SLAYER, OVERKILL
D-Offenbach am Main, Stadthalle - 9. Januar 1989
Nach gigantischen Freiluftschauen, Großhallenereignissen und verheerenden Totalabstürzen zu Beginn und Mitte der Achtziger (darunter Monsters of Rock, Pink Floyd, Scorpions, Skid Row und Mötley Crüe), waren SLAYER und OVERKILL für mich die ersten Speed- und Thrash-Kommandos - die ich überdies auch noch geradezu untergrundig hauteng erleben durfte. Es sollte für mich das beste Metalkonzert zeitlebens werden... Schon der Erwerb der Karte im „Sandrock“ in der B-Ebene der Frankfurter Hauptwache, erzeugte Gänsehaut. 27 DM (Deutsche Mark: die damalige Währung) waren zu entrichten. SLAYER ´88 LIVE IN CONCERT, stand auf dem schwarz-grünen Exemplar. Vom Schriftzug Slayer tropfte Blut, aber er kam ohne die Siegrune aus. Eine fleißige Hand hatte auf allen viertausend Karten mit einem Filzer den Termin geschwärzt: Das Ereignis war vom 4. Oktober 1988 auf den 9. Januar 1989 verlegt worden. Eigentlich hatte die „World Sacrifice Tour“ schon im August ´88 begonnen; Slayer hatten sich dafür mit Danzig zusammengetan. Im September kamen sie nach Europa, um hier mit Nuclear Assault aufzutreten - jedoch nicht in Deutschland. Im Oktober kehrten sie mit Motörhead und Judas Priest für die „Mercanaries Of Metal Tour“ nach Amerika zurück. Im November nahmen Slayer dann wieder ihre „World Sacrifice Tour“ auf, und brachten Motorhead und Overkill mit. Aber erst im Januar des darauffolgenden Jahres betraten sie deutschen Boden - erstmals am 9. Januar im hessischen Offenbach, nun zur „South Of Heaven Tour“ mit Nuclear Assault und Overkill. Nachdem Metallica zwei Monate davor die 14 000 Menschen faßende Festhalle Frankfurt zertrümmert hatten, zeigten Slayer sich vor 4000 im benachbarten Offenbach... Nun gut, ich hatte meine Karte gesichert. Schauplatz war eine der in den Sechzigern und Siebzigern hochgezogenen Mehrzweckhallen: die Stadthalle Offenbach. Sie befand sich in Tempelhof im abgelegenen Süden. Per S-Bahn und Bus kam ich von meiner früheren Klitsche im Frankfurter Westend aus hin. Auf dem Vorplatz kampierte eine ganze Division an Metalheads und Kuttenträgern in einender Kluft. Also Langhaarige mit von Aufnähern übersäten Westen, Bandshirts, hautengen Stretchjeans und Basketballschuhen. Auch Rockerkutten wie die vom MC Mannheim waren zu sehen. Meine Anspannung war so groß, daß ich mir im angrenzenden Busch noch mal die Knochen vertreten mußte. Auch im Halleninneren ging´s hoch her. Im Foyer stand eine Clique mit den Chefs der Frankfurter Anziehsachen-Firma „Pit Bull“. Während Langer mit Militärschnitt wie ein Visionär wirkte, kam Budak mit tätowierter Glatze und bulliger Statur eher wie der namensgebende Kampfhund daher. Pit Bull sollte ich über Jahre linientreu verbunden sein. Ansonsten barst das Objekt vor Leuten. Man wußte wenig oder nichts über den anderen. Aber man sah ins selbe Licht. Schlangestehen am Tresen fraß mindestens zehn Minuten. Allerdings hatte ich in Sachen Aufputschmitteln heute Verzicht geübt (oder sagen wir mal: Ich war disziplinierter). Deswegen erinnere ich mich an alles. Einen Ausfall verzeichnete dagegen das Line-up der Nacht...
 
Die auf den Plakaten aufgeführten und für die goldene Mitte gesetzten NUCLEAR ASSAULT mußten krankheitsbedingt verzichten. War für mich halb so wild. Denn mit der vom Ex-Anthrax-Bassisten Dan Lilker formierten Hardcore-Thrash-Horde konnte ich nichts anfangen. Sie hätte in meinen Augen auch nicht so recht zu Slayer gepaßt. Zu hell, zu grell und kritisch verfärbt, wie vieles von Anthrax und S.O.D.!
So blieben OVERKILL als Spähtrupp. Besser hätte es nicht kommen können. Obwohl Overkill mit ihrer Gründung 1980 schon acht Jahre auf dem Buckel hatten (und damit noch vor Slayer und Metallica das Licht erblickten!), wirkte die Rotte um Sirene Bobby „Blitz“ Ellsworth, D.D. Verni, Bobby Gustafson und Sid Falck bei jedem Auftritt taufrisch und unverbraucht wie ihr Stilmittel Giftgrün. Overkill sprühten nur so vor Energie und Tatendurst, und 'Taking Over' ist für mich das gottbegnadetste Metal-Album überhaupt. Overkill waren hier besser als die Großen Vier des Thrash: aggressiver als Metallica, echter als Megadeth, zumindest so vehement wie Slayer, und intensiver als Anthrax sowieso. Sie machten Speed und Thrash mit suchtauslösenden, raserischen Melodien, toxischen Inhalten, einem Hauch Doom und einer gewissen Fuck-You!-Attitüde. Mit ihrem Zweitwerk gelang 1987 der Geniestreich. „Deny the Cross“, „Wrecking Crew“, „Fear his Name“ und „Fatal if Swallowed“ sind atemraubende Feuerwerke. Heute stand ich bei Overkill im ersten Sturm. Noch immer sehe ich Bassist D.D. direkt über mir, den Lockenkopf mit sanften Gesichtszügen, der mit dunklen, durchdringenden Augen tief in meine Seele blickte. Es ist wie gestern... Seit dem Moment kam ich von der Wrecking-Crew nicht mehr los. Der „Flying Skull“ von 'Taking Over' deflorierte ein Jahr später als erstes Tattoo meine weiße Haut. Die New Yorker starteten mit „Shred“, dem pfeilschnellen Eröffner ihres aktuellen Albums in den Abend, und katapultierten damit stande pede alle Headbanger in den Wahnsinn. Drei weitere von 'Under The Influence' folgten, allen voran der halsbrecherische Thrasher „Hello From the Gutter“. Dazu kamen zwei vom besagten 'Taking Over', und zwar die Hymne „In Union We Stand“ sowie der Donnerhammer „Powersurge“. Und schließlich ihre eigene Version von Subhumans´ „Fuck You“. Eine Trilogie aus „Overkill“, dem traditionell letzten Lied ihrer Platten, geprägt von unheilvollen Ein- und Ausklängen, besiegelte als lange Kaskade einen unfaßbaren Auftritt - und ließ wie in einem Ausblick die dunklen Triebe von D.D. Verni & Konsorten erahnen.
Sie waren jung, sie waren heavy, sie waren Gleichaltrige, und sie waren noch nicht verdorben vom Mammon: SLAYER durfte ich auf deren Zenit erleben. Gnade der frühen Geburt, könnte man sagen. Die Menge ahnte, was in der elften Stunde folgen sollte... Das Wort „Tinnitus“ hatte ich schon mal gehört. Aber Ohrstöpsel auf einem Metalkonzi? Bei einem Ritual von Slayer? Trotzdem zog ich den Rückzug auf den Rang vor, wo die Unberührbaren immer noch zum Greifen nah waren. Was Tom Araya, Kerry King, Jeff Hanneman und Dave Lombardo ablieferten, wirkte, als hätten sich vier Langhaarige mit dem Lichtbringer verbündet, um verbrannte Erde zu hinterlassen. Die Kombination aus Arayas bestialischen Schreien, den bedrohlich aufheulenden Trossen, den peitschenden Snares und dem im Dunkelrot pegelnden Dezibel, entfachte eine Apokalypse wie die Trompeten von Jericho. Araya war als besessener Headbanger zugleich der Geistesführer, King und Hanneman faszinierten als stoisch die Schädel schlagende Saitenmänner, umgekehrt verblüffte Lombardo als Trommler mit unbändiger Leidenschaft und Hingabe. Mit seinen langen Haaren, schwarzen Shirts, engen Lederhosen, Nagelstulpen, schweren Stiefeln und böser Symbolik brachte das Kommando aus Los Angeles ein zugleich martialisches wie satanisches Image. Perfekt wurde das Spektakel dank der Liedauswahl, die trügerisch betörend mit Licht und Finsternis spielte. Mit dem Titeltrack von 'South of Heaven' brach die Hölle auf Erden los. Dem über weite Strecken gedrosselten Neuwerk wurde in der Folge mit sieben weiteren Liedern gehuldigt, von denen „Silent Scream“, „Spill the Blood“ und „Live Undead“ die stärkste Wirkung erzeugten. Vom 1986er Überwerk 'Reign in Blood' wurden „Postmortem“, „Raining Blood“ und „Angel of Death“ kredenzt. Auch Altigkeiten wie „Black Magic“ und „Die by the Sword“ (von 'Show No Mercy'), oder „Chemical Warfare“ entbehren jeden Wortes. Slayer waren das Böse. Und wie das so ist, wenn man mal beim Bösen war: Das Böse kommt immer wieder und durchdringt einen in Form von Platten, Shirts und noch mehr bösen Konzerten. Wenn man sich vor Augen hält, was das an Geld gekostet hat, wieviele graue Zellen ausradiert wurden, dann kann man sich vorstellen, wie sehr einen das geprägt hat. Der Todesengel „Angel of Death“ erlöste die Menge gegen Mitternacht.
Root of All Evil - Der Berichter 1989
Im Anschluß ergatterte ich ein „Root of All Evil“-Shirt und ein Plakat. Beides und die Eintrittskarte bewahre ich für immer. Meine Heimreise nach Frankfurt erfolgte ab Offenbach Hauptbahnhof in einem Zug voller Metalheads. Die Wucht und Atmosphäre der Nacht ließ sich immer noch fühlen. Jetzt, wo der Geist zur Ruhe kam, erst recht. Für manche hatte das Leben wohl einen ganz neuen Sinn bekommen. Hätte ich mich damals nicht für eine Zukunft als Metalhead entschieden, wäre ich vielleicht Radprofi geworden, Callboy oder reicher Komputerfritze - wer weiß......
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
OVERKILL
Intro
1. Shred
2. In Union We Stand
3. Powersurge
4. Hello From the Gutter
5. Fuck You [The Subhumans]
6. Head First
7. Drunken Wisdom
8. Overkill / Overkill II (The Nightmare Continues) / Overkill III (Under the Influence)
 
SLAYER
1. South of Heaven
2. Raining Blood
3. Silent Scream
4. Read Between the Lies
5.Black Magic
6. Postmortem
7. Necrophiliac
8. At Dawn They Sleep
9. Die by the Sword
10. Behind the Crooked Cross
11. Kill Again
12. Mandatory Suicide
13. Chemical Warfare
14. Ghosts of War
15. Spill the Blood
16. Live Undead
17. Angel of Death
Nachwelt
 
Mit der Aufweichung und Kommerzialisierung der Metalbewegung ab den frühen Neunzigern und der Erneuerung des Doom, riß auch mein Draht zu Slayer und Overkill. Nach vielen Umgruppierungen sind bei Overkill nur noch ihr Gründer Carlo Verni und der Ende der Neunziger genesene Sänger Robert Ellsworth von Anfang an dabei. Blitz mußte später einen weiteren gesundheitlichen Schlag verkraften. Dennoch galten Overkill 2019 amtlich als noch aktiv. Bei Slayer überlebten Tom Araya und Kerry King die Zeit. Lombardo kam und ging nach Streitereien dreimal. Jeff Hanneman verabschiedete sich 2013 für immer ins Himmelreich South of Heaven [R.I.P.]. Ende 2018 lösten sich die Titanen auf. Der auf Metalkonzertenimmer wieder zu hörende Schlachtruf „SLAYÖÖÖR!“ besteht aus gutem Recht! Slayers Livealbum 'Live Undead' zählt für immer zu meinen dreißig wertvollsten Platten. Obwohl fünf Jahre früher erschienen, atmet es die Magie jener Nacht im Winter 1989. 'Live Undead' ist wie ein Zeitzeuge, der mir jedesmal Schauer übers Kreuz jagt. Die pure Faszination.
 
 

Heiliger Vitus, 1. Februar 2019, Bilder: Unbekannt