PORNOHEFT, EXKREMENTE, PHANTOMAS, RISING RIOT
D-Frankfurt am Main, Café ExZess (Halle) - 14. Januar 2005
Heute war in der Parteizentrale „Ex“ ein Antifa-Solidaritätskonzert angesetzt. „Copy Riot“ hatte eingeladen: „Vier Bands, Einlaß: 20.00, Beginn: 20.30, Pünktlich!!“ - Halb neun hatte ich mit meinem Mädel das Objekt im Frankfurter Studentenviertel Bockenheim erreicht. Gegen Spende von vier Euro waren wir drin. Von Soliparty oder Konzert aber vorerst keine Spur. Im Café und der 1000 Personen fassenden Konzerthalle verloren sich fünfzig Schwarzgekluftete und Dosenbierpunker. Das vormalige Lichtspieltheater präsentierte sich heute ganz in Schwarz und es wurde von einem ebenso schwarzen Transparent mit der Parole „Kein Finger krumm für diese Gesellschaft“ geziert. Stapelweise Propaganda in Blatt- und Buchform gab es da. Auch Frankfurts Bier mit dem Adler im Emblem. Nullfünf für zwei Oi! Zwei quietschbunte Punketten stolperten ins Szenario, warfen sich rücklings auf den Boden und suhlten sich - „Wir wollen Pornoheft, schaalalala, wir wollen Pornoheft, schaalalalala...“-trällernd - auf dem nackten Zement. Dann tauschten die Diwotschkas oral ihre Körpersäfte und schworen einander: „Ich will mit dir sterben!“ - „Aber erst mal Pornoheft! Und dann sterben!“ Aus den Lautsprechern tönten alte Kampf- und Arbeiterlieder, die von der Sowjetunion und der sozialistischen Weltrevolution erzählten. Cannabis waberte durch die Luft. Alles wie gemalt. Und was lange währt wird gut (zumindest manchmal)........
RISING RIOT
(21.05-21.30)
1. Fistfull of Anger
2. So Long We Have Dreams
3. Work Hard, Die Young
4. Behind the Wall
5. Hope Fear Anger
6. Sam Do It
7. (Burn) The Fucking Flag
Um neun stürmte die Vorhut die Barrikaden: „Guten Abend! Wir sind RISING RIOT aus Bayern. Das erste Lied heißt 'A Fistful of Anger'!“ Vier Jungs aus dem Spessartnest Frammersbach namens Crashbel, Rock´n´Roll Gerhard, Wild sowie der trommelnde Leader Honi lieferten Hardcore Punk. Einfach und brachial nach vorne gedroschenen Rumpelpunk, wie der bewußte Hieb in den Magen. Hinter der Bühne hing eine Leinwand mit Einspielern von den 1.-Mai-Demos von Berlin, beginnend im Wendejahr 1989. Ein entfesselter autonomer Mob schleuderte Steine und mit Benzin gefüllte Molotowcocktails auf die Polizei. Autos und Panzerwagen am Kottbusser Tor brannten lichterloh... Das nächste war „für alle Menschen, die noch Träume haben, etwas zu verändern: So long we have Dreams.“ Darauf ein Loblieb auf die Arbeit mit dem zornig geschrienen „Work Hard, Die Young.“ Mit ihren teils dreistimmigen und hochtourig aufrüttelnden Liedern hatten sich die Mainfranken schnell in die Herzen der Meute gespielt - waren aber nach zwölf Minuten und dem von ersten Rempeltänzen begleiteten „Behind the Wall“ auch schon halb durch. Die Berliner Mai-Krawalle wüteten nun 1990 in Kreuzberg: Brandbeschleuniger, lodernde Mannschaftswagen, dicke schwarze Qualmwolken - und noch immer sowjetische Weiten im Saal. Nur sechzig wollten Rising Riot sehen. Crashbel nahm´s fränggisch locker: „Das ist unser erstes Konzert wo die Leude nicht rausrennen!“ Das Nächste galt jenen „die auf Konzerte gehen und doch nicht feiern können: 'Hope Fear Anger'.“ Randale in Kruzberg ´91 unterlegten den Aufruf „Sam Do It“. Die nonkonformen Vier aus Franken schlossen mit Crashs Einlassung: „Das letzte Lied ist für alle, die auf Nationalismus scheissen, egal welchen. Für die undogmatische Linke: 'Burn The Fucking Flag'!“ - „Danke, das war´s.“
 
Umbau. Auf der Leinwand Berlin, Prenzlauer Berg ´92: Rauchschwaden, aufgestapelte Pflastersteine, fliehende Menschen, am Boden liegende Menschen, knüppelnde Uniformierte, Bekennervideos. Dann ein Appell in echt vor unseren Augen. Von einer Frau mit Feuerkopf. Nicht von Rotkäppchen. Nein, von einer Politfunktionärin der 9. Antifa. Ein Aufruf zu einer Aktion am 26. Februar auf dem Opernplatz, wo unter der Devise „Pimp up your life“ „Gegen den Opernball 2005“ und für „Luxus für Alle“ und die Abschaffung des Kapitalismus demonstriert werden sollte. Im Hintergrund die Randale in der Hauptstadt, inzwischen im Jahr 1996. Für die klangliche Untermalung der urpolitischen Sache hatten die Macher absurderweise amerikanischen Psychedelic-Rock ausgewählt. Nach Rising Riot ertönte etwa Monster Magnets „Space Lord Motherfucker“.
PHANTOMAS
(21.50-22.30)
1. Nazis
2. Liebe mit Todesfolge
3. Reinhards Mey Revolution
4. Abend in der Stadt
5. Amoklauf
6. Melting Mirror
7. Tausend toDe
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8. Liebe mit Todesfolge
„Guten Abend, wir sind PHANTOMAS aus Frankfurt“, lautete die Vorstellung der Nächsten. Mit Antifa auf der Brust und dem Kampflied „Nazis“ auf den Lippen ging das los. Sehr radikal also - und prompt sprang nach „Nazis“ auch eine Saite. „Liebe mit Todesfolge“ war dann gleich zu Beginn sowas wie der Höhepunkt. Schubsende und springende Menschen ihr Lohn. Die mit Ska-Einsprengseln bestückte „Reinhards Mey Revolution“ handelte dann wieder vom System und von Revolution. Derweil auf der Bühne fünf Agitpunker aus Frankfurt gegen „Nazischweine in der Nacht“ prügelten, wurden in Berlin Autos gekippt und Flaschengranaten geworfen. Brennender Asphalt soweit das Auge sah - nur in echt loderte das Benzin auf Sparflamme. Phantomas kamen steif und verklemmt rüber. Vielleicht lag das Augenmerk zu sehr auf den Inhalten. Etwas Leben ins blutarme Rot brachte die Chefideologin mit ihrer kraftvollen, dunklen Stimme. Doch immer wieder machten Attacken gegen die verhaßten Faschos alles kaputt (dabei den wahren Feind verkennend?). Und irgendwann war auch die rote Zora zu einer kalten Fanatikerin erstarrt. Dann ein Aufschrei gegen den Wohnungskapitalismus mit dem Aufruf zur Besetzung der Deutschen Bundesbank durch „Abend in der Stadt“ (von Aufbruch), und die hart gespielte Systemerscheinung „Amoklauf“ mit der Zeile „Blut an meinen Händen“. Es folgte ein Liebeslied auf Englisch, und bei „Tausend toDe“ stand final noch mal der politische Gegner am Pranger. Die Meute dankte, die Getarnten ließen sich nicht lumpen und gaben als Dacapo die „Liebe mit Todesfolge“. Halb elf war´s vollbracht. „Lernen, lernen, nochmals lernen!“, hätte Lenin gesagt. - Anm.: Für Phantomas war es der erste richtig „große“ Auftritt. Sie hatten tierisches Lampenfieber, und „nachdem technische bzw. nichtstimmende Probleme an den Gitarren auftauchten, und wir selbst gemerkt hatten, daß wir nicht gut gespielt haben, war der Spaß vorbei.“
 
Mittlerweile waren zweihundert Leute da. Manche skandierten: „Deutschland muß sterben, damit wir leben können!“ Ich ging raus... an die abgelebte Moloko-Milchbar. Dort schmierten sich Punks Wurstschnitten für umsonst.
EXKREMENTE
(22.40-23.30)
1. Randale
2. Mädchen
3. Verrückt nach Dir
4. Flüssigkeit
5. Abgefuckt
6. Tonight
7. Schuldig
8. Totalverweigerer
9. Der Traum ist aus
10. Revolution
11. Deine Angst
12. We´re playing Punkrock
13. Notwehr
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14. Deutschland [Slime]
Mit dem rüden Gruß „Wir sind die EXKREMENTE und dieses Lied heißt 'Randale'.“ ging es konstruktiv-destruktiv weiter. Auch die gutem Hause entstammenden Deutsch-Punk-Rocker von Exkremente waren aus der Revolverstadt F angerückt. Im Gegensatz zu ihren Stadtgenossen ätzten die aber nicht gegen Nazis, sondern vorrangig gegen den Kapitalismus. Und manchmal ging es sogar um Freuden wie eine Droge namens „Mädchen“. Kai, Jens und Andy waren auch nicht so rasend wie Rising Riot. Aber immer noch flink genug, um die satten Idole aus Düsseldorf und Berlin nicht nur optisch alt aussehen zu lassen. Die Exkremente variierten das Tempo, hatten mal ´nen gediegenen Ska-Song ( „Verrückt nach Dir“ ), dann ´nen krachigen Hardcorepunker ( „Abgefuckt“ ) und dann wieder einen fast schon lupenreinen Blueser ( „Tonight“ ). Kai grummelte: „Irgend ein Arsch hat mein Bier geklaut!“ - Der Trommler half aus: „Nimm meins!“ Für den Freund in USA gab es den „Totalverweigerer“, und nach dem flammenden Ton-Steine-Scherben-Cover „Der Traum ist aus“ wieder etwas Kühneres mit der „Revolution“. Das Lied war der Revolte von ´68 gewidmet, die blöderweise aber noch immer nicht stattgefunden hat. Die dauerqualmenden Taktgeber zündeten die nächste Papirossa an, und der mit Stimmproblemen kämpfende Langhaarige hinterm Mikro ölte seine kratzige Kehle weiter mit Gerstensaft. Die sehr eindringlich servierten „Deine Angst“ und „Notwehr“ sowie die furiose Neuigkeit „We´re Playing Punkrock“ machten den Auftritt der Exkremente komplett. Als Zugabe diente Slimes „Deutschland“ (Deutschland muß sterben, damit wir leben können!). Die Exkremente rappelten fünfzig Minuten.
 
Umbau. Punketten skandierten: „Wir wolln Pornoheft - Schalalalala!“ Ihre Helden machten - noch in Straßenkutten gekluftet - eine flüchtige Probe...
PORNOHEFT
(23.45-0.18)
1. Italien
2. Tschechien
3. Griechenland
4. Ohne Beine
5. Büro
6. Du Sau
7. Des Medel
8. Belgien
9. Bulgarien
10. Irland
11. Polen
12. Bor
13. Österreich
14. Europa
15. Schweden
16. Beitrittskandidat
17. Keine Schraube
18. Brötchen
19. Kutter
20. Udu
Eine Viertelstunde vor Mitternacht kamen PORNOHEFT in Schwung. Nicht die Dolly Busters des Punk, sondern drei in weißen Achselhemden und flammenbesetzten Glockenhosen steckende Brachial-Avantgarde-Noise-Punker aus Frankfurt: Vink Sperber (Gitarre und Bass), Sif Dishes (Bass und Gitarre) sowie Fish Dipn (Schlagzeug). Mit Pornoheft wurde alles schön. Fortan war Party... Pornoheft mixten einen völlig einzigartigen Cocktail aus kurzen, schnellen Nummern mit tiefer Gitarre, dröhnenden Bässen, wuchtigen Trommeln und Texten ohne Inhalt - wie im Feldzug durch die EU: binnen fünf Minuten von „Italien“ über „Tschechien“ nach „Griechenland“. Ohne Grenzen zwischen den Liedern, und alles vielstimmig. Mal mit Hoolgegröl, mal mit Kastratengekeif, und überwiegend hardcorig geschrien. In einer Fanstasiesprache, die niemand verstand. Dann ein Herausstecher - durch den Groovepunker „Im Büro“ und dessen Inhalt „Ich sitze im Büro, ich sitze auf dem Klo.“ Und all das immer mit großer Hingabe gespielt. Völlig unpassend dazu flimmerten im Hintergrund die Bilder der Verwüstung weiter. Nach Kruzberg 2000, im Mai 2001 in den Osten nach Hohenschönhausen verlegt: eine Aktion gegen einen Naziaufmarsch. Fast unbemerkt tauschten Vink und Sif nicht nur die Stellungen, sondern auch die Instrumente. Und dann gab es wieder „vier Songs in fünf Minuten“ inklusive der Entschuldigung „Ich bin Schuld!“: im Jagdbombertempo von „Belgien“ über „Bulgarien“ und „Irland“ nach „Polen“. Trotz Glamour blieb die Stimmung im Publikum eher matt. Kein Wunder: kein Haß, kein Kampf, keine Parolen auf der Bühne. Dafür aber durchgeknallter Experimentalkram von den verwirrenden Pornoboys. Der halbstündige Zeitverlust zu Beginn fehlte nun hinten raus. Wegen Schallschutzauflagen durften Pornoheft nur 20 von 31 beabsichtigten Nummern bringen. Keine Chance u.a. für „Meine Oma liegt im Sarg“. Nach dem Ohrwurm „Keine Schraube“ und dem sonnabendlichen Scharmützel um die „Brötchen“ folgte das letzte Lied. Frankfurt kriegte den lichtschnellen „Kutter“, und mit dem überaus originellen „Udu“ war sogar noch eine Zugabe erlaubt. Der Coitus interruptus für die Pornostars aus Mainhattan kam nach einer halben Stunde.
 
Direkt im Anschluß appellierte eine zweite Tschekistin: „Das Konzert ist aus. Die Party ist aus. Der Kampf geht weiter! Darf ich euch bitten, morgen alle auf den Hauptbahnhof zum Zug nach Landau zu kommen?! Der Deutsch-Europäische Standort muß sabotiert werden!“ (Am 15. Januar fand in Landau/Pfalz wegen den inkraft getretenen Hartz-Gesetzen und der damit verbundenen Verschärfung der kapitalistischen Zustände und Verelendung eine Demonstration gegen Sozialabbau und Geschichtsrevisionismus statt.)
 
Pornostar verschacherten ihr „live im Studio“ aufgenommenes Neuwerk 'Live at Vintage' für unerhörte fünf Oi! Noch mehr Schund mit Pornoheft - vom Damentäschchen bis zum Kruzifix - gibt es bei der ritzeroten Pornoheft.org.
 
 

Heiliger Vitus, 17. Januar 2005