APATIA NO, FREE YOURSELF
D-Frankfurt am Main, Café ExZess (Keller) - 14. März 2003
[ * ] „Immer und immer wieder zerstören die, die das Leben und die Phantasie hassen, die Träume anderer“: Diese von einem schwarzen Stern unterlegte Inschrift prangt an der Hausfront der Leipziger Straße Nummer 91. ExZess bleibt - und wir waren wieder da! Am Anfang stand indes Irritation: Statt auf Livemusik trafen Frl. P. und ich beim Betreten des linken Szenezentrums auf eine Handvoll versprengter Gesichter beim Kaffee: Das Konzi wurde verlegt - von der Halle in den Keller. „Die Straße runter gehen und den ersten Hof rechts rein“, wurde uns gesagt... Besagter Hof war zappenduster. Nur ein dünner Lichtstrahl und Geräusche verborgen im letzten Eck deuteten auf eine Veranstaltung hin. Durch einen nicht mal mannshohen Einstieg tauchten wir ab. Ein mürber, steiler Treppenschacht führte in einen feuchten, bröckeligen Keller. Normale Leute hätten wahrscheinlich Angst, über die dunkle Stiege in dieses Loch zu gehen, um argwöhnichen Gestalten in einem Duft von Fäulnis Flaschenbier abzukaufen. Wenn „normal“ Aussehende reinkommen, riskieren sie für Zivilpolizei gehalten und auch so behandelt zu werden. Furchtlos zu sein im besetzten Haus war ein Privileg, das sich aus dem Dazugehörigkeitsgefühl ergab. Dreizehn Personen waren anfangs auszumachen. Ein Punker von der Straße gab mir seine schmutzige Hand und stammelte etwas vom „Erhalt eines neuen Wagens“ (ein Bauwagen, sein neues Eigenheim...). Weitere trudelten ein. Manche mit Gebrechen wie Gipsbein und Gipsfinger, Gestalten mit Kampftaschen (was da wohl drin ist?) und Kapuzenpullis der Antifa mit Sturmhaube. Etwa achtzig Subversive, Sympathisanten und Fehler. Neben dem Tresen befand sich ein Gewölbe mit der Bühne von der Größe einer Rumpelkammer. Mit Mischpult, Diaprojektor und „Marshall“-Speakern - an denen die Hersteller abgeklebt waren - so daß vom linken „shall“ und vom rechten „arsh“ prangte. „shall-arsh“ sollte also für Kampflieder sorgen. 22 Uhr 25 Uhr ging´s ab.
„Wir sind nicht faschistisch, aber stolz darauf, nicht aus Köln, sondern aus Düsseldorf zu kommen.“ FREE YOURSELF stellten erstmal die im Programm verbreitete Falschmeldung richtig. Free Yourself gibt´s schon zehn Jahre, und sie machten Hardcore irgendwo zwischen Bad Religion und kalifornischem Skaterstoff. Nur viel rauher und dreckiger. „shall-arsh“ erzeugte in dem niedrigen Keller einen Lärm, der Ohren zerfetzte. Letzte Rettung: Papiertaschentücher! FY hatten kuriose Macken: Weil sie zu Dreiviertel deutsche Hellenen sind, essen sie „kein Fleisch, sondern Lamm“. Und der in ´nem Taekwondo-Hemd steckende Fronter schrie in drei Sprachen um sein Leben: Deutsch, Englisch und Griechisch! Auf stilübliche Grimmigkeiten verzichteten die Griechen indes. Stattdessen kamen sie aufwühlend und emotional, und manchmal schimmerte Traurigkeit durch ihre Lieder. Sympathische Burschen, die heute Abend selbstbefreiende, knallhart abgehende Energien durch die Verstärker jagten. Dimi rissen zwei Saiten. Auch dies kein Grund für Ärger. Nur Milto fliegt aus der Band, weil er sich als Kölner offenbarte. Ja, und ein Karnevalslied wollten sie machen. Es wurde ein achtminütiger Emorocker, der unjecke „Kuss“, mit persönlichen Zügen und dem Refrain „Gesprungen und wiedermal überlebt“. „H“ (H wie Heroin?) und die Zugabe „Goodbye Eternity“ beendeten den 85minütigen Auftritt. Einen Auftritt zwischen Haß und Trauer, der die Meute restlos mitgerissen hatte!
Technische Probleme ließen die Propagandamaschine APATIA NO erst weit nach Mitternacht ins Rollen kommen. Aus Venezuela waren die „Punx contra el estado“ gekommen. Direkt vor der Haustür von Viersaitenterrorist Johnny hatte im Vorjahr in den Straßen von Caracas die blutige Revolution der Chavistas wider den Kapitalismus getobt. Radikale Heimat, radikales Erscheinen: Johnny trug ein Hemd der Kult-Cruster Doom mit dem 'Police Bastard'-Cover (Staatsdiener mit Hakenkreuz am Stahlhelm), Trommler Miguel stellte als Skelett verkleidet die Verbindung zum Tod her. Hingucker war jedoch die Sechssaitenkratzerin. Julia sah verdammt gut aus und war auch noch mit einer verboten morbiden Stimme bestückt. Dem Vernehmen nach soll sie jeden Morgen mit Rasierklingen gurgeln. Und so hörte sie sich auch an! Apatia machten lichtschnellen Hardcore Punk mit einer mächtigen Ladung metallischem Crust- und brutalem Grindcores. Ihre Lieder trugen Namen wie „Contra ti Capitalsmo“, „Guerra=Muerte“, „Religión=Opresión“ und „Viviendo en la cloaca“. Das Ganze wurde wechselnd weiblich und männlich herausgeschrien. Im revolutionären Spanisch. Apatia No waren Amigos mit kämpferischer Attitüde und klarer Meinung zu Diktaturen und Diktaten. Die Südamerikaner trugen den Geist der Revolution in Deutschlands Geldstadt. Nach der fünften Salve mußten wir zum Bus. Ich sah noch die Jungen von Free Yourself und gab Dimi einen Schulterklapps. Damit hatte es sich.
 
 
Heiliger Vitus, 15. März 2003
Das vorbereitete Versteck im Hinterhaus der Leipziger 91