HAMMER OF DOOM XVI
 
MY DYING BRIDE, DISILLUSION, DOOMOCRAZY, ARÐ, PURIFICATION, TANITH, THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID, RIDERS OF ROHAN, HEMELBESTORMER, SAUROS
D-Würzburg, Posthalle - 18. November 2023
Sonnabend, 18. November (2. Tag)
 
Am zweiten Tag verlangten vier Gruppen höhere Aufmerksamkeit: Sauros, Hemelbestormer, Purification und Arð. Dazwischen und danach wollten wir es entspannt angehen. So der Plan. Aber manchmal kommt es ja anders. Unser Doomfreund Micha war heute mit seiner neuen Flamme angereist. Wir lernten Katrin unmittelbar vor Sauros kennen. Direkt neben unserem Pärchen aus der Magdeburger Börde saß ein Langhaariger aus Kaiserslautern, den wir am Vortag im Frankfurter Hauptbahnhof kennenlernten. Der am Freitag dienstbedingt abwesende schwäbische Doomkomplize Kishde war vor Ort. Und selbst Thomas Schulz samt Gattin wurden kurz erblickt. Petrus ließ den Himmel weinen...
Während nach und nach die ersten Festivalbesucher eintrudelten, starteten SAUROS vor nicht mal hundert Gesichtern ihren Endkampf gegen das Böse. Sauros hatten sich letztes Jahr formiert und lieferten erst ihren fünften Auftritt. Aber Doc, Nobbe, Seb Astian und Frank sind Urgesteine der Nürnberger Subkultur, Relikte der Generation X, oder „Doom Boomers“ wie sie es nannten. Während der Bassist und Trommler Mitarbeiter der fränkischen Radiosendung „Zosh!“ sind, war Sechssaiter Nobbe Scherer Teil des Neue-Deutsche-Härte-Rudels Drecksau (falls sich jemand u.a. an Doom Shall Rise 2004 erinnert). Wie in einem Wortspiel trug Nobbe Shearer ein Shirt der New Yorker Hardcore-Legende Sheer Terror. Und wie in einem Mix aus der Attitüde des Hardcore, sperrigen Crowbar und brutalen Drecksau tönte auch die Musik der Franken. Sauros lieferten basslastigen Sludge mit dystopisch herausgepresster Agonie. Sämtliche Lieder waren Anspielungen auf den Untergang der Gesellschaft, handelten von Isolation und brachten Zerstörung und Krieg. Wobei die Grundausrichtung auf Dauer etwas gleichförmig wirkte; die Lieder ähnelten sich stark. Hätte der Grimm der Ansagen von Kreuzträger Doc (ein Ochse von Statur) etwas auf die Musik abgefärbt, wären Sauros der personifizierte „Hammer Of Doom“ gewesen. Untergrund in Reinkultur waren die Nürnberger allemal.
HEMELBESTORMER und Sauros trennten Welten und Lichtjahre. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Das schwarze Kommando um Filip Dupont, Jo Driesmans, Koen „Milly“ Swerts und Ex-Thee-Plague-of-Gentlemen-Schlagzeuger Fred „Cozy“ Cosemans lässt seit Beginn seiner Existenz vor elf Jahren nur Instrumente und Filmprojektionen sprechen. Während sich die Flamen auf der tintenschwarzen, nur von einem Lichtdom und änigmatischen Symbolen erhellten Bühne manisch bogen, und Sterne, Planeten und Eruptionen über die Rückseite der Posthalle funkelten, zeigte uns die zwischen transzendentalem Post-Rock, malmendem Drone-Doom und urgewaltigem Post-Metal changierende Musik aus Flandern, wie nichtig die Menschheit in den unendlichen Weiten unseres Universums ist. Eine andere, spezielle Ästhetik des Nihilismus: wortlos und doch die bittere Wahrheit. Es war unsere fünfte Begegnung mit den Himmelsstürmern aus Belgien. Jede für sich war fantastisch, magisch und zauberisch, wie ein Erlebnis mit der Ewigkeit!
Mit den RIDERS OF ROHAN kam es zum nächsten Bruch. Die blutjunge Troika aus Göteborg setzte auf die edelsten Zutaten des Okkult-Rock und lieferte eine saubere Vorstellung mit einer leicht hymnischen Note. Die Kombination mit der offen gestandenen Verehrung von Tolkien und Mittelerde machte diesen Rockauftritt zu einem kleinen Meisterstück. Dabei trug das gemischte Doppel an der Front, welches sich im Gesang abwechselte (wobei das Mädel ein Ebenbild der kleinen, verruchten Toody Cole von Dead Moon war), treu den Reitern aus Rohan dunkelgrün schimmernde Umhänge. Riders of Rohan waren kleinwüchisg wie Hobbits und brachten eine wundervolle Flut an Poesie und Klängen, die nur von der Ausschmückung der Ansagen getrübt war. Trotzdem schlugen sie so ein, daß wir blieben...
Die zwei folgenden Gruppen waren fraugefrontet. THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID hatten die meisten Fanartikel von allen aufgefahren. Trotzdem ließen wir das von Martina Horvath und Rastazopfträger Jason Köhnen angeführte Quintett aus Ungarn zugunsten eines Abendmahls im Hotel durchrutschen. Auch unser Magdeburger Freundespaar zog eine Stärkung außerhalb der Halle vor. Kishde fand den dunklen, atmosphärischen Doom der Magyaren nicht schlecht.
TANITH hatten wir vor vier Jahren erlebt. Mit Sängerin Cindy Maynard, Gitarrist Russ Tippins und Trommler Keith Robinson waren noch drei von damals dabei. Der an Queens Brian May erinnernde Charles Newton wurde durch einen Live-Gitarristen namens Dino Destroyer ersetzt. Während der Psych-Rock-Vierer aus New York spielte, saßen Peanut und ich mit einem Pärchen bei Kaffee und Musik von Brutus und My Dying Bride im Hotel. Zurück in der Posthalle stiegen Tanith gerade von der Bühne. Der animalisch wirkende Russ Tippins mit Satanskreuz am Hals lief mir später noch mehrmals über den Weg. Unserem Kishde, der sich nach dessen Befinden erkundigte, hatte er nicht mehr ganz nüchtern ein Plektrum aus der Tasche gekramt und geschenkt. Tanith sollen besser als vor vier Jahren gewesen sein.
Und dann war die Hölle los. „Hello! We are PURIFICATION from the fucking US of A, and we have no fucking time to talk. This is the title track from our last album!“, salutierte der Frontmann nach einem unkonventionellen Sprung vom Drumriser und dem Auftakt „They Have the Mark of Satan“. Nicht genug damit, daß in William Purifys Wahrnehmung in jeder „fucking corner here“ Luzifer wartete, nein, er trug auch ein Satanskreuz und schlitzte sich symbolisch die Kehle auf. Purification waren welche von uns. Sie hatten lange Haare, trugen Metalkluft und polterten 66 Mal „Fuck!“. Nachdem sich die Amis wochenlang „200 000 lightyears from home“ mit „Gummibears“ durchschlagen mußten, bedeutete Würzburg die Endstation für sie. Fieldmarshall of Nothing William Purifys schneidende Gitarrenriffs und okkulte Vokale, Iulcif the Reds urgewaltige Bässe und die bedrohlich hämmernden Trommeln von Count Darragh, dem Heathen Conjurer, bereiteten beim Hammer Of Doom ein letztes Mal den Boden für das, was in der siebenten Stunde über die nach DOOM lechzende Menge hereinbrechen sollte. Jene wurde von den Amis mit unbändiger Energie bis an den Rand des Wahnsinns gedoomt. Trotzdem ließ der Dreibund aus Portland, Oregon keine Sekunde locker. Der Feldmarschall steigerte sich derart in seine Mission hinein, daß ich seinen Geisteszustand anzweifelte. Aus den genehmigten fünfundvierzig Minten (zwei hätten sie noch gehabt, das war ihnen wichtig gewesen, aber mehr durften sie nicht!), machten Purification eine der ureigensten, atemraubendsten und natürlichsten Auftritte der Doomgeschichte überhaupt. Nach sechs heftigen Malmern stand final mit „The Proposal“ der Auftakt des Erstwerks 'Destruction Of The Wicked' - ein Speedster laut wie die Trompeten von Jericho und klarer Befehl zum Headbangen! Purifys letzte Worte lauteten: „Thank you! Keep Doom alive! In the USA it is fucked!“ Später schlich er zusammen mit Iulcif wie zwei vom Leben völlig zerzauste Kojoten davon...
ARÐ aus dem nordostenglischen Newcastle upon Tyne wurden mir von Grau Records ans Herz gelegt. Sie hatten Arð beim Prophecy Fest erlebt. Etwas Spezielles, Atmosphärisches, Gotisches sei zu erwarten. Ich sollte mich überraschen lassen. Hörproben erinnerten mich etwas an Funeraldoom der Marke Skepticism. Auf jedenfall sollten Arð die Finstersten des diesjährigen Hammers sein. Dachte ich... Beim Aufbau des Keyboards freute sich wiederum unsere Katrin, da sie als Klavierspielerin Musik „fühlen“ muß. In echt waren Arð ein monochrom-schwarzes Geschwader aus sechs Musikern (vier Gitarren, Klavier, Schlagzeug) im Angesicht zweier Mönche. Die Klänge wehten voller Längen und ohne Urknall durch den Äther, und verblassten nach Purification total. Also nutzte ich die Zeit für die einzige helle Unterhaltung mit Kishde - bevor dieser bis Sonntagmorgens um halb fünf in einer Kneipe namens „Hasenstall“ noch schwer abstürzte. Der final von den Künstlern gereckte Teufelsgruß konterkarierte eine sehr artifizielle und philosophische Sinfonie Made in England. Die Briten dankten, daß man ihnen eine Chance gab.
Nach neuerlichen sieben Stunden Stehen geriet der Abend allmählich zur Marter. Aber auf der Bühne lief wieder eine heilige Pflicht: traditioneller Doom Metal schwang das Zepter. „Guten Abend! Wir sind DOOMOCRACY aus Griechenland“, grüßte Michael Stavrakakis in akzentfreiem Deutsch in die mittlerweile volle Halle. Die Hellenen hatten wir vor neun Jahren als Vorgruppe für Saint Vitus erlebt. Der Sänger erinnerte sich und widmete den damals Anwesenden „Ghosts of the Past“. Unabhängig vom sonor hellen Gesang, den etwas rauhen, sperrigen Trossen und einem Mangel an Tiefe bedingt durch zuviel Licht in der Bühne, überzeugte das Quintett von Kreta durch Authentizität und Hingabe und war eine wohlige Variante zur polierten Ausformung aus England. Ein Sympath vom alten Schlag war Stavrakakis schon anno 2014. Letzte Nacht hatte er drei Gastauftritte bei Sorcerer...
DISILLUSION wurden als Death-Metal-Legende der frühen Neunziger gepriesen. Zu der Zeit erlosch meine Treue zum Death. Ich dachte, alles und jeden in dem Metier zu kennen, hatte aber unter den unzähligen Dis-Gruppen nie den Namen „Disillusion“ gehört - und das, obwohl sie aus meiner sächsischen Heimat sind! „Guten Abend! Seid ihr noch frisch? Wir sind Disillusion aus Leipzig. Es ist schön, hier zu sein. Wirklich!“, schmeichelte der spindeldürre, hochaufgeschossene Andy Schmidt, einziges Urmitglied - und im Kontrast zu seinen jungen, langmähnigen Gitarristen mit Kurzfrisur. Bei Disillusion ging es hochgradig technisch, intellektuell und subversiv zu. Neben drei E-Gitarren, dem Schlagzeug und einem Keyboard kam eine Akustikgitarre zum Einsatz. Zwar lag der Schwerpunkt auf dem Neuwerk „Ayam“ (steht für die buddhistische Befreiung der Seele, nicht für das rückwärts gelesene Maya), aber Schmidt und Konsorten widmeten den kompletten Mittelteil ihrem (vermeintlich) legendären Debüt. „Zeitsprung. Zwanzig Jahre zurück. Könnt ihr euch an das Album 'Back to Times of Splendor' erinnern? Dann haben wir gleich viel Spaß!“, leitete Schmidt ihn ein. Nach einem progressiven Doppelschlag mit Liedern von 'Ayam' explodierte der Auftritt mit „... And the Mirror Cracked“ in knallhartem Death-Thrash - bevor das viertelstündige „Back to Times of Splendor“ zu einem wuchtigen Schlaglicht der Nacht aufstieg. Hoch anzurechnen war dem Frontmann dessen Ehrlichkeit, etwa daß manche Passagen aus vielen Buchstaben bestehen, es mitunter komplex zugeht, und jüngst seine Stimme weg war. Aber das war sein Problem. Halb elf endete eine Stunde voller Stil und Grips, der aber etwas die Seele fehlte.
Keiner Gruppe des gesamten Hammer Of Doom wurde es so leicht gemacht wie den Death-Doomern MY DYING BRIDE. Nachdem sich das Interesse weitgehend in Grenzen hielt, wurde die Halle in der Stunde vor Mitternacht plötztlich von Pilgern überrannt. Die Spannung stieg ins Unermessliche, Groupies kreischten wie am Spieß, als die Künstler nach und nach ins Licht traten - und die Stimmung minutenlang rein instrumental immer weiter emporhoben - bis schließlich der an Nostradamus erinnernde Meister erschien: Aaron Stainthorpe, wie gewohnt in dekadentem weißen Hemd, schwarzer Krawatte und schicker Hose. Flankiert wurde er von einem weiteren Urmitglied seit 1990: dem Sechssaiter mit der längsten Mähne im Doomzirkus, Andrew Craighan. Neu hingegen war der andere Langhaarige Gitarrist Neil Blanchett. Komplettiert wurde das Sextett von Bassistin Lena Abé, Pianist und Geiger Shaun Macgowan sowie Trommler Dan Mullins. Glaubwürdig war die lange Geschichte der Gruppe aus Halifax, und die Darbietung der Instrumentalisten, die ein optisches Gegengewicht zur theaterhaft aufgeblasenen Vorstellung ihres Sängers bildeten. Dennoch gelang es den Briten ein weiteres Mal nicht, mich mit ihrer Musik zu überzeugen. Ihr Auftritt transportierte ein steriles, kaltes Gefühl von Isolation und hatte eine Heldenfigur, die selbst nur toxische Eitelkeit und englische Arroganz brachte. Zu stark schwebte der Hauch von Geschäftssinn über dem Vortrag. My Dying Bride prallten an mir ab. Nach einer Stunde - Schlag Mitternacht - machte ich mit meiner Braut den Abflug.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
SAUROS
(13.00-13.45)
1. The Strategy of Shifting Boundaries (Hate Infiltration)
2. Misanthropic Freedom
3. Retreat
4. Lead/Fear
5. The Bearability of Solitude
6. Contaminate to Operate/C2O
7. Nostalgic Anxiety
8. In the End
 
HEMELBESTORMER
(14.00-14.45)
1. Void
2. Starless
3. After Us the Flood
4. In Praise of Sun
 
RIDERS OF ROHAN
(15.05-15.50)
1. Muster the Rohirrim
2. A Night at the Prancing Pony
3. A Land of Our Own
4. Whispers of a Nameless Fear
5. Nan Curunir
6. No Mortal Man
7. To Name a Successor
8. Evermind
9. Strider
10. Black Rider
11. Bow to No One
 
THE ANSWER LIES IN THE BLACK VOID
(16.10-16.55)
Unbekannt
 
TANITH
(17.15-18.00)
1. Mother of Exile
2. Olympus by Dawn
3. Cassini's Deadly Plunge
4. Snow Tiger
5. Falling Wizard
6. Never Look Back
7. Citadel (Galantia Pt. 1)
8. Flame
9. Under the Stars
 
PURIFICATION
(18.20-19.05)
1. They Have the Mark of Satan
2. Elphinstone
3. Opium Blade
4. The Path
5. Drömboken
6. Towers of Bretagne
7. The Proposal
 
ARÐ
(19.25-20.10)
1. Burden Foretold
2. Take Up My Bones
3. Raise Then the Incorrupt Body
4. Boughs of Trees
5. Banner of the Saint
6. Only Three Shall Know
 
DOOMOCRACY
(20.30-21.15)
Intro: The Hidden Gospel / Prelude to the apocalypse
1. The Spiritualist
2. Ghosts of the Past
3. Novum Dogma
4. Faceless
5. Eternally Lost
6. One with Pain
7. Doormacht
 
DISILLUSION
(21.35-22.35)
1. Am Abgrund
2. Driftwood
3. ...And the Mirror Cracked
4. Alone I Stand in Fires
5. Back to Times of Splendor
6. Tormento
7. The Mountain
 
MY DYING BRIDE
(23.05-0.35)
1. Your River
2. Your Broken Shore
3. Like Gods of the Sun
4. Catherine Blake
5. The Cry of Mankind
6. The Dreadful Hours
7. She Is The Dark
8. To Shiver in Empty Halls
9. Turn Loose the Swans
Epilog
 
Sonntag, 19. November
 
... AND THE CIRCUS LEAVES TOWN, nannten Kyuss ihr viertes Albun. Nie war die Szenerie am Tag der Abreise treffender. Die Bombe platzte am Mittag des Volkstrauertags. Nicht der seit Jahren beschlossene Abriß der Posthalle, nein, die Inflation und monetäre Schieflagen brachten den UNTERGANG des Hammer Of Doom: “Aufgrund der aktuell extrem schwierigen Situation mit Liveshows und Festivals, die nicht dem Mainstream angehören, haben wir uns entschlossen, 2024 KEIN Hammer Of Doom zu veranstalten und nächstes Jahr die Lage neu zu bewerten. Die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen, aber leider alternativlos...Während alle grossen Künstler weiterhin in Rekordzeit ausverkaufen bleibt oft verständlicherweise kein Geld mehr für die von uns auf Kante genähten Liebhaber Festivals.“ Dies teilte der Vorstand mit den Kirchenglocken am Sonntag um zwölf Uhr mittags mit. Nach zwei Tagen Kälte und Nässe strahlte wie jedes Jahr am letzten Tag in Würzburg die Sonne.
 
 
>> HAMMER OF DOOM XVI, TAG 1 <<
 
 
Heiliger Vitus, 22. November 2023