MURDER JUNKIES, SCHEISSE MINNELLI
D-Darmstadt, Bessunger Knabenschule (Keller) - 1. Dezember 2005
[-] Der Verkehr fand im Darm stadt: ein Exkurs in den Scum Punk... Heute waren die Wegbegleiter des asozialsten, dreckigsten, kaputtesten, wahnsinnigsten, gewalttätigsten und selbstzersetzerischsten Punkers aller Zeiten, GG ALLIN, in Darmstadt. Wegen hohen Fanaufkommens wurde Kartenvorbestellung empfohlen. Die Darmstädter Lokation sei eng, das Kontingent begrenzt... Um neun traf ich mit GG-Allin-Verehrerin Peanut an der „Knabenschule“ ein. Einem Objekt, in dem einst Zucht und Ordnung herrschten - heute aber Chaos und Punk. Schauplatz war der Keller, ein geducktes Gewölbe mit dem Hauch der Geschichte! 68 Zahlende waren vor Ort. Punker, Tollenträger und nochmal Punker. Altpunker. Die meisten mit Stahlkappenstiefeln, und einer mit ´nem Nicki der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland (APPD) und dem Aufdruck „Dumm und Glücklich!“
Um zehn stiegen SCHEISSE MINNELLI in den aus Europaletten zusammengezimmerten Ring. Scheisse Minelli kamen aus Aschaffenburg. Respektive A-Burg. Weil die Silbe „schaffen“ so gar nicht zum Wortschatz passt. Scheisse Minnelli lieferten Hardcore Punk. Auf Englisch. Weil der Vokalist einem Ghetto in Oakland entstammt. Sie agierten mit Samuel El Action (the Suicide Bomber on Vox), Felix (the Axe Man on Git), Dash (the Trained Assassin on Bass) und Dudel (the God of Thunder on Skins). Frisch und munter ging´s zur Sache. Mit dem Dead Smurfs-Cover „Lucky 4 You“. Action krächzte (mit viel Zungenschlag): „Ich glaube, der einzige Grund warum wir hier spielen ist: Ich habe GG Allin gesehen! Ich war 17 wo ich GG Allin gesehen habe.“ Scheisse Minnelli waren jung, sie waren wild, der Sechssaiter trug ein kultiges 'Slowly We Rot'-Shirt der Deather Obituary (als die Platte erschien, dürfte er noch Windeln befleckt haben), und vor allem: Scheisse Minnelli waren schnell. Verdammt schnell. Es gab rasende Riffs und quietschende Scratches, halsbrecherische Trommelkreuzfeuer und krud gekreischte Propaganda nah am Hate Core. Ein Handvoll Glatzen startete erste Randale, Action appellierte: „Have fun, no fight!“, und es gab die Titelnummer. Über eine Figur aus den frühen Achtzigern, die Komputer haßt und die Szene vor modernem Bullshit retten will. Die Einladung zu „Scheisse Minnelli“ lautete „Also sauft doch weiter!“, und nach „Hast Du Scheisse“ vernaschte der Gitarrist eine Rolle Klopapier. Darauf ritten Scheisse Minnelli im Höllentempo auf dem „Skateboard to Freeway“; sie krächzten einen Punkrocker namens „Umbringen“; und schließlich thrashten sie noch einen für die „Guys from Murder Junkies“ herunter, eine Huldigung des King of Scum: GG Allins „I Wanna Fuck Myself“. Ein Riß an der Sechssaitigen bedeutete nach 45 Minuten das Ende der hochenergetischen Deutsch-Amerikaner. In der Pause schnorrte mich ein Punk an: „Du riechst nach Knoblauch. Ein Bier ist die Entschädigung!“ Diese notorischen Bettler können einem schwer auf die Ketten gehen!
.:: ABSPIELLISTE SCHEISSE MINNELLI ::.
1. Lucky 4 You
2. The Shit House
3. 12th and Campbell
4. Identity Crisis
5. Scheisse Minnelli
6. Henry, Hank, Simone
7. Trashland
8. Hast Du Scheisse
9. No Solution
10. Exist to Get Piss´t
11. We´re Socially Retarded
12. Skateboard to Freeway
13. I Wanna Fuk´n AU
14. Shinning and Winning
15. I Wanna F**k Myself (GG Allin)
Nach nicht endendem „I Wanna Fuck Myself“-Gegröle erklommen vier schmutzige Typen den Bretterverhau. Und zwar J.B. Beverly, William Weber, Merle Allin und Dino Sex, kurz die MURDER JUNKIES aus New York City, USA. Anders ausgedrückt: die Überlebenden des Scum-Punk-Superstars GG Allin, die sich nach dessem Longplayer von 1991 benannten . Nur ohne ebenjenen. Denn der lebt nicht mehr! GG war - nachdem er eine Dekade lang auf der Bühne masturbiert, sich mit Scherben aufgeschlitzt, das Publikum mit Exkrementen beworfen oder sonstigen Amokexzessen bedrängt hatte, dessen Darbietungen manchmal in Straßenkrawallen endeten, und der auch eine Platte von seiner Zelle in einem Kittchen aus einsang - 1993 mit 36 an einer Überdosis gestorben. Für nicht wenige Punks ist GG Allin der Punk schlechthin. Die Murder Junkies selbst hatten ihn bis zum Tod begleitet. Sie leben noch und waren jetzt zum erstenmal überhaupt in der Alten Welt. Unter den Junkies: GGs bärbeißiger Bruder Merle am Bass. Und ein zweites Unikum: ein unverblümter, rotbärtiger Exhibitionist, welcher mit „Diiino Sex, Diiino Sex, Diiino Sex“ abgefeiert wurde... Ab 23 Uhr ging´s rund - und wie! Mit sechzig schubsenden, stoßenden, springenden, keilenden und bierverspritzenden Männern an diesem unterirdischen Ort: Start zum Blitzkrieg mit GG Allins „Bite It You Scum“. Neben GG-Altigkeiten spielten die Amis auch Sachen vom Neuwerk mit dem bezeichnenden Namen 'Brutality & Bloodsheet for All.' Ihr Auftritt war ein extrem holzig rumpelnder und schabender (Punk) Rock mit starkem Hang zu Antiseens angebluestem Südstaatenstoff, und einem „Gesang“, der an die Whiskeyröhre Lemmys erinnerte. Und - um ehrlich zu sein - Allins alte Weggefährten waren nicht die Offenbarung! Vieles wirkte passionslos, um nicht zu sagen: stumpf. Mörderisch kaputt eben. Es blieb bei einem Nachschlag, gleichsam der Nummer der Nacht überhaupt: „Violence Now“ (inkusive eines Schlagzeugsolos am Ende). Nach 60 Minuten (Geisterstunde) war alles schon vorbei. Aber Punker fassen sich eh kurz. Und außerdem: Hier und heute hatte die Aura eines Mythos gelebt. Die des GG Allin!
 
Mit dem letzten Trommelhieb folgte die Flucht mit Peanut und drei Bieren aus dem Keller in die kalte Dezembernacht. Wir bestellten ein Taxi. Man schickte uns eine Frau. Und mit ihr eine schöne Phantasie: eine Spritztour mit zwei Damen durch die Nacht nach Frankfurt... Leider war die zweite Frau nicht schön - sie war dick und häßlich!
 
Konzertveranstalter El Pulpo (Starwhore) teilte mir tags darauf mit, daß der Auftritt der Murder Junkies „der bislang asozialste in der Knabenschule war. Aber für den Rahmen war´s genau richtig. Nur das Aufräumen am nächsten Tag war erschwert.“ - Für mich selbst war der Tag danach voller Nebenwirkungen. Es gibt Tage, an denen man sich wünscht, tot zu sein...
 
 

Heiliger Vitus, 5. Dezember 2005