TANKARD, HEC.TIC, HUMAN BLOODFEAST
D-Amberg, Klärwerk - 29. März 2003
Tankards Frontsirene Gerre hatte zu einem Ereignis der besonderen Art geladen: „Wem am Wochenende langweilig ist, kann sich bei Obergroupie Gaby Geiselgangster zu einer Busreise zum Tankard-Konzert in Amberg melden.“ Oh, fein: Wochenende Trinkerzeit - endlich frei sein! Also die Geiselgangsterin angerufen und für 30 Euro frohen Mutes eingebucht... Nach einigen „Grand Duque“s am Vorabend beim Spanier ums Eck, fühlte ich mich heute allerdings wie ausgespuckt. Aber Bier hilft oft und gegen fast alles... Als Treff war halb eins Frankfurt Hauptbahnhof, Südseite, vereinbart. Ich erschien pünktlich. Tankard-Manager Buffo (in weißem Achselhemd) auch. Der in Bad Homburg gestartete Bus von GEISELGANGSTER-TOURS (ehemals ANALSEX-TOURS) mit den Akteuren rollte vor, und die Reisegefährten trudelten ein. Manche hatten eine falsche Abfahrtszeit, doch dann war die Truppe komplett: vier Tankards, dazu vierunddreißig Fans - vorn im Bus die Metalheads, hinten kahlköpfige Fußballanhänger. Alles eisenharte Trinker! Um eins ging die Reise los. Buffo griff zum Mikro, empfing die Truppe mit einem zünftigen „Hallo, ihr Penner!“, und verkündete wichtige Nachrichten. Am Amberger Merchstand bekäme die Buscrew auf alle Fanartikel einen Fünfer Nachlaß. Ein Kodewort mußte her. Der spontane Vorschlag lautete: „Eintracht Frankfurt“. Da sich einige giggelnde Puppen jedoch „Analsex“ wünschten, war es dann Analsex. Und Bier sei an Bord: „Drei Kisten für lau. Beeilung ist geboten. Weil Deutschlands schönster Bassist, Frank T., schon zwölf Flaschen getrunken hat. Und bitte nicht jeder gleich fünf Flaschen auf einmal holen.“ Buffo bat: „In die Toilette nur reinpissen, nicht reinkacken. Wenn einer reinkackt, soll er die Scheiße mit rausbringen und fragen, wer´s war.“ Erster Anwärter war der Bassist... Meine Freundin hatte Tankard zweimal erlebt und für heute dankend abgewinkt. Das Pärchen vor mir, die Soziologiestudenten El Hulle und Señorita Tanja, verabreichte mir ein Bier. Über Bildschirme flackerten Filmchen von Priest, W.A.S.P., Twisted Sister etc etc. Schlagzeuger Olaf erzählte mir von seiner Punkcombo Killrays; eine Reihe weiter fummelten Gitarrist Andi und seine Flamme; im Heck kreiste eine Bong; Reiseleiterin Gaby Geiselgangster verteilte frischen Gerstensaft; dazu jagten mir „Aces High“ und „Killed by Death“ wohlige Schauer übers Kreuz. Ich beehrte Gerre und Buffo. Letzteren kenne ich seit fünfzehn Jahren. Wir sind beide keine Männer vieler Worte. Es wurde viel getrunken. Für Nachschub mußte eine Raststätte angesteuert werden. Ein Stopp zu lang für eine Sektchen um Sektchen zischende Dame mit rotem Dreadlockturm, furchterregender Kriegsbemalung, Pentagrambluse, Stahlkappenstiefeln und viel Blech im Gesicht: „Weiter geht´s! *hicks* Wir sind hier nich auf ´nem Kindergeburtstag!“ „Embers Fire“ dröhnte durch den Bus; ich reckte die Faust; Sodom flimmerten über die Schirme. Aus Buffos Eck höhnte es „Ei-ei-ei, Arsch-lö-cheeer“ (als späte Vergeltung für einen verlorenen Plattenvertrag?)...
Im Uhrzeigersinn: Gerre & Vitus, Andi & Flamme, Buffo, Zissel
Kurz nach vier rollte Geiselgangster-Tours am „Klärwerk“ Amberg vor. Bis dahin hatte ich sechs halbe Liter gekillt. Gutes Mittelfeld. Derweil sich Tankard an die Probe machten, zerstreuten sich die Fans zwecks Nahrungssuche in alle Winde. Ich selbst zog mit einer Bekannten von Gerre los. Die erste Schänke auf dem Weg in den Ort war das „Sportpark Restaurant“. Dort verlustierten wir uns mit Schweinsbraten und Sauerkraut auf der Sonnenterrasse. Betrunkene Fußball-Hooligans lieferten sich Scharmützel mit dem Kegelclub: Amberg feierte seine „Glubberer“, Frankfurt krakeelte „Nie mehr Zweite Liga, nie mehr, nie mehr“ und „Schwarz-weiß-rot, wir blei´m euch treu bis in den Tod!“. Weitere vier Weizen rannen durch meine Kehle. Jetzt hingen wir fest, und wußten gar nicht, wo wir waren. Der Wirt leistete Schützenhilfe: „In der boarischen Oberpfalz.“ Geographisch auf Linie gebracht, ging´s zurück ins Klärwerk. Während unserer Abwesenheit hatten die Geiselgangster aus Frankfurt das separate Café besetzt, um ein offizielles Saufturnier mit dem Heavy-Metal-Fanclub „MOSH Club Kolmberg“ abzuhalten. Das Konzert nahm dabei nur noch eine untergeordnete Rolle ein. Im leeren Saal sprach ich mit einer Lady von Human Bloodfeast. Zu trinken gab es süffiges „Schiessl Hell“ für zwei Euro.
Endlich um 20 Uhr 15 leuchteten Scheinwerfer auf und HUMAN BLOODFEAST schritten zur Tat. In Rabenschwarz getaucht und mit Blut übergossen die Messer wetzend - fünf junge Deather aus Schwandorf: Heyme, Mers, Klöppl, Fimmers und Wolf. Human Bloodfeast machten düster-morbiden Death Metal zwischen Cannibal Corpse und Sinister. Sie prügelten also ultraschnelle Riffs, groovende Hooks und donnernde Basstrommeln in den Saal. Mit Texten, die sie mitunter zu zweit ins Mikro growlten. Tiefes Zombiegeröchel und Nazgul-Schreie, gespickt von schweren Dissonanzen, polterten da durch die Speaker und fuhren schaurig in mein Kreuz. Erbärmlich, daß sich nur hundert Leute für HB interessierten. Die hat´s nicht weiter gestört. Die Trossen surrten und die Batterie hämmerte, daß die Bühne nur so knirschte. Schweiß floß. Und Blut. Und die langen Mähnen flogen. Keine Gnade auch für meine Nackenwirbel. „Bang or burn in hell!“ hieß die Parole. Die Bajuwaren lieferten ein dreiviertelstündiges, krachendes Alibi für die Existenz des Death Metal. Auf einer Holzpritsche trieb ich eine Liste für die Gema auf. Demnach wurden uns folgende Grausamkeiten ins Hirn geprügelt: „I am Alive“, „In my Head“, „Me in You“, „The Beast Inside“, „Damned to Rot“, „Twisted Desires“, „Orgasm through Mutilation“, „Addicted to Flesh“ und „Follow the Bloodline“. Ein Wink an alle Death-Metal-Lunatics: Legt euch die Schlachtplatte 'Damned to Rot' zu. Das Teil killt! ... „Ich hab´ gesehen... wie meine Mutter... wie sie meinen Bruder verspeist hat.“......
Unauffällig die Szenerie, als HEC.TIC (ehemals Rohkost) ins Licht stiegen. Auch jetzt tummelten sich wenige Gesichter vor der Bühne. hec.tic: doofer Name, dachte ich mir vorher. Und dachte richtig. Wobei die Gruppe aus der Oberpfalz keine Hektik verströmte, aber auch nichts Tiefergehendes. hec.tic schipperten in trendigem Nu Metal, dem amerikanischen Schmarrn aus Hardcore, Metal und Rap. Mal ging´s zart zu, mal hart groovend - und stiltypisch immer völlig unbeseelt. Mit Death (Human Bloodfeast) und Thrash (Tankard) kann ich aus alter Verbundenheit, mit Nu Metal nicht. Den Magen mit Schnitzelbrot stabilisierend, verfolgte ich das Geschehen aus sicherer Entfernung. Weiteres Bier floß. Und ein süßes Mädel zupfte unvermittelt an meinen Haaren. Und das sollte sie noch mehrmals tun... Die Jungen von Human Bloodfeast hatten mich zu einem selbstmitgebrachten Spezialgebräu überrumpelt. hec.tics Hauptfigur Rich Bösl frug am Ende: „Wer will Tankard hören?“ Eine Handvoll meldete sich. Nach einer Dreiviertelstunde war die Uhr für die Bayern abgetickt. hec.tic waren krachig, aufgewühlt und rasch aus dem Sinn. - - In der Pause stolperte ich über einen Langhaarigen, der aus seinem Verlangen nach meinem Saint-Vitus-Pulli keinen Hehl machte...
TANKARD (deutsch Bierkrug): Helden meiner Sturmzeit. Standen in den Achtzigern neben Metallica, Overkill, Slayer und Megadeth in meiner Prioritätenliste ganz oben. Der Frontmann war ein Idol von mir. Gerre gab mir etwas Halt in der Hauptstadt des Verbrechens. Wir hatten die gleichen Ideale. Möglichst viel Alkohol zu vernichten. Meine Lieblingshemden waren welche von Tankard mit Parolen wie „We can´t skate, but we drink!“ und „Life´s too short, too waste your brew“. Damit es besser knallt, mußte die Servierkraft das Bier mit Strohhalm bringen. Resultat meiner Devotion waren Nasenbrüche, geschwollene Augen, etliche Veilchen, stark erhöhte Leberwerte, der Verlust des Führerscheins, zerborstenes Glas, Ordnungsgelder wegen Ruhestörung, zwei gekündigte Mietverträge, Lokalverbote, schräge Paranoia etc etc. Doch wir leben noch! Gerre wurde gar mehrfach mit dem Bindingadler in Gold geadelt. Nach allzu großer Bauchauswölbung folgte ein Wechsel zum Ebbelwei. Egal! Spaß war da!... Bis die Wahnsinnigen vom Boden der Tatsachen eingeholt wurden. Also machen sie ihr Geld im Taxi, bei der Post, bei Teves, als Playboy, und Gerre schreibt - neben ´nem Job in ´ner Fixerstube - eine Dissertation zum Thema „Der Maßkrug“. Rein klanglich sind Tankard seit 1984 unzertrennlich mit Thrash Metal verbunden. Ging es anfangs nur um Frauen und Alkohol, bargen 'The Tankard' und 'Two-Faced' später auch gesellschaftlichen Sprengstoff... 22 Uhr 20 stürmten Gerre, Andi, Frank und Olaf die Planken und droschen wie stets zum Gruß die 88er Hitsingle übers bierstehlende Geschöpf „Alien“ in die Meute. Rasende Trossen, wuchtige Bässe, ein krachiges Schlagzeug, Gerres unverkennbares Kreischen, eine wie Rumpelstilzchen umherspringende Quadriga: Es war alles wie immer, alles pure Energie. Nichts für Memmen auch die Nummer zwei der Hessen durch „Don´t Panic“. Der Saal war voll, die zweihundert Metalheads waren voll, ich war es auch. Im Lärmgewitter von Tankard fiel die Schallmauer von zwanzig halben Litern. Durch meine Adern schoß die Volksdroge, aus den Speakern „Need Money for Beer“, „Mercenary“ sowie die posthume Ode an Lady Di, „Queen of Hearts“. Politik ist nicht das Ding von Tankard. Nur manchmal. Etwa wenn Gerre sich mit einer demonstrativen Geste das Mikro in den Hintern steckt, daran riecht, und Bush rät, sich seine Raketen in den eignen Arsch zu stecken. „Nation over Nation“ wiederum war eins für die Nazis. Es folgten schöne Visionen von einem Bier, daß sich über Nacht auffüllt und keinen dicken Kopf macht - Visionen vom „Space Beer“. Danach hieß es wieder volle Lotte durch „Rectifier“, „Maniac Forces“ und „Rundown Quarter“. Mit „The Morning After“, „Zombie Attack“ und Gang Greens „Alcohol“ schlossen sich Schädelsprenger aus alten Tagen an. Allesamt Headbanger vorm Herrn. Es folgten die „Sunscars“, die gefürchtete „Chemical Invasion“, und gegen elf verlangte Gerre „Freibier, weil sonst der Bassist ausflippt!“ Zugaben waren fällig. Gerre krächzte, daß er nur noch 120 Kilo wiegt. Und weil man ihm jeden Monat eine neue Leber transplantiert - „New Liver Please“ - sind weitere vertonte Ladungen Sixpacks garantiert. Frankfurts Bembelterroristen servierten noch eine Dosis „Poison“, bevor der unverzichtbare Speedfuck „(Empty) Tankard“ den - O-Ton Gerre - „Mittelklassegig“ eine halbe Stunde nach Mitternacht beschloß.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
HUMAN BLOODFEAST
(20.15-21.00)
1. I am Alive
2. In My Head
3. Me in You
4. The Beast Inside
5. Damned to Rot
6. Twisted Desires
7. Orgasm Through Mutilation
8. Addicted to Flesh
9. Follow the Bloodline
 
HEC.TIC
(21.15-22.00)
u.a. Growing Hard
 
TANKARD
(22.20-0.30)
1. Alien
2. Don´t Panic
3. Need Money for Beer
4. Mercenary
5. Queen of Hearts
6. Nation Over Nation
7. Space Beer
8. Rectifier
9. Maniac Forces
10. Rundown Quarter
11. The Morning After
12. Zombie Attack
13. Alcohol
14. Sunscars
15. Chemical Invasion
16. Freibier
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17. New Liver Please
18. Poison
19. (Empty) Tankard
Derweil die Crew packte, ging das Trinkgelage in die letzte Runde - bis plötzlich Fäuste flogen, und ein Zombie auf Krücken mit blutüberströmtem Schädel an mir vorübertorkelte. Jemand versuchte, die Blutung auf dem Billardtisch zu stillen. Für den war der Abend jedenfalls gelaufen. Für den Rest allerdings auch. Durch Zufall oder Glück erreichten alle den Geiselgangsterbus, der nachts um eins zurück nach Frankfurt fuhr. Auf der nächtlichen Autobahn verabschiedete sich Gerre beim Betrachten von deutschen Schlagern ins Reich der Träume. Außer dem spröden Faktotum Buffo, mir und vier Anderen hatten sich die Helden der Theke ins Koma geschoßen. Der harte Kern trank den Bordkühlschrank aus. Morgens um kurz vor sechs erreichte Geiselgangster-Tours den Frankfurter Hauptbahnhof. Dort gingen alle über Bord. Arm in Arm taumelten drei zur S-Bahn: die Dreadlock-Dame, Gerre und Doomjunkie Vitus. Im Pöbel der Bahnhofshalle verlor sich die Spur......
 
Nachschlag
Wer kennt ihn nicht, den Morgen danach? Nachmittags um halb drei kam ich wieder zu mir und beging den Fehler, nüchtern zu werden. Das rächte sich umgehend. Nach stundenlangem Erbrechen blieb abends halb zehn die Repulsion erstmals aus. Mit einem Käsebrot verdünnt mit BIER war ich zurück in der Wirklichkeit. Aber hey: Nichts ist, wie es scheint... Gerre tat das Beste, was man tun kann: Er hat am Sonntag gleich durchgebechert - beim Konzert von Strapping Young Lad in der Batschkapp. Im Saufwettstreit MOSH Club Kolmberg - Geiselgangstertours Frankfurt siegten Erstere.
 
Aus dem Klärwerk Amberg
Das Oberkommando Simone gab bekannt:
Kleine Bestandsaufnahme gefällig? Vernichtet wurden am Samstag beim Tankard Konzert in Amberg 1100 Flaschen Bier, 100 Flaschen Weizen und 6 Flaschen Pils (hat es dem Einem wenigstens geschmeckt :)) Ach ja 2 Kästen Wasser wurden auch verkauft. Respekt Leute!!!!
 
 

Heiliger Vitus im April 2003; Bilder: Human Bloodfeast: Groupie Corinna; Rest: Vitus *burp!*