MIRROR OF DECEPTION, BASTARD KING
D-Frankfurt am Main, The Cave - 6. September 2004
Ein weiterer freudloser Tag lag hinter mir. Ein weiterer endloser Arbeitstag unter geifernden Weibern, Giftspritzen und einem Chef, der einem das Leben schwer macht. Die Doomfreunde von Mirror of Deception sollten Heilung bringen. Hoffte ich... Mit Rauschmitteln im Blut und Frl. Peanut zur Seite stieg ich in der neunten Abendstunde in die „Höhle“ unterm Zentrum Frankfurts. Achtunddreißig Gäste waren vor Ort. Und die Miseren fanden kein Ende. Daß Doom-Apostel Fopp den Devotionalienstand hütete, begriff ich ja noch. Doch wer war der Pferdeschwanzträger neben ihm? Woher kannte ich den? Derjenige erkannte mich jedenfalls auf Anhieb! Es dauerte vier Stunden, bis der Groschen fiel: „Belgian Doom Night“ vor fünf Monaten. Freddy Caure von Thee Plague Of Gentlemen war heute als Chef der Plattenfirma Final Chapter angereist. Ja, und dann stichelte mich noch jemand wegen meines Shirts von Gorilla Monsoon an. Als Sachse wurde man mit Verachtung gestraft...
Eröffnet wurde das kleine Doomritual durch Südhessens BASTARD KING. Die verdankten ihren Auftritt den Schweden COUNT RAVEN, die ihre Tour wegen einer Stimmbandverletzung ihres Sängers Fodde absagen mußten. Die Rolle nahmen Bastard King gern an, allerdings ersetzte deren Straßencharme nicht den Glanz der Legende. Punkt 21 Uhr 55 ging´s los. Matt Bauer, El Pulpo, Lars Vegas, Lari Moosedick und Nouki, Typen um die dreißig mit Kappen, Mörderkoteletten, weiten Jeans und viel Tinte unter der Haut, grüßten: „Ja, hallo, wir sind Bastard King aus Darmstadt.“ So scheu die Vorstellung, so direkt dann aber der Auftakt mit dem feist herausgeröchelten Heavydoomer „Murder Robot“ und der sperrigen Fortsetzung „Perfect One“. Man klatschte sich ab, der Sludger „Desert Ride“ folgte. Und weil die Meute nach wie vor wie versteinert rumstand, verkündete Matt kurz und hämisch: „Ein Stück ham wir noch: 'F.A.I.B.'.“ Aber es ging dann doch noch ein bißchen weiter: mit den aggressiven „No Accident“ und „Bastard King“! Und schließlich kam Doomgefühl auf - durch tiefe, sich qualvoll windende Gitarren - Doooooom durch „Dead End“! „Torture Me“ hingegen war eher im Stoner Rock daheim. Vielleicht ließen sich Bastard King auch mit EyeHateGod vergleichen: Mal kamen sie hardcorig daher, mal überfallartig, dann wieder dräuend und dabei stets heftig am Anschlag. „Savouring the Flavour“ war da keine Ausnahme und der Name der Gruppe Programm. Nach einem Dank an Mirror of Deception bedeutete „Lost Cause“ das Ende. Gesungen wurde dieser Stonerrocker vom beherzten Basser Moosedick, der mit einer weißen Rickenbacker zugleich ein Kultinstrument bediente. Und noch was Kurioses: Trommler Nouki spielt Gitarre bei den Darmstädter Hardcore-Punkern Kackophonia. Jene erlebten wir vor einer Woche bei einer Freiluftschau mit RubberSlime.
Nachdem MIRROR OF DECEPTION am Vorabend im Rotterdamer „Baroeg“ vor dreißig Leuten ran mußten, bot Frankfurt schon mal deren acht mehr auf (mit Personal waren es um die fünfzig). 1990 gegründet - somit zu den Pionieren der zweiten Doomgeneration zählend - haben Mirror nach drei Demoaufnahmen, dem Minialbum 'Veil of Lead' und dem ersten Album 2001 ('Mirrorsoil') nun mit 'Foregone' ein neues Langeisen am Start. Dazu wurde die zwischenzeitlich nur aus der Achse Fopp und Siffermann bestehende Gruppe radikal umgekrempelt. Taller und Müller prägen nun im hohen Maße die neue Mirrorwelt mit. Nach dem Ausfall von Raven hatten die Männer 23 (!) Lieder eingespielt, von denen sie eine Kreuzung aus der düsteren 'Conversion' und der unorthodoxen 'Foregone' boten. Um 22 Uhr 50 verkündete Siffi: „Wir sind Mirror of Deception aus Stuttgart (oder wo auch immer).“ Los ging´s mit dem bleiernen „Bleak“. Und nach dem miesen Tag blieb mir nun einzig die Flucht nach vorn. Der für Doommaßstäbe fast schon wilde Wirbelsprenger „Leaves“ tat ein Übriges auf dem Tanz ins Nichts. „Instructable“... „Foregone Way“... „Asylum“: Es war alles nackter Wahnsinn. Mirror verzauberten, berührten und zelebrierten wundervolle traurige Musik. Wie das von Josefs markanten Trommeleffekten und seiner kräftigen Stimme getragene „Deception Island“. Überhaupt wird in der verjüngten Gruppe immer häufiger zweistimmig gesungen. Es folgte ein Ausflug ins Deutsche mit „Entgleiten“. Neu-Sänger Siffi wirkt von mal zu mal gelöster. Und über die metaphorischen Texte war sowieso schon immer alles erhaben. Saint Vitus´ „One Mind“ wurde exhumiert. Etwas überschwänglich vielleicht, fast schon als Power-Doom-Version, aber egal... Ich war lange raus aus der Spur und mußte Halt am Gemäuer suchen. Fopp und Taller standen nicht nach. „Vanished“ beschloß das reguläre Programm. Nun hoffte ich auf „Ship of Fools“... doch Mirror spannten uns auf die Folter und gingen mit dem vor Lebensmüdigkeit nur so triefenden „Mirthless“ und Josefs verzweifelten Schreien in die Verlängerung. Spät erst trieb es daher, das Schiff der Narren: „Foresail, squaresail heaved up high. Soaring into doom“...
 
Achtzig Minuten lang hatte ich die totale Katharsis. Wurde im Haarwirbel direkt am Lautsprecherturm vom Tinnitus verschont, brach mir aber fast das Genick. Danach konnte ich kaum noch den Kopf anheben. Schmerzvergessen durch Bier mit Mirror und Freddy folgte. Stonerrock von The Great Escape quirlte durch die Höhle. Betreuer Kurt „Doom-Father“ Lipinski hatte versprochen, Peanut und mir eine Heimfahrt zu organisieren. Ein gewisser Don Nihili opferte sich als Chauffeur. Nach einer Fahrt durch die nächtliche City lud Peter uns halb zwei mit demolierten Köpfen und Körpern zu Hause ab.
 
 

((((((Heiliger Vitus)))))), 8. September 2004
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