PELICAN, SLOW CRUSH
D-Dresden, Beatpol - 7. Oktober 2019
Eigentlich hätte dieser Montagabend ganz gediegen ablaufen können. Die US-Post-Metal-Ikone Pelican war in die dreieinhalb Kilometer Luftlinie entfernte Villa „Beatpol“ in Altbriesnitz gekommen. Ein Klacks mit der Straßenbahn oder dem Drahtesel, notfalls auch per pedes. Doch dann sollte es ganz anders kommen. Denn zu mittelprächtiger Musik gesellten sich zwei aufreibende Reisen... Bei meinem Umstieg am Pirnaischen Platz gab ein Sprecher der Polizei mit den Worten „Wir danken dem Antifa-Putztrupp für die Sicherung unserer Jobs“ direkt vor meiner Nase den Marsch einer autonomen Schar vom Schwarzen Block frei - und legte damit Dresdens Zentrum vollständig lahm. Infolge Montagsdemo wurde aus vierzig Minuten Anfahrt eine Odyssee von einer Stunde und vierzig Minuten. Zum „Beatpol“ gelangte ich im Stockdunkeln. Draußen stand ein Dutzend Glimmstengelhalter, während sich im Saal fünfzig Kunden verloren. Bei der Kulisse hoffte ich, eine verwandte Doom-Seele zu treffen. Vor meinen Augen wechselten sich aber nur bräsige alte Männer in rebellischen Jeans- oder Lederjacken und Studierende mit hippen Bärtchen und Hornbrillen ab, dazu ein Besoffener in Motörhead-Shirt und schwarz-gelber Dynamo-Mütze. Nur der fertige Typ in Saint-Vitus-Kapu und Lord-Vicar-Shirt sah gut aus. Die Stimmung war so trüb wie das Wetter. Beim angesagten Beginn von 20 Uhr und meiner Ankunft nach halb neun, hatte ich die Vorgruppe eigentlich schon abgehakt. Aber...
... Schwein gehabt: Mit der Sekunde meines Erscheinens fingen SLOW CRUSH an. Die Shoegaze-Kommune aus drei Belgiern und einer Britin mit den wohltönenden Namen Isa Holliday, Jan Jouck, Jelle Ronsmans, Steven Cammaerts, startete butterweich und - blieb butterweich. Drei schwelgerische Gitarren paarten sich mit einem Schlagzeug ohne Rums und Bums. Getragen wurde das fluffige Klanggewand von der dunklen, träumerischen Mysterystimme Isa Hollidays, deren narkotischer Performanz es zu danken war, daß sie nicht zum Abklatsch schamanenhafter Diven à la Jinx Dawson, Chelsea Wolfe oder Jex Thoth geriet. Undurchdringlicher milchiger Dunst, durchbrochen von lila Flutern und türkisen Laserstrahlen taten ein Übriges für ein Dreiviertelstündlein Löcher in die Luft gucken. Slow Crush respektive Soft Crush hatten offenbar nur ein Ziel: Massengeschmack zu sein, Belgiens Vertreter beim Eurovision Song Contest. Aber immerhin hatten sie mit ihren weißen Langärmern das stilvollste Textil am Händlertisch am Start. Ein bescheidenes „Slow Crush. Thank you!“ besiegelte die Schau.
Eine Vergangenheit mit fünf Studio- und zig Minalben, der Ruf als Vorreiter des Sludge Metal noch unter dem Namen „Tusk“, der Ausstieg des Gründungsgitarristen Schoeder-Lebec, ein Freund aus alten Tagen und der Vater des neuen Gitarristen, die zu früh starben, Jahre der Funkstille: Die Chronik der von Chicago nach Los Angeles (zu „Southern Lord“) übergelaufenen Instrumental-Postcoreler PELICAN war voller Ruhm und Tragik. Pelican hatte ich mit meinem Mädel in einer magischen Nacht 2008 im „Bowery Ballroom“ in New York erlebt. Zu der Zeit waren Pelican auch im Beatpol zu Gast (der damals noch „Starclub“ hieß). Gitarrist de Brauw erinnerte sich mit den Worten „It´s a wonder“ daran... nur niemand im Publikum... Nach sechs Jahren Studiopause präsentierten de Brauw, Thomas und die Brüder Herweg mit 'Nighttime Stories' eine neue Schallrille, und zwar in voller Länge. Angesichts der Vorgeschichte war der Titel gewissermaßen Programm - hielt aber nicht, was er versprach. Wie bei Slow Crush versickerten die Umrisse der Akteure im Nebel. Doom suchte ich vergebens. Die neuen Töne schwebten atmosphärisch verhuscht um die roten Säulen im einstigen „Filmeck Briesnitz“. Es fehlte an Tiefe und Seele. In den erstaunlich harschen Gitarren und dem lässigen Gehabe von de Brauw (der einzige Akteur mit längeren Haaren heute abend), hatte die Schau so seine stärksten Momente. Das Tempo wurde hinten raus immer weiter erhöht, der Grundton immer metallischer. Am Ende stand ein akzeptables Stündchen Postcore. Einzig die Spitze gegen´s Reizthema - „We have different cultures here, thank you for joining us“ - störte. Ausgerechnet am Nationalfeiertag der untergegangenen DDR, dem fünfzigsten!... Aber das wußten die Amis nicht. Auf den Kauf einer Platte oder eines Shirts (bei dem das C in Pelican zum Halbmond gedreht war), habe ich allerdings verzichtet.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SLOW CRUSH
(20.35-21.20)
Titel unbekannt
 
PELICAN
(21.45-22.50)
1. Midnight and Mescaline
2. Deny the Absolute
3. Abyssal Plain
4. Nighttime Stories
5. Darkness on the Stairs
6. Vestiges
7. Full Moon, Black Water
8. Immutable Dusk
9. Cold Hope
10. Arteries of Blacktop
Mit dem letzten Klang trat ich innerlich kalt aus dem „Beatpol“, in dem man sich auch von der Temperatur her nicht gerade totgeschwitzt hatte, in eine mausoleumskalte Herbstnacht. Die Straßenbahn fuhr vor meiner Nase weg. Aber ein Bus kam nach zwanzig Minuten. Beim nochmaligen zwanzigmiütigen Umstieg am Postplatz wäre ich fast erfroren. Schon starr vor Frost erreichte ich mit einer der letzten Straßenbahnen in der ersten Nachtstunde die rettende warme Höhle in Pieschen.
 
 

Heiliger Vitus, 10. Oktober 2019