CONVERGE, JOB FOR A COWBOY, RISE AND FALL, ANIMOSITY
D-Wiesbaden, Schlachthof (Räucherkammer) - 15. Juni 2007
Zu Napsterzeiten, um die Jahrtausendwende herum, hatte mir ein Ami von einer in Sachen Haß und Aggressionen alles wegsprengenden Gruppe „gechattet“. Converge, der Name. Ein halbes Jahrzehnt später bot sich die Möglichkeit, Converge auf deren „No Heroes“-Tour im Schlachthof Wiesbaden in Aktion zu erleben. - Durch eine vorsorgliche Anfrage in der Gartenfeldstraße 57 waren wir an Restkarten gekommen, die ich wenige Stunden vorm Konzert in einer Bockenheimer Vorverkaufsstelle abgeholt hatte. Als die Gäste 255 und 256 von offiziell 300 Zahlenden (darunter das Thaigirl und der Gitarrist von Decade of Aggression) marschierten wir um acht mit einem Stern- und „Punk Rock“-Stempel auf den Handrücken in den Klub „Räucherkammer“ ein. Etwas zu spät...
Die Aufreißer ANIMOSITY waren um 20 Uhr durchgestartet. Animosity hatte ich insgeheim als originellste Gruppe eingestuft. Progressiven Death Metal in der Blutlinie von Death (R.I.P.!) hatte ich erwartet. Aber es kommt ja oft anders: Die junge Quinte aus San Francisco erwies sich auf ihrem ersten Deutschland-Feldzug eher als Hardcore denn Metal. Statt altertümlichem Death brachten die Nummern um „Holy Shackles“, „Life Advocat“ und „Commoditism“ grindiges Geballer, statt gutturalem Todesröcheln gab es feindseliges Gekreisch. Animosität hin, Animosität her: nach dreißig Minuten waren die dreihundert Sternchen im ausverkauften Klub zum erstenmal richtig angeglüht und das schwere Beben aus der Bay Area vorüber.
„It´s a long way down“ haben sich RISE AND FALL aufs Fähnlein geschrieben. Mit anderen Worten: erneute Fehlanzeige für alle Gutmenschen dieser Welt. Die aus Flanderns Stahlschmiede Gent aufmarschierte Horde erwies sich als eine rasende Klaue aus heiserem Hardcore Punk, der von einigen Metalspikes gespickt war. Als harter Stoff, der mich aber nicht mitriß. Nach einer kühlen Blonden unter der fallenden Sonne des Biergartens „60/40“ erwartete mich bei der Rückkehr ins Dunkel des Schlachters einerseits Peanut mit der Bemerkung: „Du bist mir ein Konzertgänger. Du bist ja bald wie der Buffo!“ (gemeint war ein Redakteur der bekannten Mega-Metalgazette, den man zwar kaum im Saal erblickt, der aber immer die dollsten Konzertberichte verfaßt), andererseits spielten RAF ihre wohl besten Nummern: „Into Oblivion“, „Rotten Chaos“ (für Animosity) und „Bottom Feeder“ (für Converge, „The best band I´ve ever seen!“, wie es Fronter Bjorn formulierte). Ich empfand die Belgier als beherzt, aber etwas blaß um die Nase und ohne den letzten Biß. Zu mächtig schien der Schatten von Converge. Für Peanut indes waren RAF die Tagessieger. Kurz und knackig kam der Terror aus Gent: von 20.50 bis 21.20 Uhr.
„Extra wegen denen sind wir gekommen, die sind einfach nur geil!“, hatte eine Clique New-Metal-Kids mich erleuchtet. JOB FOR A COWBOY aus Arizona waren die Band der Stunde, die Helden der Neuen Welle des amerikanischen Death Metal. Dementsprechend ließen sie sich feiern als seien sie sonstwas. Allein der Umbau dauerte eine halbe Stunde! Und dann standen sie auf den Brettern: Vokalist Davy, die Gitarristen Thompson und Bhadriraju, Basser Riggs (allesamt kahle Köpfe, Riggs zudem mit riesigen Ohrpiercings ausgestattet), sowie der langlodige Drummer Rice. Immerhin gab´s Death Metal! Brutalen New-School-Death als Fortführung der Florida-Schule um Obituary. Donnergegurgel, tief herumrammelnde Trossen und rodeoartiges Trommelfeuer aus dem Rückraum. Und dies mehr wie ein morbider Peckinpah- denn ein knalliger Italo-Western. Zwar manchmal nervenzerrend am Anschlag, überwiegend aber in mittlerer Geschwindgkeit alles vernichtend. 'Doom' und 'Genesis' heißen die Langeisen, und die einzelnen, tödlichen Projektile trugen Namen wie „Embedded“ und „Reduced to Mere Filth“. Knall auf Fall war der Schlachter zu einem Mob mutiert und die letzten langhaarigen Headbanger schnell verjagt. Denn die neue Generation operiert mit anderen Waffen - mit propellerhaft geschleuderten Fäusten, die einem unkontrolliert auf den Körper schlagen können. Nachdem mir ein Treffer fast den Unterarm gebrochen hatte, beschloß ich mit Peanut den Rückzug an die frische Luft vom 60/40. 35 Minuten: Auch JfaC waren kurz und wild. Die finale Peitsche war „Knee Deep“ und ein schmerzender Pferdekuß das Andenken an die vier Sheriffs aus dem Grand-Canyon-Staat.
Um 22.55 Uhr standen CONVERGE aus Boston, Massachusetts auf der Rampe! Ring frei für das ätzendste Publikum aller Zeiten. Während sich die einen noch harmlos an der Deckenstange durch den Raum hangelten, zelebrierten andere den Rempeltanz, zahllose stürzten sich in hoher Amplitude von der Bühne, und noch mehr warfen windmühlengleich ihre Gliedmaßen. Mein Versuch, ein Foto zu erhaschen, erstarb im Ansatz. Von Headbangen gar nicht zu reden. Eigentlich ging es nur noch darum, die nackte Haut zu retten. Keine Ahnung, was die Herren Bannon, Koller, Newton und Ballou so groß gemacht hat. Die Musik - ein Post-Hardcore-Massaker aus einem schrillblonden, schreienden Psychopathen, dissonant rasenden Gitarren und fies hämmernden Trommeln - kann es nur bedingt sein. Die in der eigenen Coolness ersterbenden Akteure auch nicht. Es war ganz einfach der Kult seit 1990. Der Kult des völlig Durchgebranntem, Kranken und auch Metaphorischen. Vielleicht ist´s auch der letzte echte Widerstand, der letzte echte Haß nach der Ausschlachtung des Punk. Um 23.44 Uhr, nach den Krachinfernos „Eagles Become Vultures“, „No Heroes“, „Black Cloud“ und „Concubine“, nachdem sich die dreihundert Sternenkinder gegenseitig abgeschlachtet hatten, wir das letzte Glas geleert und einen letzten Blick auf die erneut anwesende Diwotschka geworfen hatten (die mich vor Wochenfrist als Bierdieb angeschwärzt hatte), waren Converge durch. Um ehrlich zu sein: Die „Sonnenmänner“ haben mich kalt gelassen.
 
 
Heiliger Vitus am Geburtstag von Peanut, 18. Juni 2007; Bilder: Animosity, RAF, JfaC, Schlachterimpression: Vitus; Converge: der Bandseite entlehnt, da eigene Aufnahme unmöglich war.