DOOM SHALL RISE
 
THUNDERSTORM, SEMLAH, MIRROR OF DECEPTION, FORSAKEN, DREAMING, DOOMSHINE
D-Crailsheim, Turnhalle Triensbach - 7. Februar 2003
Prolog
 
Doom Metal. In meiner Jugend Ende der Siebzigerjahre hatte mit Saint Vitus alles begonnen. Zwei Dekaden später kam es zur bislang größten Zusammenkunft der Bewegung. „DOOM SHALL RISE“ lautete das Motto des ersten Festivals, das am 7. und 8. Februar 2003 in Crailsheim im Schwäbisch-Fränkischen Hohenloher Land stattfand, und zum magischsten Doom-Ereignis der Geschichte werden sollte. Die Idee stammte von Jochen Fopp und Frank Hellweg, die in einer Konzertnacht ihrer Gruppen Mirror of Deception und Well of Souls zusammen mit Italiens Thunderstorm über das „Doom in Bloom“-Festival sinnierten. Weil die Macher im badischen Bietigheim ihr Fest nicht fortführten, schrieben Fopp und Hellweg zusammen mit Klubbetreiber Roman Astalosch die Geschichte einfach selber weiter. Schauplatz für das neue Ritual sollte Astaloschs Rockkneipe „Eiche“ sein, in der die Idee entstand. Am 28. Juli 2002 waren die 16 teilnehmenden Gruppen benannt. Alle spielten ohne Gage. Die Finanzierung wurde nur durch die Karten- (zwei Tage 20 Euro) und Shirt-Umsätze gestemmt. Am 15. Oktober begannen im Netz die Karten-Vorbestellungen. Ich selbst war als Flugblattverteiler eingebunden. Fopp hatte mir 500 geschickt - und etwas den Ansturm der Fans unterschätzt. Statt den erwarteten zweihundert wollten überraschend mehr als dreihundert kommen - zu viele für die Eiche, die obendrein keinen separaten Veranstaltungsraum hatte. Eine Warteliste wurde angelegt. Wer sich bis Jahresende eintrug, war einer von weiteren einhundert Erlauchten. Final zählten 350 Besucher und 92 Akteure und Helfer zum elitären Kreis. Den Organisatoren bot sich Mitte Januar eine alte Turnhalle an. So wurde der kleine Ort Triensbach im Winter 2003 zu einem historischen Schauplatz.
 
Doomerstag, 6. Februar
 
Als ich am Morgen des sechsten Februar erwachte, ahnte ich nicht, daß sich in den nächsten Stunden und Tagen mein Leben unwiderruflich verändern wird. Schon bei der Anreise lag eine ganz besondere Atmosphäre und Magie in der Luft. Von der Wolkenkratzerstadt Frankfurt waren wir, Peanut und Vitus, einen Tag vorm großen Ereignis mit dem Zug nach Süden aufgebrochen - und landeten in einer märchenhaften Welt aus glitzerndem Weiß und gedämpften Geräuschen. In der zweiten Nachmittagsstunde waren wir im Tempo eines zuckelnden Pferdes nach Crailsheim durchgedrungen. Flockenwirbel schuf eine Szenerie wie sie doomiger nicht sein konnte, einen Traum in Weiß. Sämtliche Unterbringungen waren seit langer Zeit restlos überfüllt. Die aus allen vier Himmelsrichtungen einfallenden Doomer sorgten dafür. Wir selbst hatten ein warmes Bett im verschneiten Gasthof Engel-Keller ausgeguckt. Bei der Ankunft ahnten wir noch nicht, was uns hier in den kommenden vier Tagen alles erwarten wird. Im vorgelagerten Kastaniengarten standen schon drei andere Langhaarige. Als wir dazustießen, öffnete der Wirt die gute Stube und einer rief erfreut: „Ich rieche Bier!“ Vom verrauchten Holzgebälk prangten Inschriften wie „Bier mäßig genossen, schadet auch in größeren Mengen nicht“, die Gästezimmer hatten Fernseher, und der Hof den Zugang zur Brauerei. Engel braute sogar sein eigenes Bier... Ein Glücksgriff. Am Abend lud die Stadt zu einem Bummel. Wir blickten in Kneipen voller Zecher, nur die gesuchte „Eiche“ kannte niemand. Dafür rief an einer roten Ampel jemand aus einem Auto heraus meinen Namen. Üppige Figur, Nickelbrille, Bart und blonde Haare bis zum Ende der Welt: Doom-Shall-Rise-Schöpfer Jochen Fopp mit Suza am Steuer. Ich ließ die beiden wissen wo wir logierten, und eine Stunde später - wir verloren uns gerade an der Engelbar - öffnete sich die Tür und eine unbekannte Stimme verkündete: „Wir sind´s schon wieder.“ Das war der unnahbare, sinistre Herr Astalosch mit dem herzlich-melancholischen Jochen Fopp und dem jungen Merchandiser Jo Rath im Gefolge. Nun waren wir im inneren Kreis des Doom! Im Feuerschein des Kaminofens haben wir mit den Göttern und mächtig Kribbeln im Bauch getafelt, getrunken und spannende Geschichten erzählt. Alles schien möglich. Zu vorgerückter Stunde mußten die Männer noch nach Triensbach fahren, um die im Dornröschenschlaf liegende Halle in einen Konzertzustand zu versetzen. Ich war kaputt von diesem aufwühlenden Tag. Er endete sturzbetrunken im Engelkeller...
Freitag, 7. Februar (1. Tag)
 
Die Nacht war gut verdaut, die Sonne kam nach Crailsheim. Eine Holztreppe tiefer verwöhnten uns die Wirtsleute mit einem üppigen Frühstück. Jedes Gefühl, daß vom Doom Shall Rise ausgehen sollte, floß auf magische Weise auch ins Essen ein. Licht schien in die Gaststube, die Engel in den Seideln funkelten, und aus dem Frühstück wurde eine ausladende Orgie. Nach zweistündiger Stärkung machten wir uns zu Fuß auf den Weg am Bach Jagst und übers schneeglitzernde Hohenloher Land in die Stadt. Nachmittags trudelte die Münsterländer Clique um Reverend Odd im Engelkeller ein. Dann tauchte ein Mann aus dem Jerichower Land auf: kahlgeschorener Kopf, Stoppelbart, klein, aber stählerne Muskeln, ein warmes Herz und ein wandelndes Doomlexikon: Kalle. Wir wurden schnell dicke Freunde. Zusammen mit Kalle reiste ein junger Grunge-Fan namens Jo an. Um sieben herum machten wir uns mit dem Linienbus auf den Weg. Darin saßen zwei aus Mannheim, die ihr Quartier mit Semlah teilten. Demnach soll der Sänger schon am frühen Morgen an der Hotelbar etwas tief ins Glas geblickt haben. Niemand wußte was vom eingemeindeten Triensbach, und ein großes Helles hieß hier „a Halberle“... Um sieben war die ältliche Halle auf einer Anhöhe in der Wildnis erreicht. Die Türen standen seit einer Stunde offen und damit war schwer was los davor und darin. Draußen standen Gruppen Menschen zum Gespräch vereint, und im Saal dann auch Langhaarige in unabsehbarer Zahl. Dazu Händlertische von „Rock Bottom Ulm“ (Anziehsachen) und „Psychedoomelic“ aus Österreich (Tonträger). Ruckzuck war Herr Hegedüs um sechs Tonträger ärmer. Und so schnell wurde der mich auch nicht los. Letztlich entführte ich ein Dutzend Raritäten. Alles Doom. Was sonst? Und ´nen neuen Antischick bekam ich auch: vier Nickis aus den Händen der blonden Holländerin von Rock Bottom. Zum Lohn bekamen wir Sitzplätze auf Chantals Tisch. Nach Jochen erblickte ich mit Frank Hellweg den nächsten Musiker und zugleich dritten Strippenzieher des Doom Shall Rise. Auch er ein angenehm normaler Mensch. Und dann war es plötzlich soweit. Halb acht hallten die ersten Klänge durch die Halle... der historische Augenblick... Götterdämmerung!
DOOMSHINE hatten die Bürde und Ehre der Ersten. Doomshine ließen von 19.35 bis 20.20 Uhr die Zeit still stehen. Vier Jungen ringsum Ludwigsburg, die sich ewig kennen, aber erst neulich zusammen fanden: Holz, Podgurski, Fisch und Schlaps. Mit Epic Doom ging es auf die Startrampe, das mächtige „Where Nothing Hurts But Solitude“ schlug das Buch der Träume auf. Tim besang den Ort, an dem nichts mehr schmerzt, nur die Einsamkeit, und messerscharfe Gitarren gaben seinem sinfonischen Organ Rückendeckung. Dem metallischen Auftakt im Geiste von Solitude Aeturnus folgte der Doomrocker „Creation“. „Venus Day“ schloß sich schwerelos dahingleitend an. Doomshine doomten virtuos und verdammt heavy, einzig die Technik spielte zur frühen Stunde nicht mit. Dem Klang fehlte die Power, Gitarren und Gesang wurden vom Schlagzeug zerdrückt. Ich traf einen völlig entspannten Mirror-of-Deception-Fronter Siffi. Der schwäbelte es auf den Punkt: „Des isch Kinderzimmerlaudschdärge.“ Aller Anfang ist eben schwer. Aber einen Triumph konnte Doomshine niemand nehmen: Sie hatten mit Holz den Mann mit den absolut längsten Haaren in ihren Reihen. Sein arschlanger Rotschopf ließ nicht den leisesten Zweifel an Doomshines Liebe zum Doom. „Trouble Fire“ hob das Tempo an, und mit dem bissigen „Valiant Child of War“ ging es zurück in die stillen, aber tiefen Wasser der Melancholie. Das schräge „Sleep with the Devil“ trug Zeug aus alten Tagen in die Meute und die Hymne „Shine on Sad Angel“ rundete den Reigen erhaben ab. Die Mystikmaschine aus Süddeutschland fand großen Gefallen unter den 400 Doomstern. Noch gibt es keinen Tonträger. Ich bin gespannt, was das Debüt bringt! Shine on Sad Angel, shine on! - - Am Ende stieß ich wieder auf Siffi. Aus Verlegenheit fehlten mir nun die Worte.
DREAMING ließen von 20.40 bis 21.25 die Zeit still stehen. Ursprünglich sollten an dieser Stelle Subversion erscheinen, doch die hatten mit Dreaming getauscht. Dreaming zählen zu den Aposteln im deutschen Doom. Ihre Heimat Zschopau liegt im isolierten, dunklen Erzgebirge. Was auch immer die Troika um Sandro Uhlmann, Thomas Schulz und Thomas Becker anpackt: es strotz vor Charisma. Die Musik von Dreaming ist spartanisch, verdammt heftig, emotional und hat einen speziellen, leicht morbiden Beigeschmack. Manchmal schimmern auch Parallelen zu Saint Vitus durch. Aber Dreaming haben ihren eigenen Kopf. Sie haben zwei gute Vokalisten in den Reihen. Etatmäßiger Frontmann ist der agile Uhlmann, doch auch Schulz kauzt ins Mikro. Meine Landsmänner starteten mit einem dunklen Verzweiflungsschrei - der „Homage to an Empty Young Man“. Schwarze und weiße Strahler zauberten stimmungsvolle Effekte, und die Verstärker glühten nun endlich. Weiter ging es mit der Feuerwalze „Treadmill“ und der Neunummer „New Bernd“. Das Zusammenspiel funktionierte ganz prächtig. Pink Floyds psychedelische „Mother Mathilda“ hievte vorübergehend in alte Zeiten. Dazu kam das immer wieder eingestreute Markenzeichen: plötzliche urweltliche Schreie. Das sehnsüchtig-spirituelle „Hello“ schloß sich an, Thomas besang den „Way Home“, und schließlich folgte der Kniefall vor den Göttern durch Vitus´ „Shooting Gallery“. Noch eine Anhimmelung gefällig? Dreaming rissen „Born too late“ an, ließen aber dieses eine Riff so stehen, und gingen ins finstere „By a Hairs Breadth“ über. Die Jungen präsentierten noch den treibenden Doomrocker „Blurred Truth“ und Sandro verriet mir, daß im Sommer ein neues Langeisen erscheint. Dreamings Werke 'Smirten Prøben' und 'Tý Vølœý' waren lange unzertrennlich mit meiner Anlage verrostet. Heute sah ich die Helden erstmals in Aktion. Und sie waren noch großartiger als erhofft. - - Ich stürzte das erste Bier - süffiges „Franken-Bräu“ für zwei Euronen.
FORSAKEN ließen von 21.40 bis 22.30 die Zeit still stehen. Malta ist die Heimat und Forsaken gibt es seit 1991. Zu Beginn waren sie als Blind Alley noch in der wilden Welt des Prog daheim. Manches davon lebt bis heute in Forsaken fort. Mit „Kindred Veil“ ging es mit unbändiger Energie, übertrieben geradezu los. Erster Einpeitscher war dabei der kleine Vokalist. Als hyperventilierender Kobold mit schulterlangen Locken, heroischer Stimme und beschwörender Mimik stürzte Leo Stivala die Menge in einen Begeisterungstaumel. Keine der sechzehn Gruppen sollte die Verzückung von Forsaken finden. Einerseits waren die Leute denkbar gut drauf, andererseits kam der heilige Orden vom Mittelmeer überirdisch stark. Forsaken doomten „Martyr´s Prayer“ danieder, und sie durchlitten den Kreuzweg „Via Crucis“. Umwerfend auch die Saitenmänner. Voller Ungestüm verlor der bullige Bassist immer wieder das Gleichgewicht und mußte vom noch schwergewichtigeren Keyboarder aufgefangen werden. Jener wiederum schuf mit wuchtigem Georgel ewigliches Fluidum. Es war völlig durchgebrannt und die Kanzel viel zu klein für die fünf Freidrehenden so far away. Ihr Epic Doom Metal war dunkel, dramatisch und oft ungeheuer raserisch, und der wuchtige Klumpen „Carpe Diem“ sowie das kathedralenhohe „Where Angels Have Fallen“ besiegelten das Spektakel. Trotz strengen Vorgaben durften Stivala, Vukovic, Bell, Gatt und Ellul einen Bonus zelebrieren. Die Donnerballade „Wither the Hour“ war ausgewählt. Forsaken waren eine faustdicke Überraschung und die Sensation überhaupt. Anderntags sollte Foppi mir erzählen, daß Leo ihm nach der Schau überglücklich um den Hals gefallen sei. Noch nie standen die „Verlassenen“ von der Insel vor so vielen Menschen.
MIRROR OF DECEPTION ließen von 22.50 bis 23.40 die Zeit still stehen. Die Söhne der Stauffer mußten die von Forsaken aufgeputschte Gefolgschaft und herbe Verluste im Vorfeld verkraften. Erst hatte Sänger Baumi nach zehn Jahren Abschied genommen, dann verschlug der Dienst den Trommler wenige Wochen vorm großen Tag nach Amerika, und auch Bassist Kloidls Einsatz blieb lange ungewiß. Immerhin durfte er dabeisein. Klaglos steckten Foppi und Siffi all die Hiobsbotschaften weg. Ebenso die Bürde der Organisation. So sind nur die Großen. Zu denen zählen die Epic Doomer aus Esslingen seit 1990. Mirror sind Nachdenkliche. Sie schmieden eine feine, dezente Klinge, die mir sehr nah ist. In ihrer Welt leben die ganz tiefen Gefühle. Und die entladen sich in wundervollen Melodien. Monatelang hatte ich dieser Stunde entgegengefiebert - jetzt war es soweit! Schon Mirrors Erstes, der Doomrocker „Leaves“, schoß mir das Endorphin ins Hirn. Ungleich melancholischer kam da die zerbrochene Liebe „Veil of Lead“ daher, jene Pein düster und nebelverhangen wie ein Morgen im November. Mirror senkten die Gitarren zum Boden. Alles noch schwerer machte der erste Doomer auf Deutsch, „Weiss“. „Weiss“ war täuschende Schönheit, intoniert über würdige zehn Minuten - mit feuchten Augen am Ende. Kaum Erleichterung verschafften die bleierne Sinnsuche „Distant“ und das schwebende „Mirrorsoil“. Das zweite Lied in der Muttersprache folgte durch „Entgleiten“. Auch „Entgleiten“ ist reinster, in Metaphern verhüllter Weltschmerz: „Klammernd an verpesteter Luft, entgleite ich meiner selbst. Gedanken - Labyrinth der Sehnsucht, verschüttet meine Sinne.“ Foppi durchlebte den Auftritt äußerst emotional. Zwar lagen seine Augen unterm Schopf verhüllt, aber der kurze, das Haar aus dem Gesicht pustende Atem, ließ vermuten wie schwer ihm ums Herz war. Allein diese Optik war die totale Entwaffnung. Siffi regierte riffend und unmenschliche Laute erzeugend hinterm Mikro. Sein „Om“-artig brummender Kehlkopf läutete das schwermütig-schwelgerische „Asylum“ ein. Und Kloidl, der stoisch Mähnewirbelnde am Bass, bildete dazu den ruhenden Pol in der Spiegelwelt. Wacker ferner auch: der von Mandragora abgestellte Trommler Schreiner. Mit dem von weinenden Gitarren durchzogenen „Vanished“ schlossen die Württemberger den Laden der Verdammnis. Die letzten Worte lauteten: „You could just be away for a while. But you could as well be... dead.“ - - Bis zum Letzten ausgepumpt stiegen meine Freunde vom Podium. Ich war dem Weinen nah, so was Ergreifendes! Jochen kam zu uns - vöillig verschwitzt und erschöpft - um zu fragen, ob es uns gefallen hat. Peanut rang nach Worten, fand aber nur ein „sehr gut“. Ich selber konnte gar nichts sagen. Diese Seelen von Menschen...
SEMLAH ließen von 0.10 bis 0.50 Uhr die Zeit still stehen. Aus dem dunklen Nordland Schweden kommen Lichtfiguren wie Candlemass und Count Raven. Und auch Semlah. Leitwolf ist der frühere Bassist von Count Raven, Tommy „Wilbur“ Eriksson. Semlah entzogen sich jeder Kategorie. Mal kamen sie experimentell daher, mal progressiv, mal episch, mal episodisch, mal heavy, und manchmal alles zusammen. Unorthodox war die Semlahwelt, und ein Blätterteiggebäck diente zur Namensfindung. Vielleicht waren es ja auch Spacekekse, die den Sänger euphorisierten... (Eingeweihten nach war Nilsson dicht wie eine Haubitze.) Der Auftakt mit „Suffering in Silence“ und „Stale“ war durch Wilburs gefrickelten Bass beinahe Free Jazz. Doch Doomer wollen Doom! Die düster klagende Macht „The Realm Unknown“ rückte die Dinge gerade. Knattergeil kam darauf die stimmungsvolle Passage mit „Vortex of Regression“ und „Silent Sermons in The Plastic Church“ daher. Siffi quasselte mit mir und uns entging etwas von „Serenity´s Domain“. Egal. Wieder und wieder salutierte der kahlköpfige Joleni auf Deutsch ins Publikum. Und er sang räudig, kräftig und eindrucksvoll. Ebenfalls erste Sahne war Berg an den Trommeln. Und dieser Baß... dieser surrende Baß... Schließlich hatten Semlah durch den langmähnigen Recken Johnson auch noch einen Sechssaiter, der weiß, wie´s geht. Johnsons maschinengewehrartige Salven bei „Banished“ und „My Ruin“ sorgten im Finale noch mal für Aufsehen. Semlah waren esoterischer Stoff, Doom Metal wie reifer Wein. - - In der Halle mehrten sich die Gedoomten, die sich bis zur Bewußtlosigkeit zugeknallt hatten, und reglos zwischen zerbrochenen Bierflaschen und Flüssigkeiten am Boden stapelten.
Veni, vidi, vici: Wer die ersten sechs Stunden mit fünf Gruppen überstand, erlebte ein phänomenales Ende! Von 1.10 bis 2.25 Uhr ließen THUNDERSTORM die Zeit still stehen! Die Gruppe aus Bergamo ist locker eine der Sensationen der letzten Jahre überhaupt. Wann schaffen es Doomer schon bis auf Rang drei in einem Heavy-Metal-Chart? Fabio „Thunder“ Bellan, Sandro Mazzoleni, Omar Roncalli und Christian Fiorani gelang dies bei „Rock Hard“ mit dem Album 'Witchunter Tales'. Thunder besitzt die große Gabe, Melodien von ungeheurer Tiefe zu komponieren. Obendrein bezirzte der Frontmann mit Charme und einen endlos wallenden Rotschopf. Mit der brachialen „Reality“ brach der Sturm los. Die Italiener headbangten vom ersten Moment an wie entfesselt und das Publikum feierte die Squadra frenetisch ab. Ein schöner Stern brauste der Erde entgegen: die sinnliche Verlierergeschichte vom „Parallel Universe“. Durchdringend bis auf die Knochen sang Thunder die drei Worte, die alles auf den Punkt brachten: „World of lies, world of lies, world of lies, world of lies“. Die Geschichten vom Hexenjäger traten auf den Plan, die „Witchunter Tales“. Ein Doomer alter Machart mit kristallreinen, orgiastischen Vokalen und wahnsinnig treibenden Gitarren. Sprechchöre feierten „Fabio“. Es folgten das kauzige „Unchanging Words“, die Groove-Maschine „Star Secrets“ und die steil gehende Hymne „Glory & Sadness“. Der Blizzard „Time“ brachte die Galaxie ins Wanken. Thunder und Sandro grinsten sich schelmisch an und schredderten mit brachialer Wucht alles nieder. Das von „Ascension“ entfachte, sirenenhafte Killerriff wird manche bis ans Ende ihrer Tage verfolgen... Trümmer... Sternenstaub... War das von dieser Welt? Oh, nein: Das war eine Supernova-Explosion! Zugaben waren nötig. Nachdem sie kurz hinter der Bühne verschwunden waren, regierten die Lombarden ein letztesmal aus dem Showlicht heraus die Welt. „Dark Knight“ begann als erster Nachbrenner schwarz wie Teer und schwoll zu einen unbändigen Riffsturm an; Teil zwei, die „Sad Symphony“, bereitete mit unglaublicher Wohligkeit die Rückkehr ins Diesseits vor; ehe uns die Erde mit der schweren Sabbath-Nummer „Electric Funeral“ wiederhatte. Thunderstorm fanden den Weg in unsere Herzen - und da bleiben sie ein für alle Mal! Halb drei taumelte die Menge ins Freie......
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
DOOMSHINE
(19.35-20.20)
1. Where Nothing Hurts But Solitude
2. Creation
3. Venus Day
4. Trouble Fire
5. Valiant Child of War
6. Sleep with the Devil
7. Shine on Sad Angel
 
DREAMING
(20.40-21.25)
1. Homage to an Empty Young Man
2. Treadmill
3. New Bernd
4. Mother Matilda [Pink Floyd]
5. Hello
6. Way Home... (of the schizoid astroman...)
7. Shooting Gallery [Saint Vitus Vitus]
8. By a Hair´s Breadth
9. Blurred Truth
 
FORSAKEN
(21.40-22.30)
1. Kindred Veil
2. A Martyr´s Prayer
3. Via Crucis (The Way of the Cross)
4. Carpe Diem
5. Where Angels Have Fallen
******
6. Wither the Hour
 
MIRROR OF DECEPTION
(22.50-23.40)
1. Leaves
2. Veil of Lead
3. Weiss
4. Distant
5. Mirrorsoil
6. Entgleiten
7. Asylum
8. Vanished
 
SEMLAH
(0.10-0.50)
1. Suffering in Silence
2. Stale
3. The Realm Unknown
4. Vortex
5. Silent Sermons in the Plastic Church
6. Serenity´s Domain
7. Banished
8. My Ruin
 
THUNDERSTORM
(1.10-2.25)
1. Reality
2. Parallel Universe
3. Witchunter Tales
4. Unchanging
5. Star Secret
6. Glory & Sadness
7. Time
8. Ascension
******
9. Dark Knight
10. Sad Symphony
11. Electric Funeral [Black Sabbath]
...... in eine sternenklare, frostige Nacht im Nirgendwo. Dort kam es zwischen zwei Dutzend Holländern und Deutschen zum Gerangel um ein warmes Taxi - während die Mannheimer von der Hinfahrt gleich im Wartehäuschen einer Bushaltestelle nächtigten. Sie fanden, daß es „da drin wenigstens nicht zieht“. Was machen einem Doomjunkie auf Endorphin Temperaturen wie am Polarkreis aus? Wir hatten eins der größten Doomfeste aller Zeiten erlebt. Wenn nicht das bedeutendste! Kalle, Jo, Peanut und ich wurden nach zwanzig Minuten Wartezeit von einem Chauffeur abgeholt. Im Engel-Keller angelangt, liessen Peanut und ich bei einem letzten Schluck die vergangenen sieben Stunden Revue passieren. Schon heute war mir klar, daß sich unser künftiges Leben ganz um Doom Shall Rise drehen wird. Halb vier entschlummerten wir im Himmel des Doom.
 
 
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Heiliger Vitus, 16. Februar 2003, Bilder: Vitus & Peanut