18. RUND UM MERKEN
Düren, 24. März 2024
Prolog
 
Der Rad-Renn-Club Düren-Merken hatte zum Saisonauftakt des Straßenradsports gerufen. Stolze dreihundertfünfzig Fahrer hatten sich zu den sechs Rennen am Nordrand der Eifel zwischen Köln und Aachen angemeldet. Dabei ging auch das Schicksal der Gegend rund um das Dörfchen Merken unter die Haut. Während die Kerngemeinde Düren in den letzten Kriegstagen vom Britenbomber Harris vollständig ausradiert wurde (genau der, der auch die Heimat Dresden in Trümmer bombte!), litt Merken unter dem Rheinischen Braunkohletagebau Inden. Die Bagger von RWE stoppten erst am Ortsrand. Ferner lieferten ein Erdrutsch im Tagebau Inden und die Räumung des besetzten Hambacher Forsts schreckliche Schlagzeilen. Für all das hatte ich aber eigentlich gar keinen Kopf: Ich steckte in einer schweren Sinnkrise. Und war - als wäre dies nicht genug - mit Frau Peanut gefangen in einer einsturzgefährdeten Wohnsituation, immer auf der Suche nach einem neuen Leben. Doch nach dem alljährlichen, monatelangen Kampf um eine Rennlizenz war ich nun im Besitz einer ebensolchen für 2024. Merken sollte sowas wie eine finale Entscheidung bringen. Merken zum Merken?
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Von Januar bis Mitte März hatte ich 3700 Kilometer im Taunusgebirge und in der welligen Wetterau gemacht. Die meisten allein, manche gegen unbekannte Sparringspartner auf den zwölf Kilometern hinauf zum Großen Feldberg, zuletzt jedoch auch mit der A-Gruppe des Oberurseler Rennradtreffs (erstklassige Fahrer!), und den eher locker strukturierten Radcommunities Team Kettenhunde und Scuderia Rosetti.
 
Als Trainingsbeispiel die Gipfelwoche vom 26. Februar bis 2. März:
 
Mo.: 21 Kilometer Offroad auf dem Niddaradweg
Di.: 61 km mit 1039 Höhenmetern im Taunus
Mi.: 101 km mit 1852 Höhenmetern im Taunus
Do.: 20 Kilometer Offroad am Fluß Nidda
Fr.: 26 Kilometer Offroad an der Nidda
Sa.: Challenge Feldbergkönig mit Team Kettenhunde: 155 Kilometer mit 3471 Höhenmetern
So.: 1. Recon-Ride Eschborn-Frankfurt mit Oberurseler Rennradtreff: 116 km, 1249 hm, 32er Schnitt
.:: DIE STRECKE ::.
Eine Runde über die Felder südwestlich des Vierhundertseelenortes maß 2,8 Kilometer und hielt neben der bedrohlichen Kulisse des Tagebaus Inden, vier Kreisverkehren und zehn Höhenmetern auch eine Hochgeschwindigkeitskurve eingangs der Zielgeraden parat. Dabei waren die zu durchfahrenden Roermonder Straße, Umgehungsstraße, Am Gieselpfad und Gertrudisstraße zwar breit, aber nicht makellos. Rauher Fahrbahnbelag, Schlaglöcher, einige Schleusendeckel und insbesondere die Windanfälligkeit der Strecke bedeuteten die eigentlichen Schwierigkeiten. Die Masters drehten fünfzehn Runden, die Elite am Ende des Tages das Doppelte.
.:: DAS RENNEN ::.
Mit dem ersten Rennen im Jahr stand auch ein weiterer langer Tag bevor. Nachts halb fünf war Aufstehen, halb sieben saßen wir im Auto, und kurz vor zehn war der zweihundertvierzig Autobahnkilometer entfernte Schauplatz am Ende der Welt erreicht. Eine Viertelstunde vorm ersten Rennen des Tages, dem „Preis der Beinarbeit“ für Hobby- und Nachwuchspedaleure, bot sich somit auf den noch freien Straßen die Chance zur Streckenbesichtigung. Nach einem Kilometer - mitten auf dem freien Acker vor der Monsterhalde von Inden - ging ein kleiner Wolkenbruch danieder. Die kommende Stunde entpuppte sich als Mix aus Sonne, Regen und Graupel im Fünfminutentakt bei Werten um fünf Grad. Ich blieb im Auto, hatte mich keinen Meter warmgefahren. Neben zwei lang- und einem kurzärmligen Trikot entschied ich mich zu einer Dreiviertelhose unter der Rennhose. Als Rad diente meine sieben Jahre alte Trainingskarre: Das Aeromaschinchen schlummerte im fernen Dresden...
In der elften Stunde fiel der Peng zum „Preis von Optik Oepen“. Während die Masters 2 und 3 zusammenfahren mußten (und auch zusammen gewertet wurden), genoß die um fünf Nichtstarter auf fünfzehn Fahrer dezimierte Schar der Masters 4 den Luxus, die Strecke anfangs ganz allein für sich zu haben. Der auf 11 Uhr 6 angesetzte START verzögerte sich indes, da jemandem die Kette runtergefallen war. Mit dem Atem der bereits herannahenden Masters 2 und 3 am Ende ihrer ersten Runde im Nacken, stob das Rudel der Steinzeitmänner davon. Schon nach hundert Metern zerriß es in zwei Gruppen. Vorbei an der Annakapelle ging es durch den ersten Kreisverkehr aufs offene Feld - hinein in holzhammerartigen Gegenwind. Mein verzweifelter Versuch, das Loch von zwanzig Meterchen zuzufahren, blieb erfolglos. Die gespritzte Spitze wollte einfach nicht lockerlassen... Damit war das Ding für mich nach einem Kilometer gelaufen. Ich fuhr in einem Quintett, aus dem sich einer in Runde zwei nach vorn absetzen konnte - während ein anderer im Kreisel ausgangs Runde drei direkt vor mir stürzte. Wäre dieser Kreisel von Bordsteinen begrenzt gewesen, wäre ich übel zerschellt. So schoß ich an dem Gestürzten und einem Leitpfosten vorbei auf einen angrenzenden Pfad... und mit Prellungen an Hand und Ellbogen und tausend Schutzengeln über mir wieder zurück auf die Rennstrecke. Die letzten zweiunddreißig Kilometer waren ein nicht enden wollender Kampf gegen einen toxischen Sturm, der von vorn oder von der Seite, nie jedoch von hinten fegte. Denn die einzige Passage mit Rückenwind - die Start- und Zielgerade - war umkränzt von Häusern. Es war wie eine Schlacht der Rennfahrer gegen den Schrei der geschundenen Natur. Zur Rennhälfte waren die Masters in zig Windkantengrüppchen explodiert. Phasenweise ging es nur darum, überhaupt auf dem Rad zu bleiben. Für Peanut war es schwer, ihren Schirm zu halten. 350 Fahrer hatten gemeldet, 267 standen am Start, ein Viertel kam nicht ins ZIEL. Das Rennen der Masters 4 mischte ein Niederländer auf - derweil ich mit einer knappen Runde Rückstand gerade noch einen Schweizer in Wuppertaler Trikot niedersprinten und Platz acht und acht Punkte für die Rangliste landen konnte. Die NADA war nicht vor Ort.
Finale
 
Die Zeit bis zum Aushang der Ergebnislisten verbrachte ich mit meinem Mädel bei Kaffee und Kuchen im sturmgepeitschten Zelt an der Roermonder Straße - derweil die späteren Zahlen und Zeiten bereits über einen Bildschirm an der Stirnseite liefen. Beim Gehen erkundigte sich ein Zuschauer mit Blick auf unser Nummernschild: „Was verschlägt Dresdner in diese landschaftlich so reizvolle Gegend?“ Andere wiederum gingen die Straße ohne Blick - während die angrenzenden Häuser wie tot schienen... Als Merkens Bürgermeister nachmittags um vier den „Großen Preis von Yncoris“ für Kontinental-Teams und Elite-Amateure über 84 Kilometer freigab, waren wir unter dicken, schwarzen Wolken schon im Anflug auf Frankfurt.
 
Als würde Petrus uns die Zunge rausstrecken, strahlte anderntags die Sonne, wehte kein Lüftchen...
 
 
Vitus, 27. März 2024, Bilder: Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: stark bewölkt, Regen und Graupel, 5ºC, frische Brise aus West (33 km/h) mit Sturmböen
Typ: Rundstreckenrennen
Länge: 42 km
 
Am Start: 267
CT+Elite-Amateure: 51, Amateure: 92, Masters 2+3: 42, Masters 4: 15, U19: 14, U17: 3, U15: 6, Weibliche Klassen: 18, Hobby: 26
Im Ziel: 204
CT+Elite-Amateure: 30, Amateure: 64, Masters 2+3: 36, Masters 4: 12, U19: 13, U17: 3, U15: 5, Weibliche Klassen: 17, Hobby: 24
 
Masters 4
Meldungen:
20
Am Start:
15
Im Ziel: 12
1. Ron Paffen (Cycling Team Limburg, Niederlande) 1:08:19
2. Dirk Trautmann (RV Comet Delia 09 Köln) +0:02
3. Berthold Müller (RRC Düren-Merken) +0:03
4. Andreas Leschert (RC 07 Fulda) +1:10
5. Michael Blasczyk (RV Blitz Spich)
6. Markus Wellner (RC Musketier Wuppertal) +1:11
8. Mario Voland (Dresdner SC 1898) -1Rd.
 
Ergebnisse
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