SUNN O))), BIG ‡ BRAVE
D-Wiesbaden, Schlachthof (Halle) - 2. September 2016
(((O))) Nach einer durchlebten Woche in Dresden mit verheerenden Zugfahrten von Frankfurt nach Sachsen und von Ost zurück nach West, nach empfundenen tausend Kulturschocks, und nach einer schönen Nacht wenige Stunden zuvor mit Sacri Monti im „Ostpol“, war die Schraube überdreht: Ich litt unter bestialischem Halsweh, jeder Schluck ein Höllenschmerz! Hätten wir Sunn nicht schon vor Monaten gebucht, wäre ich mit meinem Sonnenschein in Elbflorenz geblieben (ums Verrecken aber nicht nach Westhessen gefahren). Doch die Vergnügung hatte uns immerhin 60 Euro gekostet. Und: Sunn gaben in Wiesbaden nur eins von elf Konzerten ihrer 'LET THERE BE DRONE'-Kampagne in Europa überhaupt! Dies bedeutete für jeden Doom-Lunatic eine heilige Pflicht! - Und dann wurde einem auf dem Weg vom Wiesbadener Bahnhof zum Austragungsort die Laune gleich doppelt verdorben: Im vorgelagerten „Kulturpark“ fand ein „Street Food Festival“ statt. Statt auf elitäres Schwarz stießen wir auf buntes Geklimper, eiserne Gitter und den Geruch von Grillgut. Und die nächste Ernüchterung folgte auf den Fuß: Nachdem der geneigte Gast von Sunn O))) unterm Auge des Torwächters sein mitgeführtes Getränk gestürzt, die Karte vorgezeigt sowie sämtliche Marktbuden passiert hatte, kam´s vorm eigentlichen Venue zu einer weiteren Kontrolle mit Bodycheck und Filzen aller Taschen. Wobei wir noch verdammt Schwein hatten: Denn unsere Kamera wurde mit einem Etikett versehen und in der Außengarderobe als „Anlage 101“ bis zum Verlassen des Geländes eingelagert. Heute war ALLES VERBOTEN! Eintausend Besucher hatten sich in der Großen Halle des „Schlachter“s eingefunden. Damit war sie locker gefüllt. Zu trinken gab es unter anderem „Augustiner“ aus München. Wir kamen gerade noch zur rechten Zeit...
Montreals BIG ‡ BRAVE - Bedienstete von Sunn´s Plattenfirma Southern Lord - hatten die Schau pünktlich um acht eröffnet, und die Bühne in einen endzeitlichen Trip verwandelt. Nur vom Strahl eines Scheinwerfers vom Boden aus erleuchtet, und umgeben vom thingartig angeordneten Halbkreis aus den Sunn- und Orange-Bassverstärkern ihrer Meister, standen in minimalistischer Aufmachung eine zarte Mädchengestalt in festlichem schwarzen Kleid und Stöckeln, sowie zwei jazzige Herren in smartem Zwirn. Die drei lieferten eine Art Post-Metal respektive Drone Doom in der frankokanadischen Variante. Brachiale Trossen paarten sich mit rituellen Trommeln und einer romantisch-morbiden Singstimme zu einem Erlebnis zwischen bedrohlicher Stille und der nahenden Katastrophe. Der Gitarrist spielte wie entfesselt. Demgegenüber stand die thetralische Mimik des Perkussionisten und der Frontfrau mit dem Bass. Dies wirkte sehr kunstvoll, allerdings auch etwas unterkühlt und anstrengend. Mit anderen Worten: Die Klischees wurden etwas überstrapaziert. Mit ihrer halben Stunde aus dem Album 'Au De La' hatten Big ‡ Brave ihre Mission als Eröffner für Sunn erfüllt, mehr aber auch nicht!
SUNN O))). Allein ihre Geschichte sprengt den Rahmen eines Konzertberichts. Vor der Jahrtausendwende von Gitarrist Stephen O'Malley und Bassist Greg Anderson als Fortführung der frühen Earth in Seattle gegründet, sind Sunn O))) nicht bloß die Mitbegründer des „Musik“-Genres Drone Doom, Kern für Abspaltungen wie Thorr´s Hammer, Burning Witch, Goatsnake, Khanate oder Teeth of Lions Rule the Divine, und Kopf des Doom-Imperiums „Southern Lord“. Nein, Sunn O))) sind schon lange die geschäftstüchtigste Doom-Formation der Welt. Man gibt sich an wahnwitzigen Orten die Ehre, etwa im größten Irrgarten des Erdballs, dem „Labirinto Della Masone“ bei Parma. Das heute zelebrierte Album 'Kannon' ist das siebte. Um neun begann die Präsentation in echt. Weißer Rauch schoß in die Halle. Mehr und mehr. Bis sie in den äußersten Winkel vernebelt lag. Nachdem jeder Blick verwischt war, trat Mayhem-Sänger Attila Csihar - seit Jahren der dritte Mann im Bunde - auf die Bühne. Allein. Um eine minutenlange okkulte Beschwörung in fremdem Ungarisch in den Äther zu knurren. Allein Csihars Präsenz erzeugte Grusel, Ehrfurcht und Schauder in einem. Nach zehn Minuten schien Attila umhüllt von immer neuen Nebelschwaden wie ein rot glimmender Kapuzenmönch frei im Raum zu schweben. Nun folgten The Lord (Anderson) und Soma (O'Malley) mit ihren Begleitern Tos (Thomas Nieuwenhuizen) und Stebmo (Steve Moore, Ex-Earth) ins Licht. Genauer: Sie wandelten als geisterhafte Geschöpfe unter Kutten in der tiefstmöglichen Zeitlupe daher. Damit begann der instrumentale Teil, das unaufhörliche, bedrohlich laute Dröhnen: die Urkraft der (((Bässe))) ... Der Auftritt verlief als zweistündige Parabel in drei Kapiteln. Diese waren von etwa der gleichen Länge, variierten jedoch im Grundton von anfangs reinblütigem Drone über ambientige Passagen im Mittelteil bis zum Finale im finsteren Funeral-Stil. Und sie grenzten sich visuell voneinander ab. Das zu Beginn einer scharlachroten Sonnengeburt gleichende Podium verblich im Laufe der kommenden Stunde mehr und mehr zu einem fahlen Gelb. Dazu wehten schwarze Rauchschwaden. So als ob der alles vertilgende Sonnenkranz nun selbst verglüht und sich ein Schlund zum Nichts auftut... bis alles in einem postapokalyptischen Blau und Violett erstarrte. Damit glich die Optik einer Reise von der SCHÖPFUNG in den WELTUNTERGANG. Die surreal entschleunigten Gesten und Bewegungen der Akteure, mal eine äußerst langsam erhobene Hand, mal eine im Schneckentempo über den Kopf gereckte Gitarre, mal eine ewiglich gen Himmel geblasene Fanfare, immer neu in den Raum flutender Nebel - kurz: eine mit dem Schauplatz harmonierende, gigantische Ästhetik aus überwältigenden Kulissen -, und über allem das gleichförmige Brummen und Rumsen der Apparillos, stürzten die Darbietung letztlich in einen sakral-delirierenden Rausch zwischen Wahn und Wirklichkeit. Sunn waren wie Doom auf Koks! Die Verwirbelung währte zwei Stunden. Dabei zogen O'Malley, Anderson und Konsorten ihre Linie konsequent ohne jeden Haken oder auch nur einen Anflug von Melodie durch. Als man glaubte, es sei vorbei, ging es erst richtig los. Doch die Menschenmasse blieb wie von einer unsichtbaren Macht geführt dran, und wurde eins mit den Wolken und den Klängen von Sunn O)))! Niemals wurde die Apokalypse wirklicher zelebriert. Vollends entrückt wurde das Geschehen durch den Verwandlungskünstler Attila, der im Schlußakt als buddhistisches Erleuchtungswesen „Kannon“ im bizarr glitzernden Zackengewand wie ein menschlicher Vogel unter unheimlichen Nazgul-Schreien einen Totentanz vollführte.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
BIG ‡ BRAVE
(20.03-20.33)
1.-4. Titel unbekannt
 
SUNN O)))
(20.56-22.57)
Intro [Black Sabbath - Black Sabbath]
1. Aghartha
2. Wine & Fog
3. Kannon 1
4. Candlegoat
Outro [Black Sabbath]
Leider wurde die Faszination Sunn O))) beim Abzug erst durch das Sicherheitspersonal, das jeden Kontakt mit den inzwischen unvermummten Protagonisten unterband, dann durch das bunte Treiben im Hof, und letztlich vom Gesindel und Ungeziefer in der Wiesbaden-Frankfurter S-Bahn zerkratzt. Der Ekel und die Ohnmacht in der Unterzahl ist für Außenstehende nicht nachzuempfinden; es gibt so viel Wahnsinn auf dieser Welt. Trotz der letzten Eindrücke bleibt die Nacht mit Sunn O))) als eine derer in Erinnerung, die wir nicht so schnell vergessen!
 
 
Der Drone-Doom-Marathon über 2:01:34 Stunden als offizielle Tonaufzeichnung
...... Sunn O))), Wiesbaden, 2. September MMXVI
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), Smartphonebilder: Peanut & Vitus, 9. September 2016