23. RUND IN OSTERWEDDINGEN
24. August 2019
Prolog
 
In Osterweddingen gehört der Radsport zur Kultur. Das zeigt schon die Ehrentafel an der Mauer am Rathaus. RADSPORT-DORF OSTERWEDDINGEN steht darauf; darunter eine Siegesliste der Fahrer des RSV. Zuoberst die Weltmeistertitel von Pauline Grabosch auf der Bahn, gefolgt von einem DDR- und zwölf Deutschen Meistertiteln. 2019 wurde der Radsportverein Osterweddingen zum Landesleistungsstützpunkt von Sachsen-Anhalt berufen, sechs Sportler sind in der Nationalmannschaft. Und das Kriterium im August ist der Höhepunkt im Jahreskalender... Aber in Osterweddingen wollte ich eigentlich gar nicht starten. Zweihundertvierzig Kilometer Anreise. Zweihundertvierzig wieder zurück. Für zweiundvierzig Rennkilometer... Doch dann häuften sich die Gründe für eine Zusage. Der erste war mein alter Doom-Freund Micha, der nur paar Kilometer von Start und Ziel entfernt in Altenweddingen wohnt und als Zuschauer hinkommen wollte. Der Radsport im Sülzetal sei schon zu DDR-Zeiten äußerst rührig und das Rennen daher auch ziemlich bekannt gewesen. Außerdem war ich nach dem Velorace Dresden vor zwei Wochen noch gut in Schuß. Und dann befahl auch noch DSC-Chef „Decko“ im Anschluß an den mittwöchlichen Bahncup in Heidenau: „Fahr´ mit! Osterweddingen hat eine schöne Strecke!“ Peanut äußerte: „Du wirst deines Lebens nicht mehr froh, wenn du dort nicht startest.“
 
.:: DIE STRECKE ::.
Mit acht Höhenmetern verteilt auf 1,6 Kilometer wies die Runde kaum Steigungen auf: Sie war bretteben wie die Magdeburger Börde ringsum und führte vollständig über Asphalt. Aber: Die Straßen waren schmal. Das Geschlängel im südlichen Teil, die mild ansteigende Zielgerade und der Gegenwind im anschließenden Gefälle ließen die Schwierigkeiten mit fortschreitendem Rennverlauf wachsen. Von der Dodendorfer Straße im Ortskern ging es über die Weinbergstraße, die Bahnhof-, Alte Dorf- und Alte Kirchstraße zurück zur Dodendorfer Straße. Etliche Zuschauer säumten die Strecke.
.:: DAS RENNEN ::.
Morgens um neun hatte sich der von Chef Decko chauffierte Bus des Dresdner SC auf Achse nach Sachsen-Anhalt gemacht. An Bord waren zwei vom Nachwuchs, meine Wenigkeit sowie die Masters Miersch und Uhl. Nach drei lähmenden Stunden war der Startort erreicht. Osterweddingen erschien als hübsche, ältliche Siedlung mit wuchtigen Bäumen und kernigen Bewohnern, umringt von Windrädern und sonnenversengten Äckern bis zum Horizont. Daß nur einer von uns im Programmheft stand, war halb so wild: Die Orga-Chefin persönlich erließ uns die Nachmeldegebühr. Das für mich Unfaßbare folgte vielmehr nach dem Entladen unserer Räder vom Bus: Die elektronische Schaltgruppe war mausetot. Nach einem Totalausfall im Ziel von Rund um das Muldental vor drei Monaten, wiederholte sich das Szenario. Da die Elektronik damals wieder ansprang, hoffte ich auf eine Wiederholung des Phänomens von Grimma. Vergebens... Nun mußte schnell eine Lösung her. Nach einer Runde mit Uhl über die Rennstrecke, entdeckte ich Decko. Decko ist eine Respektsperson, die viele Leute kennt. Aber weder die Händlerin im Ortskern, noch Sportchef Kindler, und auch nicht Team Ur-Krostitzer konnte helfen. Halb drei tauschte ich Trikot gegen Räuberzivil und machte mich auf zum Start - wo ich den mächtigen Ziegenbart und das HAMMER OF DOOM-Shirt von Micha erspähte. Mit Andrea und Fine samt Freundinnen war die Nordkurve komplett - Freunde, die aus Heimatliebe ihrem Bördedorf vor Magdeburg treu bleiben. Der Bürgermeister gesellte sich dazu. Bizarres bot sich unterdes auf der Straße. Um ausreichende Starterzahlen zu generieren, mußte die Masters 4 (also die über sechzig) gegen die männliche U17 und weibliche U19 antreten. Im anschließenden Rennen standen sich die Masters 2 und 3 sowie die Junioren U19 gegenüber, also Männer von vierzig bis neunundfünfzig und Achtzehnjährige. Im Ziel erfolgte keine getrennte Wertung, aber es winkten Preisgelder. In „meinem“ Rennen hätte ich selbst als Zwölfter noch etwas geerntet, durfte mir angesichts der Meldeliste allerdings keine Chancen ausrechnen. Am Start waren die Semiprofis vom MTS Triebwerk, Ur-Krostitzer, Speiche Leipzig und C1817. Trotzdem wollte ich starten. Mein alter Radkumpel Kotyrba hatte in letzter Sekunde das Hinterrad repariert. Und dann das! So erlebte ich das Rennen aus ungewohntem Blickwinkel mit meinen Doomfreunden und einem Hellen in der Hand... Nach einem um vierzig Minuten verschobenen Start, einem chaotischen Auftakt mit vorgezogenem Wertungssprint nach der ersten Runde, und einem, der durch das Führungsfahrzeug behindert und neutralisiert werden mußte, sah das Rennen der Masters 2 und 3 die üblichen Verdächtigen vorne. Nach einem Viertel der Distanz hatte sich Bosniatzki abgesetzt. Pohl schloß zur Halbzeit auf. Nach Mügeln und Hartmannsdorf gewann Bosniatzki innerhalb drei Wochen das dritte Kriterium. Der Grimmaer setzte sich gegen den ebenfalls aus Nordsachsen kommenden Pohl durch. Uhl war nach Problemen beim Einklicken ins Pedal nach zwei Runden abgehängt.
Finale
 
War es die geheimnisvolle Macht des Zufalls? Schwarze Magie? Oder eine Vorsehung? Das Rad wollte einfach nicht in Osterweddingen fahren. Decko sah´s positiv: Immerhin konnte ich heil mit nachhause fahren... Abends um acht endete das Unternehmen „Osterweddingen“ mit dem Entladen der Rennräder vom Bus. Dem Himmel sei Dank hatte ich Zeugen, die den Schaltungsausfall in den Stunden vorm Rennen bestätigen können. Denn in dem Moment, als mein Rad wieder Dresdner Boden berührte, funktionierte die Schaltgruppe so, als ob NIE etwas gewesen wäre. Bei der späteren Fehlersuche stieß ich auf ein digitales Werkzeug namens „E-Tube-Project“, mit dem das Rad - an einen Komputer angeschlossen - ausgelesen und angepasst werden kann. Schalteinheit hinten, Schalteinheit vorn, Schalthebel, Mastereinheit und Kontaktstelle: alle Bauteile wurden erkannt. Einzig die Firmware (Software) hatte nicht die neueste Version. Am Ende standen sechs Autobahnstunden, ein Radrennen, das keins war - und ein Mysterium namens „Di2“!
 
Abschiedsvorstellung
 
Für Decko wurde Osterweddingen zum letzten Einsatz bei einem Radrennen. Nach sechzig Jahren als Sportler, Trainer, Vereinsgründer, Abteilungsleiter und Betreuer war für Manfred Deckert die Zeit gekommen, vom Radsport loszulassen und sich zu freuen, auf alles, was kommt. Man kann nur das Beste für ihn hoffen. Nach der Vorstellung des neuen DSC-Trainers Mike Groß (Vater von Felix) äußerte meine Frau: „Immerhin macht es jemand weiter, das ist schon viel wert und mehr als anderswo. Du hast noch mal die letzten Monate mit ihm mitgemacht, auch irgendwie schön!“
 
Dankesworte
Radsport Kotyrba
Decko
Micha, Andrea und Fine
Peanut
 
 
Vitus, 27. August 2019, Bild: Andrea
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 29ºC, schwacher Wind
Typ: Kriterium
Länge: 42 km
 
Meldungen: 204
Elite-Amateure/Amateure: 40, Masters 2/3/U19(M): 47, Masters 4/U17(M)/U19(W): 34, U15(M)/U17(W): 34, U13 (M/W): 26, U11 (M/W): 23
 
Masters 2/3/U19
Meldungen:
36
1. Marek Bosniatzki (RSG Muldental Grimma) 1:02:58
2. Fabian Pohl (RSC Nordsachsen)
3. Danny Götze (RSC Nordsachsen)
4. Sebastian Heinrichs (Harzer RSC Wernigerode)
5. Christian Hamburg (RG Hamburg)
6. Marco Brußies (Radteam Luckenwalde)
DNS: Vitus (Dresdner SC 1898)
 
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