DISBELIEF, TOTENMOND, ENDSTILLE, SOLEÏLNOÏR, SECRETS OF THE MOON, SHIT FOR BRAINS
D-Hanau, Halle 2 - 10. März 2007
Hanau, Geburtsstadt der Märchenonkel Grimm, war im März 2007 Schauplatz für eins der raren (und womöglich bald letzten) Heavy-Metal-Rituale in Hessen. Unter Leitung der Konzertagentur MusicXtreme und einiger virtueller Gothic- und Metal-Syndikate war die 600 Personen fassende „Halle 2“ in Großauheim festgemacht. Ortsrandlage. Wo auch sonst? - Nach einer Fahrt im Bummelzug und einem Fußmarsch durch die Klinkerkaten Großauheims runter zum Main, waren Peanut und ich um sieben am Ende der Welt angekommen - und durften nach einer Intensivkontrolle rein ins Glück. Plakate hatten wir mitgebracht - vom Europa-Feldzug von Blood Of The Sun, Versus The Stillborn-Minded und Spancer. Die Doomfreunde aus Nürnberg hatten mir welche geschickt und Mitorganisatorin Evelin willigte ein, drei Exemplare im Eingangsbereich, am Lichtpult und am Büro anzubringen. Nachdem die finstere, fensterlose Zweckhalle mit Doom veredelt war und wir Anziehsachen und Andenken von der Endstille ergattert hatten, ging´s zur Sache...
Die in den Neunzigern versammelten, zwischendurch aufgelösten, über Gruppen wie Richthofen oder Crematory versprenkelten, und nun wiedervereinten SHIT FOR BRAINS, griffen Schlag sieben als Erste zu den Waffen. sHIT for bRAINS: lässiger Name (für den der Gruppe übrigens schon Kauf-Offerten vorlagen), klingt nach Hardcore oder Punk - war es aber nicht. Die Südhessen droschen technischen Thrash in die mit zweihundert Gesichtern anfangs locker gefüllte Halle. Brachiale Rhythmen moderner Machart unter Kappen und Dicke-Hosen-Gepose - für ein Publikum aus In-Flames-Schwuchteln (und einigen wenigen Langhaarigen aus den Achtzigern, als Metal noch Metal war). „Ich will aber eine CD von Dieter Bohlen.“ Diese Reaktion eines Nu-Metal-Zombies auf zehn von Vokalist Rohr verschenkten Silberlingen sagte alles. Nach einem halben Stündlein waren SFB mit dem melodiösen „Breathing“ durch. Mit Scheiße für die Hirne gewissermaßen.
„This is not a place for you. This is not a race you´re part of. This is not for you“: Mit giftig herausgeblafften Worten fand die Nacht ihre Fortführung. Mit SECRETS OF THE MOON, vier kajalgetarnten Gestalten, wild headbangenden Langhaarigen aus dem Osnabrücker Land: Sechssaiter und Stimme S. Golden, Sechsaiter A.D., Viersaiter Daevas und Trommler Thrawn Thelemnar. Ich nehm´s vorweg: S.o.t.M. waren die Überraschung überhaupt. Ich war auf sinfonischen Gotenstahl gefaßt - und wurde mit einem Gekreuz aus modernem Black Metal, endzeitlichem Thrash und apokalyptischem Death Doom überrollt. Emperor trafen sich mit Voivod und Runemagick zur Renewal-Phase von Kreator. Ungefähr so war diese elegische wie knackige Klangkuppel aus den Werken 'Antithesis' und 'Carved In Stigmata Wounds'. Mit einem kleinen Dilemma. Nämlich dem, daß die Akteure peu à peu in Nebel, esoterischen Räucherstäben und blauem Dunst verschwanden. Ohne jemand aus der Rotte emporzuheben, ist mir besonders Daevas in Erinnerung geblieben, der seinen knielangen Blondschopf in Lemmy-Manier in den Nacken warf, um den Blick seherisch zu den Geheimnissen des Monds zu wenden. Das unter Teufelsanbetungen und Hailrufen zelebrierte, mild angedoomte „Lucifer Speaks“, besiegelte eine sehr berührende Offenbarung. In meinen Augen schwamm Wasser.
 
Inzwischen waren vier Hundertschaften aufmarschiert. Darunter mein langhaariger Freund aus Berlin-Schöneiche (heute Mannheim), der Eisenvater, der mit seinem blutjungem Mädel zu uns kam. Stoff war natürlich auch im Spiel. Wenngleich mühsam zu ergattern - erst Anstehen nach Gutscheinen, dann noch mal Anstehen zwecks Eintausch -, war er zumindest zu fairem Geld zu kriegen: Pils Nulldrei zu 1,50, Weizen für 2,50 Euro.
Die aus dem Nebel kamen... Hessens „W:O:A-Metal-Battle“-Gladiatoren von 2006, SOLEÏLNOÏR, hatten mit drei übermächtigen Feinden zu kämpfen: den vorangegangen Secrets, der in Scharen abziehenden Meute, und einer grausig blechernen Beschallung. Über den Nebel schimpfe ich nicht mehr: Soleïlnoïr verhüllen sich gern in Nebel. Heute lag die Bühne aber in sehr dickem Nebel verborgen, in dem das Auge maximal die Wampe von Gitarrist Erde oder einen fliegenden Zopf von Maggot erhaschte. Von Maggot, dessen durchgebrannt-depressive Veitstänze heute lange nicht so manisch wild wie gewohnt wirkten. Soleïlnoïr schielten zuletzt zu sehr auf den amerikanischen Alternative Metal. Ich habe das Düstere, das Mystische und die Gefühle von früher vermißt. Heute war mir alles zu steril, zu weich. Erde, Maggot, Jörg, bitte weghören!: Soleïlnoïrs sechste Schau in meiner Gegenwart war die schwächste. Der finale Clou - das sich-nach-und-nach-die-Ehre-geben - fehlte. Nach vierzig Minuten war die einst so dunkel glühende Sonne vergleichbar fahl versunken.
Nach dem geistesgelenkten Schwarzmetall aus Niedersachsen ging das körpergeführte Gegenreich auf den Sender. Time to load the Flak of hate - mit kriegerischem Black Metal von ENDSTILLE aus Schleswig-Holstein. Wegen Endstille waren die meisten angerückt. Eisernes Kreuz, MG 42 und Königstiger, Infanteriegerät der Wehrmacht, Stukas, eine Flak, Landser zwischen ausgebombten Häuserblöcken, das schwere Schlachtschiff „Bismarck“, eine fliegende Bombe im Sturzflug auf ein Gotteshaus, Militariatitel wie „Realm IV“, „Operation Wintersturm“, „Feindfahrt“, „Lauschangriff“ oder „Endstilles Reich“, das Gruppenbanner in Fraktur, dazu die unverzichtbare Blasphemie: Einleuchtend, daß man sich mit derart bestückten Platten nicht nur Genossen im Bunde macht. Aber ein bißchen Provokation wird doch wohl gestattet sein. Endstille sind anders! Die Rotte um Iblis (Propaganda), Wachtfels (Sturmgeschütz), Cruor (Bombenhagel) und Mayhemic Destructor (Artillerie) - alle schwarzgekluftet und mit langen Haaren, Patronengurten, Kampfstiefeln und feldgrauer Tarnung auf der Haut - hält dem deutschen Vaterland einen Spiegel vors Auge! Ohne sich dabei vor den falschen Karren spannen zu lassen! Dabei geht´s vorrangig roh und halsbrecherisch schnell zu. Endstille sind bestialische Schreie, Stahlsaiten im Jagdfliegertempo, dazu eine am Anschlag rasselnde Batterie. Gleich das erste - der von 0 auf 666 abzischende Feuerstoß „Dominanz“ - hatte mir das Adrenalin nur so ins Blut geschossen und mich in den ersten Sturm befohlen. Die in der Folgestunde von schnarrendem Zynismus eingeleiteten, und als prasselnde Mörser- und Torpedoeinschläge krepierenden Teile, wurden alle frenetisch bejubelt. „Bless“, „Reich“, „R.A.F.“... ein Teil wie das andere: voller Haß, Aggression, Misanthropie und irre faszinierend. Sogar die erklärte BM-Feindin P. befand das! Endstille waren am raserischsten und längsten zugange. Ihr Feldzug endete nach - kein Teufelswerk! - 66 Minuten: mit dem „Hetzer“!
Ab 23 Uhr 30 wurde im Geiste des Punk zurückgeschossen. Absender: eine weitere deutsche Legende - TOTENMOND. Gegründet 1984 in der Punkbewegung als Wermut, 1990 in TotenmonD umbenannt, mit dem Debüt 'Lichtbringer' 1996 zur Avantgarde übergelaufen, zwischendurch Geplänkel mit Crust und Doom, ließ sich der Dreikant aus Pazzer, Senf und S.P. Senz heue einer feist-nihilistischen Art des Punk zuordnen. - Los ging´s mit versteinerter Miene, Keulenschlägen und „Honigtraum“, „Wurmerbarmend“ und „Heroin“. Die erweiterte Einleitung war dann eine Erinnerung an die experimentelle Frühzeit, allen voran die Haßhymne auf das Andersgeartete durch die abgründig zynische „Sagenwelt“. Die Sagenwelt war wie ein kurzes Verschnaufen - - bevor der Sturm richtig losbrach, und die Schwaben sich in Hooligan-Manier durch Szenehelden wie Ton Steine Scherben (“Macht kaputt was euch kaputt macht“), Chaos Z (“Alles ist grau“) und Inferno (“Linke Sau“) rüpelten - - bis die „Die Schlacht“ mit ihrem unter die Haut gehenden Ausruf „Es lebe der Terrorismus. Es lebe die Freiheit - Gleichheit - der Widerstand“ den regulären Teil beschloß. Slimes „Polizei SA SS“ nebst dem Kreuznagel „Vaterland“ besiegelten die Stunde von Totenmond. Sie war ultramassiv, ultrakrud und ultrakool - aber nicht der Überflieger. Fünf geliehene Stücke hat eine Legende nicht nötig. Und wie alle versanken auch Totenmond in Nebel. Außer hin und wieder einer Glatze wurde nichts erblickt.
 
Mit dem nahenden London-Marathon im Kopf, mußte für Peanut und mich das Fest ohne Südhessens Extrem-Metaller DISBELIEF enden, die heute ihr siebtes Langeisen namens 'Navigator' zur Uraufführung brachten. Die Luft war einfach tödlich für Läuferlungen.
 
Wir hatten gerade zum Abzug geblasen, als eine leise Stimme aus dem Halleninneren meinen Namen rief: der Eisenvater. Wollte mich einfach noch mal sehen. Nach einem letzten Treueid trennten sich die Wege. - Mangels Bussen oder Bahnen mußten wir eine Droschke nehmen. Wir stiegen in eine mit Muselmann und unkorrektem Taxameter. Die Fahrt von Großauheim nach Rödelheim (Luftlinie: 24 Kilometer): Der Lump hat uns um 50 Euro betrogen! Ohne die schlichtende Nothelferin neben mir wäre jemandem Schmerz zugefügt worden. Deren Gott ist ein Arschloch!
 
 
Heiliger Vitus, 15. März 2007
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SHIT FOR BRAINS
(19.00-19.28)
Intro
1. My Silence
2. Pay for Me in Tears
3. Stretch Marks
4. About Nothing
5. Sacred
6. Breathing
 
SECRETS OF THE MOON
(19.50-20.40)
Intro
1. Bleakstar
2. Versus
3. Ordinance
4. To the Ultimate Embers and Ash
5. Ghost
6. Lucifer Speaks
 
SOLEILNOIR
(21.05-21.45)
Intro Sampler I
1. Borderline
2. Eminence
3. Dive Bomb
Intro Sampler II
4. Twentythree?
5. Resistance
6. Epitaph
Intro Sampler III
7. Nurutrus
8. Live on a Thread
9. Nucleus
 
ENDSTILLE
(22.10-23.16)
1. Dominanz
2. I Bless You... God
3. Endstilles Reich
4. Ripping Angelflesh
5. Biblist Burner
6. Worldabscess
7. Frühlingserwachen
8. The One I Hate
9. Bastard
10. Navigator
******
11. Der Hetzer
 
TOTENMOND
(23.30-0.30)
1. Honigtraum
2. Wurmerbarmend
3. Heroin
4. Der Misanthrop [Narsaak]
******
5. Permafrost
6. Menschenfresser
7. Intro / Sagenwelt
8. Arbeiterreserve
******
9. Macht kaputt was euch kaputt macht [Ton Steine Scherben]
10. Angstbeisser
11. Alles ist grau [Chaos Z]
12. Linke Sau [Inferno]
13. Die Schlacht
******
14. Polizei SA SS [Slime]
15. Vaterland
 
DISBELIEF
(??.??-??.??)
1. For God
2. When Silence is Broken
3. The Thought Product
4. Between Red Lines
5. Sick
6. Navigator
7. The One
8. Misery
9. Ethic Instinct
10. No Control
11. Passenger
12. It´s Simply There
13. Selected
14. Sacrifice
******
15. „To the Sky
16. Falling Down
17. Rewind it All (Death or Glory)