TANKARD, ABANDONED
D-Frankfurt am Main, Neue Batschkapp - 29. Mai 2015
Gibt es ein Leben jenseits der Doom-Ödnis Rhein-Main, dem nahenden „Sommerloch“, und des eigenen Dorftrotts? Lassen sich die Achtziger und Neunziger zurückholen? - Nach einer traurigen Fahrt mit der S6 vorbei am Ground Zero der alten (echten!) „Batschkapp“ und einem Schienensuizid in Ginnheim, hatten Frau Peanut und ich kurz vor acht die neue Batschkapp in der Gwinnerstraße erreicht. Vor dreißig Jahren mußte ich diese Straße jede Woche laufen, um einen Nuttenjob in der Gelastraße zu erledigen. Etwa zur gleichen Zeit schraubten Tankard an ihrem Erstling 'Zombie Attack'. Niemand hätte 1985 gedacht, daß in der häßlichen Industriezusammenrottung von Seckbach einmal Frankfurts führender Kulturschuppen Quartier bezieht. Wie herzlich lag Onkel Ralles „Kapp“ in Eschersheim... Der neue Standort fand sich zwischen anderen Fabrikhallen wieder. Nach einem Vorgelände mit einem Imbisswagen und einer Leibesvisitation war man drin - sofern man keine „Spiegelreflex“ mitführte. Zum Glück stand Tankard-Manager Buffo im Eingangsbereich, ansonsten hätten wir ein Problem gehabt. Als Entschädigung tauschte die Kasse unsere Computer-Tickets in geschmackvolle Hard-Tickets um. Sie trugen die Nummern 1076 und 1080, und könnten damit auch als Besucherzahlen zutreffen. Rund 1100 füllten die 1500 Personen fassende Neue Batschkapp bei Tankard auf. Mit „zweckdienlich nackt“ ist jene noch mild umschrieben. Nur die schwarzen Wände und die mitgenommene Diskokugel erinnerten noch an alte Zeiten. Aber Erinnerungen lassen sich sowieso nicht in Kisten verpacken. Das Neue war High-End ohne Charme und Fluidum. Ketten verwehrten den Aufstieg zu der als Errungenschaft und besonderem Clou angepriesenen Empore. In der Menge befanden sich etliche Fußballfans mit wenig Sinn für Musik, typisches Wacken-Volk, doch kaum Langhaarige, ein Frollein, das aussah wie die Schauspielerin aus dem Film „Feuchtgebiete“, ein Betty-Ford-Insasse, Jörg Beck, und natürlich Buffo, der seine Gelenkigkeit etwas überschätzte, und beim Klettern über den Zaun am Merchstand beinahe unfreiwillig komisch zerschellt wäre. Einen Sturz konnte er mit Glück und Eleganz verhindern.
Sekundengenau um 20 Uhr mußten ABANDONED den Abend vor der „mageren“ Kulisse von anfangs dreihundert Leuten eröffnen. Die Thrasher aus Darmstadt hatten wir 2003 als Stoßtrupp für die Epic-Doomer Mirror of Deception erlebt. Diese Konstellation war damals etwas verwunschen, aufgrund dämlicher Ansagen für Doom-Fans auch etwas seltsam - als Nostalgie in der Gegenwart jedoch in Ordnung. Bis auf einen Neuzugang am Bass (Mr. T. statt Günt), und Durchhaltevermögen (Abandoned rappelten eine Stunde!), hatte sich wenig geändert. Wenn Frankfurt mit „Hello Cleveland“ begrüßt wird, und wenn Sätze fallen wie „Wir sind froh, für Tankard eröffnen zu dürfen - nach uns kann jede Band nur gut aussehen“ oder „Wir stehen wegen hoher Gagenforderungen auf der Fahndungsliste des FBI (Frei-Bier-Injection)“, dann deutete das wohl darauf hin, daß man im vergangenen Jahrzehnt wenig dazugelernt hat. Abandoned mußte man sich schöntrinken - und jene hatten´s auch nicht leicht. Denn alle wollten Tankard sehen... Ziemlich am Schluß weihte man den „Birnenabschrauber“ „Trapped“ dem jüngst gestorbenen Sänger von Dragonsfire, und nach dem „Gassenhauer“ „We Are Hell“ waren die vier aus Südhessen durch. Abandoned waren keine Ausgeburt an Wucht, zeigten aber, daß ein gewisser Pegel vor Trostlosigkeit schützt.
Nachdem minutenlang der majestätische Riesenvogel „El Condor Pasa“ kreiste, hieß es „Achtung, Hochgeschwindigkeitsmusik“! Punkt 21 Uhr 22 hatten sich Geremia, Gutjahr, Thorwarth und Zissel vor der dichten Szenerie in Stellung gebracht - und dann ging´s mit knackigen Gitarren, hartem Schlagzeug, markantem Geschrei und „Need Money for Beer“ los. Für Bilder hatte ich mich extra im ersten Sturm postiert - und dort war nach wenigen Sekunden mein Hosenboden voller Bier. Es ging alles seinen gewohnten Gang. Die trinkfesten Vier aus Frankfurt gaben sich - treu dem Eintrittsstempel auf der Hand - „cool“ und ohne Schnickschnack, und gingen mit ihrem 16. Langeisen, 'R.I.B. (Rest In Beer)', ihren Weg konsequent weiter. TANKARD boten Thrash Metal, der nach der guten alten Zeit schrie. Unter zwei Dutzend Titeln befanden sich natürlich auch welche aus dem neuen Jahrtausend, mit denen sich nicht jeder identifizieren kann. Auf „The Beauty and The Beast“, „Metal to Metal“ oder „Rectifier“ hätte ich gern verzichtet und stattdessen „Commandments“, „The Meaning of Life“ oder „Days of the Gun“ gehört. Auch war die Stimmung in der neuen Umgebung nicht so doll. Seltsam steril wirkte die Halle, und seltsam bahnten sich auch die Schallwellen ihren Weg. Vom Nachbarn verstand man kein Wort. Dazu verwehrte der Securitygraben den engen Kontakt, und versaute Stagedivern deren Spaß. Das hatten wir schon besser erlebt! Doch mit ihren Altigkeiten „The Morning After“, „Zombie Attack“ und „Maniac Forces“ stellten Tankard erneut den Beweis auf, daß geistige Getränke die Freude am Leben stärken, und führten mich spätestens mit „Space Beer“ zielstrebig dem Absturz entgegen. Bei „Chemical Invasion“ fand ich das Plätzchen zum Headbangen. Gerre fiel es leicht, Komplimente zu verteilen: „Ihr seid so geil.“ Und er bekam sie zurück. Von Tankards Anwältin, einer Dame in Nylons. Einem Fan aus Irland. Sowie von einer hageren alten Frau mit Strohhut, die vor mir auf einem Hocker im Graben saß, sich als Gerres Mama entpuppte, und ihrem Spross vor „Minds on the Moon“ eine Rose zusteckte. Im Gegenzug brillierte der Frontmann wieder mit Ironie und Verachtung für sämtliche Formate, auf die das Konzert gebannt wurde. Eine Zote setzte es ferner an Blatter und die Fifa. Nein, Tankard enttäuschten ihre Anbeter nicht, und zelebrierten im furiosen Finale exklusiv (!) in Frankfurt die Eintracht-Hymne „Schwarz-weiß wie Schnee“. Dazu krachte die Außerirdischenhatz „Alien“ aus den Lautsprechern. Nach „(Empty) Tankard“ und unglaublichen zwei Stunden stürzte Gerre sich als Stagediver vom hohen Geviert und wurde von Filmmusik untermalt von den zweihundert Überlebenden auf Händen durch die Kapp getragen.
 
Mit den letzten Klängen drehte das Personal die Zapfhähne zu, und beförderte die Besucher mit großen Besen aus der Batschkapp hinaus. Aber weit vor Mitternacht hatten viele noch nicht genug... Wohin in einer Industriebrache gehen? Die zum Glück pünktliche U7 in Richtung Innenstadt war rammelvoll mit Fans. Zusammen mit einem Pärchen aus Chile, das wir auf der Hinfahrt trafen, haben Peanut und ich noch einen Schluck an der Bar im „Nachtleben“ genommen. Den letzten Zug in die Wetterau erwischten wir in letzter Sekunde. Zu Haus angelangt, stellte ich immerhin noch die braune Biotonne zur Leerung an die Straße. Der Rest fiel der Amnesie zum Opfer. Gegen drei lagen wir in der Falle.
 
 
Heiliger Vitus, 1. Juni 2015
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
ABANDONED
(20.00-21.00)
1. Unbekannt
2. Unbekannt
3. Disorder
4. Fuck You Bastard
5. Sands of Time
6. The Oncoming Storm
7. Misanthrope
8. Holy Terror
9. Trapped
10. Unbekannt
11. We Are Hell
 
TANKARD
(21.22-23.29)
Intro: El condor pasa
1. Need Money for Beer
2. The Morning After
3. Zombie Attack
4. Fooled By Your Guts
5. Not One Day Dead (But One Day Mad)
6. The Beauty and the Beast
7. Stay Thirsty!
8. Rapid Fire (A Tyrant's Elegy)
9. Rules for Fools
10. Maniac Forces
11. Metal to Metal
12. Die With a Beer in Your Hand
13. Minds on the Moon
Intro R.I.B.
14. R.I.B. (Rest In Beer)
15. Space Beer
16. Time Warp
17. Rectifier
18. Chemical Invasion
19. Freibier
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20. Alien
21. Schwarz-Weiß wie Schnee
22. A Girl Called Cerveza
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23. (Empty) Tankard
Outro: Derrick-Thema