WITCHCRAFT, GRAVEYARD
D-Frankfurt am Main,
Nachtleben - 21. Mai 2009
Das Volk muß den Gürtel enger schnallen. Die „Krise“ der neuen Zeit als hübscher Grund, näher zusammenzurücken. Soziale Gerechtigkeit wird propagiert. Durchhalteparolen, die im Frankfurter Klub „Nachtleben“ auf taube Ohren stießen: Sagenhafte 13,20 Euro kostete der Eintritt für die zwei Undergroundacts des Abends. Ein Preis, für den es vor nicht allzu langer Zeit den Mainstream in mittelgroßen Hallen gab. Und zwar für ein „Online Ticket“, das sich der Gast aus dem Komputer selber drucken mußte... Mit einhundertfünfzig Selbstausdruckern war das Mauseloch im Zentrum Frankfurts ordentlich gefüllt. Unter den Gästen ausgesprochen viele Langhaarige, ein Doom-Pärchen, daß eine Anreise von Stuttgart hinter sich hatte, sowie zwei Jünglinge mit schönen Hemden: einer mit „Blut. Donner. Untergang.“ sowie Algiz-Rune, der andere mit - nomen est omen - „Fuck Reality“ auf der Brust.
Den Auftakt bestritten ab 21.05 Uhr die vier Neuzeitverweigerer GRAVEYARD aus Schweden. Graveyard machten Musik aus einer Zeit, in der sie noch nicht lebten. Und zwar obskuren, okkulten Hard Rock der frühen Siebziger im Geiste von Blue Cheer, Black Sabbath und Konsorten. Überbrodelnde, leidenschaftliche Gitarren voller Herz und Seele verschmolzen mit einer vielleicht nicht begnadeten, dafür aber ungemein leidenschaftlichen und inbrünstigen Stimme. Lange Haare, Schnauzer, verschwitzte Shirts, Bluejeans und eine gewisse Schüchternheit machten den Charme der wiederentdeckten guten alten Zeit perfekt. Graveyard waren Psychedelic Rock pur, mal wild, mal schwermütig, mal experimentell, mal weißmagisch schnell. Vielleicht nicht jedermanns Ding, aber durchaus fesselnd. Die Höhepunkte trugen Namen wie „As The Years Pass By, The Hours Bend“, „Satan´s Finest“ sowie „Thin Line“, und die „Evil Ways“ besiegelten nach 50 Minuten diese endkultige Schau der Freaks aus Sverige. Es war erfrischend nostalgisch, seelenvoll, wie bei meinen ersten Konzerten in den Siebzigern.
 
Konsequenterweise verkauften Graveyard keine digitalen Tonträger, sondern nur Vinyl. Selbst der Standbetreiber trug einmütig Prinz-Eisenherz-Haar und Pornobalken. Wir konnten die Leute am Ende gar nicht mehr auseinanderhalten. Komischerweise sollte mir einer der Helden im weiteren Verlauf durch sehr unnatürliche Verrenkungen auffallen. Ob da Alkohol im Spiel war?
WITCHCRAFT hatte ich vor fünf Jahren als Wiedergeburt der Doom-Urahnen Pentagram erlebt. Witchcraft klangen wie Pentagram und Pelander sang wie Liebling. Zu meiner Enttäuschung sind die Schweden im Laufe der Jahre aber nicht die verborgenen Wege des Doom Rock, sondern die des massentauglichen Hard Rock gegangen. Und ich war mir überhaupt nicht sicher, ob es sich um dieselben Personen von damals handelte. Insbesondere der Frontmann glich mit seinem fülligen Korpus und den runden Wangen einem anderen Menschen. Mit Ausnahme des Schlagzeugers waren es aber Pelander, Hoyles, Henriksson und Jansson, die nun auf den Planken standen. Witchcraft 2009, das ist nicht mehr die tiefenpoetische, fast zerbrechliche Schwarzhexerei. Nein, das Rudel aus dem Nordland ging mit sehr viel Druck, Wucht und Virilität ans Werk. Witchcraft tönten mitunter hart stampfend, bisweilen aber auch federleicht schwebend, und Frankfurt erlebte siebziger Blues par excellence. Angefangen vom kauzigen Headbanger „Chylde of Fire“, über den alten Schatz „No Angel or Demon“, den verruchten Ohrwurm „Witchcraft“ bis hin zur gedachten Zugabe nach einer Stunde, einer Hommage an Pentagram namens „Please Don´t Forget Me“. Witchcraft waren aber (leider) ebenso wenig Doom wie die Landsmänner vom Totenacker. Dank sympathischer Menschen ließ sich die Schau dennoch gut erleben. Die Nacht dürfte für manche nicht ganz ohne Nachwirkungen geblieben sein...
 
Peanut schwärmte noch Tage danach von Graveyard.
 
 

Heiliger Vitus, 23. Mai 2009