KRITERIUM AN DER RADRENNBAHN
Giselher-Metz-Gedächtnisrennen
Linkenheim, 25. Juni 2023
Prolog
 
Am letzten Sonntag im Juni richtete der RV Badenia Linkenheim 1900 im Gedenken an seinen langjährigen Chef das traditionelle Radkriterium an der historischen 333-Meter-Bahn aus. Tags zuvor sollte im hessischen Baunatal das Rundstreckenrennen „Rohloff-Plus Drei“ steigen. Für beide Wettkämpfe hatte ich gemeldet. Doch dann machte höhere Gewalt den Doppelstart zunichte. Ich befand mich mit meiner Frau im Anflug von Dresden nach Kassel, als uns in Niedersachsen eine Nachricht mit der Rennabsage im nahen Baunatal erreichte. Am 22. Juni war ein Unwetter über den Raum Kassel gezogen und die Rennstrecke in keinem guten Zustand. Die Aufräumarbeiten sollten drei Tage dauern. Damit galt alles Hoffen Linkenheim im Badischen Land - vielleicht auch mit dem Omen fünf guter Marathonläufe, die ich mit meinem Mädel zwischen 2010 und 2012 im benachbarten Karlsruhe und dem nahen Bienwald bestritten hatte....
.:: DIE STRECKE ::.
Start und Ziel des Rennens befanden sich vor der 1970 errichteten Radrennbahn in Linkenheim-Hochstetten. Die Strecke verlief durch das angrenzende stille Wohngebiet, über die rechte Rheinebene und wieder zurück ans ehrwürdige Zementoval am Reitäckerweg. Eine Runde maß 2,2 Kilometer, sie war bretteben und verlangte von den Fahrern eine Kombination aus Geschwindigkeit, Ausdauer und Technik, um die langen Geraden und schnellen Kurven - allen voran eine kitzlige Spitzkehre am Ortsausgang - meistern zu können. Ausgeschrieben war die Veranstaltung im Modus Kriterium mit dem klassischen Punkteschema 5-3-2-1 alle fünf Runden. Zwischendurch wurde um Geldprämien gesprintet. Die Masters 4 fuhren zwanzig Runden, sprich: 44 Kilometer.
.:: DAS RENNEN ::.
Nach einer kurzen Nacht rüttelte mich um 3 Uhr 45 der Handywecker hoch. Immerhin hatte ich mehr geruht, als es bei einem Start am Vorabend in Baunatal mit sehr später Ankunft zuhause in Frankfurt samt aller Nach- und Vorbereitung aufs Rennen fünfzehn Stunden danach der Fall gewesen wäre. Wenigstens dieser Streß blieb mir erspart. Im Morgengrauen um sechs chauffierte Peanut mich hin. Nach zwei Stunden über die fast leere Autobahn 5, vorbei an der Unfallstelle von Bernd Rosemeyer, hatten wir kurz vor acht den nördlich vor Karlsruhe gelegenen Wettkampfort erreicht. Das Vereinsgelände am Reitäckerweg lag noch im tiefsten Dornröschenschlaf. Eine ältere Dame und ein junger Mann taten die ersten Handschläge, improvisierten ein Verdeck zur Anmeldung, suchten den Schlüssel fürs WC, verteilten Programmhefte und überlegten, ob heute im oder gegen den Uhrzeigersinn gefahren wird. Ich mußte nachmelden - und noch sechzig Minuten zum Peng... Vierzig Minuten vorm START hielt ich den Transponder in der Hand, piekte Peanut die Startnummer 99 an mein Trikot, und dann suchte auch noch ein Miesepeter von der Orga Streit, indem er uns vom Parkplatz neben der Rennstrecke vertrieb - bevor er „richtig sauer“ wurde... Das Adrenalin strömte wie verrückt!
Die Meldeliste war lang und wies erfolgreiche Namen aus. Neben dem Deutschen Masters-Meister Gericke versammelten sich zwanzig Masters-4-Fahrer aus dem südwestdeutschen Raum, dazu sechs Elitefrauen. Nach Unterweisung durch den Sprecher ertönte Schlag 9 Uhr 30 der Peng zum ersten von acht Rennen des Tages. Wie bei Kriterien üblich, wurde anfangs taktiert. Das Feld blieb zusammen, bis es in der fünften Runde zum ersten Wertungssprint kam - der völlig an mir vorbeiging. In den folgenden Runden entspannen sich harte Positionskämpfe, wurden aufgerissene Lücken verbissen zugefahren, verzweifelte Ausreißversuche gestartet - bis sich der Pfälzer Antoni absetzen konnte. Immer wieder versuchte der im weißen Meisterjersey steckende Gericke, das Loch zuzufahren. Mal allein, mal mit mir, mal mit Heintz - bis ihm im letzten Renndrittel ein Vorstoß als Solist gelang. Unterdes der kleine, drahtige Mann aus der Pfalz seinen Alleingang unberührt zu Ende brachte. Als es für die Nachfolgenden in die entscheidenen letzten fünfhundert Meter ging, erschien der Stuttgarter Opoka an der Front. Ich setzte nach. Aber die wie ein langer Lindwurm am Hinterrad klebende Schar ließ uns nicht aus den Augen. Mit vereinten Kräften griff sie außen, innen und von hinten „halblinks!“ an. Plötzlich war ich eingekeilt und sah mich vor der Kurve eingangs der Zielgeraden schon stürzen. Als Dritter im Massenspurt wurde ich Gesamt-Achter. Zwei Radlängen vor mir schoß Heintz ins ZIEL, der vor drei Wochen in Trier das komplette Feld überrundet hatte. Am Ende lag Antoni vorm Deutschen Meister vorn. Es war gerade noch mal gutgegangen. Aber mit einem dritten Platz und doppelten Punkten im letzten Wertungssprint wäre ich Dritter geworden...So blieben fünf Euro für einen dritten Platz in einem der Prämiensprints. Peanut sagte anschließend, die schwankenden Leistungen innerhalb kurzer Zeit seien schon sehr verdächtig, der heutige Soloritt von Antoni genauso wie der von Heintz jüngst in Trier - respektive dessen Verlust binnen drei Wochen. Dopingkontrollen wurden nicht durchgeführt.
Epilog
 
Im Nachlauf drohte Unheil, als an der Anmeldung meine Rennlizenz verschwunden war. Derweil drei Damen kühlen Kopf zu wahren versuchten, machte der Sprecher eine Durchsage und bat die Fahrer, ihre Lizenzen wegen einer möglichen Verwechslung zu prüfen. Wie in einer geheimnisvollen Macht des Zufalls, durch Schwarze Magie, Hexerei oder Teufelei fand sie sich im Rucksack meines Mädels. Niemand weiß, wie sie dorthin gelangte. Peanut entdeckte sie zufällig neben der Lizenz aus dem Vorjahr. Wir sollten meine Geldprämie am Kuchenbüffet ausgeben - was wir auch getan haben. Die kleine Fahrergemeinde gratulierte sich für einen schönen Tag. Irgendwie kreuzen sich die Wege sowieso immer wieder. Mancher befand sich „wie Elton John auf der zigsten Abschiedstour“... Beim Rennen der Jugend, in sengender Hitze ein Uhr mittags, verließen wir Linkenheim, einen Ort zwischen kahlen, ausgedörrten Äckern, dem sumpfigen Bach Herrenwasser und lästigen Mücken.
 
 
Vitus, 26. Juni 2023, Bilder: Vitus und Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 26ºC, leichte Brise aus Ost (7 km/h)
Typ: Kriterium
Länge: 44 km
 
Am Start: 160 (lt. Veranstalter)
Im Ziel: 107
Amateure: 25, Masters 2: 14, Masters 3: 15, Masters 4: 18, U17: 6, U15: 5, U13:10, U11: 8, Elitefrauen: 6
 
Masters 4
Meldungen:
20
Am Start:
19
Im Ziel: 18
1. Walter Antoni (TSV Neupotz) 25 Pkt.
2. Heiko Gericke (RSV Kempten) 10
3. Lutz Müglich (RSC Mars-Rotweiss Frankfurt/M) 3
4. Karl-Heinz Liebemann (RSV Stuttgart-Vaihingen) 3
5. Gerald Meiß (RSC 1979 Bad Homburg) 2
6. Steffen Heintz (RSC 1984 Betzdorf)
8. Mario Voland (Dresdner SC 1898)
 
Ergebnisse
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