33. PARIS-MARATHON, 5. April 2009 ¤ AUFBAUKÄMPFE Gießener Silvesterlauf (Halbmarathon), 28.12.08 Altenbusecker Halbmarathon, 24.1.09 Mörfelder Halbmarathon, 15.2.09 Bad Kreuznacher Halbmarathon, 15.3.09 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Ein Feldzug nach Paris Die faszinierende Gloriole der Stadt an der Seine, die Schönheit der Strecke, die alte Tradition (1896 als Paris-Conflans, seit 1976 als Paris-Marathon), sowie die Teilnehmerzahl, machen den Marathon in Paris zum drittgrößten Europas nach London und Berlin. 2009 begrüßte der Tour-de-France-Organisator ASO 32 000 Starter. Bedingung zur Teilnahme war ein ärztliches Attest. Im Fragebogen „Le certificat médical“ bescheinigt der Doktor Sporttauglichkeit. Überprüft wird diese Auskunft nicht, sie feit auch nicht vorm Tod. Aber ein französisches Gesetz von 1999 will es so, und es sichert den Veranstalter ab. In Deutschland muß der Läufer die Ausstellung beim Mediziner aus eigener Tasche bezahlen - meine Partnerin bsw. achtzig Euro! Mit dem NEW-YORK-Marathon war für Peanut und mich der höchste Gipfel erklommen. Danach hätten wir die Schuhe an den Nagel hängen können. Zum kompletten Medaillensatz der Majors fehlte uns aber noch CHICAGO. Ein Marathon im Frühjahr sollte die Zeit bis zum Oktober überbrücken. Für BOSTON hatte ich als Zeitqualifizierter garantiertes Startrecht. Auch Rom, Rotterdam und Hamburg kamen in Betracht. Und uns blieb immer noch Paris... Weil uns Wettkämpfe in der Fremde beflügeln, Paris eine schnelle Strecke versprach, und auch die geographische Nähe den Marathon für uns reizvoll machte, fiel die Entscheidung auf die Seinemetropole. Am 17. November hatten wir uns über den Reiseveranstalter Interair angemeldet. Einen Tag später war das Teilnehmerlimit erreicht und die Meldeliste geschlossen. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DIE STRECKE ::. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Der Marathon de Paris bewegte sich auf einem flachen Kurs ohne enge Kurven durch die französische Hauptstadt. Nach dem Start auf den Champs-Élysées führte der Kampf über die Place de la Concorde und Place de la Bastille in Richtung Osten bis zum Bois de Vincennes. Nach zehn Kilometern im Bois de Vincennes ging es über die Porte de Charentone zurück in die Innenstadt. Am 25. Kilometer berührte die Route erstmals die Seine. „Rive droite“ (am rechten Ufer) ging es nun flußab vorbei an Stadtinsel, Notre-Dame, Tuileriegarten, Eiffelturm und der Place du Trocadéro. Am Bois de Boulogne angelangt, verliefen die letzten neun Kilometer erneut durch einen Wald. Mit der Prachtstraße Avenue Foch öffnete sich der Blick auf das Ziel vorm mächtigen Triumphbogen. Zweihunderttausend Zuschauer wurden erwartet. In der Summe der Spitzenzeiten war Paris 2008 der zweitschnellste Marathon der Welt (nach London)! | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DIE VORBEREITUNG ::. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Die Erwartungen waren unterschiedlich. Als Zeitziel hatten wir 3:59 Stunden (Peanut) und 2:49 (Vitus) angepeilt. In meinem Fall erlaubte erzwungener Vorruhestand tägliches Training. Das LAUFTAGEBUCH vom 15. Dezember 2008 bis 5. April 2009: 1. Wo. (132 km): Laufen ohne Schmerzen? Das kenne ich schon lange nicht mehr. Seit dem New-York-Marathon verfolgte mich eine entzündete Plantarsehne, auch Plantar Fasciitis genannt. Ich lief also seit sieben Wochen unter Schmerzen im Fußgewölbe, die weder durch Schonung noch Schmerzmittel verschwanden. Dazu forderte der Winter seinen Tribut. Besonders Peanut konnte wegen ihres Dienstes nur auf beleuchteten Wegen trainieren. Manchmal waren wir auch im Schein einer Stirnlampe unterwegs. 2. Wo. (108 km): Gleich der erste Wettkampf endete katastrophal... | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DER 1. AUFBAUKAMPF ::. 36. INT. GIESSENER SILVESTERLAUF, 28.12.08 (Halbmarathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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3. Wo. (105 km): Nach Gießen konnte ich kaum auftreten. Der Gang zur Ärzteschaft geriet zu einer diffizilen Odyssee von einem Quacksalber zum anderen - vom Hausdoc über Physiotherapie und Orthopädie bis in ein Sanitätshaus. Der eine wollte nur mein Geld, beim anderen mußte ich mich schämen, Mensch und nicht Maschine zu sein; der nächste hielt abwertende Vorträge über die Monotonie des Marathonlaufs; und der letzte erwies sich wiederum als Affe ohne Interesse. Kurzum: Nach zweifelhaften Untersuchungen vom Röntgenlabor bis zu Fußdruckverteilungsmessung drohte das Ende der Laufkarriere. Der frühere Spitzenläufer Kurt Stenzel schrieb mir: „Plantarfascitis ist meist langwierig. Ein MBT kann, wenn man richtig damit umgeht, Linderung bringen, da der Druck weggenommen wird. Fußmassagen, Dehnungen und Fußkräftigung sind elementar wichtig. Die ständige Druckbelastung muß minimiert werden. Laufen mit Schmerzen ist Mist, da Du mit Ausweichbewegungen nur noch mehr Probleme verursachst. Ob Paris geht???? Aber Du wirst wieder Laufen können, wenn Du Dich um Deinen Fuß kümmerst. Geduld und Pflege sind wichtig.“ Peanut grübelte: „Wenn das kein Zeichen ist... Wir sollten aufhören!“ - Ich behandelte das Problem mit alten Hausmitteln: Pferdesalbe, Dehnen und Fußabrollen über eine eisgekühlte Flasche. 4. Wo. (160 km): Frau Holle im Reich über den Wolken half, den Schmerz besser auszuhalten: Am Boden lag eine geschlossene, dicke Schneedecke, die die Schläge von den Füßen nahm. Auf Schnee folgten Strömungen arktischer Herkunft. Ich bin bei Temperaturen von 16 Grad unter Null gelaufen. Und das war überaus beklemmend! Neben Eisbehandlungen versuchte ich die Sehnenreizung über die Schuhe in den Griff zu bekommen. Ich habe eine Innensohle so zurechtgeschnitten, daß die gereizte Sehnenplatte nicht mehr reibt. Dazu laufe ich - neben extra weichen Sänften - gelegentlich Schuhe aus der „Free“-Schusterei Beaverton, Oregon, die für stärkere und flexiblere Füße sorgen sollen... 5. Wo. (170 km): Auch in dieser Woche durften wir den Fuß auf das Schneeröckchen von Mutter Erde setzen. Frankfurts abgetretene Pfade lagen weiterhin unter ungewohntem unbeflecktem Weiß! Und noch ein Zeichen von oben: Am Donnerstag mußte in New York ein Airbus notlanden - auf dem Hudson-Fluß in Höhe der 48. Straße. Dort, wo wir vor elf Wochen unser Marathon-Quartier hatten... Die Gebrechen sind mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, sie sind wie ein vertrauter Wegbegleiter. Die Sehne links brannte nun nicht mehr so stark, dafür stach und drückte es im rechten Knöchel. Aber die Umfänge mußten weiter gesteigert werden. Schließlich werden die Helden des Sommers im Winter gemacht! Von dieser Etappe an übten wir unter den neuen Anleitungen des Greif-Club: Peanut nach „T5Z“ (fünf Wochentage), ich nach „T7Z“ (täglich, mitunter auch zweimal am Tag). 6. Wo. (126 km): Nach dem Leib lag nun auch die Seele wund...... | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DER 2. AUFBAUKAMPF ::. 32. ALTEN-BUSECKER WINTERSERIE, 24.1.09 (Halbmarathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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7. Wo. (161 km): Essen. Trinken. Laufen. Schlafen. Sonst nichts! (Laufen oft nur noch nur auf innerem Autopiloten): Das ist doch kein Leben! Selten fiel mir eine Woche so schwer wie die nach dem Halbmarathon von Buseck! Peanuts Aufopferung für Paris war ungebrochen. Sie lief in diesem Abschnitt erstmals 100 Kilometer zusammen. 8. Wo. (144 km): Trotz schweren Zeiten und einer sich zuspitzenden Lebenssituation haben wir - statt alles abzublasen - am Ziel „Paris“ festgehalten. Peanut mußte auf ihrer langen Runde dreieinhalb Stunden strömenden Regen bei Werten knapp über Null durchstehen. Ich wiederum habe die zweite Hälfte meiner 35-Kilometer-Runde mit einer Mordswut im Ranzen in 84 Minuten heruntergeprügelt. 9. Wo. (114 km): Ein Waldrennen unter Gefahr fürs Leben...... | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DER 3. AUFBAUKAMPF ::. 32. HALBMARATHON DER SKV MÖRFELDEN, 15.2.09 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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10. Wo. (161 km): Ein Wunder! Nach viermonatiger Pein war meine Plantarsehnenentzündung - ganz ohne Weißkittel! - wie aus dem Nichts abgeklungen. Gleichfalls über Nacht verschwunden - so als wäre nie etwas gewesen -: die Muskelverletzung, die mir den Halbmarathon in Mörfelden verdarb. Oh, man wünscht sich mehr von diesen mirakulösen Heilungen...... 11. Wo. (154 km): Um ehrlich zu sein: Paris, Frankreich, dieser Übergangs-Marathon: Das rechte Feuer habe ich von Anfang nicht gefunden. Sowas wie innere Leidenschaft hat es nie gegeben. Die tägliche Schinderei immer allein wurde am Dienstag von 17 x 400 Metern auf Aschenbelag gekrönt. Ich habe diese erquickende Übung gleich doppelt absolviert. Am Vormittag allein, nachmittags noch mal als Lok für Peanut. Zweimal 25, zusammen 50 (fünfzig!) Runden, rund 1 ½ Stunden im Kreis - selbst für Verrückte eine große Herausforderung! Peanut hatte diese Woche 103 Kilometer abgerissen. 12. Wo. (158 km): Nur noch verlorene Zeiten. Nach der ungünstigen Gegenwart zerbrach ich nun auch noch an den eigenen - vor Berlin 2008 - aufgestellten Trainingsrekorden und Umfängen. Das Ziel „2:49“ war endgültig abgehakt. 13. Wo. (115 km): Stets nach zwei Stunden Laufen bekam ich plötzlich krampfartige Stiche unter den linken Rippen. Mit großen Sorgen folgte die letzte Probe vorm Großkampftag am 5. April: | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DER 4. AUFBAUKAMPF ::. 19. SEPPEL-KIEFER-GEDÄCHTNISLAUF BAD KREUZNACH, 15.3.09 (Halbmarathon) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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14. Wo. (160 km): „Ich hoffe Dir geht es heute besser und Du machst mal Pause. Gestern hast Du sehr schlecht ausgesehen, richtig ausgezehrt.“ So einen Notizzettel hatte ich am Freitag neben der Kaffeemaschine vorgefunden, geschrieben von Peanut. Es war eine dieser übernächtigten, antriebslosen und reizbaren Wochen mit deprimierenden Leistungen beim Training. Wir versuchten uns abwechselnd mit Durchhalteparolen zum Endkampf anzutreiben. Noch 14 mal Aufstehen... 15. Wo. (116 km): Die Tempoteile auf dem vorletzten Abschnitt waren der „Marathon-Renntempo-Test“ (18 Kilometer) und die „Lange Treppe hoch“ (3000-4000-5000 Meter im Marathontempo). Dazu kam der letzte lange Kanten von 30 Kilometer. Während Peanut diese Einheiten bei Sturm, Schnee und Regen durchstehen mußte, bin ich an den Vorgaben von Greif grandios gescheitert. Und: Ich litt nun unter Schmerzen im linken Knöchel. Der Knorpel zwischen Schien- und Sprungbein dürfte wohl vollständig zermörsert sein. 16. Wo. (32 + 42,195 km = Gesamt 2158 km): Boston kontra Paris: Am 30. März trafen die Unterlagen aus Hopkinton ein. Mit „Bib Number 2922“ stand mein Name in der Startliste für den Mythos „Boston“! Ohne Flug und Unterbringung, aber als einer von 25 000 mit Startrecht - und herzgeboten! Aber Boston stieg nur 15 Tage nach Paris...... | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: DAS RENNEN ::. 33. MARATHON DE PARIS, 5 avril 2009 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Freitag, 3. April Auf dem Schienenweg sind Peanut und ich am Mittag nach keinen vier Stunden in Paris-Ost eingerückt. Blitzartig sozusagen. Und es blieben nur wenige Kilometer zur Unterbringung - die aber schier unüberwindlich werden können... Nach sage und schreibe einer Stunde hatten wir die Billets für die Métro endlich gelöst und uns unter äußerst präsenten Überwachungskameras nach La Défense, einem für die Zukunft erfundenen Geschäftsviertel im Westen der Stadt, durchgeschlagen. Wir fanden unsere Unterbringung zwischen entseelten Hochhäusern, dem postmodernen Triumphbogen Grande Arche und nekrophilen Anzugträgern unterm Dach des Kongresszentrums CNIT. In unserem vollständig kamerabeschatteten, überklimatisierten und schallisolierten Hilton atmeten wir die Luft einer Klimamaschine und starrten aus gesperrten Fenstern auf eine kalte Welt aus verglasten Büros und anonymen Konferenzräumen im Halleninneren. Wir waren zum Warten verdammt... Abends um sechs Uhr durften wir einen Haken unter die Nummernausgabe im Rahmen der Marathon Expo am Parc des Exhibitions ganz im Süden der Stadt machen. Nach drei lockernden Runden um den Friedhof Nanterre, dem einzigen Grün im Betonghetto, stand uns nun noch die Beschaffung von Lebensmitteln bevor. Ein Markt namens „Auchan“ war uns empfohlen worden. Er fand sich in einem riesenhaften Einkaufszentrum, und dort stießen wir auf unendliche Regale mit einer Schwindel erzeugenden Flut von Etiketten zwischen denen man vor Überfluß nichts fand. Mit völlig zermarterten Gliedern kamen wir in der zehnten Abendstunde zurück ins Hotel. Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten - in Strasbourg war die „Vague de Violence“ (Haß auf die Nato) entbrannt - sagten uns, wo´s langgeht. Nach hastig runtergeschlungenen Nudeln mit Tomatensauce sind wir um Mitternacht mehr tot als lebend ins Bett gefallen - hermetisch von der Außenwelt abgeschottet und beschützt von Soldaten mit MPs. In 33 Stunden war Start! Sonnabend, 4. April Nach dem Grauen von gestern konnte dieser Tag nur dem vagen Versuch einer Wiederherstellung gelten. Wir sind eine Dreiviertelstunde durch die Hightechstadt getrabt, haben im hiltoneigenen Frühstücksraum „Salon Briand-Adenauer-Nobel“ eine Apfelsine gegessen (die einzig verwertbare Nahrung), haben uns auf dem Zimmer Haferbrei und Nudeln mit „Escalopes de Dinde“ (Hähnchenschnitzel) gemacht, die speziell für den Paris-Marathon hergestellten schwarzen Transponder in die Schuhe geschnürt, den Treff mit den Interair-Hostessen wahrgenommen, und uns halb elf in die Falle gehaun. Während Peanut sofort zur Ruhe kam, lag ich noch bis halb zwölf wach. Vor der Tür patrouillierten wieder französische Gewehre. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Einzug unterm Triumphbogen (© Vitus) | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Sonntag, 5. April BONJOUR PARIS! 4.44 Uhr war es Zeit zum Aufstehen. Unser Frühstück sah „Pain de Mie complete“ (Vollkorntoast) mit Erdnußcreme, Banane, „Miel de la Champagne“ (Honig) und Moosbeeren vor. Dazu gab´s Kaffee und Kamillentee. Um 7.10 Uhr durften wir die Quarantäne verlassen. Tief durchatmen! Nach einem Tag in Kunstbeleuchtung und gefilterter Luft füllten sich Augen und Lungen endlich wieder mit rein natürlichem Licht und Luft. Vom Grande Arche ging es mit dem Vorstadtzug RER zur Place de l´Etoile, und um 7.45 (eine Stunde vorm Start) standen wir erstmals unterm Triumphbogen. Nun war im Eiltempo das Rennleibchen überzuwerfen (in Erinnerung an schöne Zeiten trug ich das Dynamo-Wappen auf der Brust), der Rucksack am Zelt abzuliefern, die richtige der strahlenförmig zum Triumphbogen zulaufenden Straßen zu nehmen, und sich in die Startzone zu quetschen. Oh, Champs-Élysées... Sechs Minuten vorm Schuß standen Peanut und ich auf Frankreichs berühmtester Meile. Nachdem wir monatelang bei teils klirrender Kälte und oft Dunkelheit und Nässe trainieren mußten, war es ausgerechnet in der Marathonwoche warm geworden. Am Morgen noch kühl, trieb die Sonne das Thermometer auf frühsommerliche Werte. Dazu stand die Luft fast still. Keineswegs rosige Vorzeichen... Als Wegzehrung sollten Bananen, Apfelsinen und Trockenobst (Aprikosen, Rosinen und Kochbananen) angeboten werden. Außer am Kilometer 35 (Powerade) gab es jedoch keine Energiegetränke, nur Mineralwasser in kleinen Flaschen. Kilometer 0 bis 10: Von der Prachtstraße der Elysischen über die Bastille zum Bois de Vincennes Paris räkelte sich noch in den Laken, als um 8.45 Uhr das Bersten der Startpistole die Luft durchschnitt. In allernächster Nähe zur Elite hatte ich nach acht Sekunden die Zeitnahme passiert. Peanut startete mit Sichtkontakt zum 3:45-Zugführer in einem Rutsch im selben Lindwurm. Von 39 505 Registrierten machten sich letztlich 31 373 Marathoniens und Marathoniennes auf den Weg übers Pflaster der Champs-Élysées hinab zur Place de la Concorde. 30 332 sollten das Ziel erreichen. Nach dem Triumphbogen war der Obelisque der zweite berühmte Monolith auf dem Weg in Richtung Osten. Die antike Marmorsäule wird jährlich von der Schlußetappe der Tour de France gestreift. Gleich darauf breiteten sich rechts der prächtige Stadtgarten Tuilerien und die lange Fassade des Louvre aus. Man lief auf einer schönen Unbekannten mit dem klingenden Namen Rue de Rivoli! Der gelegentliche Ausruf „En garde!“ erinnerte mich bißchen an die berühmten Musketiere. Paris nahm den Marathon kämpferisch! Auf der Place de la Bastille, die mit ihrer Julisäule an die Siegessäule von Berlin erinnert, folgte da erste Buffet. Schon im dünnbesiedelten Vorderfeld kollerten zahllose weggepfefferte Flaschen über das Revolutionspflaster von Paris. In Peanuts Bereich würde es ein Minenfeld aus Trinkbehältern, Schwämmen und Obstschalen sein. Achtung, Achtung: Sturzgefahr! Viele strauchelten, rutschten aus, gerieten ins Stocken. Weiter ging es über die Place de la Nacion zum Pflasterkreisel im Boulevard Soul, wo neben dem nächsten Ravitaillement auch ein Spalier aus Menschen stand. Eins der wenigen - und das letzte für lange Zeit... Kilometer 11 bis 20: Für zehn Kilometer im Geisterwald von Vincennes Nach elf Kilometern folgte der Eintritt in den Wald von Vincennes. Wohin der Blick hier ging: zartgrüne Bäume, blühendes Buschwerk, helle Lichtungen und mal asphaltiertes, mal kleingepflastertes Geläuf voraus. Unterbrochen wurde die stille Kulisse nur vom malerischen Schloß Vincennes, von Vogelgezwitscher und einigen Franzosen, die als illegale Tempomacher für ihre Kumpanen eingriffen (lasche Absperrungen machten es möglich). Im Übrigen lief jeder allein. Und das zehn Kilometer lang! Fast hatte der Kampf nun etwas von einer straffen Übungseinheit im Park oder einem Ausflug ins Grüne. Nicht der Hauch eines Gefühls in einem der größten Marathonläufe der Welt unterwegs zu sein. Gerade die Anstachelung von außen, dieses frenetisch Voranpeitschende habe ich jetzt, in der Einsamkeit der weiten Waldlandschaft, sehr vermißt. Schon am richtungsweisenden zehnten Kilometer war ich anderthalb Minuten langsamer als beim ungleich härteren New-York-Marathon gewesen. Aber die Straßen im Big Apple waren auch von verzücktem Millionenpublikum gesäumt... Im alten Wald von Vincennes fielen die Zeiten weiter ins Bodenlose. Nach 18 Kilometern blieb zur Rechten die Radrennbahn und Hauptwettkampfstätte von Olympia 1900 und 1924 zurück. Kilometer 21 bis 30: Durch das rechte Seine-Viertel zum Eiffelturm Die Port de Charenton bedeutete Halbzeit, das Ende des Waldes und den Anfang auf dem Weg zurück in den Stadtkern. Wieder verlief die Route durch einen Kanal voller französischer Baukultur, die nie einen Bombenangriff erlebte. Nach 25 Kilometern war die Seine erreicht. Eine kurzes gepflastertes Gefälle führte hinab auf die Uferstraße, auf der es nun rechts der Seine - rive droite - dem Ziel entgegen ging. Unmittelbar nach dem Ausblick auf die Stadtinsel mit der Kathedrale Notre-Dame verschwand die Route in einem anderthalb Kilometer langen, schlecht beleuchteten Tunnel unter dem Tuileriengarten. Neben Licht mangelte es dort auch an Luft. Mitten in der Röhre hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Nach einer Rampe hinauf ins Licht, kurz nach Luft geschnappt, wiederholte sich dieses beklemmende Szenario gleich noch mal im Alma-Tunnel, dem Todesort von Prinzessin Diana. Zwischen Halbmarathon und Kilometer 30 war ich trotzdem sehr schnell gewesen und steuerte mit einer Zwischenzeit von 2:05 Stunden auf eine Endzeit von 2:55 Stunden zu. Derweil fiel in der Spitze die Entscheidung. Erneut machten die anonymen und austauschbaren Kenianer und Äthiopier das Rennen unter sich aus. Nachdem bis Kilometer 35 eine hochkarätige Gruppe aus 15 Läufern zusammengerannt war, entführte überraschend der blutjunge Vinvent Kipruto die 50 000 Euro Sieg-Prämie ins Schlaraffenland Eldoret. Nach einem Zermürbungskampf mit dem äthiopischen Debütanten Worka rannte Kipruto mit 2:05:47 Stunden nicht nur Streckenrekord, sondern die achtschnellste Zeit in der Geschichte des Marathonlaufs überhaupt. Damit ist der 22jährige in Kenia ein gemachter Mann, er wird eine Farm kaufen und seinen Stamm bis ans Ende aller Tage versorgen. Für einen Brasilianer stand Paris indes im Zeichen des Abschieds: Der 40jährige Vanderlei Lima, tragische Figur des Olympia-Marathons von Athen 2004, beendete als Zwanzigster in 2:20:31 Std. seine letzte Schlacht auf den Straßen dieser Welt. Kilometer 31 bis 40: Von der Place du Trocadéro übers Prinzenparkstadion in den Bois de Boulogne Der Eiffelturm... Da rennt man einmal durch Paris, und ist dann sosehr auf den Kampf fixiert, daß man den Turm in Reichweite nicht sieht! „Rive gauche“ (am linken Seine-Ufer) stand das nicht zu übersehende Sinnbild der Stadt. Peanut sollte mir später davon erzählen, von diesem himmelkratzenden Eisengerippe, das von ihr als häßliches Drahtknäuel wahrgenommen wurde. Dafür bin ich eine Straßenecke weiter am Bordstein mit dem Fuß umgeknickt. Fernsehreporter sagen dann immer: „Das tut schon beim Zuschauen weh.“ Nach 33 Kilometern zweigte die Route in den Bois de Boulogne ab. Der Rest verlief im westlichen der großen Pariser Wälder. Kultstätten wie das 1897 erbaute Prinzenparkstadion (Austragungsort von Olympia 1924 und Fußball-Weltmeisterschaft 1938), die Pferderennbahn Hippodrome D´Auteuil und die rote Asche von Roland Garros aus dem Jahre 1927 liegen hier und wurden von uns gestreift. Auch der olympische Marathon von 1900 nahm im Wald von Boulogne seinen Anfang. Ein staubiger Feldweg wurde gekreuzt. Und überall sprießendes Grün, singende Vögel und - außer ein paar Kapellen mit weichem Pop und einigen Kinderwagenschiebern - kaum ein Mensch unterwegs. Nur ein weiterer Jogger, der als unerlaubter Helfer ins Renngeschehen eingriff. Erst mir „Allez, allez, allez, Kelly!“ zurufend (hielt mich wegen meinem Pferdeschwanz offenbar für Joey), dann einem Kameraden, den er zu einer Zeit unter drei Stunden antrieb. Frühlingserwachen im Bois de Boulogne! Die Anfeuerungen hatten den hübschen Effekt, daß ich nun den dritten Wind bekam. Nach einlullenden Wegstücken halfen mir die „Allez, allez, allez!“ das Tempo aufrecht zu halten. Und zwei Kilometer vor Ultimo fuhren die Organisatoren noch mal richtig auf: Am Bufett vom Kilometer 40 konnte sich der Marathonien neben körbeweise Obst und Trockenfrüchten auch an Rotwein laben. Kilometer 41 bis 42,195: Zieldurchlauf mit Blick auf den Arc de Triomph Auch in Paris war das Phänomen zu beobachten, daß manche kurz vor Ultimo durch geistige Ermattung ins Gehen verfielen - und nach monatelanger Entbehrung Minuten vorm Ende den gewünschten Erfolg noch versiebten. Auf der Avenue Foch war das Ende eingeläutet. Die elegante Schlagader mit dem weiß am Horizont dämmernden Triumphbogen war genauso still wie die neun Kilometer davor. Tribünen existierten nicht, es gab kein Bad in der Menge, selbst der Strich nach 42,195 Kilometern war kaum wahrnehmbar. Fast schon in Lethargie konnte ich gerade noch eine Zeit unter der magischen Marke retten. Nach 2:58:47 Stunden war die Grand Boucle durch Paris vollendet. Nichts war es mit dem Aufstieg zur Championesse unterm Arc de Triomphe: Peanuts Traum von der „3:59“ wurde nicht Wirklichkeit. Der krafttötende Freitag hatte ihr noch am Morgen des Rennens in den Beinen gesteckt. Dazu kam das ungünstige Wetter. Peanut haßt Sonne regelrecht, und die Luft empfand sie so dick wie Wasser. Versteckt hinterm Zugführer für 3:45 Stunden und getragen von der Welle der Läufer, lag mein Mädel dreißig Kilometer lange auf der Marschlinie für die angepeilte Endzeit unter vier Stunden. Nach 32 Kilometern ist Peanut dann aber unmerklich vor die Hunde gegangen. Die Überholung durch den Zugläufer mit dem 4:00-Std.-Rudel nahm ihr den letzten Wille. Trotz allem lieferte sie ein gute Leistung ab, und mit 4:07:39 Std. war zumindest ihre alte Bestzeit um anderthalb Minuten unterboten. Im ZIEL waren wir schlauer: Wir hätten in Rotterdam antreten sollen! Holland meldete fünf Grad weniger, der dortige Sieger war eine Minute schneller als der in Paris. FAZIT Paris hatte eine gute Organisation und verwöhnte mit feudaler Streckenversorgung und einer ansehnlichen, ebenen Strecke. Herrlicher konnte eine Erkundung von Paris kaum sein. Fragwürdig blieben die zwei luftarmen Tunneldurchquerungen. Ferner wies die GPS-Uhr eines Läufers aus Offenbach, der 2010 in Paris war, die Strecke um 800 Meter zu lang aus! Im Umkehrschluß wäre der Sieger Weltrekord gelaufen! Sehr bescheiden war die Atmosphäre am Rande. Mit Marathon hat Paris wahrlich nichts am Hut. Einheimische laufen unterm Radar. Folglich herrschte - außer an Champs-Élysées und Seine - gähnende Leere, besonders in den Wäldern Bois de Vincennens und Bois de Boulogne. Gerade auf den letzten sieben Kilometern, auf denen woanders riesige Zuschauermassen antreiben, fehlte die Rückendeckung komplett. Wirkung: Obwohl Paris zu den ganz Großen zählt - der Weltverband verlieh Paris 2009 als einem von sieben europäischen Straßenläufen das Siegel Gold Road Race -, klafften zur Beletage von Boston, London, Berlin, Chicago und New York in puncto Strahlkraft Welten. Paris bezog seinen Reiz aus einer gewissen Leichtigkeit bis Provinzhaftigkeit. Besonderheiten: Die Urkunde gab es nur als Datei zum Selberdrucken. Paris versendete ferner auch keine Ergebnishefte. Es gab nur die Ergebnisliste in der Montagsausgabe der „L´Equipe“! Für die Materialinteressierten: Frau lief mit Asics Gel-3000, Mann mit Adidas adiZero Adios (Gebrselassies Weltrekordschuh). | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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POST-MARATHON-KULTUR Ursprünglich stand nach dem Marathon für uns das „Festival des Mondes du Crust-Over“ im Klub „Pena Festayre“ auf dem Plan. Der in Paris lebende Emmanuel von der Doom-Gruppe Northwinds hatte uns alle notwendigen Informationen dazu geliefert. Aber dann waren wir erstens zu kaputt, und zweitens hätte die Fahrt vom äußersten Westen in den Nordosten der Stadt eine Stunde gedauert. Es reichte auch nicht für ein französisches Abendbrot mit Bier beim Streifzug durch Défense. 6,80 Euro für ein Kronenbourg, 1664 & Co.: „Pardon?, frugen wir uns bei den Preisen. Letztlich haben wir uns in die erstbeste Metro gesetzt, sind an der „Pont de Neuilly“ aufs Geradewohl ausgestiegen, und waren in einem der wenigen erschwinglichen Orte in Paris: einem Chinalokal. BONSOIR PARIS! Montag, 6. April Im Morgengrauen haben wir die Taschen gepackt und ausgebucht. Da wir den Inhalt der Minibar berührt hatten, wollte Monsieur Hilton uns 114 Euro abknöpfen. Die Elektronik hatte alles genau registriert. Wer weiß, was noch... Daher eine Warnung: Das Hotel „Hilton Paris La Défense“ ist nicht zu empfehlen! Sportler sind nicht willkommen. Deutsche erst recht nicht! NACH LA DÉFENSE NUR AUF KETTEN! - Nach erfolgreicher Flucht sind wir zwecks Medaillengravur zum Ladengeschäft „Les Créations Sportives Françaises“ im Viertel „Les Halles“ gefahren. Nur 30 der 30 000 Ins-Ziel-Gekommenen waren an einer Personalisierung ihrer Plakette interessiert. Das Gravieren zog sich über eine Stunde. Kaum vorstellbar, hätten alle den gleichen Wunsch gehabt... Romantische Stunden blieben uns nicht. Alles, was wir sahen, waren Metro, Hotel, Strecke - und ein Pain (Brot) mit Camembert und Bier im Pariser Bistro „Café de L´Imprimerie“. Punkt 13.09 Uhr rollte unser Zug vom Bahnhof Paris-Ost zurück nach Deutschland. Am 7. April habe ich schweren Herzens meinen Start beim Boston-Marathon (20. April) abgesagt. Am zweiten Mai traf die Urkunde mit dem Endresultat aus Hopkinton, MA ein: „M. Voland - NO TIME RECORDED“. Kampfläufer Vitus, 12. April 2009 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Wetter: sonnig, 16ºC, leiser Luftzug aus Nordwest Zuschauer: ca. 220 000 (offiziell) Gemeldet: 39 505 (Franzosen: 26 880, Ausländer: 12 625, Nationen: 95) Am Start: 31 373 Im Ziel: 30 334 (M: 25 281 / W: 5053) Männer 1. Vincent Kipruto (Kenia) 2:05:46 (SR) 2. Bazu Worka (Äthiopien) 2:06:14 3. David Kiyeng (Kenia) 2:06:23 4. Yemane Adhane (Äthiopien) 2:06:30 5. Rachid Kisri (Marokko) 2:06:48 6. David Mandago (Kenia) 2:06:53 Frauen 1. Atsede Bayisa (Äthiopien) 2:24:41 2. Aselefech Mergia (Äthiopien) 2:25:01 3. Christelle Daunay (Frankreich) 2:25:43 4. Ashu Kasim (Äthiopien) 2:25:49 5. Julia Muraga (Kenia) 2:29:10 6. Worknesh Tola (Äthiopien) 2:29:19 Kampfläufer Vitus Startnummer: 5430 Nation: Deutschland Zeit: 2:58:47 Platz: 941 von 31 373 Gesamt Platz: 346 von 9098 in Kategorie VH1 (1969-1960) Zwischenzeiten 05 km: 0:20:26 10 km: 0:41:16 15 km: 1:02:08 21,1 km: 1:27:40 25 km: 1:43:44 30 km: 2:05:06 35 km: 2:26:54 Peanut Startnummer: 39655 Nation: Deutschland Zeit: 4:07:39 (PB) Platz: 16 432 von 31 373 Gesamt Platz: 528 von 1914 in Kategorie VF1 (1969-1960) Zwischenzeiten 05 km: 0:27:55 10 km: 0:55:54 15 km: 1:23:49 21,1 km: 1:58:14 25 km: 2:20:43 30 km: 2:50:13 35 km: 3:21:03 Schwarze Schafe 204 Teilnehmer wurden wegen Akürzens ausgeschlossen und namentlich im Netz veröffentlicht. Der „Schnellste“ unter den Betrügern (Mourao) traute sich nach 2:22:31 über den Zielstrich. Manche erschienen nur am Start ... und dann erst wieder im Ziel! Ergebnisse Paris-Marathon | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||