TOWERS OF MADNESS
 
TONER LOW, BLACK SHAPE OF NEXUS, MR MARCAILE, OBELYSKKH, 7 MINUTES OF NAUSEA, NIGHTSLUG, DRESDEN/LENINGRAD
D-Stuttgart, Jugendhaus West - 15. Juni 2013
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo... So oder so ähnlich verlief der Ausflug von Frau Peanut und mir zum TOWERS OF MADNESS VOL. 1. Kosten für Reise und Unterkunft, eine durchwachte Nacht, innere Zerrüttung, zwei besoffene Studienräte und zu viel Bier im Bordbistro waren Probleme, mit denen wir uns rumschlagen mußten. Hitze und ewiger Sonnenschein, maues Interesse, schlechtes Essen (Bratwürste und Pommes), und das konsequent strenge Zeitschema (Einlaß: 15.30 Uhr, Beginn: 16.25 Uhr, Ende: 0.00 Uhr), die der Initiatoren Büffl und Malte. Dem gegenüber standen sieben mutmaßlich gute Gruppen, auf Pergament gedruckte und an die Hausanschrfift gelieferte Eintrittskarten (Hintergrundmotiv: historische Langstreckenläufer, 19,50 Euro die Karte), leckeres Wulle aus der Ploppflasche für zwei Piepen - und das Privileg einer Erstaustragung!
 
Nach drei Stunden mit der Eisenbahn waren wir von der Wetterau ins Ländle durchgedrungen. Vom Hotel in Stuttgart-Feuersee war´s dann nicht mehr weit zum Bestimmungsort, dem in einem Betonklotz untergebrachten, autonomen Jugendhaus „Juha West“ in der Bebelstraße. Spuckweite geradezu. Ferner waren wir darauf gefaßt, am Ende der nach dem Politiker benannten Straße auf einen Roten Platz zu stoßen. Doch dann beschränkte sich alle Propaganda auf diverse Aufkleber im Abort. Heute hatten die Doom-Anhänger, der Boris, der Blackblood, Herr Groebel, Freaks aus Südwest und natürlich die Helden des Abends die Lage im Griff. Neben Malte von der Veranstaltergruppe Black Shape of Nexus verdingte sich Jochen Fopp von Mirror of Deception (R.I.P.) als Roadie. Um die 100 Leute waren gekommen. Damit war der 200 Personen fassende Konzertraum locker gefüllt. In den Pausen lief u.a. Thrashkult wie „Bonded by Blood“ von Exodus.
Mit zwanzig Minuten Zeitverzug ging´s um 16.45 Uhr los. Die Stoner-Doomer DRESDEN/LENINGRAD durften die neue Festivalserie eröffnen. Und die Erwartungen waren turmhoch. Allein die Heimatstadt im Gruppennamen... Dazu der Mut, sich ausgerechnet den Weltkriegen zu widmen. Diese einfühlsame Stimme (auf Niederländisch!), die hypnotischen Instrumente...: Dresden/Leningrads erstes Minialbum war fester Gast meiner Anlage. Und dann trafen Sebastiaan IsAan, Gijs Highnis und Lei von der Straße ausgerechnet am großen Tag mit Verspätung aus Amsterdam ein, und waren - wie Peanut und ich - offensichtlich ohne Erdung durch den Wind. Die Männer hatten noch nicht mal einen Schluck Wasser zu trinken. Abgesehen von der ekstatischen Körperlichkeit des Bassisten, gestaltete sich sich der Auftakt seltsam fahl. Die Walze „Herder“ schürte Hoffnung, doch gleich das Nächste - wiederum ein Neues - schlich wie auf Valium daher. „De Broeder“ versöhnte am Ende von vierzig Minuten etwas, aber die Enttäuschung war schon da. Dresden/leningrad hatten starke Ansätze, waren aber lange nicht so aufwühlend wie angenommen. Nur 40 bis 50 Leute erlebten Dresden/Leningrad...
Mit Kampfdoom auf und sechzig Kreaturen vorm Podest ging´s weiter. Von NIGHTSLUG sind mir drei Dinge besonders in Erinnerung geblieben: 1. der Kurzärmler des Bassisten mit dem Schriftzug „Kolossale Jugend - Halt´s Maul Deutschland!“; 2. der vermeintliche Doppelgänger des Frontmanns, der meine Frage nach der Herkunft mit „Leiden, Holland“ beantwortete (doch Nightslug kamen aus Hagen!); und 3. die ziemlich undoomige Ausrichtung. Ab 17.50 Uhr schlugen J., P. und F. Slug ein hochexplosives Gemisch aus Death Metal, Hardcore, Wasauchimmer-Krawumm in die Menge. Rabiates Röcheln und Keifen krachte auf fulminante, tief liegende Trossen und stringente Knüppel. Sludge Metal könnte man dazu sagen. Straff, taff, ohne Mätzchen und richtig gut war das. Nach 42 Minuten waren Nightslug durch.
Vor dreißig Gesichtern folgte mit SEVEN MINUTES OF NAUSEA die nächste Kloppertruppe. Zwischen 18.44 Uhr und 19.02 Uhr tobten nur wenige Sekunden währende Grind- und Noisecore-Attacken (wobei allein das finale, an Bohren und der Club of Gore erinnernde Teil, zehn Minuten beanspruchte). Dazwischen wüteten herrlich nostalgische, irrwitzige, kranke Scharmützel in der Machart früher Napalm Death oder Anal Cunt. Zwei alte Männer aus Koblenz, ein weibliches Nesthäkchen an den Trommeln, dazu ein vergrautes Wrack hinterm Mikro, fabrizierten Krach, der nichts mit Doom gemeinsam hatte, aber trotzdem tierisch Laune machte. Schließlich erlebte man mit Mick Hollows eine Legende von 1985 (wobei der Chef nicht nur äußerlich aus der Zeit gefallen war, sondern sich auch im Gespräch als absoluter Junkie erwies. Aber das bleibt streng geheim, dito gewisse Verbindungen in die Frankfurter Szene). Aus Freude über den Auftritt kollerte von Zeit zu Zeit etwas über die Bühnenbretter, und nach 18 Minuten sowie einem artigen „Dankeschön“ war der Blitzkrieg aus Deutsch-Australien vorbei und alle Bodentreter in einem Polsterumschlag verstaut.
Das meiste Publikum (100 Leute) und die längste Spieldauer (60 Minuten) hatten OBELYSKKH. Vom Mann mit den gigantischen Glockenhosen, Feind von Kitsch und Klamauk und mein persönlicher Todesengel in einem, Torsten T., nebst seinem Kommando aus Fürth, hatte ich Imperiales erhofft - und bekam beim ersten Aufeinandertreffen eine Art milden Conan-Doom. Nach der Schau berichtete Torsten von unmenschlichen Bedingungen auf der Bühne, von sengender Hitze und den Strahlern. Schweiß und einiges an Tiefe hatte es gegeben. Ultralässige Gitarren, satte Bässe, ein paar verschlungene Momente, Glamour aus den Siebzigern, das eine und andere Sternenglitzern, harsches Geschrei, dazu etliche Sperenzchen und gestenreiche Aktionen des Trommlers auf seinem Instrument. Grob gesagt durchliefen Obelyskkh drei Phasen: zuerst den Stoner Doom, in der Mitte den Sludge, und final die dröhnende Zerstörung durch eine selbstbestimmte Verlängerung (einen noch namenlosen Plattmacher, zugleich das beste Teil im Programm). Crazy Woitek, Stuart The WizKid West, Dirty Dave und Steve The Krusher Paradise brachten weder den Abspritzer noch die ersehnte Heilung, kamen aber verdammt nah dran. Auch eigene Befindlichkeiten, wie der Tag so war, spielen immer eine Rolle...
Um neun zog sich ein bräsiger alter Herr vor der Bühne bis auf den Schlüpper aus. Dann vollführte dieser Herr einen abstrusen Veitstanz, stieg aufs Geviert, und nahm hinter einer Bassgeige und zwei Trommeln Platz. Und schließlich nuschelte das Knautschgesicht - nach einem Bespeicheln der Bühne - so was wie „I am Monsieur Markai from somewhere in hell“ ins Mikro. Was als etwas seltsame Soloperformanz begann, nahm rasch bizarre Züge an. MR MARCAILLE hatte ein krasses Tableau aus Hardcore, Punk und Kotze mitgebracht. Er griff zur Flasche, kippte jede Menge in sich hinein, etwas über den Kopf, den Rest ins Publikum, und zelebrierte ein Holterdiepolter zwischen Charles Bukowski, Lemmy und GG Allin. Derweil die Frontreihe auf Sicherheitsabstand ging, wurde die Lage auf der Bühne immer absurder: Monsieur zerstörte systematisch seinen Bogen, spuckte und rotzte auf sarkastisch-drastische Ansagen wie „What shall I say?“ nach Herzenslust auf die Bühne (auch durch die Nase), und erbrach sich auch mal aus voller Kehle... Nun verlangte die Meute mehr, was wiederum den Tonmeister zur Weißglut brachte: „Der rotzt uns die ganze Bühne voll.“ „The Wall of Death“ hieß das vorletzte Lied... bevor mich ohrenzerfetzendes Brummen in die Flucht schlug. Als Zugabe diente eine Nummer seiner Landsmänner Trust: „Antisocial“. Im Anschluß an seine Dreiviertelstunde bat das Schwein um Spenden von 50 Cent bis zwei Euro - wurde jedoch später von Peanut mit einer nur etwa halb so alten und einen Kopf größeren Dame gesehen. Dabei trug Marcaille ein elegantes Seidenhemd. P. dachte, sie sieht nicht richtig... War das alles nur Lüge?
„Was ´ne scheiß Band!“ Der mir das ins Ohr raunte, war Jan Wolf, Keyboarder von BLACK SHAPE OF NEXUS. Als Jan das zu mir sagte, waren seine Mitstreiter bereits fünf Minuten zugange. Vokalist Malte Seidel hatte bis dahin mit einer Pulle Bier weltenentrückt im Schneidersitz am Boden gesessen (nicht auf der Spuckseite vom Marcaille!), dazu hatte sich Marco Hauser hinterm Schlagzeug warmgedroschen, die Sechssaiter Ralf Bernhardt und Gebbo Barome (heute mit seitlichen Zöpfen) hatten sich eingegroovt, und Bassist Stefan Kuhn die Flatter abgestreift. Ja, es gab ein neues Mitglied: Bergweiler hatte keine Lust mehr. All das geschah, als Jan neben mir auftauchte, sich hinter seinem Pult in Stellung brachte, und es zur Auferstehung des Vokalisten kam. Als B.SON um 22.15 Uhr mit dem neuen alten Werk 'Negative Black' auf Sender gingen, war zwar die Sonne untergegangen, zugleich war es in dem für B.Son viel zu engen, kleinen Raum aber auch unaushaltbar stickig geworden. Der Koloss des deutschen Doom brachte bei seinem Heimspiel seinen perfekt ausgefeilten, alles zerquetschenden Sound aus schweren Gitarren und Trommeln und Trommeln, fiesem Elektrogefiepe, grimmigen Gedanken und verstörendem Geschrei. Kurzum: die volle Dröhnung. Doch das Juha West bot keinen Platz, um Druck abzubauen. Zu viele krallten sich ganz vorn fest. Peanut und mir blieb nur eine Nische am Ausgang. B.SON mußten ihren Auftritt fünf Minuten früher - nach nur 49 Minuten - abbrechen. Im Unterschied zum Anfang fiel das Ende völlig unspektakulär aus.
Der Abend mündete in die Nacht, und die abgründigen Töne in flauschigem Stoner Doom... Ein weiteres Mal waren Daan und das Dreadlock-Pärchen Miranda und Jack alias TONER LOW diejenigen, die das Licht ausknipsen sollten. Schon seit 1998 aktiv, erfanden die drei aus Leiden das Rad nicht neu, waren aber taffer und bissiger als zuletzt. Bizarre Schreie durchzogen die wohlige, von tranquillierenden Lavalampen und bewegten Cannabisblättern untermalte Soundcollage. Immerhin kühlten die Niederländer mit ihrer Musik den Schwitzkasten etwas herunter. Leider ist Stoner Doom nicht jedermanns Ding. Mitternacht türmten wir vom „Towers“ und verquasselten die letzten Minuten von Toner Low mit Jochen Fopp in der milden Nachtbrise. Punkt 0.12 Uhr war Sense. Peanut erzählte mir später noch von einem kleinen Vorfall: Zwei Holländer waren mit Hinweis auf das hiesige Rauchverbot von der Aufsicht erst höflich, und - da sie nicht spurten - anschließend kurz und bündig mit „Raus“ vor die Tür geschickt worden. Später äfften die Holländer immer wieder den Fingerzeig und ein geschnarrtes „Raus!“ nach.
 
Auf dem Rückweg durch Schduddgard Weschd ins Hotel bekamen wir das erste gescheite Essen an diesem langen Tag: nachts um eins bei „Ackermanns“. - - Die Heimreise am folgenden Sonntagmittag war nett und kurzweilig. Es fuhr erneut ein Zug nach Nirgendwo... - Die Nachwirkungen zum ersten „Madness“ hielten sich in Grenzen. Aber selbst Rom wurde nicht an einem Tag gebaut. Wir sind gespannt, ob und wann der zweite Vorhang fällt.....
 
 
((((((Heiliger Vitus)))))), 21. Juni 2013 (Sonnenwende)
(Bilder: Hl. Vitus)
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
OBELYSKKH
1. The White Lightnin
2. Hymn to Pan
3. Ravens
4. Mount Nysa
5. Horse
6. Heavens Architrace
7. The Horned God
8. Man Within
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9. Unbekannt (unveröffentlicht)
 
BLACK SHAPE OF NEXUS
1. IV
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