OFFENE LANDESMEISTERSCHAFT IM KRITERIUM
9. RADSPORTEVENT IN HARTMANNSDORF
11. Juli 2021
Prolog
 
Neben dem Rohloff-Cup in Baunatal tief in Hessen war das Kriterium vor der sächsischen Fahrrad-Kultschmiede „Diamant“ in Hartmannsdorf eines der ersten Radrennen in Deutschland nach zwei Jahren Corona. Die Genehmigung kam Ende Mai. Nach zwei Starts beim Rohloff-Cup war Hartmannsdorf für mich das dritte Rennen binnen elf Tagen. Alle kamen Knall auf Fall, es fühlte sich wie von der Wirklichkeit entfernt an. Das Argument zum Start war aber nicht das 9. Radsportevent in Hartmannsdorf, sondern die darin eingebettete Landesmeisterschaft Kriterium. Alles hing jedoch am Fahrservice meiner Frau. „Dazu bin ich nicht bereit“, hatte Peanut schon auf unserem letzten 400-Kilometer-Ausflug nach Nordhessen gesagt. Schließlich stand für Hartmannsdorf mehr als das Doppelte bevor:1000 Kilometer über die Autobahn. Am Freitag hatte ich Telefonate mit der Orgachefin Mandy (wegen der Startliste), und meinem DSC-Vertrauten „Wolle“ Miersch (wegen seiner Erfahrung mit Hartmannsdorf). Mandy informierte mich, daß für die Masters 4 bislang acht Fahrer gemeldet hatten. Mit meinem Start wäre das Minimum zur Austragung der Landesmeisterschaft von fünf Teilnehmern vom Landesverband Sachsen erfüllt. Abends befrug ich den alten Fuchs Miersch nach seiner Meinung. Der wollte mich nicht beeinflussen, hätte aber anstelle des riesigen Aufwands ein gemütliches Essen mit Frau vorgezogen. Final verhinderte eine Vollsperrung der A4 nach schweren Unfällen im Regen die Anreise am Freitag. Der Entschluß zur Teilnahme fiel am Sonnabendmittag. Ich hatte viel trainiert, war gut in Form und wollte noch mal angreifen! Peanut tat es „NORWESCHNDIR“ (nur wegen mir). Nach einer morgendlichen Vorbelastung hinauf zum Feldberg im Taunus haben wir uns auf Achse Richtung Ostfront gemacht. Sechs Autobahnstunden später trafen wir abnends um sechs in Dresden ein. Keine Zeit, sich auch nur ansatzweise zu erholen...
.:: DIE STRECKE ::.
Gewerbegebiet Burgstädter Straße (© Gemeinde Hartmannsdorf)
Mit Kriterium wird ein Wettkampf auf einem kurzen, mehrmals zu befahrenden Rundkurs bezeichnet, bei dem alle paar Runden um Punkte gesprintet wird. Früher waren Kriterien meist innerstädtisch. Heute sind sie mangels Mitteln oft in Gewerbegebiete verbannt. Als Rennstrecke war eine 1,1-Kilometer-Runde in einem Industriegebiet nördlich von Chemnitz ausersehen worden. Aus der Vogelperspektive glich diese einem Trapez. Start und Ziel befanden sich in der Ernst-Lässig-Straße. Auf glattem Zement ging es über die Heiersdorfer Straße hinab zur Mühlauer Straße und von dort mit leichter Steigung vorbei am Diamant-Werk durch die Schönaicher Straße wieder hinauf zum Ausgangspunkt. Der Höhenunterschied war marginal. „Augen auf!“ hieß es indes wegen Schleusendeckeln und Bordsteinen. Die Renndistanz der Masters betrug 39 Kilometer. Fünfunddreißig Mal mußten die Fahrer den Zielstrich auf dem höchsten Punkt der Runde überqueren, bevor das Rennen endete.
.:: DAS RENNEN ::.
Verheerend wie die Marter auf der Autobahn war auch die Nacht vorm Rennen. Ich hatte drei Stunden schlechten Schlaf. Und voraus drohte Unheil auf der Autobahn durch eine Baustelle an der Triebischtalbrücke mit einer halben Stunde stockendem Verkehr in sengender Hitze. Sowie ein bedrohliches Geräusch an unserem alten Volkswagen. Dank Zeitpolster kamen wir jedoch rechtzeitig am Wettkampfort, einer abgelegenen Lagerhallenzusammenrottung in der Pampa hinter Chemnitz an. Heidenaus Schößler schaffte es auf die letzte Minute. Hätten wir nicht am Start gestanden, wäre die Sachsenmeisterschaft wegen zu geringer Beteiligung ausgefallen. Wenigstens blieben die vorhergesagten Schauer und Gewitter aus.
Es klingt wie ein Märchen, war aber keins: Kaum daß ich mit Grossi, Jesse & Co. in Nordhessen um Punkte und Ehre gekämpft hatte, saßen wir nun in Mittelsachsen erneut zusammen im Sattel - zum vorerst letzten Mal... Mein Herz schlug wildeste Purzelbäume. All die Strapazen, Belastungen und Anstrengungen, die Aufregung, das hochkarätige Feld, die Furcht vor einem Sturz... Aber ich stand am START. Ohne Ambitionen und Chancen. Bei zwanzig jüngeren Semiprofis hatte ich mit der Punktevergabe sowieso nichts zu tun. Mich interessierte nur die Schar der Steinzeitmänner mit Rückennummer ab 60. Punkt 13 Uhr 01 zählte Kampfrichter Lohr die letzten Sekunden runter. Erstmal zur Ruhe kommen und verstecken im hintersten Glied, dachte ich mir. Und dann verlief das Rennen mit dem großen Peloton auf der kurzen, schnellen Runde alles andere als hektisch und gefährlich. Nach drei Runden war ich drin und konnte mich relativ locker im Hauptfeld halten. Einer nach dem anderen ging fliegen. Ab der Rennmitte war das Feld derart zerlegt und übersichtlich, daß ich nur die Nummer 64 als einzigen Gegenspieler in meinem Grüppchen erspähte: Schwarz von den Picardellics Dresden. Wir belauerten uns rundenlang - bis mich die Kräfte sechs Kilometer vor Schluß verließen. Zwei Runden fuhr ich allein weiter. Bis von hinten Großegger aufschloß und wir in den Schlußrunden zusammen arbeiteten. Als es in die entscheidenden letzten dreihundert Meter ging, war gegen Grossis Antritt kein Kraut gewachsen. Im ZIEL waren wir Zweiter und Dritter der Meisterschaft der Masters 4. Dominiert wurde der Generationenkampf vom zwanzig Jahre jüngeren Robert Walther, der als Solist sogar die Halbprofis des auffällig erfolgreichen Rennstalls Ur-Krostitzer langmachte - und erst gar nicht zur Ehrung erschien... Volker Rheingans, ein Kumpel noch aus DDR-Zeiten, wurde guter Sechster. Auf der undankbaren vierten Stelle endete das Rennen der Junioren für unser DSC-Talent Malte Sander, der sich im Feld der Elite-Männer behaupten und über 55 Runden gehen mußte. Für die sechzig Kilometer hatte Malte nur eine kleine Flasche am Rad. Die Sportler vom Dresdner SC wurden erst beim Mittwochsrennen auf der Bahn von diesem Wettkampf informiert...
Finale
 
Die Durchsage der Medaillenränge glich einem Schlag ins Gesicht. „Dritter: Müller“! Wo und wer war Müller? Aber es gibt sie noch: die GERECHTIGKEIT! Eine Kommissärin hatte mich bei einer Zieldurchfahrt übersehen und letztlich mit zwei statt einer Runde Rückstand gewertet. Damit war meinem Einspruch stattgegeben, die Urkunde mit einem Filzer abgeändert. Notfalls hätte die Zielfilmkamera helfen können. Als der Sprecher Minuten später meinen Namen zur Siegerehrung aufrief, ging ein verschütteter Traum in Erfüllung. Es war einmal, vor langer Zeit... Neununddreißig Jahre nach meiner Vizebezirksmeisterschaft im Kriterium hinter dem zweimaligen DDR-Straßenmeister Thilo Fuhrmann stand ich mit feuchten Augen auf einem Bierkasten aus Hartmannsdorf, und durfte mir eine Bronzemedaille des Sächsischen Radfahrerbundes um den Hals hängen lassen. Henry Schwarz bat Marco Großegger und mich zum Siegerfoto auf die obere Stufe. Peanut, ohne die ich nichts wäre, hat es abgelichtet. Das war meine STERNENSTUNDE im RADSPORT der NEUZEIT.
 
 
Danke von ganzem Herzen
Organisatorin Mandy Böhm
Meine Peanut, dem BESTEN MENSCH DER WELT
Meine Mutter, die bestimmt zugesehen hat
 
 
Vitus, 13. Juli 2021, Bilder: Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 22ºC, schwache Brise aus Südwest (17 km/h)
Typ: Kriterium
Länge: 39 km
 
Im Ziel: 127
CT und Elite-Amateure: 15, Masters 2: 20, Masters 3: 12, Masters 4: 8, U19: 11, U17: 20, U15: 15, U13: 10, U11: 10, Weibliche Klassen: 6
 
Masters 4
Am Start:
8
Im Ziel: 8
1. Henry Schwarz (Picardellics Velo Team Dresden) - 1 Rd.
2. Marco Großegger (SC DHfK Leipzig)
3. Mario Voland (Dresdner SC 1898)
4. Klaus Müller (Team Isaac Torgau)
5. Gregor Schößler (SSV Heidenau) - 2 Rd.
6. Gunter Häntsch (RV Zwenkau 98)
 
Ergebnisse
Rad-Net