65. RADKLASSIKER RUND UM REUTE
Reute, 23. Juli 2023
Prolog
 
Immer mit der letzten Etappe der Tour de France und der Zielannäherung ans vierhundert Kilometer entfernte Paris, richtet der RV Concordia Reute sein „Riddemer Renne“ aus - in diesem Jahr zum 65. Mal. Fahrer wie Karsten Migels, Dirk Baldinger, Milos Fisera und besonders Michael Rich machten den Klub zu einer Hochburg des Radsports. Deutsche Meisterschaften im Vierer-Mannschaftsfahren und Einzelzeitfahren stiegen in Reute. Eine letzte Chance vielleicht für mich, das Podium zu attackieren? An diesem Wochenende mußte ich mich zwischen drei Rennen entscheiden: einem Kriterium im nahen Gießen, einem Kriterium im badischen Herbolzheim und einem Rundstreckenrennen in Reute im Breisgau. Für Gießen war ich schon angemeldet. Doch dann standen plötzlich Sprintspezialisten aus Sachsen und Hamburg in der Meldeliste. Zudem starteten in Gießen alle Mastersklassen zusammen - womit über fünfzig Fahrer auf einer 900-Meter-Runde um Punkte sprinteten. Ein gleiches Szenario drohte in Herbolzheim, überdies lockten dort Preisgelder. „Liegen“ konnte mir eher das lange Straßenrennen in Reute. Wobei die Orga die Meldeliste auch auf Anfrage geheim hielt - bis sie am Donnerstag vorm Rennen plötzlich versteckt im Internet auftauchte. Die Liste war lang, aber ich rechnete mir was aus! Und meine Frau war bereit, mich die fast dreihundert Kilometer bis kurz vor Freiburg zu fahren.
.:: DIE STRECKE ::.
Die Strecke war unverändert seit 1956 und führte als 4,25 Kilometer langer Rundkurs durch das Gemeindeumland in der flachen Breisgauer Bucht. Über eine knifflig zu fahrende Kurvenkombination ging es zuerst vom Reuter Rathausplatz über den Glotterbach in Richtung Süden hinaus auf windanfälliges Ackerland. Und dann weiter auf schnellen, breiten Asphaltstraßen durch das Dörfchen Schupfholz, noch mal über die Glotter und Unterreute, und schließlich zurück in die Oberreuter Ortsmitte. Am Ende wartete eine fast achthundert Meter lange, leicht geschwungene Zielgerade mit dem Ziel vorm Rathaus, das die Fahrer aber erst im letzten Moment sahen. Gefahren wurde im Uhrzeigersinn, also rechtsrum. Drei Fahrbahnteiler waren die Gefahrenstellen.
.:: DAS RENNEN ::.
Im Unterschied zum Norden und der Mitte Deutschlands wurde für den Süden kein Regen vorhergesagt. Zum Glück. Denn an unserm wackeligen Volkswagen war ein Scheibenwischer abgefallen. Nach drei Stunden immer geradeaus von Frankfurt über die Autobahn 5 in Richtung Süden empfing uns der Breisgau mit einer Mischung aus Sonne und Wolken, sommerlichen Werten und staubtrockener Luft. Ein Hauch von Tour de France hing in der Sphäre mit freiem Blick auf die Bergkette des Schwarzwalds mit dem Kaiserstuhl: Nur siebzig Kilometer entfernt endete gestern die vorletzte Etappe der Frankreich-Rundfahrt auf dem Vogesenberg Le Markstein. Sportler aus Frankreich, Dänemark und der Schweiz waren über die Grenze gekommen. Wie üblich kam es bei zig angesetzten Wettbewerben zu Verzögerungen im Zeitplan. Nachdem ab 10.30 Uhr Jugendsportler und ab 12:30 Uhr Kinder bei Laufrad- und Einsteigerrennen auf einer 900-Meter-Runde ihre Gabe zeigen durften, sollten ab 13.00 Uhr schließlich die ersten Rennsportler auf die große Klassiker-Runde rund um Reute gehen - bevor ab 16.15 Uhr die Elite das Hauptrennen über 100 Kilometer bestritt. Statt wie geplant um 13.03 Uhr wurde das fünfte Rennen des Tages - meins - mit einer halben Stunde Verspätung um 13.33 Uhr gestartet. Die Stunde Einrollen war geschenkt...
Neunzehn Masters-4- und elf Jugendfahrer standen an der Startlinie, als bei bedrohlich dicken Wolken und etwas Niesel um 13.33 Uhr der Peng fiel. Vierzehn Runden mit insgesamt sechzig Kilometern standen auf dem Programm. Nach zwei verhaltenen Schleifen mit eher schüchternen Attacken, darunter einer vom späteren Sieger Sopp, kam es ausgangs der dritten Schleife zu einem Prämiensprint. Die Jugend kämpfte um 25, 15 und 5 Euro. Gleich danach in Runde fünf folgte dasselbe Szenario für die Masters. Dazwischen explodierte das Rennen... Auf der langen Anreise waren mir Mumm und Frische flöten gegangen. Vielleicht lag mir auch eine Schale Nudeln zu schwer im Bauch. Gegen die jungen Dinger und die undurchschaubaren alten Männer mit ihren unmenschlichen Zügen war kein Kraut gewachsen. In Runde vier mußte ich reißen lassen. Im folgenden Durchlauf schloß ein Quartett mit einem Dänen von hinten auf, von denen aber keiner die Arbeit machen wollte. Also wartete ich auf den Zusammenschluß mit den vor uns gestarteten, schnelleren Masters-2 und Masters-3-Fahrer. Jener kam nach sieben Runden. Die letzten sieben fuhr ich im Rudel der jüngeren Masters mit einem Schnitt von weit über 41 Stundenkilometern. Und zwar im festen Glauben, wir würden die Spitze der Masters 4 nach der unausweichlichen Verfolgungsjagd niedermachen. Dies geschah jedoch nicht. Unter den neun Enteilten, von denen ich drei schon mehrmals geschlagen hatte, und der Rest mir namentlich unbekannt war, gewann der mit Lizenz zum Siegen ausgestattete Wuppertaler Sopp. Diese neun hatten mithilfe der Jugendfahrer sensationell einen Vorsprung von zwei Kilomtern verteidigt. Wenigstens blieb das Rennen - heikle Situationen im Ortskern und einen Fahrer, der auf der Asphaltkante kollidierte ausgenommen - unfallfrei. Es blieben und bleiben aber immer Messungen und Berechnungen, die die Skepsis am Leben hält. So fuhr die neunköpfige Spitzengruppe der Masters 4 mit exakt derselben Durchschnittsgewindigkeit wie das 25köpfige Peloton der deutlich jüngeren Masters 2 und 3: mit 41,1 Stundenkilometern. Auch gegen den Wind! Ich selbst hatte in der Vorbereitung wochenlang über vierhundert Kilometer gemacht: Intensive im Taunusgebirge, darunter am Mittwoch die Challenge der Kettenhunde mit fünfmaliger Erklimmung des Großen Feldbergs (insgesamt 3200 Höhenmeter). Viel mehr kann man nicht trainieren. Dopingkontrollen wurden in Reute nicht durchgeführt.
Epilog
 
Wenig versöhnlich zeigte sich der Festplatz vor der Eichmattenhalle mit Getränken und Speisen, langen Tischen, lauten und sehr engstirnigen Dorfbewohnern, und einer Bühne, auf der in den Abendstunden der Pfarrer und der Bürgermeister auf Rollen für einen guten Zweck pedalierten. Wiedermal haben wir uns großen Strapazen unterzogen, sind für ein Radrennen sechshundert Kilometer über die Autobahn gerumpelt, haben unseren Geldbeutel ruiniert, habe ich mich im harten Training den Gefahren im Autoverkehr ausgesetzt, versucht, mich mit sauberen Waffen in einem gerechten Wettkampf zu messen... Der Tag begann für mich um halb fünf in der Nacht und endete am Abend um halb neun - ohne glückliches Ende. Im Nachhinein war ich schlauer: Hätte in Gießen antreten sollen, wo nur sechs in der Ergebnisliste standen. Oder über einen badischen Doppelstart in Herbolzheim (Samstag) und Reute (Sonntag) viele Punkte für die Rangliste des BDR ergattern können. Quo vadis, Rennschlachten?
 
 
Nicht endender Dank
Meiner Frau „Born Too Late“ Peanut
 
 
Vitus, 24. Juli 2023, Bilder: Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: bewölkt, 26ºC, schwache Brise aus Südwest (15 km/h), 41% Luftfeuchtigkeit
Typ: Rundstreckenrennen
Länge: 60 km
 
Voranmeldungen: 136
KT und Elite Amateure: 26, Amateure: 10, Masters 2: 13, Masters 3: 20, Masters 4: 20, Junioren: 5, U17: 12, U15: 7, U13: 8, U11: 4, Weibliche Klassen: 11
 
Im Ziel: 165
KT und Elite Amateure: 36, Amateure: 14, Masters 2: 10, Masters 3: 20, Masters 4: 15, Junioren: 11, U17: 11, U15: 7, U13: 11, U11: 4, Weibliche Klassen: 26
 
Masters 4
Gemeldet:
20
Am Start:
19
Im Ziel:
15
1. Jürgen Sopp (RC Musketier Wuppertal) 1:27:02
2. Markus Wellner (RC Musketier Wuppertal) +0:01
3. Steffen Heintz (RSC 1984 Betzdorf)
4. Torsten Kairies (VC Frankfurt 1883) +0:02
5. Martin Rommelfanger (RSC 1984 Betzdorf)
6. Ralf Hedtmann (RRG Osnabrück) +0:04
10. Mario Voland (Dresdner SC 1898) +2:54
 
Ergebnisse
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