DOOM AND GLOOM
 
HESSAJA, AD CINEREM, WITCHFUCKER, HEXER, CHARIOT THRONE
D-Hofheim am Taunus, Jazzkeller - 18. Juni 2016
Doom and Gloom, das Erste! Die ursprünglichen Hauptakteure Cross Vault hatten auf rätselhafte Weise abgesagt. Offiziell „aus gesundheitlichen Gründen“. Hinter vorgehaltener Hand wurde aber von „gagentechnisch heftigen Vorstellungen einiger Bands“ geredet. Als Notnagel köderten sich Chariot Throne. Nachdem gesagt wurde, daß Mitternacht Schluß sein muß, wurde das Veranstaltungsende wenige Tage davor um eine halbe Stunde in die Nacht verschoben. Und bei 0 Uhr 30 sollte es nicht bleiben... Wegen der Abhängigkeit vom Zug blieben Goddess of Doom Peanut und mir nur zwei Wege: Entweder die ersehnten Hessaja fallen lassen. Oder eine Nacht in Hofheim buchen (das Angebot der Orga, mit dem letzten Zug nach Frankfurt zu fahren und in einem A&O zu nächtigen, schien hanebüchen). Obwohl das soziale Netzwerk 69 Teilnehmer verzeichnete, fanden nur dreißig Zahlende den Weg zum Schauplatz im vormaligen Güterschuppen „Jazzkeller“. Jüngst war die Stadt am Südhang des Taunus Opfer eines Hochwassers geworden. Im Ort standen noch Sandsäcke. Auch heute schob sich eine schwere, schwarze Wand vom Westen an Hofheim heran... Soviel zu den bösen Neuigkeiten. Nun die guten. Die erste: „Schwarze Loge Ritus“ hatte keine Anstrengung gescheut, und ein Doom-Ritual in Hessen aufgezogen. So gelang der im Black-Metal-Untergrund tätigen Konzertagentur das, was mir als Doomjunkie in zwanzig Jahren nie gelang: Die Ausrichtung eines Doom-Festivals. Die Eintrittskarten für 18 Euro waren auf 150 Stück limitiert, sie waren daumengroß und kamen im Brief nachhause. Die zweite: Gräfin Peanut feierte wie seit etlichen Jahren zur Sonnenwende Geburtstag. Und die dritte: Wir blieben am Austragungsort! Die meisten Gäste kamen aus Rhein-Main. Sie trugen Kutten, Metalshirts und lange Haare. Auch Ex-Frontmann Grom von Deadwood kreuzte in einem Ulver-Shirt auf. Hinsichtlich der Gruppen ging´s rein deutsch zu. Die Auswahl deckte den etwas härteren Doom ab.
Den Peng zur Premiere gaben um 19 Uhr 18 die im Odinwald beheimateten CHARIOT THRONE. Imhof, Küpper, Keller und Uhrig spielten die gleichen Lieder wie 2014 im Vorprogramm von Jex Thoth. Nur in anderer Reihenfolge. Und erweitert um eine süße Romanze mit tragischem Hintergrund aus den Sechzigern: einer doomigen Version von Bobby Hebbs´ R&B-Hit „Sunny“. „Sunny, yesterday my life was filled with rain... Sunny one so true, I love you...“ Nach ihrem Auftritt vor zwei Jahren waren Chariot Throne heute für mich die traditionellsten Doomer - verbunden mit der Hoffnung auf den nächsten Schritt nach vorn. Jener blieb leider aus. Das als „favourite song“ angesagte „Piling Up the Trash“ schlurfte ebenso unbeseelt dahin wie die beiden Lieder davor. „Far from the Sky“ ließ aufhorchen, doch erst mit „The Spirits´ Sanctuary“ kam der Streitwagen in Schwung. Trotzdem waren die Michelstädter heute wie Vegankost: zwar bekömmlich, aber fad. Anders ausgedrückt: eine etwas kopflastige Anhimmelung der Doom-Metal-Helden der Neunziger.
HEXER - wer bei diesem Namen an Black Metal dachte, lag falsch. Vielmehr hieß so ein streng geheimer Stoner-Drone-Doom-Bund aus Germania. Hexer waren die Antwort auf Gruppen wie Sleep, Omega Massif und Eye of Solitude. Die Kanzel lag unter Schwarzlicht und Nebel, vorn thronte eine unheilschwangere Orgel, am Kopf des Sechssaiters glimmten Weihrauchstäbchen, dazwischen waren sich manisch biegende Leiber auszumachen. Die Klänge schoben sich quälerisch langsam und sehr fatalistisch durch den Raum. Apparillos heulten. Von Zeit zu Zeit gellte ein heiserer Schrei. Die Hexer hatten sich wie Kumpel aus dem Ruhrgebiet rußschwarz geschminkt - was die Performanz besonders gruselig wirken ließ - und sie sollten die Doomigsten der Nacht sein (wie auch immer man das sieht...). Final stand die Erleuchtung „Danke, wir waren Hexer aus Dortmund! Hail Seitan!“ Verkörpert wurden Hexer durch D, J, M und L (Anfangsbuchstaben der Musikervornamen). Und so bedeckt und verrucht sie sich im Schwarz in Schwarz auch gaben: Im Nachhall erwies sich der Frontmann als hilfreichste Seele auf Erden, und notierte mir als Linkshänder die vier gespielten Teile (von denen das letzte, noch namenlose, durch einen gewissen Burzum-Einschlag zugleich das faszinierendste war).
Black Forest Doom hatten sich Moe Berg, Bene Berg und Tom Schneckenhaus aufs Fähnlein geschrieben. WITCHFUCKER waren angerückt, um ihre Schallrillen 'Üntrve Bläck Metäl' und 'Mutter Morgana' zu vermischen, und damit neu belebten (und schon wieder ausgeschlachteten) Steinzeitmetal zu zelebrieren. Witchfucker waren authentische langhaarige Typen zum Verlieben, die ganz lässig und herzig spielten, und unser Herz mit tonnenweise Siebziger-Fluidum verzauberten. Zumeist mit dem Rücken zur Meute einen Kreis bildend, improvisierten, wah-wah-ten und headbangten sich die drei auf einem fliegenden Klangteppich in den Hexenhimmel, ließen ihren Auftritt von Schneckentempo in Galopp übergehen, und wechselten die Genres wie das Chamäleon seine Farbe. Was eben noch Doom war, war im nächsten Moment schon wieder Crust, Psych, oder Stoner Rock. Doch Witchfucker wechselten nicht nur die Genres und ihr Daheim (Schwarzwald gegen Karlsruhe), sie wechselten sich auch hinter den Mikros ab, und sorgten damit unentwegt für Spannung. Mal schrie der Gitarrist, mal sang oder stieß der Trommler jenseitige Schreie aus. Wobei der spindeldürre Schlaks hinterm Schlagzeug mit seinem dunklen Timbre zur heimlichen Hauptfigur aufstieg. Tom Schneckenhaus war es auch, der mit dem letzten Takt nach 55 Minuten wie von der Tarantel gebissen vom Geviert sprang, und nur in seiner aufgeschlitzten, hautengen Jeans durch die Hintertür hinaus in die Dunkelheit stürmte.
Am Anfang stand ein Rüffel. „Betriebsspionage nennt man das!“ Genau so wurde mein Ablichten der Setliste vom Sechssaiter kommentiert. In der Stunde vor Mitternacht waren die Kulissen gerichtet. Die Männer waren groß, langhaarig und muskulös; sie trugen schwarze Kleidung und schweres Schuhwerk; und hatten sich martialisch streng symmetrisch formiert: Im ersten Sturm stand Vokalist Hekjal flankiert von den Sechssaitern, dahinter am Viersaiter Val Atra Niteris, im Hintergrund rumpelten die Trommeln einer Studiokraft. Damit war dem Raum der eben noch verströmte Retro-Spirit genommen. Der Start verlief subtil, man gab sich krisselig-verhallt - und verpeilte sich damit womöglich selbst. Jemand ahmte die Salution „Wir sind AD CINEREM aus Dresden“ mit einem abschätzigen „aus Dresden“ nach... Aber das kümmerte Ad Cinerem nicht. Sie waren entwaffnend echt und hatten nach dem zweiten Teil alle etwaige Verklemmung verblasen. Als Ad Cinerem nach der Hälfte endgültig von Bach auf Wagner und Burzum umschalteten, und Hekjals harscher Gesang eindringlicher und eindringlicher, geradezu transzendental wurde, war wohl auch der Letzte selig gemacht. In Ansätzen bewegten sich Ad Cinerem in Dark Metal und Death-Doom-Gefilden, die auch bei Officium Triste auftreten. Mit dem finalen Teil „Pulse of an End“ deathte und doomte die Staffel aus Dresden treu ihres Namens alles „zu Asche“!
HESSAJA waren zum Hauptakt befördert worden. Doch lange bevor das Kommando aus Hessen-Nassau heute in Aktion trat, hatte Frontmann Baric Peanut und mich zur Uraufführung von „Planet Sedan:Ison“ auf sein Gehöft bei Limburg eingeladen. Sechs Monate brauchte die Verfilmung, sechzig Leute waren gekommen - und einige darunter panisch aus dem Raum getürmt. Unbehaglich bis unaushaltbar fiel der Streifen aus. Der Untertitel „Destruktive Momente in endloser Schönheit“ brachte es auf den Punkt. Dazu machte Tom mich unmittelbar vorm Auftritt mit persönlichen Einblicken einigermaßen fassungslos. Noch mehr Erschütterndes kam anderntags via Post vom Gitarristen... Aber das Leben muß ja irgendwie weitergehen... Ab 0 Uhr 30 arbeiteten Hessaja ihre in Klänge und Schreie gehüllten Tragödien in echt ab. Und damit gab´s in der kommenden Stunde kein Halten mehr für mich. Wenngleich Hessaja mit künstlerischem Anspruch und anderen Neuigkeiten verstörten: Leitgitarrist Schaffer hatte sich von seinen Dreads getrennt - weshalb er von mir nicht sofort erkannt wurde. Dazu stiegen Hessaja mit neuem, beinahe weichem Material in ihren Auftritt ein. Doch mit dem Nackenbrecher „Assistent für deinen Selbstmord“ war man wieder im Film. Es war erneut hinreißend, mit welcher Besessenheit Baric, Schaffer, Becker, Jerominek und Dose ihr Kaleidoskop aus Sludge, Doom und Noise zelebrierten. Jede Note war rammelvoll mit Herz und Schmerz und emotionaler Grausamkeit. Zur dramaturgischen Zuspitzung trug der Sänger ein weißes Büßerhemd, der Bassist eines mit den Majuskeln BESTIE MENSCH. Besiegelt wurde die Darbietung durch ein Teil, das selten öffentlich gebracht wird, und das Tom so ansagte: „Jetzt haben wir noch ein Lied, das geht über 14 Minuten.“ Dieses Lied hieß „Nista“ (auf Deutsch „Nichts“, englisch auch „Void“). Halb zwei in der Nacht war nichts wie davor... Als ich eine Viertelstunde nach dem Ende (um 1 Uhr 45) noch mal auf die Bühne blickte, kniete dort zusammengesackt immer noch Jo Schaffer: ganz allein und ausgepumpt bis zum Anschlag. So was Ergreifendes habe ich selten erlebt!
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
CHARIOT THRONE
(19.18-20.07)
1. Descent
2. Ritual
3. Far from The Sky
4. Piling Up The Trash
5. Solar Fires
6. The Spirits´ Sanctuary
7. Crown
8. The Unholy Design
9. Sunny [Bobby Hebb]
 
HEXER
(20.40-21.23)
1. Synth Intro
2. III
3. Pearl Snake
4. Neues ohne Titel
 
WITCHFUCKER
(22.00-22.55 / evtl. nicht ganz richtig)
1. Doomhammer
2. Steinzeitmän
3. Verlust
4. After Death ... Fliegender Teppich
5. Hangover
6. I am who I am
 
AD CINEREM
(23.16-0.09)
1. Possession
2. To Revise Downward
3. Foliage Burial
4. Isolation
5. Coldness
6. At the Edge of Yesterday
7. Pulse of an End
 
HESSAJA
(0.30-1.30)
1. Dom
2. Asistent (za samoubistvo) (Assistent für deinen Selbstmord)
3. Planet Sedam:Ison
4. Inside These Walls
5. Na kraju je (uvijek) rat
6. Nista
Die Nacht war reich an Wundern und obskuren Randnoten. Los ging das schon an der Kasse in Gestalt des alten Klubchefs, der auch im Sommer einen langen Ledermantel trug, und mit den zittrigen Fingern eines Betty-Ford-Insassens die Eintrittskarten entwertete. Aber er kannte sich mit Whisky genau so aus wie mit Menschenführung. So wurden zwei Mitglieder von Ad Cinerem an der Bar auf das in Hessen geltende Rauchverbot hingewiesen: „Das gilt für Zlatan Ibrahimovic wie für seinen kleinen Bruder.“ Und er wußte, daß sie „erst Wasser und später Whisky trinken.“ Was prompt geschah. Denn nachdem sich der „kleine Bruder“ von seiner Kippe mit „So, ich bin jetzt fertig“ zurückmeldete, orderte selbiger - nachdem er sich zuvor an Limo labte - nun Whisky. Dazwischen hatte jemand Deckel unter unser Bier gelegt. „Weil Glas auf Metall nicht so gut ist.“ Auch ein Shirt von Burzum (!) durfte der Schankbursche in der Form nur in Hofheim tragen. Und so ging das weiter mit einem magischen Andenkenstand, der nur von Kerzen erleuchtet war, und wo die Platten, Shirts und Aufnäher liebevol in Holzschatullen und zwischen einem Ziegenkopf und umgedrehten Kreuzen drapiert waren. Für Gräfin Peanut und mich endete der Tag nach einem Whisky mit Tom von Hessaja bei einem Bierchen in der Pension zur Vampirzeit um halb vier. - Nach einer üppigen Frühstückstafel haben wir Hofheim am frühen Sonntagnachmittag verlassen. Das DOOM AND GLOOM ist in unserem Gedächtnis verewigt! Und es wird fortgeführt! Schwarze Loge Ritus teilte mit: „Wir werden nächstes Jahr wieder eins machen, aber nur mit maximal vier Bands, da auch wir gemerkt haben, wie schwer es ist, Doom im Rhein-Main-Gebiet zu bringen. Also bis 2017!
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 20. Juni 2016 (Sonnenwende)