ZEREMONIE DER SCHATTEN II
 
NOCTURNAL DEPRESSION, SARKRISTA, PORTAE OBSCURITAS, GRIM LANDSCAPE, VARULV
D-Hofheim am Taunus, Jazzkeller - 25. Februar 2017
Die Frage, die sich für uns heute stellte, lautete: Können wir im Schatten des Taunus eine unbeschwerte Black-Metal-Nacht mit NOCTURNAL DEPRESSION erleben? Die jüngsten Absagen von Black-Metal-Konzerten wegen Liebäugelns mit der vermeintlich verkehrten Seite und Verfänglichkeiten im Netz, gaben Grund für leise Zweifel. Zu allem Übel irrlichterten heute in der nahen Revolverstadt Frankfurt Rote mit viel Haß auf Black Metal durch die Straßen. Die Gefahr aneinanderzugeraten, war groß - doch der Bahntunnel von Polizei in Kampfmontur gesichert! Mit der Karten-Vorbestellung hatte die „Schwarze Loge“ schon mal folgende Parole ausgegeben: „Möge der Wahnsinn beginnen!“ Und während Karte um Karte auf Reisen ging, loderten auch die Freudenfeuer immer höher: „Der Kreis schließt sich immer weiter!“, „Respekt und Prost an die Besucher! Ihr werdet es nicht bereuen!“, „Ihr Ficker seid geil!“, „Come and praise the Cult!“ und „Macht dem Leiden ein Ende!!!“. Nach zwei Monaten waren die auf 150 limitierten und voller Herzblut hergestellten Hartkarten ausverkauft. Zugegeben: Ganz wohl war mir nicht. Auch weil ich körperlich nicht auf der Höhe war. Wir hatten lange überlegt. Und dann waren wir unterm Ungeziefer in der S-Bahn auch noch die einzigen von hier... Doch mit dem Erreichen des Hofs vorm Jazzkeller weilten wir im Schutz unseresgleichen. Viele Autoschilder trugen die Zahl 666, ihre Besitzer kamen aus dem süddeutschen Raum, aus Nordhessen und sogar aus der ostsächsischen Lausitz. Eine Motorhaube war von einem riesigen Emblem von Nocturnal Depression geziert. Unter einem Zeltverhau brutzelten Würstchen. Drin floß das helle Bier. Händler Geordie Blackcore bot Shirts und Platten an. Lord Lokhraed legte zu später Stunde neben „Selbstmord Orchester“-Shirts sein Buch „Deathcade (10 years of Nocturnal Depression)“ aus. Unter der Menge befand sich auch Till von Elvenpath. Um sechs öffnete sich der Schlund zu einer neuen ZEREMONIE DER SCHATTEN!
Mit 66 Gästen war der Keller beim Support noch nicht mal zur Hälfte aufgefüllt. VARULV aus der Steiermark, Österreich - bestehend aus Irrah Den Fryktelige, Hallwolf und Heimdall´s Auge - trugen Kapuzen, Tarnschminke, viel Eisen und schweres Schuhwerk, und ihre durch den Schädel einer Geiß gekeifte Propaganda steckte voller Misanthropie. Sie war böse, böse, verboten, und religiös und ideologisch völlig unkorrekt. Aber, in Ordnung, wir hatten es jetzt verstanden. Dabei war das Ganze besser als unser Weg, den wir bis hierher durchstehen mußten. Und so absurd der unter einem schwarzen Kapuzengewand getrunkene Rotwein auch wirken mochte, so klischeetriefend ein Titel wie „Der Teufel nahm sich eine Dirn“ ist, oder so gleichförmig die Lieder auch klangen: Varulvs roher, primitiver und raserischer Black Metal im Geiste der norwegischen Ahnen packte ganz unabhängig von den Gedanken mit seinem grimmigen Stolz, den tiefgestimmten, volltönenden Apparillos und dem Herzblut der Wölfe. Er machte vieles wett, was in diesem „Leben“ kaum noch auszuhalten ist.
Einer für alle, alle für einen? Nicht immer. Denn durch Schwierigkeiten mit dem Bassverstärker kamen ausgerechnet die alten Musketiere GRIM LANDSCAPE, für die der Auftritt ein „pleasure“ war, mit vierzig Minuten Zeitverzug ins Rollen. Damit vermasselten sie uns das Ende von Nocturnal Depression. Einer für alle, alle für einen! Zu viert bestellten Forcas, Bellator, Scrumb (alles Muskelprotze mit rasiertem Schädel und Stiefeln) und Schlagzeuger (!) Lord Lokhraed das Feld für Nocturnal Depression. Die 1998 vom Lord als Hell formierten und wie Nocturnal aus Grenoble stammenden Grim Landscape, kamen mit einem kruden Mix aus Venom, Motörhead und treibendem Black Metal daher. Oder - um es aus Sicht des Lords zu sagen - wie eine Krawallversion seiner Hauptgruppe. Grim Landscape waren simpel, robust, aber mit viel Herz und Hingabe gemacht - wie Franzosen! Draußen äußerte jemand: „Mit dem Motörhead-Cover haben sie gerade noch einen Pluspunkt gesammelt.“ Weniger harsch formuliert: „Orgasmatron“ war das Beste. Immerhin agierten Grim Landscape kompakt und stutzten ihre Darbietung so um zehn Minuten zusammen.
Die Bühne von zwei hochlodernden Fackeln flankiert. Im ersten Sturm drei Kapuzenmänner, der mittlere mit erhobenen Händen ein Dreieck formend. Im Hintergrund ein weiterer Schwarzgeklufteter in einem Meer aus Kerzen. Vom Tonband wuchtige Trommeln von wagnerianischen Ausmaßen. Mit diesem magischen Ritual begannen die Dritten im Bunde: Iskald, Erebus, Neshamah und C.G. alias PORTAE OBSCURITAS. Eine Gruppe mit Stil und Tiefe: So viel war schnell klar! Mit ihren heidnischen Ritualen, ihrem wunderbar ausgewogenen, zwischen halluzinierend schnell und doomig langsam rochierendem Black Metal, der dem Ganzen einen starken spirituellen Unterton verlieh, nahmen mich Portae Obscuritas im Sturm. Und für manch einen stieg der ewigliche Zehnminüter „Manifestation of Acheronian Trinity“ auch zum heimlichen Schlaglicht der gesamten Zeremonie empor. Wie in einem super abgründigen und zugleich seherischen Ritual reckte der Frontmann am Ende einen Totenkopf gen Himmel. Es soll ein echter gewesen sein... Wie schon die Einleitung wurde auch der Ausklang von transzendentalen Klängen aus dem Off untermalt. Damit endete der erste Deutschlandauftritt der Innsbrucker und ihr erster seit zwei Jahren überhaupt. Ein hochgradig anspruchsvoller!
Die German Servants of True Satanic Black Metal SARKRISTA mußten ihr Erscheinen als Hauptakt im letzten Jahr absagen. Sie versprachen, alles nachzuholen - und hielten Wort. Damit konnten Sarkrista als persönlliche Helden der Organisation bereits vor sieben Monaten als erste Gruppe für das Festival rekrutiert werden. „Das wird eine Treibjagd“, wurde uns versprochen. In meinen Augen holte das Kommando um Revenant, Farbauti, Nil und Exesor jedoch zu oft das Schema F heraus. Nach einer sehr melodischen, mitunter punkigen Tonprobe, kamen die vier finsteren „Kirchendiener“ aus Hamburg im Anschluß wie in einem starken Kontrast infernalisch schnell, äußerst böse und kalt wie der Tod daher, und wirkten dabei mit ihrer Körperlichkeit und dem verzogenen Gesicht auch fürchterlich reißerisch geradezu. Am Ende ertönte ein Outro vom Klavier, welches nicht so recht zum Geschehenen passen wollte. Nach einer Dreiviertelstunde war Sense.
Der Schwanengesang oblag dem wegen seines Namens beim Verfasser mythologisch gleichgesinnten Status geniessenden Selbstmordkommando NOCTURNAL DEPRESSION (Nocturn steht für die klangliche Langsamkeit der Nacht, Depression für eine undefinierbare Sehnsucht nach dem finalen Akt). Doch wie bereits Count Grishnacks Burzum und so viele Black-Metal-Projekte danach, bestehen Nocturnal Depression nach dem Abgang von Herrn Suizid im Grunde nur aus einer Person: Lord Lokhraed. Allein dessen Erscheinen - Stigma an der linken Hand, metallisch grau schimmerndes Haar und Einschußloch an der Stirn - jagte mir Schauer übers Kreuz. Zu einer Zeit, als sich der Auftritt von Nocturnal Depression dem Ende neigen sollte (23 Uhr 41), fiel der Peng. Die Reise in die inneren Abgründe begann. Lord Lokhraed keifte, schrie und zelebrierte seinen Grim auf dieses schöne Scheißleben. Der junge Sechssaiter Avskrius, der bärtige Bassist Krahne und der treue Trommler Morkhod gaben Geleitschutz. Die vier zeigten sich mit der ersten Sekunde lodernd, mit unbändig wirbelnden Mähnen und anrührender Ehrlichkeit. Nocturnals Gemisch aus Black Metal, Doom Metal und Klassik stach direkt ins Herz, und dessen Anstifter entwickelten eine beängstigend besessene Hingabe Mit „Acédie“ und „Hear My Voice... Kill Yourself“ hatten Nocturnal mich unweigerlich headbangend vor sich liegen, aufgestellte Nackenhaare inklusive. Und mit „Spring“ folgte gleich die nächste Todeskapsel. Zwei Weiber schenkten mir ihren Platz vorm Laustprecher und schoben mich geradezu aufs Geviert. Die Faszination Nocturnal Depression hätte ewig so weitergehen müssen. Doch nach der Hymne überhaupt, „They“, und nach Lokhraeds Worten: „This one is for you, Germany, a new one: „Selbstmord Orchester“!“, war die Zeremonie für Frau Peanut und mich gesungen. Der Aufbruch mitten in der achten Todeskapsel verlief kurz und schmerzhaft. Den Klassiker „Nostalgia“ und das epische „Dead Children“ hörten wir nur noch aus der Ferne in die kalte Winternacht unterm Taunus hallen...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
VARULV
(18.10-18.54)
1. Irrlichter
2. Knochenkult
3. Crimson Stars
4. Das Festmahl der Hobagoaß
5. Galgenblüten
6. King of Dusk
7. Witchhunter
8. Der Teufel nahm sich eine Dirn
 
GRIM LANDSCAPE
(19.45-20.20)
1. The Shrine of Lilith
2. Answer the Call of War
3. Grim Landscape
4. Nuclear Cleansing
5. My Blood for My Land
6. This Day, We Flight
7. Orgasmatron [Motörhead]
 
PORTAE OBSCURITAS
(20.52-21.41)
Intro
1. The Grand Invocation
2. Manifestation of Acheronian Trinity
3. In a Twilight Obscurity
4. Ascendant
5. Sapientia Occulta
Outro
 
SARKRISTA
(22.17-23.03)
1. Black Devouring Flames
2. Summoners of the Serpents Wrath
3. Ascending from the Urns
4. The Gathering of Blackest Shadows
5. Behold Perdition
6. The Sea (pt. 1)
7. The Evil Incarnate
8. He Who Liveth and Reigneth
 
NOCTURNAL DEPRESSION
(23.41-0.40)
CD track 1
1. Farewell Letter
2. Acédie
3. Hear My Voice... Kill Yourself
4. Méditation Grisâtre
5. Spring
6. Her Ghost Haunts These Walls
7. They
8. S.I.E.K
9. Nostalgia
10. Dead Children
CD track 2
Es begann wie ein ganz normales Festival. Am Ende jedoch bekam die Zeremonie ein paar Kratzer. Einige haben es übertrieben, sind sturzbesoffen vorne rumgehampelt, haben randaliert. Sarkrista wurden von einem Knilch belästigt. Und als bei Nocturnal Depression auch noch der Mikroständer umfiel und die Lautsprecher besudelt wurden, flogen auch endlich Fäuste. Der Ärger mit der Beschallungsanlage summierte sich auf eine Stunde. Dadurch blieb manchen der Schluß verwehrt. Bei unserem Abzug rollte eine Streife vor. Trotzdem ging die ZEREMONIE DER SCHATTEN als bestes Underground-Black-Metal-Fest aller Zeiten in unsere Annalen ein. Wir durften NOCTURNAL DEPRESSION erleben! 2018 folgt das nächste Ritual!
 
Schwarzdoomige Hails
Ronald & Schwarze Loge Ritus
Alle Gruppen
Das friedfertige Publikum
Frau P. (für die Überredungskunst)
 
 

Heiliger Vitus, 28. Februar 2017