5. BERGZEITFAHREN AM EISENBERG
HESSENMEISTERSCHAFT BERGZEITFAHREN 2021
Kirchheim, 14. August 2021
Prolog
 
Am Eisenberg hätte ich nicht antreten sollen. Ich war dort chancenlos von vornherein. Im Unterschied zum sauber getrennten Nachwuchs (selbst drei Zehnjährige hatten dort ihr eigenes Rennen), wurden die 35 Gemeldeten der Mastersklassen 2, 3 und 4 (sprich dreißig Jahre Altersabstand, darunter 25 Fahrer mit Startrecht für Amateure, einer sogar für die Elite-Amateure) zu einem Wettkampf zusammengefaßt und gemeinsam gewertet. Da ich mit sächsischer Lizenz nicht für die Hessenmeisterschaften infrage kam, und nur bis zum Gesamtzwölften Ranglistenpunkte vergeben wurden, konnte ich am Eisenberg nur verlieren - etwa den Nimbus von Bronze jüngst bei der Sächsischen Kriteriumsmeisterschaft... Auch den Ausrichtern schien diese Konstellation nicht angenehm: „Es hat bei der Ausschreibung in diesem Jahr ziemlich geklemmt. Diese Zusammenlegung war nicht beabsichtigt. Aber die Ausschreibung hat so lange beim BDR gelegen, daß wir, als sie endlich online gestellt wurde, nicht mehr reagieren konnten. Sorry - das geht leider auf unsere Kappe.“ Mit dieser Erklärung war das Rennen für mich gestorben. Aber wir leben von Ereignissen. Peanut stellte das Auto und damit den Transport, ich selber hatte fast täglich im Feldberg im Taunus trainiert. - - Nach einer Doom-Metal-Sitzung im heimischen schwarzen Raum 48 Stunden vorm Rennen, einem schweren Kopf am Morgen danach, und höllischem Bauchweh 24 Stunden vorm Rennen (bei dem ich mich drei Stunden lang vor Schmerzen keinen Millimeter bewegen konnte!), folgte die Blitzentscheidung mit ungewissem Ende. Diese Masche hatte zuletzt dreimal gut funktioniert. Weil es in diesem Jahr kaum noch Straßenrennen für die Masters 4 gab, wollten wir als Gespann noch einen vorletzten Coup durchziehen. Gersdorf hieß das Ziel, Startort des Bergzeiftfahrens auf den Eisenberg. Dafür war ein negativer Coronavirus-Antigen-Schnelltest notwendig. Jenen hatte ich am Rennvortag absolviert.
.:: DIE STRECKE ::.
Contre-la-montre: Im Eisenberg ging es „gegen die Uhr“. Der Eisenberg ist die höchste Erhebung des Knüllgebirges, oder des „Knüll“s, wie es vom Volksmund auch genannt wird. Die Fahrer starten im Minutenabstand in Kirchheim am Südhang des Bergs. Vom Ortsteil Gersdorf geht es über die Eisenbergstraße in Richtung Norden zuerst zum Dörfchen Willingshain. Die Steigung dorthin ist zwar lang, aber nicht dramatisch. Der eigentliche Anstieg von Willingshain hinauf zur Passhöhe des 636 Meter hohen Eisenbergs ist 3,8 Kilometer lang und hat 310 Höhenmeter. Insgesamt sind auf einer Länge von 5080 Metern 330 Höhenmeter zu überwinden. Die durchschnittliche Steigung beträgt 7,5 Prozent, die Maximalsteigungen im Schlußdrittel bis zu 14 Prozent.
.:: DAS RENNEN ::.
Peanut hatte mich also wieder mal durch die nordhessische Provinz in ihre alte Heimat gefahren. Einem Riesenstau auf der Autobahn waren wir vor Alsfeld knapp entronnen, und nach einer Tingeltour über die Dörfer bei stahlblauem Himmel und sommerlichen Werten zur Mittagsstunde am Verdeck mit der Lizenzkontrolle und Nummernausgabe auf dem Eisenberg erschienen. Die Vorlage des Coronatests war geschenkt. Neben einem Moralischen angesichts der Chancenungleichheit hatte ich gleich noch ein technisches Problem mitgebracht: meine Schaltung schliff auf dem größten Ritzel an den Speichen. Damit mußte ich mit einer Übersetzung von 34/26 klarkommen. Ferner war ich den Berg noch nie hochgefahren, nur auf dem Weg hinab zum Start abgerollt. Zudem stellte ich einen Fauxpas in Sachen Kleidung fest: Unterm roten Leibchen trug ich die alte grüne Hose meines Vereins, die seit letztem Jahr verboten ist. Es war Augenweh und hoffnungsloses Auswärtsspiel in jeder Sicht...
Ein mit schwarzem Tartan bedeckter Erdhügel am Ortausgang von Gersdorf diente als Startrampe. Mitglieder der ZG Kassel fungierten als Startcrew; einer hielt die ins Pedal eingeklickten Fahrer nach alter Schule am Sattel aufrecht. Meine Startzeit war auf 14:26 Uhr festgesetzt - eine Minute nach dem Ersten des Mastersfelds. Den wollte ich unterwegs abfangen. Doch dann ging von Anfang an alles schief: Sekunden vor der Angst erlosch die Uhr mit dem Countdown. Zum Glück existierte eine zweite mit der aktuellen Uhrzeit. Mit einer kleinen Bürde von fünf Sekunden ließ mich der Starter von der Leine: START, der Ritt hinauf zum Eisenberg hatte begonnen - ein Trip ins Blaue. Auf die ausgefallene Startuhr und einen moderaten Auftakt folgte in einer engen Kehre hinter Willingshain eine frontale Begegnung mit zwei großen Mähdreschern, von denem mich der erste an den Straßengraben drängte. Nachdem ich durch den Schmutz gerollt war (und zum Glück nicht zu Fall kam!), vernahm ich das Klackern der Schaltung des hinter mir Gestarteten. Damit war ich demoralisiert - konnte aber wenigstens den Gegner auf Sicht halten, wieder einholen, und in den knackigen Rampen unterm Gipfel niedermachen. Den Nackenschlag sportlicher Natur setzte es im ZIEL. Im Gesamtergebnis des Rennens 4.2 - dem der Verrotteten 2, 3 und 4 - tauchte ich auf dem 25. Rang unter 27 Ankommern (Sechster der Masters 4) auf. Mit Einseinundachtzig und 76 Kilo ist man eben auch keine Bergziege. Acht Gemeldete machten einen Rückzieher oder waren gar nicht erst angereist.
Finale
 
Auf dem Eisenberg gab es unter anderem ein Wiedersehen mit dem Fuldaer Vater-Sohn-Duo Kadrispahic. Der Filius stürmte erneut zum Sieg in der U15, und zwar in einer Wahnsinnszeit von 15:35 Minuten - nur dreiunddreißig Sekunden über der Tagesbestzeit des Bergkönigs. Zu diesem krönte sich einer der Jedermänner mit dem klangvollen Namen Maertens. Der für ein Toyota-Team angetretene Langener war zwei Sekunden schneller als der erste Elite-Amateur und stellte mit leichtem Rückenwind zugleich einen neuen Streckenrekord auf. Dritter in der Jedermannklasse wurde der Ravensburger Strothmann, der 2009 mit uns den Arolsen-Marathon lief. Strothmann siegte damals, während ich Achter wurde. Auch die Welt des Sports ist ein Dorf... Denkwürdig am heutigen Tag war ferner der Ort an sich. So genoß man vom Eisenberg freie Blicke über die bewaldeten Berge und Täler des Knülls bis hin zum Habichtswald, Meißner, Thüringer Wald, Rhön, Vogelsberg, Taunus, Westerwald und Rothaargebirge. Im Bereich des 1913 hochgemauerten Aussichtsturms Borgmannturm standen Gedenksteine für den Schriftsteller Freiherr von Eichendorff und „Turnvater“ Jahn. Zwei Kilometer unterhalb des Gipfels lag verborgen unter Bäumen in einer Kehre der Rennstrecke ein von fünf Blutrinnen durchzogener altgermanischer Opferstein.
 
 
Vitus, 16. August 2021; Bilder: Hersfelder Zeitung, Lordchen (ZG Kassel), Peanut, RSV Bad Hersfeld
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 27ºC, leichter Wind aus Südwest
Typ: Bergzeitfahren
Länge: 5 km
 
Meldungen: 146 (Elite-Amateure: 15, Masters 2, 3 u. 4: 35, U23: 6, U19: 6, U17: 11, U15: 18, U13: 6, U11: 3, Frauen: 12, Jedermann: 34)
Im Ziel: 122 (Elite-Amateure: 11, Masters 2, 3 u. 4: 27, U23: 6, U19: 6, U17: 6, U15: 16, U13: 6, U11: 3, Frauen: 12, Jedermann: 29)
 
Masters 2, 3 u. 4
Meldungen:
35
Im Ziel: 27
1. Cosmas Lang (RSC Wiesbaden) 14:38
2. Daniel Höhn (RSG Riedberg) + 0:15
3. Armin Fischer (RSC Monte Kali Neuhof) + 0:36
4. Sascha Haussmann (RSV Nassovia Limburg) + 0:51
5. Hans Hutschenreuter (Melsunger TG 1861) + 0:54
6. Jochen Scheibler (RV Blitz 1903 Oberbexbach) + 1:02
25. Vitus (Dresdner SC 1898) + 5:55
 
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