84. RUND UM DIE LANDESKRONE
DEUTSCHE MEISTERSCHAFT MASTERS EINER STRAßE
LANDESMEISTERSCHAFT SACHSEN
Görlitz, 7. Juli 2019
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ RENNEN ¤ STATISTIK
Prolog
 
Die Nationalen Straßenmeisterschaften der Masters. Die Landesmeisterschaften gleich noch dazu. Und daß beim Kultrennen „Rund um die Landeskrone“. Eine Heiligsprechung vorab war das aber nicht. Stattdessen mußte ich immer wieder an den schwierigen Weg dorthin mit all seinen Verwerfungen denken. Den ersten Dämpfer hatte es für mich im April auf dem Sachsenring gesetzt. Um ausreichende Starterfelder zu generieren, waren alle ab vierzig in einem Rennen gestartet und gewertet worden (eine Handvoll unverdrossener Frauen gleich noch dazu). Dieses Szenario wiederholte sich in Grimma (hier wurden überdies 24 Sportler von einem imaginären Schlußwagen aus dem Rennen genommen - um so die Kommissäre zu entlasten. Bei der Holterdiepolter-Meisterschaft der Elite auf dem Sachsenring kam es sogar zum Kuriosum, daß von 190 Profis nur 15 das Ziel erreichen durften, weil sie sich ansonsten in einer Abfahrt begegnet wären). Ein Segen geradezu: Lampertswalde und Torgau, als „nur“ zwei Masters-Klassen - also zwei Jahrzehnte Altersabstand - zusammen gewertet wurden. Der Lausitzing trennte immerhin im Ziel nach Altersklassen. Dazu kam die Übervorteilung der viel Geld zahlenden Jedermänner bei unwürdiger Behandlung der Lizenzsportler, die nur 15 Euro Startgeld zahlen. Wirtschaftliche Berechnungen führten dazu, daß in Torgau das Ergebnis der Jedermänner elektronisch erfaßt wurde, jenes der Lizenzfahrer aber manuell - Beschiß inklusive. „Fair“ ging es eigentlich nur im privat organisierten Radklassiker Eschborn-Frankfurt zu, als sechstausenddreihundert Pedaleure tadellos auseinandergehalten wurden, und Tausende an der Strecke einen schönen Tag im Taunus zelebrierten... Fehlende Chancengleichheit, unausreichende Würdigung der Lizenzfahrer und die Willkür von Kampfrichtern hatten den modernen Radsport sosehr zuschanden gemacht. Außerdem vermißte ich die Länge der Rennen als Selektionsmerkmal. 87 Kilometer sind für ein Straßenrennen zu kurz. Auch 100 Kilometer schafft jeder Amateur. Ich hatte aber 150-Kilometer-Trainings gemacht und wußte: Die kann ein Sprinter nicht mitfahren. Im wichtigsten Rennen des Jahres durfte ich zumindest auf etwas Gerechtigkeit hoffen: Bei den Titelkämpfen starten die Rennklassen getrennt; das Ergebnis von Görlitz wurde elektronisch erfaßt; und weil die Dopingbehörde vor Ort ist, verzichten manche auf ihren Start... Allerdings bleiben bei einer Wettkampfkontrolle im Training eingesetzte Substanzen wie Anabaolika unentdeckt!
 
.:: DIE STRECKE ::.
Am östlichen Rand Deutschlands erwartet die Fahrer ein knackiges Gelände mit wenig Atempausen. Kurze, giftige Rampen prägen den Tag und sprengen das Feld. Kräftezehrend und zermürbend sind die vielen windanfälligen, leicht welligen Abschnitte durch kleine Waldstücke und über offenes Ackerland. Allein zu sein ist da tödlich. Das Rennen startet zwischen der Endhaltestelle „Landeskrone“ und dem Hotel „Burghof“, einer alten Villa im Görlitzer Süden. Umringt von den Hügeln der Oberlausitz durchquert der Kurs anschließend als asphaltierte 17,5-Kilometer-Runde die Dörfer Kunnerwitz, Jauernick, Friedersdorf, Pfaffendort und Schlauroth rund um die 420 Meter hohe Landeskrone, den Hausberg der Neißestadt. Die letzten achthundert Meter zum Ziel am Burghof sind ansteigend. Der Gesamtanstieg pro Runde beträgt 243 Meter. Damit waren es im Rennen der Masters 3 eintausendzweihundert Höhenmeter. Ein Leckerbissen für Puncheure, Fahrer mit der Kraft, giftige Hügel aggressiv zu drücken.
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Seit meiner Ankunft in Dresden Ende Mai hatte ich nur eins im Kopf: Radsport. Die eigene Bude glich einem Trainingslager. Nur für die Meisterschaft war ich vier Wochen von meinem Mädel getrennt, das allein in Frankfurt zurückblieb. Ich schlief mit meinem Rad. Hatte Änderungen vorgenommen, an der Sitzposition gefeilt: den Hintern höher, die Brust tiefer gestellt. Von traditionellen Laufrädern aus Aluminium war ich auf Hochprofilfelgen aus Kohlefaser mit Segeleffekt und Leistungsmesser umgestiegen. Statt 23- fuhr ich 25-Millimeter-Reifen. Das war der windschniitige Umbau mit radikaler Optik. Geübt hatte ich auch ein bißchen: im April 1500, im Mai 1400 und im Juni 1700 Kilometer. In der Zeit lagen fünf DSC-Cups auf der Radrennbahn und sechs Rennen auf der Straße. Während ich anfangs bei den Lizenzrennen eher hinten fuhr, schöpfe ich nach den schnellen Bahneinheiten neue Hoffnung. Zugleich quälten mich immer noch Selbstzweifel. Und: Ich hatte ein Bremsproblem. Vier unterschiedliche Beläge hatte ich auf der Carbonfelge ausgetestet - mit keinem lief es richtig. Am Renntag brachte Jens K. blaue Elvedes mit, die aber nicht mehr zum Einsatz kamen.
 
Als Trainingsbeispiel die vorletzte Woche vor der Meisterschaft vom 24. bis 30. Juni:
 
Mo.: 5 km lockeres Laufen als Ausgleichstraining
Di.: 55 km Radfahren im flachen Gelände
Mi.: 8. Lauf zum DSC-Cup auf der Radrennbahn Heidenau: 140-Runden-Punktefahren (35 km), An- und Abfahrt: 44 km
Do.: 35 km lockeres Pedalieren
Fr.: 114 km im Erzgebirge mit 1400 Höhenmetern und 3 km Ausrollen
Sa.: 30 km Auflockerung an der Elbe
So.: 105 km hügelig
 
.:: DAS RENNEN ::.
Vier Uhr nachts klingelte mein Wecker. Draußen war es naß und kalt. Nach monatelanger Dürre hatte es ausgerechnet vorm großen Tag unaufhörlich geregnet. Ein Teil vom Dresdner SC reiste in Eigenregie zum Startort, manche übernachteten in Görlitz, der Rest traf sich morgens am Mannschaftsbus - einem Ford Transit - vor der DSC-Halle im Ostragehege. Nass bis auf die Knochen traf ich dort ein. Unser Chef „Decko“ und ich schienen derart aufgeregt, daß wir beide noch mal aufs Häuschen mußten. So bildeten wir vier Jahrzehnte nach unserer Trainer-Sportler-Beziehung bei Dynamo heute eine kuriose Notdurftgemeinschaft in der riesigen und zur frühen Stunde völlig verwaisten Sporthalle. Decko hatte den Schlüssel. Kurz nach sieben Uhr machten wir uns auf Achse einhundertzwanzig Kilometer Richtung Osten. Neben Decko und mir saßen Hube, Kunath und Miersch im Bus. Wir blickten lange zum Himmel. Genau mit unserer Abfahrt hörte der Regen auf. Es wurde kein strahlender Sonnentag, aber die Straßen trockneten ab. Die Luft blieb lausig kühl, dazu blies strammer Wind. Halb neun rollten wir über die Autobahn im Grenzland zu Polen ein. Erste Anlaufstelle war die Nummernausgabe im Viktoriagarten. Ein Transponder in der Startummer sollte die Zeitnahme garantieren. Anschließend ging es zur Einschreibkontrolle beim Start vorm Hotel Burghof. Zu Beginn der zehnten Stunde hieß der Sprecher die Akteure, Zuschauer, Betreuer und Mitarbeiter zur Deutschen Meisterschaft der Masters willkommen. „Weil der amtierende Meister fehlte (warum wohl?), würde in jedem Fall ein neuer gekürt.“ (Von den drei Erstplatzierten meiner sechs vorangegangenen Rennen standen nur fünf in den Startlisten. Die übrigen dreizehn fehlten - etwa wegen die NADA?) Nach der jüngsten Sturzserie und sogar einiger Todesfälle im Radsport, appellierte er zudem an die Eigenverantwortung der Fahrer.
Ab halb zehn gingen die STARTs vonstatten. Den Auftakt bildete das Rennen der Masters 3 über 87 Kilometer. Nach den ersten Metern am Fuß der Landeskrone verließ die Meute Görlitz. Vom Ortsteil Biesnitz schwärmte sie in Richtung Süden aus. Die Helme und Leibchen von Hube, Kunath und Rheingans sah ich dicht vor mir. Wir lagen im Mittelfeld. Der Auftakt war nervös und hektisch, mehrmals fuhr mir jemand vors Rad. Schon nach wenigen Metern spürte ich nicht mehr die Kälte, die mich beim Warmfahren so frösteln ließ. In meinen Adern pulste heiß das Blut. In Kunnersdorf, der ersten Ortsdurchfahrt, peitschten Fahrbahnteiler noch mehr Adrenalin auf... bevor der Jauernicker Berg nach vier Kilometern als erster echter Kraftakt dastand. Drei Kilometer weiter über freien Acker schoß das geballte Feld von mehr als siebzig Fahrern in eine schnelle Abfahrt nach Friedersdort, die mit einer engen Spitzkehre abrupt endete - und in einen harten Anstieg überging. Beim Anbremsen kollabierte nahezu mein Hinterrad, Felge und Bremse dröhnten fürchterlich und ich war heilfroh, Lenker an Lenker gerade so die Kurve gekriegt zu haben. Zugleich lag mein Zutrauen ins neue Material nach sieben Kilometern in Trümmern. Jedes scharfe Ansteuern drohte das Rad zu zerfetzen. Im Friedersdorfer Berg mußte ich abreißen lassen und bekam in den Ortsdurchfahrten von Pfaffendorf und Schlauroth Gesellschaft von zwei weiteren Fahrern. Als Grüppchen erreichten wir wieder Görlitz-Biesnitz. Nach einer Schienenquerung ging es die letzten Meter zum Burghof immer steiler bergan. Der strenge Trainer Decko spornte mich vom Straßenrand aus an; hunderte Zuschauer sorgten für Leben auf den Bordsteinen und halfen über den Schmerz hinweg. Eingangs der zweiten Runde sammelten wir einen weiteren Versprengten auf. Zu viert rauften wir uns zu einem verschworenen Rudel zusammen: der Gröditzer Liebe, mit dem ich schon vor vierzig Jahren Rennen fuhr; dazu der Markkleeberger Bethke; sowie eine Bergziege aus Dorfen in Bayern. Alles Geschlagene mit großen Herzen und wilden Träumen. Die Chemie stimmte. Wir machten einen großen Kampf ganz für uns allein mit freiem Blick auf goldene Felder, die unwirklich aus der Erde gewachsene Landeskrone, und die zum Greifen nahen Gipfel des Riesengebirges - der seine volle Wirkung erst ganz am Ende entfaltete. Da aber richtig!: Ein Wagen mit Blaulicht hatte sich in der letzten Runde neben uns gesetzt. „Das Rennen ist vorbei, die haben euch rausgenommen“, rief eine unbekannte Stimme aus dem Inneren. Hach!, so viele hohle Behauptungen. Wir ließen uns nichts anmerken. Trotzdem fuhr nun das Trauma vom letzten Sonntag mit, als in Grimma 24 Fahrer angeblich von einem Juryfahrzeug aus dem Rennen gewunken worden. Außerdem drohte bei Nichtbeachtung eine Strafe von 30 Schweizer Franken. Wir fuhren also gegen ein perfides System, das die Arbeit der Funktionäre vereinfacht und den Sportlern die Früchte ihrer Arbeit raubt. Während unser Bajuware höhnte, daß „bei Lizenzrennen bald nur noch fünf starten, die wollen es ja nicht anders“, kam für Liebe und mich eine Kapitulation überhaupt nicht infrage. Zwölf Uhr mittags kreuzten wir nach fünf Schleifen und siebenundachtzig gefahrenen Kilometern ins ZIEL am Burghof.
V.o.n.u.:
Start am Burghof
Peloton vor Landeskrone
Vitus mit schwarzem Helm ganz rechts
Publikum
Viitus an zweiter Stelle
Ehrung des Vizemeisters Miersch
Finale
 
Mein erster Weg im Ziel führte zur Rennleitung. Wir seien in der Wertung, wurde mir versichert. Denkste! Pustekuchen!: Während Kunath unsere Startnummern zurückbrachte und die Lizenzen abholte, stockte mir am Aushang der Ergebnisse der Atem. Hinter meinem Namen stand ein „DNF“. „Wir kriegen das hin, es gab Probleme mit dem Zeitmesser“, zwinkerte der Hauptschiedsrichter meinen Einspruch im WA-Wagen ab. So wurde das „did not finish“ zehn Minuten später zu einem schwer erkämpften 57. Platz in der DEUTSCHEN MEISTERSCHAFT der Masters 3 korrigiert. Nach Einwendung eines weiteren Fahrers war ich 58. In Wahrheit rangierte ich allerdings zwei Stellen weiter vorn auf Platz 56, denn ich hatte den Endspurt unseres Quartetts gewonnen (aber das wollte die Jury nicht noch einmal ändern). Lohn der Mühe war dazu der 10. Platz in der LANDESMEISTERSCHAFT SACHSEN. Über den Fahrern des DSC 1898 lag mal wieder Licht und Schatten: Kunath und Rheingans waren in der zweiten Runde in einen Sturz verwickelt und mußten aufgeben. Kunath hatte sich dabei das Knie verdreht. Miersch unterdes wurde Vizelandesmeister und erbeutete neben Pokal, Schleife und Blumen ein Fünf-Liter-Fässchen. Letzteres war vorerst tabu, denn er mußte zur Dopingkontrolle und kam mit dickem Pflaster im Arm zurück. Im Rennen der Masters 4 blieben Doc „Rübe“ und „Harti“ Goldbach wie ich ruhmlos unterlegen. Für Trainingsweltmeister Benedix endete das Rennen der Jedermänner auch schon nach zwei Runden. Nachmittags um drei kam unser Bus in Dresden an. Wie jede unserer Reisen zu einem Radrennen endete auch die nach Görlitz mit einem verschmitzten Schlußwort des Chefs. Decko dankte seinen Männern, besonders Wolle Miersch, der sich von seiner Ehefrau zur Belohnung einen schönen Kaffee kochen lassen sollte. Ich selbst hatte ein Dreivierteljahr geopfert und die eigenen Ziele nicht erreicht. Am Tag nach Görlitz wurde ich aus dem heimatlichen Bund und dem Training mit dem Dresdner SC gerissen, und versuche mein Leben im Westen neu auszuloten.
 
Danke
Goldbach, Hube, Kunath, Miersch, Rheingans und Rübling (für die Zeit im Bus und einen schönen Tag in Görlitz)
Decko (für die Sportliche Leitung)
Peanut (für das letzte Dreivierteljahr)
 
 
Vitus, 12. Juli 2019, Bilder: J. Rohleder
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: bewölkt, 14 bis 20ºC, leichte Brise aus Nordwest (11 km/)
 
Typ: Straßenrennen
Länge: 87 km
 
Am Start: 262
Masters 2: 48, Masters 3: 71, Masters 4: 44, Jedermann U39: 51, Jedermann Ü40: 24, Jedermann Ü50: 15, Jedermann Frauen: 9
Im Ziel: 219
Masters 2: 30, Masters 3: 61, Masters 4: 34, Jedermann U39: 49, Jedermann Ü40: 23, Jedermann Ü50: 15, Jedermann Frauen: 7
 
Deutsche Meisterschaft Masters 3 (87 km)
Meldungen:
80
Am Start: 71
Im Ziel: 61
1. Heinz Häusler (Squadra Ciclismo Colonia) 2:12:53
2. Rainer Beckers (Team Starbikewear Krefeld) + 0:51
3. Thomas Krist (Cycling Team Dorfen)
4. Matthias Sterly (RC Bergedorf)
5. Harry Kühnelt (Dessauer RC)
6. Jörn Reuß (RSK Potsdam) + 0:52
58. Geist Vitus (Dresdner SC 1898) + 22:26
 
Landesmeisterschaft Sachsen Masters 3
1. Ralf Keller (RSG Muldental Grimma)
2. André Meyer (RSV Erzgebirge)
3. Michael Schaefer (RSV Speiche Leipzig)
4. Andreas Huth (RSC Nordsachsen)
5. Tobias Dörner (RSC Nordsachsen)
6. Rico Schultz (RSV Speiche Leipzig)
7. Uwe Friedrich (SC DHfK Leipzig)
8. Jens Mühlbach (RSC Nordsachsen)
9. Steffen Hube (Dresdner SC 1898)
10. Mario Voland (Dresdner SC 1898)
 
Ergebnisse

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