7. RUND UM LAMPERTSWALDE
2. Juni 2019
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ RENNEN ¤ STATISTIK
Prolog
 
Nach der Verheerung bei Rund um den Sachsenring, als alle Altersklassen der Masters zusammen gewertet wurden, sowie der nüchternen Erkenntnis, daß es mangels Sponsoren kaum noch echte Straßenrennen gibt, hab ich mich mehrmals gefragt, ob ich weiter Rennen fahre und noch mehr opfere, um mir den kompliziert und teuer gewordenen Radsport leisten zu können. Stets mit der Gefahr, daß ein Unfall alles zerstören kann... Mein Trainer Decko sagte zu mir: „Ein Jahr brauchst du, bis du wieder dran bist.“ Einen Start beim Jedermannrennen „Rund um Köln“ hatte ich erwogen - und wieder verworfen. Ich blieb bei der Meinung, daß nur Lizenzrennen „richtige“ Radrennen sind. Doch die sind rar - weshalb viele Radsportler mittlerweile lieber Jedermannrennen bestreiten (die meist über fünfzig Euro Startgeld kosten)... Die nächste Antwort sollte „Rund um Lampertswalde“ nahe der Stadt Großenhain geben... Ausrichter war die RSV Gröditz, die zu DDR-Zeiten im Bezirk Dresden eine führende Rolle inne hatte. Der zweimalige DDR-Straßenmeister Martin Goetze fuhr nach seiner Karriere bei der DHfK Leipzig 1985 und 1988 zwei weitere Titel für die damalige TSG ein. In den 1950ern und 1960ern gaben sich die DDR-Friedensfahrer Täve Schur, Axel Peschel und Klaus Ampler in Gröditz die Ehre, vermeintlich sogar Eddy Merckx... Prägend bis heute ist der Grütze-Klan, der auch die siebente Ausgabe von Rund um Lampertswalde organisierte (und von dem ich Jürgen von früher kannte). Vier aus meiner Radzeit von damals standen in der Startliste der Ü50: Goldbach, Kunath, Liebe und Rheingans. Vom Dresdner SC gesellte sich der ehemalige DDR-Vizemeister Miersch dazu. Favorisiert war allerdings Ex-Team-Wiesenhof-Profi Reuß - der jedoch nicht am Start erschein. Immerhin waren die Radkameraden von einst immer noch dabei. Die letzten Unbekehrbaren!
 
.:: DIE STRECKE ::.
Lampertswalde im Mai 2019 (© Euroluftbild)
Mit seinem leicht welligen Profil und der abwechslungsreichen Strecke durch Feld und Wald und drei sächsische Dörfer, hat das 10-Kilometer-Dreieck Lampertswalde-Blochwitz-Weißig-Lampertswalde einiges zu bieten, und wird durch hohe Geschwindigkeiten obendrein zu einer Kraftprobe für jeden Rennfahrer. Pro Runde sind fünfzig Höhenmeter zu bewältigen; die meisten davon sind im Raschützwald, dem mittelalterlichen Ursprung von Lampertswalde. Ein Prämienspurt setzt im Rennen über die Chausseen der Großenhainer Pflege einen zusätzlichen Reiz. Ideales Terrain für Puncheure!
 
Streckenvideo
...... Rund um Lampertswalde
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Nach dem sportlichen Aufwind im März durch Bahnwettbewerbe und Trainingsfahrten mit dem DSC, und dem mentalen Schub durch den Radklassiker Eschborn-Frankfurt am ersten Mai, fiel der Monat vor Lampertswalde eher flau aus. Der Mai zeigte sich anfangs verregnet, dazu fehlten mir gleichwertige Sparringspartner. Über die Plattform „Frankfurt Cycling“ hatte ich einen Anschluß als Gastfahrer in Frankfurt gesucht. Die vom Leistungsniveau vermeintlich anspruchsvollste von vier aktiven Crews, die „Radsportgruppe Uni Frankfurt“ (das „Radlabor Frankfurt“ pausierte), entpuppte sich als zusammengewürfelter Haufen mit klapprigen Mühlen irgendwo zwischen Tourer und Enduro. Am Ende des Monats Mai standen nur acht Kilometer im Schatten eines Fahrers vom „Radlabor“ den Feldberg hinauf, die als Entwicklungsbereich wirkten. In den beiden vorletzten Wochen vorm Rennen bin ich allein achthundert Kilometer im Taunus rumgefahren.
 
.:: DAS RENNEN ::.
Die Tage waren heiß, die Nächte kurz, an jenem ersten Wochenende im Juni 2019: Pünktlich zum Rennen war der Sommer mit dreißig Grad Hitze über Sachsen hereingebrochen. Dazu tobte vor meiner Dresdner Bude der alljährliche - von „Pieschener Hafenfest“ zu „Sankt Pieschen“ umgetaufte - Rave-Mob. Drei Tage lang Krach, Halligalli und Beschallung in Dauerschleife. Wer konnte, verschwand. Ich hatte eine Übernachtung am Wettkampfort gesucht, aber nichts gefunden... Nach vier Stunden Schlaf klingelte am frühen Sonntagmorgen um halb fünf der Wecker; drei Stunden vorm Rennen habe ich Haferflocken gegessen, und mich mit dem Zug ins tiefste Sachsen gemacht. Nach einer Stunde kam ich in Lampertswalde an. Dort herrschten paradiesische Zustände, eine Dorfwirtschaft, Vogelgezwitscher, sonst nur himmlische Ruhe. Aber um acht fielen die Rennfahrer in das verschlafene sächsische Dorf ein. Sie kamen aus Berlin, Potsdam, Frankfurt, Sachsen und sonstwoher. Im Nu glich das Gelände um den Sportplatz „Weißiger Straße“ einem Meer aus Blech... Bei der Anmeldung waren zwanzig Euro Startgeld zu entrichten (Nachmelder zahlten dreißig); das obsolet aufgemachte Programmheft mit den Namen aller Fahrer kostete einen Euro extra. Ein Transponder in der Rückennummer erfaßte die Rundenzeiten. Damit waren menschliche Fehler ausgeschlossen. Dank der Technik konnten überdies drei Schummler erwischt werden. Meinen Rucksack durfte ich in einer Scheune neben bäuerlichem Gerät einlagern... Dann war es soweit: Beginnend mit den Masters und Ladies wurden zwischen 9 und 13 Uhr sechs Wettkämpfe von Jugend über Schüler bis hin zum 130 Kilometer langen „Erich Grütze Gedächtnisrennen“ der Elite und Halbprofis gestartet. Den Dreien auf dem Treppchen winkten Pokale, Blümchen und Sachpreise, dem Prämienspurter ein Fünf-Liter-Faß Bier. „Wir haben heute afrikanisches Wetter in Lampertswalde“, sagte der Streckensprecher am Ende der achten Stunde. Um neun fiel der Schuß für die Masters-Klassen 1 und 2.
Vier Minuten später folgte des zweite Rennen mit 38 Männern der Masters 3 und 4 nebst sieben Frauen. Ich startete am Schwanz der Schar, direkt neben meinem Klubkameraden Miersch. Mit seinem DDR-Vizemeistertitel 1974 war der langjährige Fahrer des Berliner Dynamo-Clubs nicht nur sowas wie ein „Hero“ für mich, nein, im Unterschied zu den vogelwild Reinstechenden fuhr Miersch besonnen und mit Rennüberblick. Miersch ist alte Schule, mit allen Wassern gewaschen - und er ist mein Freitaler Landsmann! Doch die Angst vor einem Sturz blieb. Gleich nach dem START in Lampertswalde drohten ein Kreisel und eine tückische Spitzkehre. Voraus lag nun die Zehn-Kilometer-Schleife, die wir fünfmal absolvierten: Der erste Kilometer verlief durch den Ortsausgang und über ein Feld in Richtung Norden. Danach ging es in den Raschützwald. Hier führte eine lange Steigung zum Raschützberg. Das anschließende Gefälle war durchsetzt mit Schlaglöchern. Erschwerend wirkte dabei das Schattenspiel im Wald. Danach ging es übers Feld hin zum nördlichsten Streckenpunkt, einem verträumten Gehöft vorm Dorf Blochwitz. Nach einem rasanten Gefälle mündete die Straße in eine Kreuzung aus grobem Knüppelpflaster, einer Marter fürs Material! Von dort ging es drei Kilometer durch Staub, Sonnenglut und endloses Ackerland gen Westen nach Weißig, dann wieder durch den Raschütz, bevor der Schlußkilometer als lange Zielgerade zurück nach Lampertswalde führte. Eine Hälfte lag unter schattigen Wipfeln, die andere in flirrender Hitze und gleißendem Licht. Rauher, sehr rauher Asphalt hielt als Untergrund her. Zum Rennverlauf: Nachdem ich mich vom ersten Meter an Miersch geheftet und von ihm pilotiert über die ersten zehn Kilometer hinweggerettet hatte, war eingangs der zweiten Runde der Gaul mit mir durchgegangen. Treu der alten Binse, nach der es vorn am wenigsten kracht, war ich ausgangs Lampertswalde zur Spitze vorgedrungen. Dort rollte es frei vor Euphorie - bis in der Steigung im Busch plötzlich die Oberschenkel Kikeriki machten. Den Rest der Runde fuhr ich blitzeblau hundert Meter hinterm Feld her. Hinter Blochwitz purzelte meine Flasche aus dem Halter. Damit mußte ich fünfunddreißig Kilometer ohne Getränk durchhalten. Zu allem Übel folgte eingangs der dritten Runde eine Fehlleitung. Drei passierten mich, darunter eine vor mir gestürzte Frau und mein alter Weggefährte Goldbach. Nach einem kurzem Schreck und elend langen Kampf auf der Zementpiste „S99“ durch das Death Valley vor Lampertswalde, konnte ich zu Beginn der vorletzten Runde wieder aufschließen. Als Quartett kamen uns im Raschützwald (in dem übrigens eine Flak der NVA stand), noch einige Versprengte entgegen. Wer weiß, wie das Rennen über eine längere Distanz ausgegangen wäre... So kamen wir mit sechseinhalb Minuten Rückstand ins ZIEL. Den Spurt unseres Quintetts gewann Goldbach. Wir landeten auf dem 26. und 27. Platz. Einer der grellbunten Werbeträger aus Berlin siegte. Miersch spurtete knapp am Treppchen vorbei.
Die alten Kameraden in Aktion
Im grün-blauen DSC-Trikot v.o.n.u.: Goldbach, Kunath, Rheingans, Miersch, Vitus Voland
(© B.Pursche)
Finale
 
Nach vierzig Jahren kam es im Ziel zu nostalgischen Wiedersehen mit zwei der letzten Getreuen des DDR-Radsports: Volker Rheingans rollte heute als Siebenter ins Ziel. Damals war ich der Schnellere. Und „Harti“ Goldbach wiederum berichtete von seinem Spross, der zur Wendezeit in Berlin in einer Gruppe mit Jan Ullrich fuhr. Herr Deckert hatte ihn dorthin delegiert... Für mich endete Lampertswalde in Ernüchterung. Miersch hatte mir die Heimfahrt in seinem Auto angeboten. Doch die Scham war zu groß. Mit der sengenden Sonne im Zenit und einem Rucksack im Kreuz, hab ich mich aufs Velo geschwungen, und bin die fünfundvierzig Kilometer von Lampertswalde über die Dörfer heim nach Dresden geradelt. Ich habe nach einer Antwort gesucht... Eine Rolle spielte das Material: Ich fuhr einen schweren Alulaufradsatz. Das Entscheidende aber: Ich war zurück im Radsport, aber Geschichte wiederholt sich nicht - heißt es... Andererseits war Rennradfahren die einzige Zeit, in der ich immer Frieden fand. Und wir sahen immer aus wie JUNGE GÖTTER... Ich bin hin- und hergerissen.....
 
 
Vitus, 4. Juni 2019; Bilder: Euroluftbild, Vitus, B.Pursche
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, kräftiger Temperaturanstieg auf 26 bis 33ºC, schwacher bis mäßiger Wind (6 km/h) aus Südwest
Typ: Rundstreckenrennen (Jedermann)
Länge: 50 km
 
Am Start: 344
CT + Elite-Amateure: 65, Masters 1: 44, Masters 2: 36, Masters 3 + 4: 38, Frauen: 7, Jugend U17: 46, Schüler U15: 68, U13: 30
Im Ziel: 323 (18 Aufgaben, 3 Disqualifikationen)
 
Masters 3 u. 4
Am Start:
38
Im Ziel: 37
1. Burkhard Volbracht (RSV Werner Otto Berlin) 1:14:01
2. Enrico Busch (Radteam Borgsdorf) + 0:57
3. Klaus-Peter Dreger (RK Endspurt 09 Cottbus) + 0:57
4. Wolfgang Miersch (Dresdner SC 1898) + 0:57
5. Matthias Krüger (RSV Gröditz 1952) + 0:58
6. Karsten Klugmann (FRC Frankfurt) + 0:58
27. Vitus (Dresdner SC 1898) + 6:30
 
Ergebnisse

ZPN Timing
Bilder und Videos
RSV Gröditz