DUTCH DOOM DAYS XI
 
BUNKUR, SOLSTICE, PROCESS OF GUILT, SERPENTARIUS, EVIL SPIRIT, TYRANT´S KALL
NL-Rotterdam, Baroeg - 20. Oktober 2012
Prolog
 
Freitag, 19. Oktober
 
Wenn ich sage, daß meine diesjährige Pilgerfahrt nach Rotterdam kein großer Zufall war, wäre das gelogen. Im Grunde waren es zwei Dinge, die mich zu den Dutch Doom Days brachten: Erstens eine von der Freundin verordnete Auszeit. Zweitens eine am Mittwoch eingefangene Verletzung, die mir den Start beim Frankfurt-Marathon zerstörte. Mit dem verpufften Traum von einem weiteren Marathon unter drei Stunden war für mich jeder Sinn verloren. Wieder mal hatte ich mich monatelang geschunden - um durch eine Vorsehung nicht ins Ziel zu laufen. Die Enttäuschung ist überhaupt nicht in Worte zu fassen. „Du bist manchmal ein echter Pechvogel!!! Den Widrigkeiten zu trotzen ist unsere Aufgabe im Leben. [...] Deshalb, egal wie du dich entscheidest, ist es richtig“, hatte Peanut mir auf den Weg gegeben. - Am Vorabend der Doom Days hatte ich mit meinem Mädel ein Haus in der Wetterau besichtigt (unser neues Heim), die neue Umgebung auf Rädern erkundet und im Dorfkrug „Gambrinus“ ausgiebig gefeiert. Zurück in der Noch-Behausung Rödelheim habe ich in der Nacht zum Sonnabend die Reise und Unterkunft in Rotterdam gebucht - zusammen 225 Euro. Das Kombiticket zu den Doom Days ging für 30 Euro über den virtuellen Ladentisch. Damit gab´s kein Zurück. Doch ich mußte die Expedition zum kleinen Nachbarn im Westen allein antreten. Peanut hatte eine Karte für die Erstligapartie Eintracht Frankfurt gegen Hannover 96. Zudem wollte sie sich für ihren eigenen Marathonlauf in sieben Tagen schonen.
 
Sonnabend, 20. Oktober 2012 (1. Tag)
 

Vor Auf- resp. Erregung bekam ich kein Auge zu. Nach zweieinhalb Stunden (nachts halb drei) war ich munter. Halb zehn fuhr mein Zug nach Holland. Nach Umstieg in Utrecht hatte ich drei Uhr nachmittags die bewährte Bettenburg im Schiffahrtsquartier erreicht, mich bei Albert Heijn mit Stoff eingedeckt, und dann ging es ungebraust und mit dem ersten niederländischen Bier im Blut per Taxi zum Ort aller Sehnsüchte in Rotterdoom: der kleinen, mit Drachen und Dämonen angestrichenen Halle „Baroeg“ im Spinozaweg 300.
Wegen meiner Hals-über-Kopf-Anreise reichte es für mich und TYRANT´S KALL nur zu einem Quickie. Ich traf auf massive Instrumente und eine ziemlich krude Weiberstimme im Stil von Holy Moses. Mitorganisator Pim nach, hatten die Death-Doomer aus Flandern als Szeneneulinge einen guten Start in die elfte Ausgabe von Europas längstlaufendem Doom-Metal-Fest hingelegt. Als Markenzeichen sind die mal gegrunzten, mal reinen Vokale der Frontfrau zu nennen, und im Nachklapp wollte mich einer der Saitenmänner zum Erwerb eines Silberlings überrumpeln. Vielleicht wäre für mich mehr dringewesen, hätte ich kein Getränk an der Hotelbar genommen. Rund 30 Leute waren da, als Tyrant´s Kall um 16.03 Uhr loslegten. Am Ende des Tages sollten es gemäß Kasse 100 sein. Die auf 30 Minuten angesetzten Umbauten wurden mit Klassikern von Saint Vitus, Year Zero, Reverend Bizarre und Paradise Lost gefüllt.
EVIL SPIRIT hatten eine diffizile Odyssee hinter sich, die morgens halb sechs auf dem Flughafen Berlin begann und von Amsterdam auf dichten Straßen nach Rotterdam führte. Die Strapazen konnten ihrem Auftritt aber nicht schaden. Im Gegenteil: Der aus Argentinien stammende Trommler und Sänger Aguirre, der Brasilianer Almeida am Sechssaiter, sowie der jüngst dazugestoßene Bassist Saäth Nokr aus Berlin legten eine Schau hin, die an Leidenschaft und Ehrlichkeit kaum zu übertreffen war. Nach einer Einleitung mit Nebel, Glocken und mystischem Geraune, fesselten die drei Langhaarigen mit ihren Schnurrbärten, Kutten und engen Hosen mit obskurem, okkultem und phantasievollem Stoff. Mal kamen sie mit psychedelisch angehauchtem Doom Rock daher. Dann wieder wurden Salven in Death-Metal-Manier abgefeuert. „Infectious Worms“ und ein Neues namens „The Order of Blasphemy“ waren für mich die Herausstecher im Kampf des Himmels gegen die Hölle. Im Nachklapp vermachte mir der aus Tempelhof stammende Saäth Nokr noch eins der letzten, selbstgemachten Hemden. Der Aufdruck mit vier nackten Jungfrauen, einem Ziegenbock und dem Tod leuchtet im Dunkeln! Spirit Evil waren völlig aus der Zeit gefallen!
Ein „Are you ready?“ läutete um 18.32 Uhr die Darbietung von SERPENTARIUS ein. Hinter Serpentarius steckten vier geschniegelte und gestriegelte (aber nicht gelackte) Männer von der Zuiderzee, die sich dem Doom Rock der alten Hochkultur hingegeben hatten und heute ihr Minialbum 'The End Of Law' zelebrierten. Das Charisma eines Wino kreuzte sich dabei mit dem klagenden Gesang von Ozzy, hymnischen Melodien wie denen von Count Raven, und einer satten Ladung Tiefsequenzen. Nach einem völlig unnötigen Kniefall vor den Idolen mit „Black Blizzard“ gleich zu Beginn, sollte am Ende eine halbe Stunde Serpentarius voller Spannung, Lust und toller Kompositionen stehen. Eine kauzige Version der Pentagram-Altigkeit „Forever my Queen“ und ein lässiges „See you!“ besiegelten um 19.02 Uhr die Schau der Niederländer - eine Viertelstunde früher als im Plan, aber lebensecht, rettungslos altmodisch und entwaffnend anders.
Ab 19.46 Uhr herrschte Alarmstufe Rot! Denn mit PROCESS OF GUILT taten sich Abgründe auf. Schon seit einer Dekade unterwegs, hatte ich von den Portugiesen doomerweise noch nichts gehört. Process of Guilt - Santos, David, Rato und Correia - sollten aber eins der tiefgrabendsten Ereignisse der letzten Jahre werden. Die im Niemandsland zwischen Lissabon und der Algarve beheimateten vier kredenzten eine 36minütige Psychokalypse aus Postrock, Postmetal und Postsludge. Wenn Klangkunst zu einer Reise ins Jenseits wird, wenn Raum und Zeit einfach mal in die Luft gejagt werden, wenn sich vier mysteriöse Gestalten in einem Meer aus Nebel verstecken und in Ekstase biegen, wenn es um den Unsinn der menschlichen Existenz geht, wenn das neue Album einen Titel wie 'Fæmin' (Weiblich) trägt und zäh, dunkel und schwer wie Portwein blutet, dann ist diese Welt heil, dann sind aller Zorn und Abscheu auf das Leben nichtig. Erst recht wenn die Akteure keine studentischen Schlaumeier sind, wenn sich eine heikle ideologische Ausstrahlung als unbegründet erweist, wenn man von gesunder Gesinnung ist. Auch Process of Guilt doomten, sludgten, keiften und schrien kürzer als erwartet - doch im Grunde war das Wahnsinn! Etwas fürs Hirnkästchen!
Mit SOLSTICE folgte ab 21 Uhr der Gegenentwurf. Solstice sind seit 1990 aktiv. Leitgitarrist Rich Walker hat sein Leben dem Epic Heavy/Doom Metal vermacht, und mit ihrem Debüt 'Lamentations' waren Solstice neben Candlemass und Solitude Aeturnus die Gründer der Bewegung. Richtig bekannt wurden sie allerdings nie. Wahrscheinlich brachte es die Zeit mit sich, womöglich sind sie manchen zu weich (schließlich verzichtete man heute auf einen Bass). Wie vor zwei Dekaden bewegten sich die Engländer zwischen hymnischem Höhenflug und innerer Verzweiflung. Prof Walker, Sänger Paul Kearns, Andy Whittacker am zweiten Sechssaiter und Trommler Del Nichol präsentierten verschachtelte lyrische Lieder, ein Kino der Gefühle mit Weltschmerzklassikern, die Generationen von Musikern beeinflußten, wie etwa die Kelten-Saga um „New Dark Age“, „Cimmerian Codex“ und „Cromlech“. Bei Solstice ertranken sensible Augen, aufs Herz gelegte Fäuste, volkstümliche Vokale und virtuose Gitarren in Schluchten der Melancholie. Aber es war nicht ganz so berauschend wie erhofft. Bleibende Eindrücke hinterließ der Vokalist als wahrer Phobiker. Und Rich Walker, der nach dem Konzert im Backstage saß und hemmungslos weinte.
BUNKUR tauchten weder auf den Flugzetteln noch auf den Festivalshirts des Baroeg auf. Ausgerechnet Bunkur nicht. Die Helden! Bunkur hatten sich für Englands The Wounded Kings geopfert. Daher war mir im Vorfeld auch kein Kontakt mit meinem Bruder im dronigen Geiste Manuel möglich. Unser Aufeinandertreffen war überrumpelnd, und Manuel (in grünem Shirt mit weißem „Polizei“-Aufdruck) gestand mir danach auch: „Gut, dich wieder mal zu sehen; ich war überrascht!“ - Ab 22 Uhr 55 rief der Selbstmord-Service aus Brabant zum Totentanz. Bunkur, heute mit den Viersaitern Tinnemans und Van Bussel, mit Van Geel an den Knüppeln, Organist Broers sowie dem Gastvokalisten Rogier Droog von Bethlehem aufmarschiert, zelebrierten wie gewohnt nur eine Todeskapsel. Wie gehabt: voller hintersinniger Botschaften. Nach einem Anfang mit bedrohlichem Poltern kam die Erlösung diesmal aber eher auf leisen Sohlen, schleichend wie Giftgas geradezu - durch Type O Negatives „Der Untermensch“. Dabei zeigte sich die Rotte geschlossen oben ohne und den Rücken zur Meute gekehrt, grüne Scheinwerfer tauchten die Halle in ein beklemmendes Licht. Vierzig Minuten lang wurde das Baroeg von radikalen Bässen, harschem Getrommel, gequälten Schreien und alles ausmerzendem Doom beherrscht. Mythenverehrung auf der Bühne, Götteranhimmelung davor. Außer mir hatte nur eine Handvoll überlebt, darunter das unter schwarzen Kapuzen vorm Ton-Onkel aufgereihte Kommando aus Portugal. Und: Bunkur kamen etwas nekrophil rüber; das können sie besser als heute. - Im Abspann wurde ich von Manuel umarmt und geherzt. M07 schenkte mir zwei Nickis und wir vernichteten noch ein Hertog Jan zusammen. Am Ende gingen die Blicke nach drüben, in eine andere Welt. Alles war seltsam entrückt, und obwohl wir kein Wort mehr redeten, wußte jeder, was gemeint war.....
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
TYRANT´S KALL
1. The Call of the Tyrant
2. Slimy Existence
3. Dagon
4. Kraken
5. Mankind´s Damnation
6. The Whisperer
7. The Swamps
 
EVIL SPIRIT
Intro
1. L´Inferno (Sempiternal punishment)
2. Last Judgement
3. Infectious Worms
4. Phantom der Finsternis
5. The Order of Blasphemy
 
SERPENTARIUS
1. Black Blizzard
2. Zeropath (The end of law)
3. Shockwave from the Retrograve
4. Ritualized
5. Dieselfreak
6. New Queen of Turbo Bass Sound
7. Forever My Queen [Pentagram]
 
PROCESS OF GUILT
1. Empire
2. Blindfold
3. Harvest
4. Fæmin
 
SOLSTICE
1. I am the Hunter
2. Cimmerian Codex
3. New Dark Age II / Legion XIII
4. New Dark Age / The Sleeping Tyrant
5. Cromlech
 
BUNKUR
1. Der Untermensch [Type O Negative]
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((((((Heiliger Vitus)))))), 29. Oktober 2012