DUTCH DOOM DAYS XIV
 
SHAPE OF DESPAIR, BELL WITCH, ORTEGA, INSANITY REIGNS SUPREME, DEAD END, CULT OF OCCULT, CRIMSON SWAN
NL-Rotterdam, Baroeg - 31. Oktober 2015
Prolog
 
Freitag, 30. Oktober
 
Ganz ehrlich? Von den 13 Gruppen der diesjährigen Niederländischen Doomtage kannte ich nur Shape of Despair, Crimson Swan und Iron Void. Und durch die Zerrüttungen der letzten Zeit fand ich auch keine Zeit und Muse, mich mit dem „Rest“ zu befassen. Kurze Hörproben versprachen nichts Bewegendes. Doch vor einem halben Jahr mußten wir die Unterbringung buchen, und damit waren wir zur Reise ins Tiefland verdonnert. - - Im Grunde hätte ich von Donnerstag auf Freitag gleich durchmachen können. Denn nach der Nacht mit Ahab in Frankfurt kam ich erst um drei ins Bett: Ich hatte meinen Hausschlüssel vergessen und Doomgöttin Peanut hatte so tief geschlummert, daß sie mein Läuten und alle Versuche per Mobilfunk nicht hörte. Am Morgen brummte unser beider Kopf: P. machte ein fieser Bazillus zu schaffen, dazu schmerzte seit Wochen ihr Knöchel. Immerhin verlief die Anreise nach Rotterdam reibungslos. Weil das bewährte Hotel „Seemannshaus“ zu einer Jugendherge umgebaut wurde, mußten wir im achten Jahr allerdings im edleren „Thon“ (ex-Tulipp Inn) neben der sagenuwobenen Erasmusbrücke nächtigen. Dafür mußten wir viel Geld auf den Tisch legen. Ein Frühstück kostete zwanzig Euro. Wegen der fehlenden Unterkunft am Austragungsort im Rotterdammer Süden waren wir ferner zu vier Taxifahrten mit knapp 100 Euro genötigt... Treu des Tischdeckenspruchs „Des Seemanns bester Kompass ist ein gefülltes Jeneverglas“ endete unser Tag mit einem Geschäftsmann aus Bremen gläserrückend an der Bar vom „Thon“...
Sonnabend, 31. Oktober (1. Tag)
 
Nach der letztjährigen Hysterie um Saint Vitus mußten Hollands Doomspiele einen herben Schwund verkraften. Am ersten Tag versammelten sich um die 150 Leute im Baroeg (darunter Herr Kruppa von Ophis, der mir netterweise eine Platte signierte; und der blonde Charmeur aus Wallonien, der erst meinem Mädel einen Gruß ins Ohr knutschte - um mir Stunden später ein feuchtes „I need my fucking beer“ ins Antlitz zu rauen). Tags darauf fanden höchstens 100 den Weg nach Lombardijn (davon waren die meisten Schäfchen der Bands; auch mein virtueller Freund Remko hatte sich am Sonntag auf den weiten Weg von Hengelo gemacht). Abgesehen von einigen im Gesicht Verletzten (zwei liefen mit Veilchen rum, einer trug ein Doppel-Veilchen, einer eine Augenbinde), war alles wie immer zur Zeit der fallenden Blätter... Chef Pim begrüßte Peanut und mich mit einem akzentfreien „Herzlich willkommen!“, gegenüber der Bar verschacherten die Bands ihre Platten und Shirts persönlich, dazu hatte die Firma Grau in der Vorhalle einen Tisch mit Silberlingen und einen Karton voller Kapus und Hemden aufgestellt: Wir fühlten uns sofort daheim.
„Where is the drummer?“ Mit einer Suchmeldung und leichtem Zeitverzug wurde um 14 Uhr 40 vor dreißig Augenpaaren die 14. Runde der Dutch Doom Days eingeläutet. Für Peanut und mich kam´s nach From Dusk Till Doom 2013 heute zu einem Wiedersehen mit CRIMSON SWAN. Nach Huy hatten sich die Dinge weiterentwickelt und Crimson Swan ihr erstes Langeisen herausgebracht: 'Unlit'. Heute hatte der von Schicksal, Verlust und Trauer durchzogene Death Doom aus Germania eine noch dunklere Aura als zuvor, und siedelte nah am Funeral Doom. Die Quinte strotzte vor Selbstvertrauen. Selbst ein lautes Funktelefon in der Hose des Sängers brachte sie nicht ins Straucheln. Ausgerechnet vor „These Days of Distress“: welch ein Sinnbild... Crimson klangen wie eine gediegene Version von Officium Triste. Final stellten die Saitenmänner ihre Instrumente auf den Boden und stützten sich wie auf Waffen auf ihnen ab. Zum Schluß hielt nur der Pianist die Stellung. Nicht nur wegen dieser Geste verschlug es der Meute gleich zum Auftakt den Atem. Für viele gingen die Deutschen als Sieger des Festivals hervor! Auch für Pim. Doch der Ruhm schien schnell verblasst. Denn nach dem Auftritt verlor sich niemand am Stand. Einzig Gräfin P. erwarb aus Mitleid einen Silberling. Worauf der Frontmann ihr mehrmals die Schulter tätschelte und sich bedankte. Doch alles um den „Purpurnen Schwan“ herum verkam zu defätistischem Geplänkel. Denn...
... sie kamen in einem total zerbeulten, fast schrottreifen Kleintransporter - und brachten den wahnsinnigsten Doom mit. Kurz vor vier huschten vier Kapuzengestalten mit Vollbart ins Baroeg, stellten eigene „Green“-Lautsprecher auf die gering ausgeleuchtete Bühne, tauchten sie in Rot, und zertrümmerten Raum und Zeit mit einem ohrenbetäubendem Blackened Sludge zwischen Black Shape of Nexus und Conan. CULT OF OCCULT entfachten den lautesten Sound in der Historie der Dutch Doom Days. Es war das erstemal, daß ich im Baroeg Ohrstöpsel brauchte. Aber das Wichtigste: Die Rotte aus Lyon goß für mich Benzin ins Feuer. Sie trug die radikalsten und menschenverachtendsten Gedanken in sich. Auf dem Langeisen 'Hic Est Domus Diaboli' flehen die Franzosen Satan und den Baphomet an. Man hat keine Lust aufs Leben, bekennt sich zum Alkohol, sinniert über die Endlösung, und fordert zum Selbstmord auf. Und dann diese Performanz: Während sich vorn drei Vermummte mantraartig bogen (teils im Staub), stieß der Schlagzeuger auf dem hohem Absatz fast mit der Kapuze und den Stöcken an die Decke. Jedes Teil begann mit einem Riff, welches dann konsequent bis zum Ende durchgezogen wurde. Während brachiale Gitarren, maschinenhafte Bässe und abgründiges Gepolter eine regelrechte Apokalypse entfachten, schrie sich der Vokalist wie am Spieß Haß und Verachtung aus dem Leib. Dieses zugleich knüppelharte und äußerst subtile, beklemmende Bild sollte in seiner Faszination unerreicht bleiben. Die alptraumhaften Visionen wirkten selbst am Ende keine Sekunde abgenutzt. Es war der Vokalist, der es mit einem Alleingang als Letzter im ohrenbetäubenden Pfeifen der Rückkopplungen auf dem Geviert aushielt. Da könnte etwas Großes auf die Doomwelt zukommen... Auf Schleichfahrt ins Jenseits! Hail Misanthropia! Hail Cult of Occult!
Schnell, frech und frei lautete die Devise der Nächsten. Denn DEAD END waren weder Death Doom, geschweige denn Doom. Vielmehr setzte die Quinte aus Brabant die lange Tradition der Niederlande im Death Metal fort, und reihte sich (fast) in eine Linie mit Genrevorbildern wie Asphyx, Pestilence oder Sinister ein. Damit waren sie längst nicht so bedrohlich wie die Vorgänger, aber durch und durch glaubwürdig. Mit ihren stilisierten Kreuzen auf den schlichten schwarzen Hemden wirkten die fünf wie ein uniformes Todeskommando, daß von den Langhaarigen hinterm Mikro und dem Schlagzeug unaufhörlich headbangend angeführt wurde - während man den massigen Kahlköpfen besser aus dem Wege ging. Gewisse Gestalten äfften den mitunter etwas plakativen Groove nach, und mancher fühlte sich vielleicht auch auf der falschen Veranstaltung. Dead End machten sich unterdessen überhaupt keine Platte und donnerten mit viel Rums und heiseren Growls (auch mehrstimmig) über alle Beschämungen einfach drüberweg. Sie kredenzten ihr Langeisen 'Forever Is Not Eternal' fast in voller Länge, nur in neuer Reihenfolge, und waren so was wie die Brandbeschleuniger von Rotterdam.
Die Vierten hatten sich weit von der Wirklichkeit entfernt. Zuerst wurde eine nuttige Prinzessin im kleinen Schwarzen, mit Stöckeln, Nylons und Handtäschchen erblickt, die wie von einer Shoppingtour kam - um sich im Baroeg ein blutrotes Kleid überzuwerfen. Darauf wurden Aufsteller mit Pentagrammen auf die Kanzel gehievt und Kugeln ausgelegt, die den Raum mit Weihrauch erfüllten. Auf der Bühne lagen haufenweise Totenköpfe, aus dem Boden zischten Nebelfontänen. In der Mitte stand ein trichterförmiges Yard-Glas mit einer dicken roten Flüssigkeit, die sich der Vokalist einflößte. Das Teuflische steckte tief in der Kugel... Und während sich das Abendrot über die Stadt legte, wurde die erwähnte Dame von einem Herrn aufs Podium geführt, wo sie ihre einzige Rolle spielte: Mit zwei pendelnden Totenköpfen in den Händen das Geviert zu weihen (danach verschwand sie in der Garderobe). Schlag 18 Uhr 13 begann das Spektakel mit luziferischen Offstimmen. Fünf Herren mit Priesterhemd und den Decknamen Criz James, Ron Cotar, Roel, J. sowie Edward Jacobs brachten sich in Stellung. Nun war die Bühne heillos überladen und hart am Klamauk. Aber als der Zirkel aus Belgien das Tor zur Hölle öffnete, war alles plötzlich sehr stimmig. INSANITY REIGNS SUPREME erquickten nicht nur das Auge, sondern ängstigten mit abgrundtiefem Black Doom. Pfeilschnell und mit ungeheurer Wucht bahnten sich die Klänge ihren Weg. Dazu schrie und grunzte der Vokalist wie in einem ganz üblen Exorzismus. Anders ausgedrückt: Durch den kahlköpfigen Koloss hinterm Mikro sprach die Stimme Satans zu uns. Von Zeit zu Zeit wurden die Männer von einer maskierten, dunkelerotisch singenden Frau besucht. Im Hintergrund erklangen himmlische Choräle. Insanity lieferten nicht nur die mit Abstand größte und aufwendigste Schau. Nein, im Baroeg ging heute der Lichtbringer um (nur die Prinzessin schmoll, weil sie an der Bar ignoriert wurde)...
Nach der Hölle aus Belgien kamen ORTEGA mit einer vergleichsweise spartanischen Ausstattung, aber umso mehr Enthusiasmus. Speziell der Schlagzeuger sprühte vor Energie. Und zwei Stücke lang glaubte man an das Erwachen einer neuen Sludge-Hoffnung. Mit ihren harschen Instrumenten, den heiser herausgeschrienen Wortfetzen und dem dunkel treibender Grundmelodie zelebrierten Richard, Alex, Frank und Sven den bislang besten Doom. Der Titel „Crows“ kratzte nicht nur an der Zwanzig-Minuten-Grenze, sondern hatte auch ein phänomenales Riff mit Ohrwurm-Charakter geradezu. Meine Adjutantin war völlig aus dem Häuschen - bis die Geschichte eine Wendung nahm und sich ein Bekenntnis zu flächigem Postmetal erlaubte (der auch nicht übel war. Die zweite Hälfte, in der die Ozean-Doomer aus Nordholland mit einsamer Weite und dem Gefühl von Verlorenheit spielten, machte die Darbietung auf ihre Art bei den Doomtagen einzigartig, und in meinen Augen auch großartig. Doch die Stimmung im Publikum kippte etwas.
Auf BELL WITCH aus Seattle war ich gespannt wie ein Flitzebogen. Ich hoffte auf ein ähnliches Erlebnis wie mit dem philosophisch-endzeitlichen Duo Ommadon aus Schottland. Die Amis hatten das meiste Merchandise aufgefahren. Ein geschmackvolles Textil reihte sich ans nächste. Vieles war mit edlem Gold verziert, und 'Longing' der Titel des Albums von 2012. Der seitlich zum Publikum sitzende, wie ein spiritueller Mönch anmutende Trommler Jesse Shreibman, sowie Dylan Desmond, ein Latino mit Lockenmähne und Bassgitarre über den Schultern, sollten die Glocken läuten. Den Gesang übernahmen beide im Wechsel. Was optisch etwas schräg, fast wie eine Selbstheilung wirkte, kam klanglich sehr natürlich daher. Bell Witch setzten auf einen meditativ-ätherischen Grundton und emotionale Tiefe, kleine Macken und Momente des Leerlaufs eingeschlossen. Die Selbsteinschätzung „Funeral Doom“ traf indes nicht zu. Dafür fehlte es zu zweit schlichtweg an Wucht. Auch wenn etwas verloren, blieben Bell Witch in guter Erinnerung.
Achtung, Götter! Zusammen mit den finnischen Landsleuten Thergothon und Skepticism stellten die 1995 gegründeten SHAPE OF DESPAIR die Triade des Funeral Doom. Nicht nur im Nordland - auf der ganzen Welt. Doch zur Jahrtausendwende wurde es still um die Gruppe. Nun kehrten die Finnen zurück und brachten mit 'Monotony Fields' ein neues Album raus. Chef Pim war unglaublich stolz, die von den Toten Auferstandenen für eine Nacht im Baroeg rekrutiert zu haben. Es sei sehr schwer gewesen... Doch nach wenigen Takten war klar, daß Shape of Despair nicht das Ding von Peanut und mir ist. Die Finnen wirkten wie zum Leben erweckte Tote ohne Seele. Ihre Lieder tönten wie im schaurig-schönen Neunzigerstil - arg limitiert, und sie kannten nur wechselweise grabestiefes männliches Geröchel und die kräftige Stimme der Walküre aus dem Nordland. Trotz doomig langer Haare wirkten die Sechssaiter und Gruppengründer Salomaa und Ullgren, das weiblich-männliche Gesangsduo Koskinen/Koivula, Bassist Uusitalo, sowie Trommler Ruotsalainen wie fünf leer und nutzlos agierende Männer, über denen eine dominante Dame schwebte. Kalt und leblos plätscherte es so dahin. Wären wir für ein Schäfertstündlein verschwunden - wir hätten bei der Rückkehr nichts verpaßt. Nach einer Stunde Shape of Despair war es Zeit zu gehen.
 
Trotz daß der Hölle am Ende das Feuer ausging: Es war ein phantastischer erster Tag!
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
CRIMSON SWAN
(14.42-15.23)
1. unbekannt
2. unbekannt
3. When Angels Fall
4. These Days of Distress
5. Voidhaven
 
CULT OF OCCULT
(15.52-16.35)
unbekannt
 
DEAD END
(17.05-17.48)
Dreamers Lament
1. Forever
2. Marked
3. Angelthing
4. Revelations
5. This Heresy
6. Bleeding
7. Journey to Midian
8. Haze of Lies
 
INSANITY REIGNS SUPREME
(18.13-18.54)
Intro Funeral visigodo I
1. Torment
Intro Summonng the ancients
2. Throne of One
Intro Moonlight sacrifice
3. By the Blood of the Beast
Intro The conjuring
4. Ov Fire
Intro The calling
5. Opposer
Intro The cult
6. Dark from the Soul
Intro The revelation
7. Worship
Outro Funeral visigodo III
 
ORTEGA
(19.22-20.07)
unbekannt
 
BELL WITCH
(20.35-21.22 / ohne Gewähr)
1. unbekannt
2. Suffocation, a Burial: I - Awoken (Breathing Teeth)
3. unbekannt
 
SHAPE OF DESPAIR
(22.05-23.20[?] / Abfolge ohne Gewähr)
1. Curse Life
2. Woundheir
3. Angels of Distress
4. Withdrawn
5. Monotony Fields
6. Sylvan-Night
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((((((Heiliger Vitus)))))), 9. November 2015