STONEHENGE, EYES OF EMERALD GREEN
D-Dresden, Riesa efau - 9. September 2017
Es war einmal... in den Siebzigern und Achtzigern des vorigen Jahrhunderts... in meinem ersten Leben... als ich nach oben wollte... als Leistungssportler in der DDR... zuerst als Kampfsportler... später als Radrennfahrer. Zufällig befanden sich beide Klubheime dicht nebeneinander in der Dresdner Friedrichstadt: die Sektion Judo von Lok Dresden im Bahnhof Mitte; die Abteilung Radsport der SG Dynamo in der Adlergasse Nummer neun. Aber was hat Sport mit einem Abend zu tun, der „progressive, psychodelische, doomige, stonerige, postrockige Sounds“ versprach, und der auch nur von einer Buschfunk-App namens „Was geht?“ beworben wurde? Nun, der Schauplatz „Riesa efau“ lag nur wenige Meter von den damaligen Sportstätten entfernt - und schien doch wie aus einer weit, weit entfernten Welt. Wo wir einst als Judoka getriezt wurden, war heute ein Platz, der Schlagzeilen mit Schlägereien zwischen Zuwandernden macht. Und dort, wo wir vor mehr als dreißig Jahren als Radsportler für Dynamo ideologisch eingeschworen und von Pritschenwagen der Polizei zu Wettkämpfen gefahren wurden, paffte jetzt eine hippe Netz-Community Haschwolken in die Luft. Doch die Häuser und das Kopfsteinpflaster in der Adlergasse Ecke Wachsbleichstraße hatten alle Zeiten überlebt. Die heutige Musik spielte im Luftschutzkeller der Adlergasse 14. In der Friedrichstadt fielen auch die ersten Bomben... „Rein: 19.00, los: 20.00 Uhr ...wie immer pünktlich, ihr kennt das Spiel mit 22 Uhr und so“: So lautete der zeitliche Rahmen. Den Eintritt durfte jeder Gast zwischen vier und sieben Euro frei entscheiden. Fünfzig sorgten dafür, daß der geduckte Konzertraum nicht nur bedrohlich voll, sondern mangels Belüftung auch schrecklich heiß wurde. Einer trug ein Shirt von „Nineeleven“... Zu trinken gab es das Kiez-Bier „Quartiermeister“ (Pils) für 2,50 Euro und das Billo-Bier „5,0 Original“ (Export) zu 1,50 Euro, jeweils Nullfünf aus der Flasche.
Die Hauptakteure STONEHENGE als eigentliche Anstifter für unseren Besuch, hatten neben der Bar einen Tisch mit einem Sammelsurium aus Shirts, CDs und Platten aufgebaut. Stilistisch bekamen wir indes etwas anderes geboten als erwartet. Statt auf Stoner Rock oder gar Doom setzten Stonehenge auf Prog und Krautrock gespickt mit Psych und hin und wieder etwas Black-Sabbath-Schwere. Mit diesem äußerst eigenwilligen Mischmasch katapultierten uns die vier Potsdamer, die mit ihren Mähnen und Bärten aussahen wie waschechte Stoner-Rocker, ins Kalifornien der Siebzigerjahre. Die Schau strotzte vor Effekten, Wendungen, Stilbrüchen, Macken und dadaistischer Unordnung - strahlte aber auch überhaupt nichts aus. Aura läßt sich nun mal nicht erzwingen. Dummerweise war der ab dem dritten Lied eingesetzte „Gesang“ nicht nur unsagbar miserabel, nein, er versickerte im ansonsten guten Klang des Kellers auch völlig. Als Höhepunkt blieb der von durchgeknalltem Orgelhupen und stonerigen Vibrationen getriebene „Concrete Krieger“ an der sechsten Stelle... worauf die Potsdamer zu ihrem letzten „Song“ mit dem schönen Namen „Die Bockwurstmetapher“ kamen - der von jemandem als letzter „Zonk“ nachgeäfft wurde. Trotz Überschreitung der 22-Uhr-Grenze durften Stonehenge einen Nachschlag liefern. Dieser war kein Gutenachtlied, sondern eine Spukhausgeschichte. Er hieß „Ole in Het Spookhuis“ und war von gespenstischen Gesten eingeleitet. Muuuaaahhh...
Begonnen hatte der Abend indes mit einer traurigen Ansage. Es war die erste, die der Bassist je tat (er hatte sich auch seit Tagen Gedanken gemacht, was er sagt), und dann kam das raus: „Wir sind EYES OF EMERALD GREEN. Unser Auftritt ist für einen guten Freund, der vor anderthalb Wochen nicht mehr aus dem Schlaf erwacht ist und dessen Geist hier im Raum rumschwebt. Das ist für dich, Kofski, das ist nur für dich gemacht!“ [Anm.: Kofski hatte ich verstanden] Mit „sehr berührend“ ist auch der Verlauf ganz gut umschrieben. Wobei die Klänge ein Wechselbad der Gefühle durchschritten. Die Gitarrenfront Hegner, Hiekel und Burr, Jungen, die sich seit ihrer Schulzeit in Gruna kannten; sowie der Hamburger Brieskorn auf der Wackelposition hinterm Schlagzeug, zelebrierten klassischen, epischen Postrock in der Art von God is an Astronaut, Explosions in the Sky oder Daturah (R.I.P.). Sirrende Trossen wandelten dabei von Titel zu Titel zwischen Wucht und Wehmut, fragilem Ambiente und instrumentalem Rock. Alles geschah wortlos, auf bassigem Fundament und unter Verzicht auf reißerische Posierereien. Und alles war völlig neu. Die fünf Lieder trugen noch keinen Namen (nur geheime Arbeitstitel). Doch sie schienen sehr vertraut und besonders die von markanten Hooks und krachenden Riffs geprägten Passagen im dritten und fünften Akt brannten sich unweigerlich im Hirnkästlein ein. Schon so oft als außer Mode erklärt, erlebte der Postrock heute durch die „Smaragdgrünen Augen“ aus Elbflorenz seine zigste Auferstehung. Und was für eine! Leider verabschiedeten sich Dresdens erste Postrocker schon nach 39 Minuten. Der Tonträger erscheint im Frühling. Im Anschluß verließ das Publikum geradezu fluchtartig den Keller. Nur die Hälfte kehrte zu den eigentlichen Hauptdarstellern zurück. Die Macher dieser Veranstaltung waren übrigens „Am Leben vorbei“...
 
 
Heiliger Vitus, 18. September 2017
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
EYES OF EMERALD GREEN
(20.09-20.48)
1.-5. neu und ubetitelt
 
STONEHENGE
(21.10-22.11)
1. Arctic Brother
2. Kaleidoscope
3. Don´t Shoot
4. Mild Thing
5. Neues
6. Concrete Krieger
7. Die Bockwurstmetapher
8. Ole In Het Spookhuis