WITH FULL FORCE X
 

Mainstage:
SOULFLY
, J.B.O., SIX FEET UNDER, HATEBREED, SUBWAY TO SALLY, PRONG, NAPALM DEATH, THE SPOOK, DRITTE WAHL, TOTENMOND
Tentstage (Hardbowl):
RYKER´S, SLAPSHOT, SMOKEBLOW, DISCIPLINE, ROGER MIRET & THE DISASTERS, CALIBAN, THE TURBO A.C.s, CHARLEY´S WAR, THROWDOWN
Tentstage (Knüppelnacht):
EISREGEN
, 1349, MACABRE, ZYKLON, AMON AMARTH, ENTHRONED
D-Löbnitz, Flugplatz Roitzschjora - 4. Juli 2003
Metal, Kult und Kommerz
 
Nach dem Ausfall des Eindhovener „Dynamo Open Air“ war Sachsens „With Full Force“ zur weltweit größten Freiluftschau in Sachen Metal, Punk und Hardcore aufgestiegen. 1994 im Stadtpark Werdau vor bescheidenen 2500 Besuchern erstmals abgezogen, 1996 auf den Flugplatz Zwickau verlegt, und nach immer weiter steigenden Besucherzahlen 1999 nochmals vom Westen in den Norden des Freistaats verlagert, war das Full Force auf dem Fliegerhort Roitzschjora an seinem zehnten Sonnenaufgang zu einem wahren Giganten herangewachsen. 25
 000 fielen an den drei Tagen im Juli in der kleinen Gemeinde Löbnitz (2200 Einwohner) ein. Gerüchteweise sollen noch mal so viele illegal auf das Gelände eingeschleust worden sein. Mehr als siebzig Gruppen aus aller Herren Länder traten auf drei Bühnen auf. Mit dabei waren diesmal unter anderem Slayer, Type O Negative und Ministry.
 
Freitag, 4. Juli (1. Tag)
 
Riesenspektakel, Teil 1. Unter der Woche hatte eine rätselhafte Entzündung in mir gewütet. Der Medizinerbefund lautete Herzmuskelentzündung. Dazu kam eine angebrochene Rippe. Schmerzhemmer richteten mich soweit auf, daß ich mit meinem Mädel Peanut die Reise von Frankfurt nach Nordsachsen in Angriff nehmen konnte. Ein Fernbleiben wäre übel gewesen. Wir hatten vor langer Zeit gebucht und bezahlt. Und zwar 59 Euro für die Eintrittskarte, 64 für die Reise und 36 für die Unterbringung. Das waren 162 Euro feste Ausgaben pro Kopf! Für Devotionalien und Verpflegung sollten weitere 300 draufgehen. Unterm Strich kostete das WFF-Wochenende jeden von uns rund 500 Euro. Und dabei hatten wir viele Gruppen schon gesehen, oder sie interessierten uns nicht die Bohne. Wir kamen nur wegen für Saint Vitus, Saint Vitus, Saiiint Viiitus!!! - Um 14.09 Uhr ging´s der Sonne entgegen. Wieder eine Reise von West nach Ost, von der Gegenwart in die Vergangenheit...
 
Schwabens Doompunker TOTENMOND lärmten als wir die innerdeutsche Grenze zwischen Bebra und Gerstungen kreuzten. Wechsel von perfekt buntstrahlenden zu windschief verwitterten Häusern. Es fühlte sich wie Heimkehren an. Ausgelöst von dieser Ansicht kam mir ein altes Kinderlied in den Kopf und ließ mich nicht mehr los: „Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer. Unsre Heimat sind auch all die Bäume im Wald... Und wir lieben die Heimat die Schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke gehört.“ Ausgeträumt!
 
Von 17.15 bis 17.55 Uhr war es Zeit für Industrial-Thrash. Amerikas Dreizack PRONG hatte seinen Auftritt.
 
Nach einem Umstieg in Bitterfeld waren wir um 18.45 Uhr in der Schokoladenstadt Delitzsch angekommen. Das Domizil „Zur Grünen Linde“ lag direkt vorm Tor zur Altstadt. Büsten von Marx und Lenin schwebten dort über der Bar: zwei von der SED-Kreisleitung, eine von der Volkspolizei. Die Gästezimmer waren mit Flimmerkiste, aber ohne Spind und Spieglein ausgestattet. Und die Betten standen getrennt. Da in der „Linde“ gewöhnlich Monteure nächtigen. Brause und Abort waren übern Korridor. Ankunft, Erfrischen, Auspacken, das Übliche... Unser Doomgefährte Kalle meldete sich fernmündlich vom Festivalgelände. Mit der Nachricht, daß Automobilisten für den Kilometer Zufahrt zum Parkplatz sechs Stunden (!) brauchten. Um acht saßen wir am Abendtisch. Wir hatten Würstchen und Salat bestellt. Es dauerte ewig. Derweil wir warteten, hatten die US-Deather SIX FEET UNDER ihren Auftritt. Ein Händler vom „Metal-Markt“ setzte sich zu uns. Und um 21.15 Uhr kamen wir endlich weg.
 
Vom Bahnhof Delitzsch fuhr ein Pendelbus zum Festivalgelände. „Ca. 1 Fahrt/Stunde“ stand auf dem Pappschild am Zaun. Wir wollten schon eine Droschke nehmen, als 21.30 Uhr endlich ein Bus anrollte. Einen Euro kosteten die zwanzig Kilometer zum Fliegerhorst Löbnitz. Unterwegs rasten uns drei Sankras mit Blaulicht entgegen: Die Fete war in vollem Gange. Um zehn hatten wir unser Ziel erreicht. - - Rückblende: WFF-Mitorganisator Roland „Bogo“ Ritter ist Doomjunkie wie ich - und er wußte vom Fanzine „Heiliger Vitus“. Aus Sympathie hatte Bogo dem „Webzine Heiliger Vitus + 1“ elitäre V.I.P./Pressepässe zzgl. Fotopass versprochen. Diese sollten wir am Presseschalter im Tausch gegen die Karten abholen. - - Am Kassenhäuschen wurden uns die Schmuckstücke abgenommen, und rosa Eintrittsbändchen mit der Aufschrift „V.I.P.“ ums Handgelenk gelegt. Doch der Fotopass fehlte. „Am nächsten Tag zwischen elf und zwölf sind welche da. Versprochen!“, so die Dame am Einlaß. Aber wir wollten (und durften!) ja ohnehin nur Debris Inc. und Saint Vitus ablichten. Um 22.05 Uhr wurden wir dank rosa Armband von den Kahlköpfen an Kontrolle 1 durchgewunken. Ein Trampelpfad entlang der Zeltburgen führte hinab ins Epizentrum. Viele waren mit Musikanlagen ausgestattet und zogen eigene Feste ab. Das Erste, was uns „with full force“ entgegendröhnte, waren die Onkelz: „Nichts ist für die Ewigkeit“. In der Umzäunung hing ein Lebloser im Cradle-Shirt „JESUS IS A CUNT“...
 
Um 22.15 Uhr passierten wir die Zeltbühne, wo zur „Hard Bowl“ Hardcore-, Punk- und Crossover-Combos gelärmt hatten. Die Kassel-Gang RYKER´S waren die Letzten gewesen. 20.40 Uhr - lange vor uns - hatten sie das Zelt verlassen. - Also rein zur Hauptbühne. An Kontrolle 2 winkten uns die Ordnungsmänner beim Vorzeigen der V.I.P.-Bändchen mit „Is okay“ großzügig durch...
Unbekannte Metalbräute und Peanut @ WFF
Wir standen jetzt auf Deutschlands heftigstem Acker, vor der 14 Meter hohen, 33 Meter breiten, 16 Meter tiefen und zwanzig Tonnen schweren Hauptbühne. Die Rosa Armee Fraktion J.B.O. spielte - vier Spaßmetaller aus Erlangen. Kannte nix von denen, außer die berühmten „Arschloch und Spass dabei“-Motive. Zu erstaunlich knackigen Achtziger-Gitarren punkten die Franken gerade „Verteidiger des Blödsinns“ und das selbstbetitelte „J.B.O.“ in die kühle Nacht. Der Platz vor der Hauptbühne war weit und beim James Blast Orchester recht leer.
 
Wir drehten eine Runde und gelangten an den Stand der Blattmacher „Rock Hard“. Ich machte Kühnemund und Albrecht aus, der Rest waren unbekannte Gesichter. Einer zeigte uns den Weg zum offiziellen WFF-Stand - mit Kleidungsstücken von Saint Vitus: nichts wie hin! Mit vier Shirts zu siebzig Euro blieb die Beute allerdingsbescheiden. Ein Mädel verkaufte sie - eins von ganz wenigen auf dem Full Force. Und ein Ärgernis offenbarte sich auch erstmals: Der Fliegerhorst lag in einem Funkloch.
 
Um 22.45 Uhr stürmte das Rollkommando des ersten Tages auf die hohe Rampe: die Partisanen um Dreadlockrevoluzzer Max Cavalera: SOULFLY. Cavalera war Frontmann der genialen brasilianischen Thrasher Sepultura. 1997 kickten ihn die Komplizen um Bruder Igor aus der Gruppe. Seit 1998 zieht Max nun mit der Brigade Soulfly durch die Welt. Heute über Sachsen. Mit mambagrün schimmernder Gitarre über den Schultern spie Max „Um, dois, treis, quatro.... Destroy the earth!“ und holzte sich durch „Back to the Primitive“. Pünktlich zum südamerikanischen Fluidum aus Tribals, Bongos, Congas, Dschungeltrommeln und Thrashgewittern öffnete der Himmel seine Schleusen. Wir verzogen uns ins Zelt, tranken etwas aus der Leipziger Brauerei zu Reudnitz (0,4 Liter für 2,20 Euro) und ließen die vom Sturm getragen Schallwellen von „Seek ´n´ Strike“ auf uns wirken. Flakscheinwerfer im brasilianischen Grün-Gelb durchschnitten die Nacht. Und Kräne und Hebebühnen mit Kameraleuten fuhren vor Soulfly auf und ab. Mit „I won´t take it! Can you take it?“ und „Kill all the Noise!“ prügelten die Amerikaner die nächsten Guerillanummern in den Regen. „Everybody jumping! Um, dois, treis!“, dies der Befehl zu „Jumpdafuckup“, zu etwas Rap. Echte Stimmung wollte unterdes nicht aufkommen. Blitzeblaue Gestalten torkelten über die nasse Wiese durch die Nacht. Max packte eine Berimbau aus, die einem riesigen Pfeil-und-Bogen glich. Vom Naturton-Apparillo abgefeuert, tribalten Soulfly“ und „Fire“ in den sächsischen Nachthimmel. Zwanzig Minuten vor Ultimo - nach der Sepultura-Altigkeit „Chaos A.D.“ - mußten wir den Rückzug antreten. Soulfly waren nicht die Großen, aber zumindest beachtlich.
Die letzte Fuhre hatte der Fahrer vom Pendelbus für Punkt null Uhr festgesetzt. Da wollten wir mit, um wach zu sein für Saint Vitus. Beim Passieren der Zeltbühne nahmen wir noch den Beginn der KNÜPPELNACHT wahr. Belgiens Schwarzmetaller ENTHRONED hatten zur Geisterstunde ihr Massaker gestartet - vorwärts in eine Nacht durchtränkt von infernalischem Black- und Death Metal. Schwedens Wikinger AMON AMARTH entgingen uns. EISREGEN aus Deutschland sollten um 5.15 Uhr das Licht ausknipsen.
 
Der Busfahrer hielt Wort und sicherte um 0.05 Uhr die Rückkehr der Besucher. Acht begleiteten uns auf den raserischen zwanzig Minuten übers nachtschwarze sächsische Land nach Delitzsch. Nur die flackernden Blaulichter der Polizei und Sankas setzten helle Punkte... In Delitzsch waren die Schänken schon zu. Aber in unserer „Linde“ brannte noch Licht. Damit bekamen wir das Abschlußgetränk. Zu vorgerückter Stunde kreuzte ein knapp bekleidetes Pärchen in der Kneipe auf: sie im Kleinen Schwarzen, er mit einem um die Hüfte geschlungenen Tuch. Man hatte ihnen das Zelt mit allen Habseligkeiten geklaut. Halb zwei lagen Peanut und ich in der Falle - und zwar schön artig voneinander getrennt.
 
 

Heiliger Vitus, 9. Juli 2003
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