PALLBEARER, BAST, YANOS
D-Wiesbaden, Schlachthof (Kesselhaus) - 4. Juli 2015
Am ersten Juliwochenende war Hoch „Amelie“ über Deutschland gerollt. Mit trockener Luft aus der Sahara und sengender Sonne sorgte es nicht nur für vierzig Grad im Schatten, sondern auch für eine äußerst undoomige Stimmung (sofern man nicht auf Sunn O))) steht). Doch meine Komplizin hatte vom Konzert von Pallbearer und Bast Wind bekommen, und die Exkursion nach Wiesbaden regelrecht befohlen. Um das Ende zu erleben, hatten wir uns sogar zu einer Übernachtung vor Ort entschlossen. Bevor es dazu kam, hatte ich allerdings mit einer fehlgeschlagenen Internet-Buchung und all ihren Folgen zu kämpfen... - Nachmittags kamen wir schließlich dort an, wo es den Augen richtig weh tat: im Areal der ehemaligen Wiesbadener Fleischfabrik, dessen Gentrifzierung immer weiter voranschreitet. Wir waren in einem nagelneuen, unbefleckten Geisterhotel ohne Personal - nur mit Automaten - untergebracht. Vor der Herberge wälzte sich ein Mahlstrom aus Blech über eine sechsspurige Stadtautobahn. Dahinter lag Ödnis. Links und rechts türmten sich Büroblocks. Und dahinter stand - wie in einem bizarren Anachronismus - die verrottete Halle des Schlachthofs von 1884, an der das Leid der gequälten Kreatur noch zu riechen war. Die Affenhitze verstärkte den Todeskampf der Tiere, deren Seelen noch immer über dem Gelände zu schweben schienen. Nicht nur dank der bunt zutätowierten Skater-Szene war das gesamte Gebiet mit Graffitis, Aufklebern und geschmierten Parolen übersät. Dafür wurden wir in der hedonistischen Bar „60/40“ mit Falafel, Pasta, frisch gestampfter Limonade und bayrischem Gerstensaft verwöhnt. Ein benebelter Rollbrettfahrer dankte dem mit Fächern bewaffneten Personal zig mal für das Auffinden seiner „Cap“ mit einem „Mobbing“ auf der Blende. Halb neun betraten wir den angrenzenden, kochendheißen Konzertraum im „Kesselhaus“. Um Gewicht zu sparen, hatte ich extra unsere leichteste Knipse eingesteckt - mit miserablen Aufnahmen als Resultat... Obwohl alle Besucher kurze Hosen oder luftige Sommerkleider trugen, rann ihnen der Schweiß in Sturzbächen am Leib hinab...
Vor einer tintenschwarzen Bühne und zwanzig Gesichtern (später wuchs die Zahl auf rund einhundert an) wurde das Konzert frei nach der bekannten Masche des Post-Rock/Post-Hardcore eröffnet. 'Omega' hieß das Minialbum, und der Vokalist stellte die Gruppe mit „Guten Abend! Wir sind YANOS aus Marburg“ vor. Yanos verarbeiteten postrockig gefrickelte Stromgitarren und hardcorig kauziges Geschrei zu Post Metal, dem Hundertsten. Wobei der Dezibel im neuen Klubraum des Schlachters erneut weit über der Richterskala lag. Mit ihren schwarzen Einheitsshirts, Kurzbuxen und Turnschuhen, ihren Stoppelfrisuren, der auf links gebürsteten, zwangsveganen Ausstrahlung, und ihren drei synchron wie Halme im Wind wiegenden Saitenmännern, wirkte die Brigade aus der hessischen Universitätsstadt schrecklich matt. Doch die Uhr verschonte uns: Nach dreißig Minuten war´s vollbracht.
Eine Viertelstunde nach dem Abgang der Postcoreler folgten die zum Conan-Umfeld zählenden BAST aus London. Mit ihrem Album 'Spectres' im Gepäck, setzten Craig Bryant, Jon Lee und Gavin Thomas mehr auf Brachialität und Endzeit als auf Gefühle - die Magie von Warning, Serpent Venom und ähnlichen doomigen Landsmännern wurde so nicht erreicht. Doch Bast zelebrierten auch keinen herkömmlichen Doom, sondern grimmig herausgeschrienen, mit mal raserischen, mal organisch schweren Gitarren, sowie getribalten Trommeln gespickten Black Doom. Bast waren völlig anders. Nur zu dritt und ohne technische Mittel erzeugten die Tommys eine sehr untergründige, innovative und hochenergetische Spannung. Bast spielten scharfsinnig, abgründig und waren durch die hinduistischen Schriftzeichen auf ihrer Platte auch ziemlich mystisch. Ferner trug das Trio den schrägen Charme der Briten nach Rheinhessen. Der Frontmann begeisterte als wandelnder Sonderling voller Kreativität (wiederholtes Hochbinden der langen Haare zu einem Knoten eingeschlossen), der Bassist als Headbanger vorm Herrn, und der Schlagzeuger als geisterhafter Berserker im dunklen Hintergrund. Man staunte, und ich ärgerte mich über das eigene Desinteresse im Vorfeld. Ich wußte nur, daß meine Adjutantin nach Hörproben Bast als „noch doomiger als Pallbearer“ befand... Nach 43 Minuten samt dem dramatischen Instrumental „Psychonaut“ - welches allein schon zwölf Minuten beanspruchte - hieß es kurz und schmerzlos „Good night! We were Bast!“ Bast fand ich verdammt stark!
Nach dem Zeitgeist kehrten die Töne zu alter Tradition zurück. Nachdem sie mit einem hochdeutschen „Hallo Wiesbaden!“ gepunktet hatten, kredenzten PALLBEARER alias Brett Campbell, Devin Holt, Jo Rowland und Mark Lierly Epic Doom im alten Stil. Die Musik war von Revelation, Solitude Aeturnus und While Heaven Wept entlehnt und schlingerte zwischen Pathos und Melancholie, Tod und Trauer, erreichte aber nicht den Zauber der Genannten. Klarer, fahler Klagegesang paarte sich mit wuchtigen Gitarren und Posierereien aus der Klischeefibel. Die Klangfarbe war auf Larmoyanz getrimmt und überdies dick aufgetragen. Dazu machte der Frontmann dem Namen seiner Gruppe alle Ehre, und ähnelte mit Halbglatze und bleicher Aura im Wortsinne einem „Sargträger“. Womöglich lag´s am Wetter, vielleicht auch an ihrer Tingelei durch halb Europa: Die Gruppe aus Little Rock, Arkansas, war rasch ermüdend und sollten nicht viel mehr als Popcorndoom sein. Das Publikum ruinierte letztlich alles: Nachdem sich ein bebrillter Wicht in Church-of-Misery-Shirt gleich zu Beginn als der einzig wahre Doom-Messiahs am Bühnenrand darstellte, wurde die Menge vorm vierten Lied von Campbell persönlich nach vorn hofiert. Damit war den wenigen Headbangwilligen der Raum genommen. Während Pallbearer ihren Stiefel runterspielten und Frl P. im Saal wacker die Stellung hielt, trieb ich im luftigen Vorraum des Kesselhauses immer weiter ins Vergessen ab. Pallbearers Auftritt setzte sich aus den beiden Langeisen 'Sorrow And Extinction' und 'Foundations Of Burden' zusammen und endete kurz nach Mitternacht.
 
Zu den eigentlichen Sternchen von Wiesbaden stiegen Bast, unser französisches Bett im „B&B“ und das hedonistische, bis halb vier offene „60/40“ auf, wo wir den Nachbrenner der Nacht nahmen. Wenige Stunden später - sozusagen am „Morgen danach“ - begrüßte Wiesbaden uns mit noch größerer Hitze. Amelie knackte noch mal ihren Rekord...
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 10. Juli 2015, Bilder: Vitus & Peanut
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
YANOS
(20.57-21.27 / ohne Gewähr)
Intro Isolation
1. Anger
2. Denial
3. Bargaining
4. Depression
5. Acceptance
 
BAST
(21.45-22.28)
1. + 2. unbekannt
3. Psychonauts
4. unbekannt
5. Outside the Circles of Time
 
PALLBEARER
(22.45-0.09 / ohne Gewähr)
1. Worlds Apart
2. The Ghost I Used to Be
3. Devoid of Redemption
4. The Legend
5. Foundations
6. Fear And Fury
7. Foreigner
8. Given to the Grave
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9. Watcher in the Dark