DUTCH DOOM DAYS VI
 
PAGAN ALTAR, ESOTERIC, SERPENTCULT, INDESINENCE, MALASANGRE, HELEVORN, AKELEI
NL-Rotterdam, Baroeg - 4. November 2007
Sonntag, 4. November (2. Tag)
 
Nach Frühstück, Hygiene und Warm-up an der Hotelbar, galt es, sich schon wieder auf den Weg mit der Straßenbahn nach Lombardijen zu machen... Anscheinend war den Kameraden aus dem Tiefland der Rausch der letzten Nacht etwas auf den Magen oder die Lungen geschlagen: die Hälfte blieb dem zweiten Teil fern. Achtzig waren angerückt, darunter eine Horde Feyenoord-Anhänger, die den Heimsieg ihrer Mannschaft über De Graafschap auf dem Doomtag besiegelte.
Die aus Breda stammenden Gefühlsanarchisten AKELEI eröffneten nachmittags um drei den Tag. Akelei, Hakelei, Hakenkrakelei... Puristischer dunkler Doom mit einem Hauch Prog war genau der richtige Stoff, Angekratzte oder Tote wieder zum Leben zu erwecken. Unterlegt von Hendriks, Pascals, Pepijns und Wards nah am Stillstand tönenden Instrumenten, schleppte sich das smarte Timbre Mishas durch vier Lieder voller emotionaler Tiefe. Rotterdam war der erste Auftritt von Akelei überhaupt, und es war schon sehr berührend, wie die Akteure ihren Blick immer wieder voller Scheu verstohlen zu Boden richteten. Während Peanut die Jungen von Brabant am Bühnenrand genoß, sah ich die Darbietung im Schatten der Bar neben den Eltern des Trommlers. Ward war es dann auch, der mir mit zittriger Hand die gespielten Titel aufschrieb. „Sprich doch Deutsch mit ihm“, ermutigte ihn die Mutter. Doch das hat Ward sich nicht getraut. Misha hattes alles in der niederländischen Muttersprache gesungen. - - Im Anschluß kreuzten sich meine Wege mit zwei extremen Herren, denen ich heute noch öfter begegnen sollte: dem von Bunkur verstoßenen Ex-Fronter K03 (samt seiner Flamme, Ex-Bunkur-Keyboarderin F21); sowie mit Imindains Chefsuizidologen Bullock (dessen Haut kalt wie der Tod war).
Aus dem sonnenbestrahlten Palma de Mallorca war eine sechsköpfige Hydra namens HELEVORN herangerückt. Helevorn machten so eine Art Dark Doom Rock. Nachdem ein glockenhelles Elfen-Intro eine schöne heile Welt versprochen hatte, konglomerierten in der Folge böse Grunzlaute mit feurig stampfenden Apparillos zu einem dunklen Mordor. Orgelklänge zogen sich durch diese Welt aus Finsternis und sorgten für einen ewiglichen, morbiden Unterton. Helevorn waren die Sisters of Mercy des Doom. Nicht übel. Und trotzdem war es die erste (und einzige) Gruppe des Festivals, die nicht so recht funkte. „Thank you very much!“ Der Abschied war so unspektakulär wie der gesamte Auftritt der Spanier.
Völlig anders die Situation ab 17 Uhr. Unser Extremdoomkumpel KH-13 hatte mich auf Italienes MALASANGRE überhaupt erst aufmerksam gemacht. Starker Tobak in der Ästhetik von Bunkur sei zu erwarten, hatte er gemeint - um dann selbst zu fehlen. Nun, ein Teil von Bunkur lebt in der Legion Malasangre tatsächlich fort. Wurde doch der wegen seiner hochschwangeren Frau in Mailand gebliebene Vokalist JN-18 durch den von Bunkur verstoßenen Niederländer K03 ersetzt. (Klingt anstrengend, und die Aktion war auch derart ungeplant, daß K03 die wenigen zu singenden Zeilen von einem am Mikro baumelnden Spickzettel ablesen mußte.) Ferner rekrutierten sich Malasangre heute aus den Gitarristen VP-33 und TK-7.8, sowie NC-9.5 und dem mit Kapuze und Sonnenbrille vermummten FH-37 an Bass und Schlagzeug. Das Baroeg erlebte nur eine Nummer - einen 35minütigen, nicht veröffentlichten Blowjob aus psychotischem Gekeife und hypnotisierend halluzinierenden Gitarren mit dem schönen Namen „Na Ma“. Einen obskur-fiebrigen Geistesfick im Dunst von Burzum, Bunkur und Sleep. Nenn´ es Sludge Doom, Funeral Doom oder Primitive Nekro Doom - egal: Malasangre waren ein Drama in absoluter Zeitlupe, ein mantrisches Ungeheuer aus Tod und Wiedergeburt, daß mich (MG 42) vollständig daniederbrannte. Zwei provokant erotisch gekluftete Gothic-666-Luder am Stand der Malasangre besorgten mir den Rest.
Mit ihrem unglaublich frischen und druckvollen Death Doom hatten INDESINENCE in der „Belgian Doom Night II“ alles in Einzelteile zerlegt. Und ich war spitz wie eine Reißzwecke, den Trupp aus London wiederzusehen. Drei Jahre sind vergangen. Viel Wasser ist seither die Leie, die Themse und die Maas hinabgeströmt... Indesinence waren kaum noch wiederzuerkennen. Nicht daß die anno 2007 aus Morbid Tales, Acts of the Unspeakable, Left Hand Path und Bestial Devastation bestehende Gruppe eine andere wäre. Nein, nein! Die Mitglieder sind dieselben. Nur haben sie einige Gänge rausgenommen. Ilia, John, Chris und Daniel kamen betont doomig und tödlich röchelnd daher. So wie Bolt Thrower in Zeitlupe. Nur selten noch - meistens am Ende - erfolgte eine plötzliche Kehrtwende. Doch dann wurde geknüppelt und gegrindet bis die Fetzen flogen. So wie in „Neptunian“. Schade, daß allzu dicker Nebel einiges aus der kristallenen Klarheit nahm, die Indesinence dereinst auszeichnete. Der November ´07 bestand aus viel Rauch um Nichts.
„Aber bangen tun sie gut!“ Mit Peanuts Worten sind die Stärken der belgischen Heavy Doomer SERPENTCULT auf den Punkt gebracht. Tieffrequent peitschende Gitarren kreuzten sich mit dem alles übertönenden Organ der Terrorhexe Michelle - das heute leider sehr hysterisch wirkte. Mehr möchte ich über die Fragmente der einzigartigen Vorgänger Thee Plague of Gentlemen nicht sagen. Ganz einfach weil Fred und Steven zur alten Garde im Doom zählen. Mademoiselle Nocon wiederum ist das am wahnsinnigsten headbangende Weib im Metal überhaupt. Und mit ihren Kundgebungen auf Niederländisch und der Schwäche für „Nice asses“ hatte sie die Herzen der Einheimischen ohnehin im Sturm genommen! - - Nach Serpentcult mußte ich raus. Imindains Todestrommler Tibble sprach mich in der Dunkelheit von Rotterdam wegen dem Endstille-Hemd an, das ich trug...
Drei Gitarren, Bass, Keyboard, Trommel und Ideologie: Chandler, Bicknell, Clayton, Bodossian, Goyet und Fletcher - alle zusammen ESOTERIC - hatten gewohnt großes Geklapper aufgefahren. Kabel, Stecker und experimentelle Effektelektronik lieferten sich im Bühnenstaub ein enges Scharmützel. Obendrein steckte sich der Vokalist auch noch ein hallverfremdendes Teil in den Schlund... Die Funeral-Legende aus Birmingham war als letzte Formation auf den Doomsday-Zug augesprungen. Mit teils noch unveröffentlichtem Material. In gewohnt häßlicher, menschenverachtender Ästhetik. Kranke Schreie stachen in eine undurchdringbare Wand aus fliegenden Stahltrossen und abgründig rumpelnden Trommeln. Ein schauriges und faszinierendes Gewerk, ein Strudel aus Haß, der einen schwer mitreißen kann - solange die Technik mitmacht. Rotterdoom hatte es nicht gut gemeint mit der Technik der Esoterischen. Zu oft ging Gregs Keifen und Grunzen verloren, zu lethargisch wirkten seine Mitstreiter. Und die ihnen am Ende noch zustehenden vier Minuten konnten Esoteric nur ein spöttisches Grinsen abringen. Die englischen Kameraden von Imindain schienen sehr beeindruckt - ich selbst war heute eher ein Dissident.
Viele der vierzig Verbliebenen waren noch nicht geboren, als die von Stonehenge inspierierten PAGAN ALTAR entstanden. Terry und Alan Jones hatten die Band im gleichen Licht mit Witchfinder General 1978 in London gegründet. Doch ganz gleich, welcher Zeit die Gruppe entstammt und wie immer sie heißt: Beim Hauptakt dreht das Publikum durch. Heute fiel der leicht zu erbeutende Ruhm dem reaktivierten, Kaugummi schmatzenden Terry Jones. dessen Sohn Alan, dem zweiten Gitarristen Rich Walker von Solstice, sowie zwei weiteren von den Toten Auferstanden in den Schoß. Von halb zehn an - ab der Heidenhymne „Pagan Altar“ über den Proto-Doomer „Judgement of the Dead“ bis zur zweiten Zugabe vor der Mitternachtsstunde - dem neuen Geniestreich „March of the Dead“ -, regierte ein Ächzen und Krächzen das Baroeg, daß sich gewaschen hatte. Sir Lord Jones´ kauzige Stimme, die manchmal an Bon Scott erinnerte, hatte nichts von ihrer schaurigen, beschwörenden Magie eingebüßt; sein kongenialer Sohn Alan suhlte sich in der Fender wie das nur ein alter Tempelritter vermag; und ihre Gefährten mit Stirnband und langen Haaren fügten sich wie in einem Guß in die mystisch-theatralisch heruntergedrosselte Welt der New Wave of British Heavy Metal ein. Dabei konnten sich einem schon mal die Haare aufstellen. Die Ahnen aus Englands Underground und Vorfahren des Doom Metal schufen ein phantastisches Finale der Doomtage 2007 in Rotterdam.
 
Im Nachhall mußte ich mir bei Doom vom Tonband endgültig die Wirbel ramponieren. Denn zu Reverend Bizarres „Doom Over The World“ haben zwei Dutzend Überlebende rauschhaft gejohlt und getanzt. Doch wie wäre es gewesen, käme „Doom Over The World“ von einer Gruppe aus Deutschland...? Wir lernten die Niederländer als lebensfrohes, offenes Volk kennen. Aber sobald sie erkannten, daß man Deutscher ist, wurde die Sache schon komplizierter... Zwielichtig auch Imindains Todesgott Bullock, der mich zu einem gemeinsamen Exitus bewegen wollte... Aber ich fand mit meinem Mädel den Weg hinaus ins Freie... Nach den schlechten Erfahrungen des Vortags hatten wir beim Abzug schon eine gewisse Routine entwickelt und gleich nach Verlassen des Baroeg ein Taxi gekapert. Vier Mitbesucher teilten sich die Karre und den Preis mit uns. Während die Unbekannten vor einem häßlichen Gewerbegebiet am Arsch von Südostrotterdoom ausstiegen, waren wir noch fein raus mit unserer Logis am Ufer der Maas. Halb eins krabbelten wir in die Kojen vom „Zeemanshuis“.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
AKELEI
(15.04-15.34)
1. Akelei
2. Voorjaarsontwaken
3. Pijnschrift
4. Herfstendeweduunaar
 
HELEVORN
(16.00-16.35)
Intro
1. Revelations
2. Ungravity
3. Two Voices
4. Nobody is Waiting
5. Sequences
 
MALASANGRE
(17.00-17.35)
1. Na Ma
 
INDESINENCE
(17.55-18.37)
Unbekannt
 
SERPENTCULT
(18.55-19.31)
1. Hammer of Hell
2. Unbekannt
3. The Harvest
4. Red Dawn
5. Screams from the Deep
 
ESOTERIC
(20.00-20.55)
1. Order
2. The Blood of the Eyes
3. Circle
4. Caucus of Mind
 
PAGAN ALTAR
(21.28-22.50)
1. Pagan Altar
2. Demons of the Night
3. Lords of Hypocrisy
4. The Sentinels of Hate
5. Armadeus
6. Judgement of the Dead
7. The Cry of the Banshee
8. Dance of the Druids
9. The Black Mass
10. In the Wake of Armageddon
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11. The Witches´ Pathway
12. March of the Dead
Baroeg Brandgrenze Mai 1940
Die verwüstete Stadt
Epilog
 
Montag, 5. November
 
Nach Abschied von den drei Utrechtern - die auch im nächsten Jahr bei den Doom Days sein werden - sowie einem letzten Katerkiller beim Johnny an der Maritimebar hab´ ich mit meinem Mädel noch eine Runde durch die Stadt gedreht. Wir schlenderten über den „Walk of Fame“, waren bei den kopfüber auf Pfählen stehenden Kubushäusern und im Oude Haven, haben in Europas erstem Wolkenkratzer, dem „Witte Huis“ von 1898, drei Doomelsch vernichtet, und wir haben die Skulptur zum Zweiten Weltkrieg „Die zerstörte Stadt“ betrachtet. Am Nachmittag stand der Rückweg nach Deutschland bevor.
 
Ein donnerndes Fuck you an
Die Damen und Herren der Deutsche Bahn AG, die es schafften, mit je 50 Minuten Verspätung auf der Hin- und Rückfahrt die Grenze zur Ausstellung von Gutscheinen (60 Minuten) knapp zu unterbieten.
 
Gruß & Kuß
Pim, Felix & die Crew vom Baroeg
Alle anwesenden Gruppen
 
 
Totaler Doom durch den Blanken Hans
 
Fünf Tage nach den Doom Days vermeldeten die Behörden eine Sturmflut in der Nordsee - die schwerste seit Jahrzehnten. Erstmals wurde das riesige Maasland-Flutwehr geschlossen, daß die Stadt vor der Nordsee schützen soll. Damit war auch der Hafen von Rotterdam lahmgelegt. Ferner vermeldeten Imindain eine Heimfahrt nach England in sehr rauher See......
 
 
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((((((Heiliger Vitus)))))), 10. November 2007