DESTRUCTION, KREATOR, SODOM, WYKKED WYTCH
D-Offenbach, Hafenbahn - 2. Januar 2002
Der Thrash Metal, die heftige Kreuzung aus dem Zorn des Punk und der Aggressivität der New Wave of British Heavy Metal, hatte Ende der Achtziger bis Anfang der Neunziger mein Weltbild bestimmt. Ich atmete, lebte und war Thrash Metal! ...... Zwei Jahrzehnte später geschah das für nicht mehr möglich Gehaltene: Mit Destruction, Kreator und Sodom hatten sich drei der bedeutendsten - und stets in Rivalität liegenden - Thrash-Metal-Truppen Deutschlands zu einem gemeinsamen Feldzug zusammengerauft. Als HELL COMES TO YOUR TOWN rollte der Tross heute über Offenbach. Schauplatz war ein ehemaliger Lokschuppen am Mainhafen, der als „Hafenbahn“ das Klubhaus des „Hard´n´Heavy e.V“ ist. Als ich eintraf, war die Halle mit rund achthundert Leuten schon brechend voll. Viele Kuttenträger aus alten Tagen waren für 20 Mark aus ihren Löchern gekrochen. Und alle wurden an der Tür wie immer von einem Aushang der Stadtverwaltung begrüßt: DAS TRAGEN VON WAFFEN, NIETENARMBÄNDERN UND PATRONENGURTEN IST UNTERSAGT! Auch Fotoapparate standen auf dem Index.
 
Hex, hex... Als Einpeitscher und Teil der „Big Four of Teutonic Thrash“ fungierten leider nicht Tankard aus dem angrenzenden Frankfurt, sondern eine Horde aus Florida namens WYKKED WYTCH. Den Namen hatte ich noch nie gehört. Fünf als Teufel verkleidete Gestalten waren aus Amerikas Sonnenscheinstaart losgezogen, der übrigen Welt mit dem gotisch gespickten Schwarzmetallwerk 'Angelic Vengeance' das Fürchten zu lehren. Mit ihrer mal singenden, mal grunzenden feuerköpfigen Hexe Ipek, mit zischenden Alligatorlauten und blasphemischem Vampirfauchen ganz im Stile von Cradle of Filth trieben sie ihr unheiliges Wesen. Zu aller Verblüffung: recht leidlich gemacht - aber zulasten der eigentlichen Helden.
 
Ungeduldig wartete die Menge. Manche ahnten, wer nun anrückt. Das Verlangen nach „Bom-ben-haaa-gel, Bom-ben-haaa-gel“ ließ die Luft vibrieren. Und dann stand sie auf dem Gefechtsstand - Deutschlands Antwort auf den englischen Bastard Motörtankvenomhead: SODOM. Sodom stammen aus einem Ort mit grauen Straßen und grauem Himmel: Gelsenkirchen. Schon zwei Jahrzehnte nehmen sie die Hallen europaweit auseinander. Neben dem langmähnigen Schachtkumpel Tom Angelripper fuhren heute die Kameraden Bernemann und Schottkowski die schweren Geschütze auf. Geboten haben sie ihr Werk Nummer zwölf, 'M-16'. Kaum war Weihnachten vorbei, röchelte Frontrecke Angelripper die Nacht mit Ruhrpottschnauze und einem zynischen Nachruf aufs Christenfest ein. Die Anti-Jehova-Nummer „Wachturm“ blies das letzte Lichtlein aus. Tom trug ein Hemd mit dem Konterfei von Bin Laden und der Unterschrift „Wanted! Dead or Alive!“, und er wünschte dem Sack den baldigen Strick. Die tief rumpelnden Sturmtanks „Remember the Fallen“ und „Sodomy & Lust“ hinterliessen verbrannte Erde. Es folgten bös´ peitschende Stahlgewitter vom neuen (Anti-)Kriegswerk, wie „Napalm in The Morning“, und natürlich krude Kreuzfeuer aus der Meisterphase 'Agent Orange'. Alles rabiat, laut, druckvoll und damit nichts für Feingeister. Die fanatischsten Abfeierungen hagelte es aber traditionell beim Liedgut auf Deutsch, wie bei „Stalinorgel“ und „Bombenhagel“! Wen wundert´s? Deutscher Thrash machte Sodom in mythischer Vorzeit zur Legende! Aus gegebenem Grund verzichtete Angelripper heute auf seine Metascherze um die „Stumme Ursel“ und die Abspaltung Onkel Tom Angelripper. Stand ich bei den Amis noch im ersten Sturm, hatte sich die Halle nun schon derart gefüllt, daß ich nach einem Halt am Tresen im Gerempel der Meute stecken blieb. Den Rest verfolgte ich mit wachsendem Unbehagen und weitere Horden aus der Nacht fielen ein. Hinterher sprach man im Vorverkauf von „Musikladen Frankfurt“ von mehr als tausend verschacherten Karten - minimum zweihundert zuviel!
KREATOR marschierten auf. Auch die kamen aus dem rauhen Ruhrgebiet, aus Altenessen. Und auch Kreator gibt´s schon ewig. Seit 1983. Seither gab es einige Wechsel. Heute wurde Europas Speerspitze im Thrash Metal neben den Originalmitgliedern „Mille“ Petrozza (Gitarre und Gesang) und „Ventor“ Reil (Schlagzeug) von zwei jungen Kriegern komplettiert: Yli-Sirniö (Gitarre) sowie „Speesy“ Giesler (Bass). Kreator stellten ihr Neuwerk 'Violent Revolution' vor. Zornige Ablehnung und giftige Riffgewitter aus der 'Extreme Aggression'- und 'Coma Of Souls'- Phase ließen die Irrfahrt in den Goth-Wave mit 'Endorama' rasch vergessen. Da war sie wieder, Kreators antigesellschaftliche Attitüde. Die Mähnen wirbelten, Trossen und Schlegel schlugen in die Magengrube, und Mille krächzte alles nieder wie in alten Tagen. Die Headbangerschaft tobte, Fäuste reckten sich, die Finger zu Teufelshörnern, und ich bekam einen Flashback nach dem anderen. Doch die Halle war viel zu voll und viel zu klein, und erlaubte kaum einen Blick aufs Geschehen. Dazu kam, daß die ersten Nummern in den alten, blechernen Speakern krepierten. Und dann - hinein ins Schwelgen in Erinnerungen - der Dolchstich mitten ins Herz: Mille gab den Tod von Chuck Schuldiner, dem Paten des Death Metal, bekannt! Tot? Konnte das sein? Ich sah Chuck Schulter an Schulter neben mir stehen, nur zwei Jahre zuvor am selben Ort beim Death-Konzert. Es war wie gestern... Es hieß doch, er sei überm Berg... Das Mädel vom Tresen erzählte mir, daß er am 13. Dezember durch einen Hirntumor aus dem Leben gerissen wurde. Er war gerade mal 34 Jahre alt... Der Himmel hatte sich für mich nun endgültig schwarz verfärbt. Weil seine Familie die Therapie nicht bezahlen konnte, ließ das amerikanische Gesundheitssytem Chuck sterben. Deshalb, oder gerade deswegen, spielten Kreator das wütende „Flag of Hate“, und von Zorn erfüllt spie Mille den Totenkult: „Time to raise the flag of hate / Destroy the earth is our only aim / To strike all down is the only way / To give 'em death and let them pay!“ Mit Beginn der Geisterstunde endeten die Essener mit Jenseitigem aus ihrer 'Renewal'-Phase. Sodom dürfte ich sechsmal erlebt haben, bei Kreator wird´s nicht anders sein. Es war einer ihrer guten Auftritte, ein denkwürdiger allemal!
 
Der jeden Tag neu ausgeloste Ablauf wollte, daß die aufgelösten und reformierten DESTRUCTION heute mit 'The Antichrist' im Gepäck als Sprengkommando fungierten. Mit demDreizack vom Bodensee konnte ich nie etwas anfangen. Besonders Frontmann Schmiers Gekreisch ging nie an mich ran. Auch Heavy-Metal-Uniformen aus Pudelkopfrisuren, Lederjacken, Nietenarmbändern und Patronengurten waren nie mein Welt. Aber das ist wirklich eine ganz persönliche Ansicht. Bei vielen Metalheads genießt der lichtschnelle Thrash der Herren Schirmer, Sifringer und Vormann einen gottgleichen Status.
 
Für mich war das Konzert gelaufen. Ich konnte einfach nicht vergessen. Immer wieder krochen Bilder von Chuck in meinen Kopf. Nach einem letzten Schluck machte ich mich auf den gefährlichen Rückweg nach Frankfurt. Allein, mit zerrütteten Sinnen durch eine klirrende Winternacht durchs Offenbacher Nordend. In Gedanken immer bei Schuldiner.
 
 
Heiliger Vitus, im Januar 2002, Bilder: © M. Coatsworth (o.), Hl. Vitus (u.)
 
 
In Memory of Chuck Schuldiner (1968-2001)
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.:: ABSPIELLISTEN ::.
(ohne Gewähr)
 
SODOM
1. Among the Weirdcong
2. The Vice of Killing
3. Wachturm
4. The Saw Is the Law
5. Remember the Fallen
6. Sodomy and Lust
7. M-16
8. Outbreak of Evil
9. Napalm in the Morning
10. Witching Metal
11. Ace of Spades [Motörhead]
12. Stalinhagel (Stalinorgel/Bombenhagel)
 
KREATOR
1. Violent Revolution
2. Reconquering the Throne
3. Extreme Aggression
4. People of the Lie
5. All of the Same Blood
6. Phobia
7. Pleasure to Kill
8. Renewal
9. Servant in Heaven - King in Hell
10. Terrible Certainty
11. Riot of Violence
12. Flag of Hate / Tormentor
 
DESTRUCTION
1. Curse the Gods
2. Nailed to the Cross
3. Invincible Force
4. Bullets from Hell
5. Eternal Ban
6. Tears of Blood
7. Antichrist / Reject Emotions / Release from Agony
8. Life Without Sense
9. Thrash Till Death
10. Mad Butcher
11. The Butcher Strikes Back
12. Total Desaster
13. Bestial Invasion
Nachbeben
Dies sollte mein letzter Besuch in der Hafenbahn gewesen sein. Der Klub wurde am 30. Juni 2002 durch Langhaarige zerstört:
Es war einmal in Offenbach...