz feierte diesjahr seinen vierzigsten Geburtstag. Mit dem Jubiläum gab es wieder Radrennen auf Pfälzer Boden: neben einem Straßenrennen auf einer Sieben-Kilometer-Runde ein Gravelrennen über achtzehn Kilometer Naturstraßen. Viele kamen. Aus allen Himmelrichtungen. Auch welche aus dem Elsaß. Am Ende versammelten sich über dreihundert im Zweitausendseelen-Dörfchen in der Südpfalz.
.:: DIE STRECKE ::.
Ausgetragen wurde das Rennen im Gelände eines Flutbeckens am linksrheinischen Oberrhein. Anfang der Neunziger hatten sich Einheimische gegen dessen Errichtung gewehrt. „Kein Polder für Potz“, hatten sie prostestiert. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es... So trug die heutige Veranstaltung den Namen „Polder-Radrennen“. Dafür war eine über schmale, mitunter holprige Wirschaftswege führende 7,2 Kilometer lange Runde ausersehen worden. Der Weg führte vom Otterbach am östlichen Ortsrand von Neupotz an einem Arm des Altrheins entlang in südliche Richtung bis zu einer breiten Baustellenzufahrt. Über eine Spitzkehre mit sechs Metern Höhenunterschied ging es zurück auf dammähnliche Wirtschaftswege und über Felder und längs zum Altrhein bei Neupotz vorbei am baumgesäumten Sportgelände des TSV ins Ziel vorm Tennisplatz am Otterbach.
.:: DAS RENNEN ::.
Im Juli gibt es nicht selten höchste Temperaturen am Oberrhein. Heute war solch ein Tag. 33 Grad wurden am heutigen Sonnabend in der Südpfalz gemessen. Im Schatten. Den es aber im baum- und schattenlosen Polder nicht gab. Zwei Stunden vorm Start traf ich mit meiner Frau zum Nachmelden in der Neupotzer Grillhütte ein. Der Organisator Walter Antoni, der Sieger des Linkenheimer Radkriteriums am Rheinufer gegenüber, durfte heute wieder sehr motviert gewesen sein. Denn der TSV Neupotz war sein Verein und das Rennen gewissermaßen sein „Baby“. Antoni trug die Startnummer 1. Sein Compagnon Schmittgall die 2. Und genau so sollte auch der Zieleinlauf sein...

Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel herunter, als sich am Nachmittag um 15 Uhr insgesamt 114 Fahrer und Fahrerinnen unterm Startbanner am Otterbach zum vierten Wettkampf des Tages einfanden. Jene wurden gleich zu Beginn vor eine große Geduldsprobe gestellt. Erst rügte der Sprecher, daß sich die zuvor ins Ziel gefahrene Jugend von anderen Radsportlern beeinträchtigt fühlten und mahnte, künftig keine Streckenbesichtigung bei laufenden Rennen durchzuführen (um anschließend den Amateuren eine Erkundungsrunde im Sog der Masters zu genehmigen). Dann wurden die Ehrungen der Jugend vor den Augen der Masters durchgeführt (die damit nicht starten konnten). Und schließlich wurden die laut Ausschreibung acht Runden á 6,5 Kilometer (gleich 52 Kilometer) nach chaotischen Rückfragen (der Sprecher wußte die Anzahl selber nicht genau) auf sieben Runden á 7,3 Kilometer (gleich 51 Kilometer) geändert. Wobei die erste Runde „neutral“ mit einem erneuten Stopp an der Startlinie gefahren werden mußte (damit in der Zwischenzeit Probleme mit der Zeitmessung.gerichtet werden konnten). Nachdem das Peloton zwanzig Minuten unter sengenden Sonnenstraheln im Block durchstehen mußte, erfolgte nach vielen Buh-Rufen um 15 Uhr 20 endlich der START in die neutrale Runde. Jene rettete mir das Rennen. Ich war in schier aussichtsloser Position am Start, sah die Helme der vorderen Reihen nur in Stecknadelgröße. Vom Schwanz des hundertköpfigen Trosses hätte ich mich niemals über die schmalen Pfade nach vorn kämpfen können. Und schon auf den ersten Metern der Neutralisation wurde es haarig, war Streß, hätte es fast gekracht... bis es auf eine unerwartete, breite Baustellenzufahrt ging - die mir auf wenigen hundert Metern eine Vorbeifahrt am Feld erlaubte. Bei der Aufstellung zur zweiten Runde - die es in der Form wohl bei noch keinem Radrennen gab - stand ich hinterm Kölner Vorbeck an der Spitze der fünfzig Masters 4 und Elitefrauen. In gleißendem Licht und staubtrockender Luft ging es nun - nach dem scharfen Start - durch das ausgedorrte Flutbecken links des Rheins. Und zwar adrenalingetränkt, hitzig und in hohem Tempo weit jenseits von vierzig Stundenkilometern. Stürze waren unausweichlich. Den ersten registrierte ich ausgangs Runde drei, bei dem der entthronte Deutsche Masters-Meister Gericke zusammen mit zwei, drei anderen und gellendem Schrei im Eisenzaun der Zielgerade zerschellte. Mit dem Schreck in den Gliedern verlief die vierte Schleife geradezu gebändigt... bis es in den Runden fünf und sechs wieder hektischer wurde. Der Neupotzer Antoni (übrigens mit kurioser Klingel unterwegs) versuchte sein Heil mehrmals in der Flucht. Doch auf der überwiegend flachen Strecke gab es kaum Gelegenheit für Ausreißer, der Meute zu enteilen. So ging es in die finale Runde - in der sich wiedermal alles auf einen Massensprint zuspitzte. Jemand hinter mir rief: „Bleibt ruhig!“ Dann kam der zaungesäumte Zickzack vor den letzten hundert Metern. Bei der Einfahrt in den engen Zielkanal rutschte eine Lady von der Fahrbahnkante und kam zu Fall. Über sie stürzte Vorbeck - während ich haarscharf zwischen den Gittern und Gestürzten durchdringen konnte. Da beide am Boden lagen und sich vor mir eine Lücke mit fünf Fahrern voraus auftat, landete ich auf Platz sechs. Von 34 Masters-4-Fahrern waren 19 gestürzt oder hatten das Rennen aufgegeben. Bei den Masters 2 kamen 12 ins ZIEL, bei den Masters 3 waren es 26, bei den Frauen 14. Lediglich 268 von 181 Fahrern beendeten das Rennen. Dopingkontrollen wurden nicht durchgeführt. Aber die NADA hätte es heute auch schwer gehabt. Erst drei Stunden nach Zielankunft und ebenso vielen Kaltgetränken konnte ich wieder pinkeln. So ausgetrocknet war ich!
Epilog
 
Angesichts der Gefahren hatte schon während der Rennen ein Helfer den Abbau der Barrieren gefordert, Doch der Sprecher war dagegen: „Ne, ne, laß die mal schön stehen!“ Was sich bitter rächen sollte... Ferner erlaubte sich der Sprecher den Fauxpas, das Rennen der Masters nach dem Zieleinlauf der Masters 2 und 3 als beendet zu erklären - während sich die Masters 4 und Elitefrauen noch auf der Strecke und in unmittelbarer Zielannäherung befanden. Unentwegt wurde der „Rennarzt“ ausgerufen - der offenkundig an zig Stellen nacheinander im Einsatz war. Das gipfelte darin, daß nach Rennende der Masters einer der Radsportler, der selbst Arzt war, zu einer der wohl schlimmsten Unfallstellen gerufen wurde. Im Festgelände äußerte Antoni (ein Fleischbrötchen mummelnd), daß die Strecke wegen Schmutz durch Mähdrescher und Traktoren geändert werden mußte, und die Fahrer wegen ihrer riskanten Fahrweise selbst schuld an den vielen Stürzen waren. Der am Knie stark blutende Vorbeck zeigte mir seinen zerbrochenen Rahmen und war froh, daß er „extra für so einen Einsatz wie heute sein Canyon und nicht das S-Works gefahren war“. Peanut und ich ließen den Tag in der Pfalz bei leckerem Kuchen und kühlem Bier im Schatten hoher Bäume zwischen verschwitzten Radsportlern, herzigen Kuchenspenderinnen und kernigen Bikern ausklingen. Am Abend stieg ein Freiluftkonzert mit der südpfälzer Gruppe Skyline. Ich wäre gern länger geblieben... Am nächsten Morgen sagte Peanut, daß sie von den vielen Stürzen in Neupotz geträumt hatte und heilfroh war, daß ich gesund neben ihr lag.
 
 
Vitus, 9. Juli 2023, Bilder: Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 33ºC, leichte Brise aus Westnordwest (9 km/h), 38% Luftfeuchtigkeit
Typ: Rundstreckenrennen
Länge: 51 km
 
Am Start: 268
KT und Elite Amateure: 46, Amateure: 23, Masters 2: 15, Masters 3: 39, Masters 4: 34, Junioren: 8, U17: 10, U15: 4, U13: 7, Jedermann: 50, Hobby: 16, Elitefrauen: 16
 
Im Ziel: 181
KT und Elite Amateure: 31, Amateure: 18, Masters 2: 14, Masters 3: 26, Masters 4: 15, Junioren: 6, U17: 9, U15: 4, U13: 7, Jedermann: 28, Hobby: 9, Elitefrauen: 14
 
Masters 4
Am Start:
34
Im Ziel:
15
1. Walter Antoni (TSV Neupotz)
2. Klaus Schmittgall (TSV Neupotz)
3. Ralf Hechler (RV Edelweiss Oberhausen)
4. Markus Wellner (RC Musketier Wuppertal)
5. René Ristau (RC Kleinmachnow)
6. Mario Voland (Dresdner SC 1898)
 
Ergebnisse
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