TANKARD, HOLY MOSES, SAPIENCY, PERZONAL WAR, SCORNAGE, PIE RATZ
D-Frankfurt am Main, Batschkapp - 29. Dezember 2017
Von diesem Konzert hätte ich keinen Bericht verfassen dürfen. Denn die Zeit, als Tankard und Holy Moses für mich Helden waren, liegt dreißig Jahre zurück. Ähnliches gilt für die „Batschkapp“, die nach ihrem Umzug von Eschersheim in eine ehemalige Plastefabrik in Seckbach mit ihrem alten Namen und mit Metal soviel zu tun hat wie die Erde mit dem Pluto. Für den letzten Freitag im Jahr hatten Tankard eingeladen. Fünf Freundesgruppen und eintausendfünfhundert Schäfchen waren ihnen ins häßliche Industriegebiet gefolgt. Auf dem schmutzig-kahlen Vorgelände stand ein schwarzes Plastezelt, worin die Raucher bei null Grad ihre Sucht befriedigen durften. Die meisten Gäste trugen Klamotten von Tankard oder Motörhead, manche einen Fetzen von Eintracht Frankfurt, der Metalkneipe „Speak Easy“ oder sonstwas Regionales aus Hessen. Schaute man vorab in den Webauftritt der „Kapp“, sprang einem eine Latte an Sicherheitshinweisen ins Gesicht. Flaschen, Dosen, Waffen, Audio- oder Videorekorder, Kameras, Feuerwerkskörper, Pyrotechnik, Laserpointer, Rucksäcke waren verboten; Taschen nur bis A4-Format erlaubt. Wem war das wohl zu danken? Meine Frage zur Kamera beantwortete Sabrina so: „Die Spiegelreflex ist keinesfalls erlaubt. Kompaktcameras sind manchmal ok, da ich aber aktuell nicht sagen kann, ob noch besondere Regeln dazu ausgesprochen werden, kann ich das nicht zusichern.“ Lotte äußerte: „Leider sind gar keine Kameras erlaubt.“ Damit seien auch meine Bilder verziehen: sie wurden mit einem Funktelefon geknipst. Auf jeden Fall ballten sich Ende Dezember die speziellen Tage: am 24. der Geburtstag von Lemmy, am 26. der des Berichters, am 27. der von Sabina Classen (zwei Jahre jünger als der Berichter), am 28. der zweite Todestag von Lemmy (R.I.P.), am 29. das Konzert zum 35. Geburtstag von Tankard! Die hochwertigen Hardtickets für 22 Euro pro Stück hatten wir vor einem Jahr (!) gesichert. Erstmals war die Neue Batschkapp in unserer Gegenwart ausverkauft. Sogar die heilige Empore war für den Pöbel freigegeben.
 
Die Anheizer PIE RATZ (Metal-Rock-Punk-Funk-Pogo, Frankfurt), SCORNAGE (purer, aggressiver Thrash Metal, Aachen) und PERZONAL WAR (Melodic Thrash Metal, Siegburg) waren geschenkt.
Die einzig halbwegs interessante Vorgruppe waren die Melodic-Death-Metaller SAPIENCY. Jörg Beck, ein Bekannter aus alten Tagen, vormals Bassist der Alternativ-Metaller Soleïlnoïr, war Urmitglied des 2009 formierten Sextetts aus Frankfurt. Beck begrüßte uns auch heute, hatte sich äußerlich jedoch derart verändert, daß ich ihn nicht erkannte (meine Adjutantin klärte mich später auf). Dank Tankard ergab sich die Gelegenheit, den so hoch gepuschten Trupp mal live zu erleben. Drei Lang- und drei Kurzhaarige in Schwarz spielten stromlinienförmigen Bombast-Metal im Dunst von In Flames und neuzeitlichen Paradise Lost. Wie bei so vielen des Genres agierten Sapiency mit zwei Sängern, welche sich allerdings nicht die typischen Duelle aus gegrunzten und klaren Vokalen lieferten, sondern annähnernd gleich hymnisch klangen. Die vielen krachledernen Ansagen waren vielleicht was für das „Verständnis der Eingeweihten“ - wie Sapiency übersetzt heißt -, aber nichts für mich. Es blieb eine Dreiviertelstunde frei von Ideen.
HOLY MOSES´ Schallplatte 'The New Machine Of Liechtenstein' lief bei mir Ende der Achtziger rauf und runter. Der selteneren Variante lag ein Comic-Heft in Schwarz-Weiß zum Einzelpreis von 3,50 DM bei. Darin wird die Geschichte einer Chefärztin der Abteilung Psychiatrie erzählt, die einen katatonischen Patienten namens Locky Popster therapieren soll. Jener hatte als Leiter eines geheimen wissenschaftlichen Projekts in Liechenstein einen Mischling aus Komputer und biologischer Masse kreiert - der außer Kontrolle geriet und Angst und Schrecken über die Welt brachte... Neun Jahre nach unserem letzten Erlebnis im „SO36“ Berlin, war ich mehr auf Holy Moses als auf Tankard gespannt. Nicht zuletzt auf die heutige Besetzung, die wie ein Rudelbums schon 35 Akteure verschliss, darunter Verflossene und Leute von Helloween, Sodom, Anthrax, Nuclear Assault, Erosion und Cold Mourning. Mit der 1981 dazugestossenen Sabina Classen (jetzt Hankel-Hirtz) ist ausgerechnet die wunderschöne, außerirdische „Queen of Thrash“ als Einzige (fast) von Anfang an dabei. Eskortiert wurde sie von Sechssaiter Geltat, Viersaiter Neitsch und Trommler Lücking, die ihre Lady stoisch wie drei Säulen flankierten. Obwohl Sabina nicht nur die Mutter der meisten im Publikum, sondern auch die der Männer an ihrer Seite sein konnte, war kein Altersunterschied erkennbar. Sabina zeigte sich sexy und austrainiert, sie spritzte Wasserfontänen aus dem Mund und warf ihren Kopf wie ehedem bei einem Exorzismus wie wahnsinnig vor und zurück. Mit „Def Con II“ und „Panic“ brachten Moses schon in den ersten acht Minuten mehr Esprit, Kraft und Lebendigkeit auf die Planken als die meisten in einer Dreiviertelstunde. Es folgten vier Nummern am Stück, die zwar immer noch besser waren als der große Rest, aber auch sehr abgewichst wirkten. Classen verlor sich in Ansagen. Feuchter Trauer folgten hohle Floskeln. Mal feierte sie 35 Jahre Tankard und 36 Jahre Holy Moses; dann schmeichelte sie den Devoten, die Gerre schon so lange den Schwanz hielten; dann wieder beweinte sie Warrel Dane († 13. Dezember), den sie 1988 für RTL befragen durfte, und für den sie mit einer blonden Reinkarnation namens Kris Staubach „Narcosynthesis“ von Nevermore sang. Nach Reflexionen über eine wilde Jugend - „Nothing for My Mum“ - und den wichtigen und steil gehenden „Life´s Destroyer“ und „Current of Death“ kam es zum finalen Höhepunkt: Sabina hatte Gerre zehn Mädchen versprochen. Sechs wurden es, die sich erst artig wie zur Bambi-Verleihung auf der Bühne aufreihten - um bei „Too Drunk to Fuck“ wild das Haar zu wirbeln... Möglicherweise führt der Lauf des Lebens auch hinter eine Fassade. Ob bürgerliche Wirklichkeit zum Thrash Metal paßt, überlasse ich jedem selbst. Ebenso, ob der altgediente Name „Holy Moses“ neue Fans gewann. Für einen alten war es wie Sex in einem Mausoleum.
Mit TANKARD gab es nicht nur ein Wiedersehen mit Gerre, Andy, Frank und Olaf, sondern auch mit den vertrauten Markenzeichen der Band: raserischen Trossen, polternden Trommeln, einer heiseren Metalsirene und viel lautem Gewitzel. Punkt 22 Uhr ertönte als Einklang ein dunkler Blues aus den Sechzigern: Nina Simones „Feeling Good“ - gefolgt von Tankards neuester Heldentat „One Foot in the Grave“ sowie den Smashhits „The Morning After“ und „Zombie Attack“. Damit lag die Batschkapp ihren Heroes zu Füßen. Tankard frästen mit Höllentempo eine Schneise durch die Jahrzehnte. Ein Thrasher jagte den nächsten. Dazu interagierte Gerre wie immer viel mit den Fans, lief mit sarkastischen Zoten, blümeranten Durchsagen an die Meute und ironischen Spitzen zu seinen Kollegen - „Die Pornozeiten sind vorbei!“ - wie gewohnt zu großer Form auf. Es war unmöglich, ihn nicht zu mögen. An gewisse neue Äußerlichkeiten mußte man sich natürlich erst gewöhnen. Genau so an den Fakt, daß die Vergangenheit so oder so nicht mehr das ist, was sie mal war, wie ich sie in Erinnerung hatte... Mit zwei, drei Altigkeiten und geschickt eingestreuten Ansagen schafften es Tankard aber immer wieder, Spannung und Interesse so hochzuhalten, daß man blieb, auch wenn Thrash schon ewig nicht mehr meine Abteilung ist, und die auf die Wand projizierten Promofotos so irritierten wie der Verzicht aufs Zauberelixier. Einzig der Frontmann nippte vor „Die With a Beer in Your Hand“ eher sinnbildlich an einer Flasche. Auch eine Pause wie die nach „Minds on the Moon“ (gewidmet den Neunzigern, als Thrash schon mal tot war), und die grell flackernden Diskolichter bei „Rest in Beer“ hätte es früher nie gegeben! Ebenso wenig wie gravierende Veränderungen in den letzten neun Alben des neuen Jahrtausends. Aber die sind von den Fans wohl auch nicht gewünscht. Doch der alte Stoff ist dem Trend leider turmhoch überlegen... Tankard machten Freude wie immer, sie trafen den Ton der Zielgruppe perfekt, waren aber für ihre alten Anhänger etwas verloren. Nach einer Stunde, und nachdem das Gegröle der Eintrachtfans nach „Schwarz-weiß wie Schnee“ immer stärker wurde und der Abend zu einer Karrikatur zu verzerren drohte, hab ich mit Frl. P. die Mücke gemacht. Der unschlagbare Kult um „Chemical Invasion“, „Alien“ und „(Empty) Tankard“ ging ohne uns übers Geviert.
 
 
Heiliger Vitus, 3. Januar 2018, Bilder: wegen Kameraverbot mit Funktelefon gemacht
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
PIE RATZ
(17.15-XXX)
1. Party Time
2. Same Fucking Shit
3. Arctic War
4. For a While
5. Geliebte
6. Meat and Beer
7. Fucking Master
 
SCORNAGE
Zeit und Titel unbekannt
 
PERZONAL WAR
Zeit und Titel unbekannt
 
SAPIENCY
(19.40-20.24)
Titel unbekannt
 
HOLY MOSES
(20.42-21.34)
1. Def Con II
2. Panic
3. Hellhound
4. Finished with the Dogs
5. Reborn Dogs
6. Undead Dogs
7. Nothing for My Mum
8. Welcome to the Real World
9. Narcosynthesis [Nevermore]
10. Life´s Destroyer
11. Current of Death
******
12. Too Drunk to Fuck [Dead Kennedys]
 
TANKARD
(22.00-ca. 23.40)
Intro: Feeling Good [Nina Simone]
1. One Foot in the Grave
2. The Morning After
3. Zombie Attack
4. Not One Day Dead
5. Rapid Fire (A Tyrant´s Elegy)
6. Die With a Beer in Your Hand
7. Rules for Fools
8. Minds on the Moon
Intro: R.I.B.
9. R.I.B. (Rest in Beer)
10. Pay to Pray
11. Metal to Metal
12. Rectifier
13. Chemical Invasion
14. Freibier
******
15. Alien
16. A Girl Called Cerveza
17. Schwarz-weiß wie Schnee
18. (Empty) Tankard