LOW FREQUENCY ASSAULT III
 
CALDERA, GOLDEN GORILLA, VERSUS THE STILLBORN-MINDED
D-Nürnberg, Z-Bau (Kunstverein) - 11. März 2006
Doomerstag, 9. März
 
Eine Auszeit vom Leben. Jährlich im Winter unterwürfig aufgenommen dank des Doomereignisses LOW FREQUENCY ASSAULT. - Mittags noch unter der Knute der Denkfabrik in Frankfurt festsitzend, war ich mit meinem Mädel am frühen Abend ins romantische Nürnberg eingetaucht. Die Tage dort begannen für uns mit einem Problem: Unser Zimmer war doppelt gebucht und im kargen Ersatz rannten wir uns die Köpfe ein. Doch bei einem Unglück sollte es nicht bleiben... Organisator Boris hatte uns auf ein Glas im „Landbierparadies“ eingeladen. Nach dessen Termin im Konzertort wollten wir uns treffen. Peanut und ich insistierten gerade im „Südtiroler Platz“ auf der Köstlichkeit Aischgrundkarpfen, als uns plötzlich - palim, palim - ein Anruf erreichte. Vom Chef - der uns über die rätselhafte Absage der Goat-Doomer The Walruz unterrichtete. Unsere Hilferufe an Black Shape of Nexus, Daturah, Gorilla Monsoon, Low Man's Tune, Our Survival Depends On Us und Soleïlnoïr fielen negativ aus. Halb zehn kam immerhin der Treff mit Boris im Landbierparadies zustande. Dort wurden etliche frankonische Schlücklas und Schnäpse vernichtet, bohrende Fragen zu Versus The Stillborn-Minded gestellt, Boris und Peanut flirteten ein wenig, und ich eliminierte noch einige Rauchbiere mehr. Mit Ladenschluß halb eins haben wir uns verdünnisiert.
 
Freitag, 10. März
 
Ich kam mit einigen Restschlücklas im Blut zu mir, und traf mit Peanut im Frühstücksraum auf grimmige Herren in Trainingsanzug oder smartem Zwirn. Manche redeten russisch, andere spanisch, wieder andere mit österreichischem Tonfall. In Nürnberg war Waffenmesse! Luden, Waffenhändler und wohl auch verdeckte Ermittler aus dem Milieu hatten unsere Unterkunft fest im Griff... Der Besuch der Waffenmesse wäre auch eine Möglichkeit gewesen, den Tag sinnvoll zu verbringen. Denn das Wetter war miserabel. Es regnete, es schneite, es war kalt. Ein Wetter aber auch wie geschaffen für stundenlangen Tantrasex im Hotelbettchen... Um fünf schleppten wir uns runter zum Griechen. Und abends feierte der Punkerladen „Concrete Jungle“ seinen ersten Geburtstag mit einem Konzert. Konzerte sind das Lebenselixier - wir waren dort!
...... Guerilla, The Higgins, LeiDkultur, Taxdodgers
 
Sonnabend, 11. März

 
Es war spät gestern. Aber wenn Marathonmann und Marathonfrau in Nürnberg-Süd sind, ist ein Morgenlauf über das ehemalige Reichsparteitagsgelände nicht nur ein innerer Befehl, sondern heilige Pflicht! Nach anderthalb Stunden in der Winterluft waren die Sinne klar und die Körper frei für neue Taten. Wir haben uns wie immer einmal im Jahr im Altstadtladen „Underground“ mit Kleidung eingedeckt - und ruckzuck neigte sich auch dieser Tag dem Ende. Er wurde mit dem Höhepunkt in den Tagen von Nürnberg gekrönt... Mit unserm Aufbruch zur Südkaserne zog ein Schneesturm auf. Um neun war das unzerstörbare Monument erreicht. Zwängten sich am Vorabend beim Punk 225 Leute in den „Kunstverein“, standen heute am selben Ort lumpige 60 rum... Kein Grund zur Gram indes für Torsten T., den Bassisten von The Walruz und Versus The Stillborn-Minded, der sich gleich mal vor mir auf die Knie warf (was mir etwas unangenehm war). Boris hatte den Beginn für 21 Uhr 30 festgesetzt - wurde aber von Torsten korrigiert: „Wir fangen an, wenn wir in Stimmung sind!“ Womit zwei Dinge klar waren. Erstens: VTS-M würden zum Einsatz kommen. Zweitens: Die Leute wollten noch was trinken. Inzwischen lernte ich neue Gesichter kennen. So den „Blackblood“ vom brandneuen Doom-Forum „Doomed Souls“. Und einen Langhaarigen, der mich zuvor lange beäugt hatte, um sich schließlich als „Don Grotesko“ aus Freiburg vorzustellen. Carcass´ 'Heartwork' versüßte das Warten auf Godot......
„Die Band aus Köln kann auf Grund von Arschmuskelschwäche nicht auftreten. Wir hoffen, euch dennoch halbwegs befriedigen zu können. Feedback bitte!“ So klang die Eröffnung des LFA durch Herrn Robin P. Noch mal der Hintergrund: Die ursprünglich verpflichteten THE WALRUZ mußten passen, weil deren Sänger an chronischer Diarrhoe litt - was er aber bei jedem zweiten Auftritt tut. Es waren somit die Katharsis-Doomer VERSUS THE STILLBORN MINDED, die sich als Erste lockermachten. Und dies nicht ganz selbstverständlich. War es Boris doch erst in letzter Minute gelungen, Gitarrist Satt von der Autobahn zu holen. Torsten war ohnehin als Warmbläser präsent. Und dank Sturmkinds und Robins kurzfristigem Erscheinen, konnten VTS-M nicht als improvisierter Notnagel, sondern als richtige Division aufmarschieren. Ab 22 Uhr 30 waltete Sludge: Rückkopplungen, unbehagliches Dröhnen, Bässe im unteren Frequenzbereich und obendrein Boris´ nekrophiles Organ. Nach zwei Walzen aus der Steinzeit mit „Climax of Delusion“ und „A Place Called Earth“, sowie dem forscheren „Across“, brandete eine Neuigkeit durch den Raum. Eine unbekannte Düsternummer. So neu, daß Versus sie noch gar nicht richtig spielen konnten. Noch roh und ohne Namen, ein Experiment noch - und doch schon ein Klassiker. Ein Gebilde mit vielen Gesichtern von Noise bis Drone mit einigen Siebziger-Psychedelika, kompakter und drückender als alles Bisherige. Vielleicht die Sternstunde in der Gruppenvita. Dazu kamen spleenige Verrenkungen und Faxeen vom Entblättern bis zum In-den-Staub-Sinken. Es war alles wie immer! Und schließlich boten Versus aus der kalten Hose auch noch einen Nachbrenner an. „Was ganz Altes, wenn ihr den noch hören wollt: 'Victims of Imperfection'.“ Die „Victims...“ zersetzten sich nach einer Stunde selbst. Mehr ist nicht zu sagen... - Anschließend bahnte sich ein Drama an: Vom ohnehin kleinen Publikum zogen schon jetzt viele ab. Immerhin bewies der Plattenaufleger Geschmack, indem er mit den Deathrockern Entombed auf die Nächsten einstimmte.
Nach schier endlosem Hinhalten und Ärger mit der Soundanlage war Schlag Mitternacht das Geviert frei für GOLDEN GORILLA, die ich (!) fürs LFA vorgeschlagen hatte. Tomasz Kong, Mr. Vegas, Doc Hinkel, Senor Hub und Don Schueler waren aus allen Himmelsrichtungen (von Gießen, über Frankfurt, Darmstadt, Heppenheim und Mannheim) angerückt, um in Nürnberg zusammen zu finden. Fortan erhöhte sich die Schlagzahl, drehten die Amplidynen eine Kante schneller, schlugen die Amplituden höher aus. Denn jetzt lärmte der „Heavy High Gain Buzzing Sludge“, wie ihn das dem Punk entsprungene Kommando nennt. Brachialinstrumente verdrahteten sich mit vulgärem Gekeife und Feixen zu radikalen Donnerwalzen mit philosophischer Tiefe. Myriaden verschlüsselter Wörter und kryptischer Texte waren da. Dichter Kong eröffnete mir erleuchtende Einblicke - die geheim sind! Nur soweit: Kong singt von abstrakten Bildern, von Widerscheinen von Augenblicken, Erinnerungen, Träumen und über Allegorien eines Gedanken. Es kann um eine Person gehen, die verkatert erwacht, sich nicht mehr mit dem eigenen Körper identifizieren kann, und schließlich den Prozess des Zerfalls und der völligen Entmenschlichung durchläuft, wie in „Dogged-Down and Broken-Assed“. Es kann auch darum gehen, daß alle Erkenntnis vor dem Tod ziemlich blaß dasteht, um die Sinnlosigkeit und Hinfälligkeit allen Lebens. Oder um die dunkle Wahrheit (die schwarze Sonne) und die Sklaverei des Sinns (die weisse Logik), und das über diesen Gegensätzen stehende Gelächter. Ein Gelächter über die Zufälligkeit aller Existenz als finalen Triumph über alle menscherdachte Rationalität ( „Black Sun - White Logic“ ). Tomasz kredenzte dies alles in seiner sarkastischen Art, mit Giftblick und unter epileptischen Veitstänzen. Mit einer Intensität, die jedem den Schädel wegbläst. Mit so einem Kerl sollte man sich nicht anlegen. Wut war da, Ärger über das Gesindel zuvor, und die Kappung auf 35 Minuten. Kong sagte den gezielten Kopfschuß an: „Wir wollen noch einen Song für Vitus spielen. Einen Gang runtergeschaltet. Und den spielen wir jetzt ganz einfach.“ Das Ende war also mir gewidmet. Es hieß „Dogged-Down and Broken-Assed“. Jede Logik verlor sich im Nichts.....
Auf all die schweren Sludge-Mörser folgte final etwas Erlösendes mit dem Stoner Doom von CALDERA. Caldera - das Latein für einen durch Absprengung entstandenen Vulkankrater - waren eigens für diesen einen Auftritt nach Nürnberg gekommen. Aus Frankreich! Aus Paris! Und dies bei Schnee und Eis. Als hätten sie nicht schon genug Probleme mit dem Wetter, mußten Caldera auch noch eine kleine Unendlichkeit auf ihren Start warten. Nachts um kurz nach eins war der Weg frei. Frei für eine inzwischen reine Instrumentalgruppe. Denn nach dem Abgang von Vokalist Matt hatte die Equipe eine Fortführung ohne Gesang beschlossen. So rekrutierten sich Caldera heute aus den Gitarristen Claude und Christophe, dem Bassisten Fly und Madame Kristin am Schlagzeug. Die Wüstenfüchse aus dem Westen nahmen mich im Sturm. Caldera kamen wie die heiligen Kyuss auf einer alles wegfegenden Doomreise. Wie ein wutschnaubender Bison in Flammen und ein glühender Feuerball im Sand zugleich. Caldera waren ein Sturm aus tonnenschweren Fuzz- und Wah-Wah-Partikeln. Entfacht von drei Männern und einer Frau mit langen Haaren, kühlem Bier, roten Blümchen im Haar, und sehr viel Sex-Appeal. Auch wenn die Töne zuweilen gegen die fehlende Stimme ankämpften (und deshalb manchmal etwas enterbt wirkten): Zugestonerte, gewaltige Explosionen wie „Going to the Grave“ oder der bezaubernd schöne „Earth Blues“ waren selbst als Kastrat noch Bangmusic vorm Allmächtigen. Caldera waren Charme und Obession am Schmelzpunkt. Und letztlich scherte sich die kleine Glaubensgemeinschaft auch einen Dreck um die Zeit. Mit Beginn der zweiten Nachtstunde entschwebten die letzten Klänge von „Sinister Purpose“ in die Finsternis. Adieu, Caldera!
 
Wir machten kurzen Prozeß und stohlen uns davon. Die Helden waren sowieso zum großen Teil schon weg. Boris sahen wir überhaupt nicht mehr. Einzig Senor Hub von den Gorillas bewies an der Bar Durchhaltevermögen. Ein letztes „Kanone“ mit dem Furchtlockenmann, und dann ab durch die Kälte ins Bett. 3 Uhr 45 knipsten wir die Nachttischlampe aus.
 
Sonntag, 12. März
 
Die Nacht war erneut keine. Man war vier Tage in anderen Umlaufbahnen. Der Abschied fiel verdammt schwer. Nur mit Sinnesfreuden vom „Bratwurst Röslein“ und etwas Weizen im Blut, konnten wir die Heimreise nach Frankfurt antreten.
 
Salutionen und Dankesworte
Veranstalter Boris (für die geopferte Zeit und Herzlichkeit)
LFA bleibt! Für immer!
 
 
Doom, Fascination und Gewalt: ((((((Heiliger Vitus)))))), 24. März 2006
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
VERSUS THE STILLBORN-MINDED
(22.30-23.30)
1. Climax of Delusion
2. A Place Called Earth?
3. Across the River
4. Neues
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5. Victims of Imperfection
 
GOLDEN GORILLA
(0.00-0.35)
1. Slaughterhouses of Tomorrow
2. Trajectories
3. Delirium $
4. Black Sun, White Logic
5. Hurling Fists at Nothing
6. My Name is Trouble
7. Dogged-Down and Broken-Assed
 
CALDERA
(1.10-2.00)
1. Blood Sweat and Tears
2. The Journey
3. Going to the Grave
4. The Escape
5. Earth Blues
6. Loss
7. The Eagles Takes it´s Flight
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8. Sinister Purpose