DEAD MOON
D-Dresden, Star Club - 10. Mai 2002
Yeeeeee-Haaaaaaw! 48 Stunden nach dem Todeskult mit Disbelief in der „Scheune“ folgten heute große Gefühle in einem der tollsten Rockklubs des Landes, dem „Star-Club“ Dresden. Mit Garagenrock: der Indie-Ikone Dead Moon aus Portland, Oregon! Mein Mädel ist Moon-Anbeterin der ersten Stunde. Kein Wunder, daß heute eine lodernde Flamme an meiner Seite weilte. Schon die Fahrt zum Konzertort wurde zum Erlebnis. Die Straßenbahn nach Briesnitz wurde von Moonhemden regiert, von weißen Mondsicheln und Totenköpfen auf schwarzem Grund. Mädel tranken Schaumwein. Wir betraten eine andere Welt: den Kosmos Cole. Stecken doch hinter Dead Moon das Paar Kathleen „Toody“ & Fred Lee Cole, beide * 1948, sowie der fünf Wochen vor mir geborene Andrew Loomis. Gitarrist Fred (später auch Bassistin Toody) geistert mit Gruppen wie The Weeds, The Lollipop Shoppe oder The Rats schon seit den Sechzigern im Untergrund rum. 1987 kreuzten sich die Wege mit dem Barmixer und späteren Schlagzeuger Loomis - eine neue Gruppe war gegründet. Aus der Faszination über einen riesigen, rot schimmernden Blutmond über der Wüste Nevadas entstand der Name. Aus „red“ wurde „dead“ - Dead Moon. Moon pfeifen auf Konventionen, sie tragen Cowboyhüte, lange Haare und abgewetzte Klamotten. Wären alle jenseits der fünfzig so drauf, wäre unsere Erde ein schönerer Ort! - Um neun kamen wir vorm früheren Ball- und Lichtspielhaus an. In den Siebzigern hatten mich Filme der DEFA hierher geführt. Heute Moon. Wer hätte das gedacht? Dreihundert Mondanbeter waren gekommen. Unter ihnen einer, der blitzeblau und wild herumfuchtelnd an der Bar stand. Durch den hilfesuchenden Blick des Mädels hinterm Tresen, erkannte ich die Situation. Es war Andrew Loomis. Ich dachte, der Kerl wird nicht spielen können...
Augenblicke später standen DEAD MOON auf der Bühne. Um gar nicht lange zu fackeln. Das Entzünden der magischen Kerze auf der Bourbonflasche, ein Schluck Whiskey, eine Fluppe, ein Händedruck, eine Anstachelung - das einende Ritual - und dann öffneten Moon die Rockgarage. Hochprozentig hochtourige Kauzrocker wie „Dead Moon Night“ und „Down the Road“ bliesen den Staub aus den Speakern. Links ein Quietschen, rechts ein Knarren. Ohne Strukturen. Aber mit viel Herz. Die sensiblen Nirvana vereint mit den schmutzigen Motörhead und der verdrogten Janis Joplin im Sandwich: so etwa sind Dead Moon. Der Urknall „Graveyard“, das kaputte „54/40 or Fight“ und die dunklen „Clouds of Dawn“ zogen vorüber. Und „It´s O.K.“. Und „Play with Fire“. Das kaputte „Poor Born“ natürlich... Wer braucht moderne Technik, Hi-Fi, Stereo? Moon hatten Lo-Fi und Funkenschlag, rifften und schrien aus tiefster Seele. Wie üblich setzte die Meute die Tom-Tom unter Bier und Wasser. Mit dem Ergebnis, daß Andrew fortan mit jedem Hieb seine berühmten Trommelfontänen fabrizierte, Toody mit den Schlagstöcken den Po tätschelte, und Fred Bier in den Rachen goß. Cole ließ seine markerschütternden Schreie von der Kette. Und Toody wiederum bezirzte mit ihrer verruchten wie zerbrechlichen Aura. Verrückt, wozu dieses Persönchen am Bass fähig war! Die Amis jagten Schauer auf Schauer über mein Kreuz, die Meute tanzte, flog, schwitzte, und alles endete mit dicker Gänsehaut. Nur „Killing Me“ fehlte zum letzten Glück. Wer weiß - vielleicht hatte Andrew ja Freds Mundharmonika in Whiskey eingetauscht. Ohne Mundi kein Blues! Und Fred sang ja: „I Hate the Blues“. So war heute „40 Miles of Bad Road“ vom schrulligen 'Trash & Burn'-Album so was wie der heimliche Höhepunkt. Am Ende war der Totenmond über Dresden erneut ein unsterbliches Ereignis. Nach einhundertvierzig Minuten ging das Licht an...
 
... und Augenblicke später fläzte einer an der Theke: rot unterlaufene Augen, lautes Geschrei, wilde Gesten... Andrew L. Auch wir haben keine Gefangenen gemacht. Nach einem letzten Mondgruß hat uns eine Droschke über Rumpelpisten durch die schwarze Nacht heimgebracht. - - Am nächsten Tag sahen wir aus den Fenstern der Elektrischen drei Langhaarige in Räuberzivil an der Dresdner Kathedrale vorbeischlendern: Dead Moon, USA! Mit Andrew!
 
 

Heiliger Vitus, im Mai 2002; Bilder: Peanut & Vitus
Peanut, Andrew & Vitus