PELICAN, KAYO DOT, STOVE BRODSKY, ZOZOBRA
USA-New York City, Bowery Ballroom - 2. November 2008
Im Speed of Life waren es nur zwei Nächte, die Peanut und mir nach dem New York Marathon und dem Rückflug nach Deutschland blieben. Zwei Nächte für eine Vergnügung in Manhattan... Die CHAMPIONS OF SOUND-Kampagne mit den Sludge-Metallern Pelican im „Bowery Ballroom“ war auf unser größtes Interesse gestoßen. Sie stieg am Abend des Marathonlaufs... Kaum Zeit für uns: runter von der Rennstrecke... im Hotel restaurieren... die schwarze Ausgehuniform überwerfen... und schon drängte die Abenddämmerung zum Aufbruch... Was den Zeitplan anging, waren wir auf die eigene Phantasie angewiesen. Weder die Organisatoren noch die Bands hatten uns geantwortet. Bei vier Gruppen und mit dem Wissen, daß man sich in USA keinen „Blauen Montag“ leisten sollte, rechneten wir mit einem eher frühen Beginn um 19 Uhr. Leider war es bei der Suche nach einer der versteckten Subway-Stationen, und nachdem wir in der Chinatown auch noch die Orientierung verloren hatten, schon 19 Uhr 45, als wir den Schauplatz im Viertel Bowery tief im Süden der Wolkenkratzerinsel fanden. Der Einlaß betrug zwanzig Dollar, das Pint Bud kostete fünf. Gefühlte dreihundert Leute bevölkerten den alten Tanzsaal und dessen riesige Emporen.
ZOZOBRA hatten halb acht den Showstart vollzogen. Fast die Hälfte von diesem „heavy shit“, den das Rudel aus Boston, New York und Los Angeles in den Saal doomte, war ohne uns gelaufen. Scofield, Brodsky und Harris zelebrierten eine astreine Kombination aus Stoner Doom und Sludge, die sie „Sludge Rock“ nannten. Tonnenschwer dröhnende Gitarren kreuzten sich mit rumpelnden Trommeln und krud herausgebellten Wortfetzen. Von den unsichtbaren „Invisible Wolves“ sahen wir den Rest, „Heartless Enemy“ war dann gleich die Doom-Droge überhaupt, und beim final aus den Speakern wabernden Instrumentalstück „Caldera“ war es leider zu spät, um für Zozobra noch Feuer zu fangen. Der langhaarige Trommelrüpel Harris - nebenbei auch für die großen Isis aktiv - klärte mich wenigstens im Anschluß über den Namen auf: Zozobras sind riesige Marionetten, die die Indianer New Mexicos jährlich in Gedenken an die von spanischen Schreckensherrschern gepeinigten Ahnen verbrennen. Neue Töne von Metallica berieselten den Umbau...
Im krassen Unterschied dazu kam einer von Zozobra als Independent-Rock-Poet STOVE BRODSKY alias Stephen Brodsky noch einmal auf die Bühne. Das ehemalige Mitglied der Metalcoreler Cave In und Converge servierte eine lyrische Anektode von 26 Minuten aus dem eigenen Leben und dem seiner früheren Bands. Und dies mit den spärlichsten Mitteln, die man sich nur denken kann: der eigenen Singstimme und einer Akustikgitarre. Die Bewunderung war ihm gewiß, doch fehlte dem Burschen aus Boston die Ausstrahlung. Nach der Show mit Zozobra wirkte Brodsky fahl wie ein artifizieller Versuch aus der traurigen Verzweiflung Kurt Cobains und den entrückt psychedelischen Pink Floyd. Treu seinem letzten Lied „Rainbow No More“: Viel mehr war es nicht.
Zu einer Zeit, in der sich in good old Germany die erste Vorgruppe aufs Geviert bemüht, traten im Bowery Ballroom bereits die Dritten ins Licht. Ab halb zehn durfte den John-Zorn-Schützlingen KAYO DOT aus Brooklyn gelauscht werden. Und das in der ursprünglichsten Bedeutung des Wortes. Denn die Damen und Herren um Gruppenkopf Toby Driver kredenzten avantgardistische Experimente in der Ästhetik des Jazz-Doom-Ensembles Bohren & Der Club of Gore - einen kompletten Gegenentwurf zum rasenden Wahnsinn draußen vor den Türen der Delancey Street. Intellektuelle Gitarren, schräge Holzbläser, weltenfremde Keyboards und hingetupfte Trommeln kopulierten zu einem Kaleidoskop des absoluten Stillstands, zu subtilem Endzeithorror und todesstillen Endzeitballaden, die nur von vereinzelten unorthodoxen Schreien unterbrochen waren. Kayo Dot und ihr Programm aus den Alben 'Choirs Of The Eye' und 'Blue Lambency Downward' waren ein surreales, innerlich versunkenes Kopfkino, dem die Geige der kleinen Japanerin Mia Matsumiya nach fünfzig Minuten ein sehr heftiges Ende besorgte. - - In der Pause interessierte sich ein Langhaariger für mein Endstille-Shirt - und offenbarte sich als eingeschworener Endstille-Verehrer, der den Kielern im August bis aufs deutsche Party.San Open Air gefolgt war, und der das Wort „Frühlingserwachen“ völlig akzentfrei aussprechen konnte. Leider war die Gastfreundschaft nicht bis zur Security durchgedrungen, die uns mit einem langen Laserpointer von der Treppe jagte. Man ist nicht überall willkommen als Deutscher...
Ab 22 Uhr 40 fegte ein unfaßbarer Tornado aus spirituellen dunklen Gitarren und tiefen Bässen durch den Ballroom, ein Mahlstrom aus tonnenschweren, Riff um Riff aufgeschichteten Klangkaskaden und der geballten Aktion sich in Ekstase verwringender Künstler: Chicagos Sludge-Metaller Trevor de Brauw, Laurent Schroeder-Lebec sowie die Gruppengründer Bryan und Larry Herweg alias PELICAN, hatten sich zu ihrer Schau aufgeschwungen - und mich zu einem bedingungslosen Totentanz unter die Heavies an der Front gerufen. Hatten mich mit einem schlichten „Good evening“ verschlungen in diese Psychokalypse aus unheilvoller Stille und aufbrausendem Dröhnen, in diese unendlichen Weiten und die Freiheit der Gedanken (die Pelican durch den Verzicht auf Worte erlaubte). Reine Instrumenten-Gruppen wie Pelican kann man nur hassen - oder sich in ihnen verlieren. Flieg´ Vogel, flieg´! Die vierköpfige Hydra Pelican machte alles gut - und drückte alles danieder mit ihrem Langeisen 'City Of Echoes'. Allein der gnadenlos schwere und gnadenlos geile Ambient-Doomer „Dead Between The Walls“ war jeden Cent und alle Strapazen des Tages wert. Fly high, high fly, Pelican! ............
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
ZOZOBRA
(19.30-20.15)
1. Emanate
2. Soon to Follow
3. Invisible Wolves
4. Heartless Enemy
5. Caldera
 
STOVE BRODSKY
(20.30-20.56)
1. Man of the Mountain [Pet Genius]
2. Calypso [Cave In]
3. Lonesome Josephine
4. Suffer in Silence [Willie Nelson]
5. Beautiful Son [Cave In]
6. Dead Battery
7. Rainbow No More
 
KAYO DOT
(21.33-22.23)
1. The Show Submits
2. Blue Lambency Downward
3. Clelia Walking
4. Marathon
5. A Pitcher of Summer
 
PELICAN
(22.40-23.30)
1. Dead Between the Walls
2. Lost in the Headlights
3. Embedding the Moss
4. City of Echoes
5. Sirius
6. An Inch Above Sand
7. Last Day of Winter
8. The Woods
Am Tag danach...
... sind wir dahin gepilgert, wo 1973 Patti Smith, Television, Talking Heads, Blondie und Ramones die Punkbewegung auslösten - in die legendäre 315 Bowery Street: ins „CBGB & OMFUG“. Die Zeit wollte es leider so, daß wir zwei Jahre zu spät nach New York kamen. Nachdem Klubgründer Hilly Kristal 2006 von Miethaien aus dem vormals verruchten - nun aber schwer angesagten - Viertel East Village herausgeekelt wurde, ist das „CB´s“ heute eine Boutique das Modedesigners John Varvatos, ein Laden-Museum in dem Krawattenfiguren teure Nachbildungen der einst von ihnen verachteten Punker kaufen. Selbst Punk kann zum Konsumgut werden.
 
Zwei Tage später...
... wurden die Verrücktheiten des Big Apple im Flieger nach Frankfurt gekrönt. Unser Sitznachbar war ein Kerl mit langen Haaren und Koteletten, der 1980 zusammen mit Joey DeMaio die Metalband MANOWAR gründete: Ross the Boss! Aber das ist eine andere Geschichte...
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 7. November 2008
Ross the Boss (Ex-Manowar)