THE NEW MESS
D-Frankfurt am Main, Clubkeller - 18. Juni 2003
With-Full-Force-Mitorganisator „Bogo“ Ritter war es gelungen, die Doomheiligen Saint Vitus für einen exklusiven Auftritt in Sachsen zu gewinnen. Und heute (17 Tage vorm großen Ereignis) schickte Bogo mir eine Nachricht, die mir die Freudentränen in die Augen schoß: Das Doom-Fanzine „Heiliger Vitus“ stand auf der Presseliste der größten Metal-Freiluftschau der Welt! Bogo war ab sofort Teil unserer Abendgebete. Weitere Gründe für Freude: Die Frau an meiner Seite feierte heute ihren Sonnenaufgang. Und: In Frankfurt stieg an jenem Mittsommertag ein schönes Konzi. Tags darauf war „Happy Cadaver Day“, Fronleichnam, einer der letzten Feiertage in Hessen. Welch eine Konstellation! Also feiern solange Clement und seine Blutsauger dem Volk noch den freien Tag gönnen... Der „Clubkeller“ war zwischen den typischen Sachsenhäuser Apfelweinschenken „Germania“ und „Kanonesteppel“ schnell gefunden - und mit zweieinhalb Meter Höhe und fünfundvierzig Quadratmeter Gastfläche die reinste Klaustrophobie! Fenster gab´s da nicht, erst recht keine Belüftungsanlage. Und noch eine Stunde bis zum Beginn... Wir schlugen die Zeit in einem Biergarten über der Erde tot. - Zum Spottpreis von 3,50 Euro waren um zehn dreißig Leute in das enge, feuchte Mauseloch geströmt. Die späteren Klubgänger mitgerechnet, waren´s sechzig. Durchweg Kopfmenschen. Ich bestellte Bier. Nulldrei für Zweifunfzig. Zum Selbereinschänken. Serviert von einer Bardame mit der Figur eines Hungerhakens. Keineswegs fliegengewichtig unterdes die Luft zum Atmen. Kaum eingefüllt, war der Kelch am Schwarzen mit der blonden Seele von Schwitzwasser beschlagen.
Um 22.20 Uhr legten THE NEW MESS - vier Nerds aus Göteborg mit Siebzigerfrisuren und Elviskoteletten - los. Pontus Bednarz, Adam Magnusson, Magnus Borg und Robert Samsonowitz zauberten aus Postpunk, Blues und Noise ´nen avantgardistischen Indie Röck zwischen Zappa, Zeppelin, Monster Magnet und Nirvana. „Manitoba Ghosts“ hieß der zehnminütige Kracher aus Space, Psychedelik und Suspense zu Beginn. Mit komplizierten Gitarrenläufen, die gleichermaßen Distanz und Wohligkeit ausstrahlten. Fast ein Instrumental, am Ende nur unterlegt von Borgs superschräger, hyperventilierender Stimme. Es folgten die fiebrig-verschachtelten „Graveyard Patterns“ und „Generate“. Flotter und vom coolen Pontus mit Schellenrasseln exotisch verziert, aber auch keine leichte Kost, spazierte „The Walk“ vorüber. Das nächste hatte es wieder in sich, der „Way Out“. Borg schrie und winselte gegen seine klampfenquälenden Kumpel an, als gelte es ein böses Gespenst zu vertreiben. Cobain, schoß es mir durch den Kopf... Kurt am Ende... Die Schweden waren nach Germania gekommen und hatten Visionen von Endzeit und Weltuntergang im Gepäck. Die „Overtime Hints“, ein überaus fragiles Teil mit schwebenden Gitarren auf zerdehnter Endlosigkeit, schloßen sich an. Das Nächste kündigten Newmess sinngemäß so an: „It´s from Sweden, but you don´t understand what we say!“ Die Nummer entpuppte sich als zornig runtergeholzter Punkrocker. Nein, TNM passten in kein Schema. „Au Naturel“ - ein abstraktes Gebilde aus verzerrten Gitarren und melancholischen Vokalen - war wieder das genaue Gegenteil. Um elf endete der reguläre Teil und paar besoffene Schweden pöbelten was von „Stupid German!“ und forderten: „Play a swedish folksong!“ Newmess taten es mit den Worten „This is a swedish folksong: 'And Still They Point at You'.“ Volkslied? Von wegen! Ein bitterböses Märchen war´s. Verzwickt. Schmerzend. Und schnell vorbei. Das Ende setzte ein achtminütiger, verstörender Trip über Tarantinos Lost Highway, heiß und schwarz wie die Nacht: „Beckoning Divine“. Anschließend gesellte sich Frontmann Magnus an den Tresen, um artig das Formular für die Gema auszufüllen und uns seine Abspielliste zu schenken. Ich ließ den frisch ergatterten Silberling signieren, und einer aus der Gruppe frug mich, wo er Dope bekäme. Aber das behalte ich für mich.
 
 
Heiliger Vitus, 19. Juni 2003