NOVEMBER´S DOOMSDAY
 
DEAD HEART BLEEDING
, DOOMSHINE, WELL OF SOULS, CONDEMNED TO SUFFER
D-Langenzenn, Alte Post - 15. November 2003
Prolog
 
Freitag, 14. November
 
Eine Handvoll Metalfreaks aus Langenzenn schenkte dem deutschen Doom ein weiteres unvergeßliches Ereignis: zum schwäbischen Doom Shall Rise im Frühjahr den fränkischen NOVEMBER´S DOOMSDAY im Herbst. Nach einem ewigen Jahrzehnt in der Versenkung kehrte der Doom nun ins Licht zurück. Ein Wimpernschlag dagegen: die Anreise von Frau Peanut und mir. Nach vier Stunden waren wir mit dem Bummelzug „Zenngrundbahn“ ins tausendjährige Langenzenn nahe Nürnberg gezuckelt. Wir waren im ländlichen Gasthof „Rangau“ in Reichweite zum Schauplatz „Alte Post“ untergebracht. Auf unserem Streifzug durch den Ort trafen wir auf düstere Gemäuer, deren Bewohner sich versteckt hielten. Stattdessen landeten wir in der mittelalterlichen Klosterschänke, einem Paradies aus achtundvierzig Biersorten, der halbe Liter zwischen 1,90 und 2,30 Euro. Es wurde spät............
 
Sonnabend, 15. November
 
War´s das Rauchbier, das Dunkel, das Landbier, eins der Weizen oder die Stadtwurst mit Musik? Auf jeden Fall machte sich eine böse Vergiftung breit. Zu allem Überdruß wurde im Schankraum die Zapfanlage gereinigt. Nichts war´s mit frischgezapftem Bier. Also verschwand ich erstmal auf die Toilette - um mir bei der Rückkehr aufs Zimmer kräftig die Augen zu reiben: Auf meiner Bettkante saß unser Doombruder Kalle aus dem 500 Kilometer entfernten Genthin. Auch Kalle ist kein Chorknäbchen, und nach dem ersten Bier waren alle Schmerzen weg. Auf der Suche nach mehr davon trafen wir vorm Laden ums Eck einen Punker, der dort herumlungerte und sich „Jolly Joker“ nannte. Ich spendierte ihm den Eintritt zum Doom. Die weitere Zeit durchstreiften wir zu dritt (Kalle, Peanut und ich) den Wiesengrund an der Zenn, und bekamen im Kloster ein Weißwurstfrühstück gratis (die verwirrte Wirtin berechnete nur die Getränke). Der Rückweg führte uns an der Post vorbei. Bei meiner Kontaktaufnahme mit Veranstalter Slayer, hatte jener als Erkennungszeichen seinen Bart gegeben: es sei der längste im Doomsday. Nun stand der Mann mit dem Bart in Fleisch und Blut vor uns - um uns eine schlechte Nachricht zu überbringen: Bassist Andi von Mirror of Deception hatte in der Nacht auf der Heimfahrt von einem Konzert einen Frontalzusammenstoß und mußte mit Prellungen und Quetschungen ins Krankenhaus. Mit dem Rückzug des Hauptakts wurde der Beginn um eine halbe Stunde verschoben. Wir verdauten den Schreck im „Rangau“ vorm Fernseher. Nachdem Schottland Holland auf dem Weg zur Europameisterschaft geschlagen hatte, schwangen wir uns auf... und schlugen um sieben zum Kampfpreis von sechs Euro im Klub am Denkmalsplatz ein. Der war im Stil der Achtziger gehalten und bestand zur Hälfte aus einer Bar und dem Konzertraum. Achtzig Leute tummelten sich im Inneren, darunter die fränkische Radiosendung „Zosh!“ und die Well-of-Souls-Mitglieder Frank und Ralf, die ihren Auftritt bei einem Fläschlein Rotwein am Tresen sachte auf sich zukommen ließen. Später gesellte sich Frontmann Petro dazu. Auch Jolly Joker war vor Ort. Ab 19 Uhr 20 ging in der Alten Post die Post ab...
„Wir sind CONDEMNED TO SUFFER aus Langenzenn“, stellten sich die Ersten vor. Mit dem bedauernden Zusatz „Wir können nur drei Lieder spielen, weil unser Gitarrist kürzlich ausgestiegen ist.“ (Vokalist Schuch brachte mich auf Linie: Sein Ex-Gitarrist hatte das Master-Tape mit den neuen Liedern mitgenommen, und - nachdem er Wind davon bekam, daß Slayer ihn ersetzen sollte - nicht mehr rausgerückt. Ohne dem konnten Condemned nur die alten Sachen spielen.) Vor uns standen also Wallebart Slayer nebst drei jungen Burschen und einer feenhaften Gitarristin: Regine, Tobi, Barney und Käfer. Mit dem morbid rumpelnden „My Dream“ kreuzten Condemned zu Beginn alte Paradise Lost mit modernem Death Doom. Doch schon beim zweiten Riff zur „Lonely Night“ sprang dem Weib auch gleich eine Saite - mit der Folge einer zehnminütigen Unterbrechung. Das Holz neu bespannt, stiegen die Lokalmatadoren noch mal neu in die „Lonely Night“ ein, und legten fortan einen wackeren Auftritt hin. Wobei der völlig entfesselte Slayer, die zuckersüße Blondine und der sich die Seele aus dem Leib röchelnde Vokalist noch herausstachen. Dieser Tobi vereint das ebenförmige Antlitz eines Engels mit dem Geröchel eines bitterbösen Berserkers. Die folgenden „Questions“ leiteten schon das Ende ein. Noch mal polterten die Höllendrums und Bässe, darüber diese Stimme die man am Treffendsten mit „krank“ umschreibt. Die Darbietung währte dreißig schwarzromantische, leidvolle und endkrasse Minuten.
 
Nach dem Auftritt kam Slayer zu uns und dankte aus tiefem Herzen fürs Kommen: „Danke, daß ihr da seid. Ihr seid die wahren Metaller!“
Mit Petros Ansage „Wir sind WELL OF SOULS aus Ulm“ stand der verkörperte Doom auf der Rampe. Well of Souls sind obskur, skurril und gnadenlos verkannt und mißachtet. Schon das Besatzungskarussell redet Bände. Die Gründung geht auf einen Unfall des Gitarristen zurück. Frank (zuvor bei den Power-Metallern Fright Night aktiv) war 1998 im Sanka auf seinen späteren Schlagzeuger Andy getroffen. Über eine Anzeige fand sich mit dem Griechen Petro ein Sänger. Diverse Bassisten wurden getestet, doch mit keinem lief es. Andy stieg aus und wurde für ein Jahr durch Peter (Fright Night) ersetzt. Peter ging. Für einige Auftritte bediente Markus den Bass und wirbelte Ralf (allesamt Fright Night) die Knüppel. Ralf blieb länger, und mit Alex wurde ein neuer Basser gefunden. Die neuen Stücke machen WoS mit Peter. Doch den rief die Arbeit. Daher mußte Ralf noch mal ran. Aber das wäre viel zu einfach: Mangels Bassisten wurde der Sänger in den Viersaiter eingeweiht. - Heute stellte sich die Chaos-Crew durch Petro Kapakos, Frank Hellweg und Ralf Stecker auf - um allem zum Trotz geilen Doom Rock zu kredenzen. Hej, beim „Quell der Seelen“ da knarzt, knackt und rumpelt es noch. Vielleicht sind Well of Souls mehr Steinzeit als die Steinzeit selbst. Und wer auf seinem Fetzen „Beware of Pussies“ stehen hat, kann ohnehin nicht alle Hühner auf der Veranda haben. Doch vor allem haben sie Doom im Blut. Um 20.15 Uhr feuerte Frank die ersten Salven aus der Flying V, hämmerte Ralf trocken auf die Snares ein, und erhob Petro seine samtene Stimme zum erhabenen „Tears of the Proud“. Für mich das Kommando zu einem Veitstanz, der erst drei Stunden später endete. Das furiose „Evil Sign“, der Doomkriecher „Blackened Sky“, das schrullige „Beyond the Void“ und das psychedelisch entschwebende „Flying“ folgten. Alles Irrsinn galore, von mir durchlebt in totaler Hingabe. Einen neuen Basser? Den brauchen sie nicht. Petro bediente die Rolle blendend. Final erklang die „Legion of Doom“. Gänsehaut und Wirbelsprenger rüttelten mich nun durch und dazu stimmte ich in die Ode ein: „I am the god of the mortal men. We are the legion of doom. On a mission of hate!“ Was Frank zu einem zwinkernden „Ham wir einen zweiten Sänger?“ zu Petro bewegte. Nach „Lost My Way“ schien allem Folgenden die Schau bereits gestohlen.
 
Suza und Jochen Fopp (MIRROR OF DECEPTION) trafen ein. Jochen hatte eine 200-Kilometer-Reise von Esslingen auf sich genommen, um sich für den Ausfall zu entschuldigen. Zu allem Übel hatten die beiden sich auch noch in der Dunkelheit verfahren... Ich fand diese Aktion wieder mal so unfaßbar ergreifend.
Nach dem Unheil bei Mirror sollten eigentlich DOOMSHINE den Schlußpunkt setzen. Die hatten aber übersehen, daß ihr Trommler noch zur Feier eines Freundes mußte. Markus bat Slayer um einen Tausch, und so verzichtete die Rotte aus Ludwigsburg freiwillig auf ihre Rolle als Headliner. Wie Well of Souls sind auch Doomshine Freunde vom ersten Doom Shall Rise. Konnte man die Vorgänger am ehesten mit den rockigen Sabs vergleichen, waren Doomshine so was wie die metallischen Candlemass von Zenna. Tim, Sven, Carsten und Markus sind nicht nur erklärte Verehrer - sie sind der Legende ebenbürtig! Mir kommen wenige Epic-Doomer in den Sinn, die eine solch gewaltige Rhapsodie aus Märchen und Mystik malen. While Heaven Wept vielleicht... Zu meinem Leid zelebrierten Doomshine das Übermächtige gleich zu Beginn, als ich noch mit der Kamera kämpfte. Ausgerechnet „Where Nothing Hurts But Solitude“ blieb mir körperlich verwehrt. Aber dabei sollte es bleiben. Das getragene „Creation“, das treibende „Sleep with the Devil“, das von Kreuzen gespickte „The Cross“, den zauberischen „Venus Day“: allesamt genoß ich sie in stimmungsvollem Licht und Nebel mähnewirbelnd an der Front. Doch nun rückte der Zeiger unerbittlich auf die Elf. Um elf mußte Schluß sein. Holz frug Slayer, ob sie noch eins bringen dürften. Sie durften. Das sehr berührende „Shine on Sad Angel“ beschloß einen Auftritt, der wie schon beim Doom Shall Rise nie ins Schwülstige abrutschte. Zu den wahnsinnig schönen und traurigen Hymnen von damals, gesellte sich heute roher Rock. Und den Mann mit dem längsten Haar im Doomladen haben sie ohnehin. Nur ist Tims Rotschopf nun nicht mehr po- sondern überarschlang. Shine on, angels of doom, shine on!
 
Umbau. Slayer kam erneut zu mir, dankte für alles, fand es durch und durch geil, und will Langenzenn zur „Doom City“ machen. Kalle orderte neues Bier. Ich auch.
Nutznießer von Mirrors Ausfall und dem Verzicht Doomshines waren DEAD HEART BLEEDING. Die 1997 formierten und flugs zum Hauptakt beförderten Death Doomer aus Langenzenn kredenzten ihr Zweitwerk 'Angels Grief' - und gleich das eröffnende „Celestial Deathwish Dream“ stürzte die Meute in den endgültigen Wahnsinn. Ich zerrte Kalle durch ein Meer fliegender Haare vor zur Bühne in ein Kreuzfeuer aus infernalischen Gitarren und Bässen. Jener meditierte fortan ohrstöpsellos direkt vorm Boxenturm zu Füßen des bangenden, knienden und am Boden liegenden Gitarreros Slayer. Kalle war jenseits von Engeln und Teufeln, und nach dem Slowbanger „Emotions“ lagen sich zwei bis dahin Wildfremde in den Armen: der Mann mit dem langen Bart und der mit der Saint-Vitus-Kappe. „Into the Nameless“ wurde der dritte Überflieger. Slayer ließ keinen Zweifel daran, wie persönlich dieser Auftritt für ihn war. Den Tränen nah mumelte er mit zitternder Stimme: „Das war super, das war geil!“ Und an die Meute gerichtet: „Diese Freaks, diese fuckin´ Freaks!“ Aber die Franken hatten nicht nur einen doomsüchtigen Sechssaiter. Auch Vokalist Ville war ein zumindest mysteriöser Zeitgenosse. Im Kontrast zu den Langlodigen neben sich, trug Ville Kampfschnitt, er war frisch rasiert, steckte in weißem Hemd und Weste mit fein säuberlich aufgenähten Festivalkordeln, und erinnerte so an einen hochrangigen Luftkrieger. Richtig charismatisch machten ihn sein Gesang und die perfekt harmonierende Körpersprache. Ville röchelte und klagte wahnsinnig eindringlich. „Thoughts“ war die nächste irre Psychonummer, in der Ville seinen Gefühlen zwischen Haß und Liebe freien Lauf ließ. Dazu trommelte Schmiddi arschtaff und präzise, und Andy sorgte mit dem Bass für mächtigen Donner. Lediglich Muskelklampfer Chris war uns etwas bitter aufgestoßen, weil der Peanut zum Gruß seine Hand verweigerte. Auch Dead Heart Bleeding brachten nur sechs Lieder. Wenig, denkt man. Stimmt! Aber genau diese schwere, langsame Minimalistik ist es, die gegen die kurzatmige neue Zeit ankämpft. Und die etwas schafft, das viel tiefer ist. „The End“ und „In Serene Slumber“ waren in dieser Reihe keine Abweichler. Nach einer Stunde Dead Heart Bleeding war das Fest vorbei.
 
Völlig ausgedoomt traf ich ein letztesmal Herrn Hellweg. Der versprach Peanut, beim nächsten Treffen einen seiner Leguane mitzubringen. (P. kannte die grünen Reptile nur vom Bild und bekäme Angstträume, hätte sie selber einen.) Doomsday-Schöpfer Schuch dankte völlig aufgelöst für unser Erscheinen. Auf mein Erstaunen, daß ein junger Mensch wie er statt Punk depressivem Endzeitmetall huldigt, warf er sich vor mich auf die Knie und zeigte auf seinen Rücken. Darauf prangten die Runen DOOM. Von Doomshine fand ich nur Sven beim Einpacken auf einen Handschlag. Suza und Foppi machten sich auf den Weg in ihre Pension in Nürnberg. Slayer signierte meine Devotionalien mit „You fuckin´ rule!!!“, und die Freundesclique pilgerte mit ihm zu einer Sause im Probebunker. Weil wir am Folgetag früh raus mußten, wollten Kalle, Peanut und ich es bei einem Schluck fern des Trubels belassen - und trafen im Kern von Zenna auf eine Geisterstadt. Übte Langenzenn Sonnabendnacht Fliegeralarm? So bewegten wir uns dann in Richtung „Rangau“ durch die Dunkelheit. Doch auch dort war´s schon verdunkelt. Und so kam es, daß Kalle ohne Zimmerbuchung bei Werten um Null in seinem Hundefänger kampierte.
 
Sonntag, 16. November
 
... war der dritte und letzte Tag in „Freak City“. Nach morgendlicher Lagebesprechung mit Tucher und Hören von Mörser-Crust und Evoken-Doom auf dem Parkplatz vorm Quartier, trennten sich unsere Wege. Doomhund Kalle mußte in Richtung Osten, Peanut und ich nach Norden. Beim Abschied hat der Himmel geweint.
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 18. November 2003, Bilder: Vitus und Doomkalle
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
CONDEMNED TO SUFFER
(19.30-20.00)
1. My Dream
2. The Lonely Night
3. Questions
 
WELL OF SOULS
(20.15-21.00)
1. Tears of the Proud
2. Evil Sign
3. Blackened Sky
4. Beyond the Void
5. Flying
6. Legion of Doom
7. Lost My Way
 
DOOMSHINE
(21.35-22.10)
1. Where Nothing Hurts But Solitude
2. Creation (Sad Angel Legend - Chapter of Hope)
3. Sleep With the Devil (Sad Angel Legend - Chapter of Belief)
4. The Cross (Still Stands for Pain)
5. Venus Day
6. Shine on Sad Angel (Sad Angel Legend - Chapter of Doom)
 
DEAD HEART BLEEDING
(22.25-23.25)
1. Celestial Deathwish Dream
2. Emotions
3. Into the Nameless
4. Thoughts
5. The End... Before it Begins
6. In Serene Slumber
Im Zenngrund