RÖPE, STRESSSEUCHE
D-Frankfurt am Main, Raumstation Rödelheim - 14. Januar 2006
Ein Gesöff namens Schlappeseppel hätte mir beinahe auch das zweite Stressseuche-Konzert binnen drei Wochen in der „Raumstation“ versaut. Hatte ich doch am Vorabend von eben jenem einige getrunken. Das zehnte war ein Freibier,,. In meinem Gehirn bellten Kreuzfeuer. Auch mein Mädel hatte an jenem Sonnabend ein kleines Kreuz zu tragen. Aber Memme gilt nicht!... Bei Frost und Vollmond waren wir durch den Brentanopark rüber zum Klub geschlichen. Für drei Euro Eintritt fanden sich knapp fünfzig Leute ein, darunter die befreundeten Erde und Jörg von Soleïlnoïr nebst Promotusse Evi. Weiterhin: zwanzig Nietenpunker und völlig verwahrloste Zeilzecken mit drei Hunden und genauso vielen Promille (die armen Tiere!); sowie ein verhaltensauffälliger, übelriechender Typ mit langem schwarzem Mantel und stieren Glotzaugen, der sich erst einen Tetrapack Tomatensaft und später literweise Bier in die Birne goß... Vom Plattenteller liefen Hüsker Dü, und noch bevor die erste Gitarre erklang, hatten die ersten Punker auf dem von Dreck und Flüssigkeiten verseuchten Boden den Löffel abgegeben. Den Anfang machte ein 3-mm-Schwanz, die den Jörg um eine Papirossa anschnorrte - um gleich darauf spektakulär zusammenzusacken. Es war wieder mal eine Szenerie, die mir im jugendlichen Leichtsinn ein „Jung kaputt, spart Altersheime!“ entlockte - was wiederum eine wütende Rebellin überhaupt nicht lustig fand. Aus Spaß drohte blutiger Ernst zu werden, drei Bellos trugen einen Hundekampf aus, und Evi bedauerte, gegen Zecken nicht geimpft zu sein...
STRESSSEUCHE
1. Opener
2. Teenage Joyride
3. Folgefehler
4. Wem Wem
5. Couples for Christ
6. Das Gefühl etwas Wichtiges vergessen zu haben
7. Lost in Space
8. Learn to Die
9. Metal
10. Boogie Market
11. The Sound of the Underground aka Mein Wahn in der Bahn
12. Mücke
22 Uhr 15 stöpselten die Noise-Hardcoreler STRESSSEUCHE ein. Dies war rasch erledigt, denn die Gruppe agierte mit minimalen Mitteln. Baß, Schlagzeug, Keyboard: mehr nicht. Sandra, Mücke und Rbrt starteten ihre Schau mit einer surreal-chaotischen Instrumenten-Nummer, dem Gruß „Huhu, wir sind Stressseuche“, sowie einem von der anmutigen Frontfrau aggressiv herausgeschrienen 45-Sekünder namens „Teenage Joyride“. Keine Sekunde länger hielt das Instrumenten-Inferno „Folgefehler“ an. Verzerrte Gitarren, grollende Trommeln, Delays, Scratches, Echos, Bohrer- und Faltergeräusche von vorn - und erster Beifall von der Meute für diese Kunst. Galgenhumor oder Begeisterung? Es sei dahingestellt... Mit thrashigem Geprügel nahm der Auftritt seinen drastischen Lauf. Hatte bei „Couples for Christ“ noch jemand „Fickt den Jesus!“ gebrüllt, so offenbarte „Das Gefühl etwas Wichtiges vergessen zu haben“ erstmals so was wie einen menschlichen Gefühlssturm. Und fast schon aufgestellte Härchen verursachte das achtminütige, leicht angedoomte Instrumental „Lost in Space“. Das genaue Gegenteil war dann wieder „Learn to Die“: hektisch, lärmend, und mit Ecken und Kanten auf die Glocke. „Learn to Die“ warf diverse Punker aus der Spur - mit der Folge eines Tumults im Raum. Mücke entspannte die Lage mit: „Keine Angst, das kriegen wir wieder hin!“ Beim folgenden Instrumentalen durfte mitgesungen werden. Und nach einer Dreiviertelstunde war der flotte Dreier aus Frankfurt durch. Es war ein sehr bizarrer Mix aus Sex, Streß und Sound.
 
Umbau. Vor Evi und Peanut klappte zur Abwechslung ein Punk zusammen und blieb wie ein Sack reglos zu deren Füßen liegen. Weitere Zeilzecken betraten die Szenerie: mit ihrem gesamten Hausrat verpackt in Rucksäcken (welche sie ordentlich neben dem Kollabierten hinstellten). Über diesen Berg aus Rucksäcken und einem Punk stolperten dann wiederum andere Punker. So daß sich zwischen Tresen und Abort ein wüstes Kuddelmuddel aus Klamotten und Knochen auftat. Ein weiterer Neuankömmling resümmierte „Krass! Frankfurt hatte ich ganz anders in Erinnerung.“ Und ein Typ, der drei Stockweke unter mir haust - den ich aber noch nie gesehen habe -, hatte sich aus Angst vor einem Kater aufs Kiffen verlegt.
Yuki - Gitarre, Gesang, Pete - Gitarre, Gesang, Flo - Bass, Lu - Drums: dies die Rohdaten der Kampfbrigade RÖPE. Röpe waren aus Hanau angerückt und hatten Neo Hardcore Punk mitgebracht. Eine Mischung aus mal hart rasenden, mal emotional verhaltenen Stromgitarren. So eine Art ungestüm gebremster Gefühlsanarchismus. Die einleitenden „Change (Strawberry Eyes)“ und „My Eyes“ waren zwei jener Stücke. Zwei Nummern voller subtiler Melancholie und Aggressionen, atemlos mit geschwollenen Gurgeln herausgeschriene Vokalfetzen. Nicht für jeden zu verstehen. Weshalb Pete demjenigen, der drei Worte wiederholen konnte, eine „Minole-Limonade“ versprach. Phonetisch verständlich eher schon das deutsch vorgetragene „Schwarz“. Welches von zerplatzten Seifenblasen, der untergehenden Sonne, der Ungewißheit nach dem Wann und Was, und dem Wunsch nach Stillstand und Zeitzurückdrehen handelte. Röpe sangen von Unrecht, grenzenlosem Kapitalismus, Kampf und Liebe. Kam die Gruppe anfangs etwas sperrig daher, so änderte sich das spätestens ab „Schwarz“. Eine überaus sonnige Ausstrahlung trugen Röpe ohnehin zur Schau. Besonders Flo, dem das Grinsen förmlich ins Gesicht getackert war. Extra für die Raumstation verkündeten Röpe eine Weltpremiere. Ein Stück, welches Pete kurz und bündig mit „Es ist einfach nur geil, es heißt 'Cut' und es ist gar nicht nett!“ umschrieb. „Cut“ entpuppte sich als unorthodox-zweigeteiltes Konzeptwerk mit Instrumententausch... und einer sich anschließenden B-Seite. „Cut“ ging dann auch wirklich sehr steil, sehr energisch ab. Grund genug für eine blonde Punkette, die Bühne zu stürmen, ein „Oi! Oi! Oi!“ ins Mikro zu grölen, und kundzutun, daß sie die Musik auch scheiße fände, aber Pogo sein müsse: „Laßt uns Pogo tanzen!“ Das spacig-durchgeknallte „Shapes“ war dann auch - mit einem Zwinkern - den Zeilzecken gewidmet; und „Bazz“ besiegelte um 0.08 Uhr ein packendes Finale voller Herzblut und Hingabe.
 
Im Abspann rauschte „A.C.A.B.“ (All Cops are Bastards) in der deutschen Version aus den Speakern. Und Röpe - übrigens vom englischen „Rope“ (Strick) abgeleitet - verschacherten aus einer Kiste am Bühnenrand CDs. Keine in genormten Plastehüllen. Nein, im D.I.Y.-Verfahren im Offenbacher Probebunker aufgenommene, in der Frankfurter AU abgemischte, und in wiederverwertbarem Karton und Schaumstoff verpackte Yomangos. Ein kapitalistisches Produkt gegen den Kapitalismus gewissermaßen. Jedes ein Unikat. Vier Oiro das Exemplar. Nicht selten entstammen den Händen der mittellosen Punks die liebevollsten Tondokumente! Wenn aus den Röpe-Scheiben mal keine Sammlerobjekte werden...
 
 

Heiliger Vitus, 16. Januar 2006
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