EISREGEN, PUNGENT STENCH
D-Frankfurt am Main, Batschkapp - 25. Januar 2006
[666] Wie die Jungfrau zum Kind waren wir zu diesem Konzert gekommen. Über Nacht war ein E-Brief aus Salzburg eingetroffen: Susanne, die Freundin von Our Survival Depends On Us-Gitarrist Thom, teilte mit, daß Osdou-Mitglied Mucho mit Pungent Stench auf Tour und heute in Frankfurt sei - in der Batschkapp (Susanne: „Welch´ dämlicher Name“). „Mucho würde sich freuen, mit mir ein oder mehrere Bierchen trinken zu können.“ Falls ich käme, würde er mich auf die Gästeliste setzen... Damit überstürzten sich die Ereignisse: erst ein Anruf auf Muchos Funktelefon (vergebens), darauf einer im Klub (mit Teilerfolg). Die Batschkapp-Mitarbeiterin Doro versprach, Mucho Bescheid zu geben, sobald jener auftauche. Am frühen Nachmittag dann Muchos Rückruf: In der angegliederten Kneipe, dem „Elfer“, wollten wir uns treffen. Osdou-Verehrerin Peanut durfte keineswegs fehlen!Wegen Schneeverwehungen schlugen wir erst um acht im Elfer ein. Keine Spur von Mucho. Und keine Möglichkeit zu einem Anruf. Der Elfer besaß kein Telefon! Die Barmieze hatte sich jedoch erbarmt und war in den Aufenthaltsraum gestiefelt. Doch Mucho blieb unauffindbar. Also weiter warten und Bier trinken - bis Mucho eintraf. Um etwas Ruhe zu finden, war er eine Runde um die Häuser gezogen. Und nun kam es zum überraschenden Wiedersehen nach Osdous allererstem Auftritt beim „Novembers Doomsday“ in Langenzenn vor zwei Monaten. Heute war Mucho als Promoter und Roadie angereist. Von unserer Unterhaltung sei nur so viel verraten: In einer Welt voller Konsumrummel gibt es noch Menschen, die auf einem Gehöft in den Bergen leben, Herd und Ofen mit Holz befeuern, deren Fernseher nur zwei Sender empfängt, und die zur Jahreswende in Österreichs Bergen Schneehütten bauen, um dort drei Tage lang ohne Strom und fließend Wasser Mittwinter zu feiern... Die Zeit flog viel zu schnell vorbei, und um ein Haar wäre die „Prostitour 2006“ zur Nebensache verkommen. Mucho mußte für Pungent Stench ran, und Peanut und ich machten uns auf... durch die weiße Pracht in die pechschwarze Batschkapp hinein. Dreihundert Schwarzkittel, mit breitkrempigen Hüten bestückte Burschenschaften, Metalheads und eine Handvoll Stachelpunker (!) hatten den Weg gefunden.
Mit PUNGENT STENCH gaben sich Death-Metaller der ersten Stunde die Ehre. Die Gruppe existiert seit 1988! Ihr Markenzeichen ist der typisch morbide Austria-Humor mit Grenzberührungen zum Kranken und Perversen. Unvergessen: das Plattencover von 'Been Caught Buttering' mit den faulenden Männerschädeln beim innigen Zungenkuß. Ihr Landsmann Dr. Freud hätte sicher Spaß daran gehabt, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften schlug jedoch rasch zu. Eine Weile ging man getrennte Wege... bis es 2001 zur Auferstehung kam. Mit von der Partie heute: Sechssaiter und Sänger El Cochino sowie Trommler Rector Stench als Urmitglieder, dazu El Gore am Bass. Ansonsten haben sich die Uhren für den Dreikant aus Wien keine Sekunde weitergedreht. Stench sind rabenschwarzer Todesblei wie vor zwei Jahrzehnten. Sprich: Krach aus derben Vokalen und tief gestimmten und schnell gespielten Rumpelinstrumenten, der in ehrlicher Handarbeit zelebriert wird. Die wilde Einleitung „Bonesawer“ aus dem Jahre 1990 war der beste Beleg. Stench gingen sogar noch weiter zurück, ins Jahr 1989, zur Split mit dem Disharmonic Orchestra und dem Wirbelsprenger „Pulsating Protoplasma“. Man erinnert sich gern an diese Zeit - der das Neuwerk 'Ampeauty' frischen Atem einhauchte. Etwa durch den Deathrocker „Amp Hymn“. Oder den panzergleichen, fast schon doomigen Plattmacher „No Guts No Glory“. Auf der Bühne flogen die Haare, blanke Oberarme ließen die Muskeln spielen, und beim „Deadly Medley“ flogen auch erstmals unterm Geviert die Glieder. Es gab Grund zum Tanzen. Wie durch das von „Bows“ und „Wows“ verzierte, glamouröse „Extreme Deformity“. Stench sind schräge Figuren - und der Tod weißgott nicht das Ende! Das Ende war ihnen heute erst nach drei Zugaben vergönnt. Die erste war eine Ode an die Frauen: El Cochino gestand, den ganzen Tag gepennt zu haben. Er sei jedoch sicher, daß es auch in Frankfurt welche gäbe - von den reifen Lustdamen, den „MILF“s... Die zweite, die Mentors-Huldigung „Four F Club“, wurde mit „Um, dos, treis“ feurig südamerikanisch eröffnet; und der heftig verlangte „Klyster Boogie“ beschloß nach 66 Minuten eine furiose Death-Metal-Demonstration! Wobei sich Blondschopf Gore im rasenden Riffinferno fast den Schädel abbangte, und Cochino mit hinterm Kreuz gespielter Gitarre eine kleine Hendrix-Schau abzog.
Die Schwarzmetaller EISREGEN hatten zwei weiß-rote Fahnen Thüringens gehißt. Mit elf Jahren Gruppenvita zählen Blutkehle (Propaganda), Bursche Lenz (Gitarre), Berg Morbach (Bass), Theresa Trenks (Viola) sowie Yantit (Trommel und Orgel) zu den rostigen Eisen der Szene - und standen bereits im Fadenkreuz der Zensur. Die ersten beiden Langeisen ('Krebskolonie' und 'Farbenfinsternis', darunter „Meine tote russische Freundin“) landeten auf dem Index. Es darf kein Stück davon gespielt werden: Menschenverachtung, Frauenfeindlichkeit, Verrohung, rechte Umtriebe. Was Eisregen so beklemmend macht, sind die deutschen Texte mit altmodisch-gewählter Sprache. „Eisregen nehmen sich selber nicht so schrecklich seriös. Was ihnen selbst Angst macht, ist die etwas verwirrte Gefolgschaft, die das Ganze teils bitterernst bis fanatisch aufnimmt“, so Mucho indes. Die Offenbarung folgte ab halb elf. Unter Teufelsgrüßen vom Volk, strammen Marschhymnen und dem Weckruf einer Fanfare, sang man: „Heut´ ist ein schöner Tag: Ich schaufle mir mein eignes Grab.“ Das „Leichenlager“ folgte. Immer wieder unterbrochen von „Eisregen, Eisregen“-Rufen aus der zweihundertköpfigen Gefolgschaft. Der Rest wandt sich gen Ausgang. Zu sehr schimmerte das Pathos von Rammstein durch, das sich nur durch Geigen, Schalmeien und schwarzmetallisches Geschredder vom Vorbild unterschied. Eisregen waren mal Black Metal, mal Elektro, mal Mittelalter, mal alles auf einmal - und final nichts von alldem. Mit auf alt getrimmtem Zungenschlag schnarrte Blutkehle: „Mochtet ihr noch ein Teil erhalten?“ Aber sicher. Etwas zum Feiern. Zum Schwingen der müden Körper im Tanz. „Am Glockenseil“ etwa. Und immer wieder laute „Hail“-, „Eis-reee-gen!“ und „Jetzt oder nie!“-Rufe als Dank. „Manche Beziehungen sind von Anbeginn zum Scheitern verurteilt. Manche enden am Grund eines Sees“, so lautete die Ankündigung zum stampfenden „Tränenmeer“. Mit einer Warnung: „Ihr lebt im falschen Land! In unserem Land regiert die Zensur! Seid ihr nicht alle ein wenig blutgeil?“ Und als Gegenbeweis zur Frauenfeindlichkeit durfte jemand aus der Meute seiner Angebeteten auf der Bühne einen Heiratsantrag machen. Es folgte Salbungsvolles wie die „1000 toten Nutten“ und „Herzblut“, und vom Pest-Zyklus „In der Grube“ und „18“. (18: die numerische Volljährigkeit? Oder der Kode für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet - AH?) Es gab noch ein Lied mit ernstem Hintergrund. Die Ansage ging so: „Ihr könnt euer Leben leben wie ihr wollt. Ihr könnt es beenden. Den Wind stört das nicht. Er weht westwärts!“ Nach einer Stunde sind wir abgezogen. Laut Mucho spielten Eisregen 75 Minuten...
 
Im Anschluß wollten wir uns zum Bier im Elfer einfinden. Daraus wurde nichts. Weil - wie so oft in der Unordnung des Untergrundes - alles anders kam: Mucho mußte bis Mitternacht an der Front bleiben. Peanut und mich rief fünf Stunden später der Dienst.
 
 
Heiliger Vitus, 26. Januar 2006
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
PUNGENT STENCH
(21.15-22.21)
1. Bonesawer
2. Fuck Bizarre
3. Pulsating Protoplasma
4. The Amp Hymn
5. Splatterday Night Fever
6. Deadly Medley
7. Viva la Muerte
8. Extreme Deformity
9. No Guts No Glory
10. Sick Bizarre Defaced Creation
11. Dead Love Body
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12. Got MILF?
13. Four F Club
14. Klyster Boogie
 
EISREGEN
(22.33-23.48 / unvollständig)
1. Mein Eichensarg
2. Leichenlager
3. Am Glockenseil
4. Hinein ins Tränenmeer
5. Blutgeil
6. 1000 tote Nutten
7. Herzblut
8. In der Grube
9. 18
10. Nichts wäret ewiglich