LOW FREQUENCY ASSAULT VIII
 
RORCAL, THE DEEP BLUE, HEAVY LORD, STARVE, CALLIOPHIS
D-Nürnberg, Z-Bau (Kunstverein) - 10. Dezember 2011
Freitag, 9. Dezember
 
Nach dem Ausfall diverser Veranstaltungen sendete das Bunkerrauschen von Nürnberg das letzte Signal im Doom 2011. Zumindest für Peanut und mich. Der LOW FREQUENCY ASSAULT sollte zu einem der Schlaglichter im Jahr überhaupt werden. Und dann gab sich das Frankenland grau, kalt und verregnet... Wir sind über die rot-weiße Weihnachtsstadt gestiefelt. Larmoyante Engel und Herden mit Glühwein im Blick haben wir dort zu Gesicht zu bekommen - nur keinen Doomer. Auch in den einschlägigen Läden der belebten Innenstadt wies nichts auf Doom hin. Zig Handzettel von Konzerten lagen da rum, nur keiner vom LFA. Ganz zu schweigen von einem Hinweis in den Stadtmagazinen. „Curt“ und „Plärrer“ schwiegen sich aus. Bis zum Schluß hatten wir auf die Doomkumpel aus dem Osten gewartet. Unsere Einladungen wurden nicht erwidert, keine Rückmeldung, nichts! Das offizielle Doom-Hotel, in dem wir wieder nächtigten, sah diesmal überhaupt nicht nach Doom aus. Peanut vermutete sogar schon einen Ausfall des LFA. „Hattest du eigentlich noch mal mit Boris telefoniert?“, hatte sie mich gefragt. So haben wir uns sinnlos betrunken. Zu zweit, beim Griechen in Hasenbuck, mit einem Tisch voller Glatzen aus Magdeburg-Anhalt zur Seite.
 
Sonnabend, 10. Dezember
 
Nach dem unabdingbaren Reinigungslauf rund um die Dutzendteiche und über den Silberbuck ging´s meinem Mädel plötzlich schlecht. Derweil P. Heilung durch Bettruhe suchte, hatte ich mich zur Mittagsstunde ins Kesseltreiben der Hooligans gestürzt. Der „Glubb“ hatte heute Heimspiel gegen Hoffenheim. Aber egal: Ich mußte noch mal ins „Underground“ neue Anziehsachen kaufen. Der Tag verlief gut, und um halb acht am Abend hatten wir uns im einzig verbliebenen Veranstaltungsraum der Südkaserne eingefunden. - Ein Hauch von Abschied lag über diesem Abend. Nach elf Jahren war der Betreiber Z-Bau GmbH in die Pleite getrieben worden. Ab Juni 2012 soll der Veranstaltungsraum rundüberholt werden. Danach wird die Stadt Nürnberg den steineren Zeugen von 1939 übernehmen und im Z-Bau die „Popularmusik“ installieren. Ein Fortbestand des unabhängigen „Kunstvereins“ scheint ungewiß. Dazu hatten die Veranstalter des Low Frequency Assault diesjahr Schwierigkeiten bei der Rekrutierung der Gruppen. Dementsprechend kündigte Boris auch eine Auszeit im neunten Jahr an. Überhaupt Boris und die andere Seele des LFA, Sebastian! Beide begrüßten mich heute mit rasierten Schädeln. Sebastian hatte den Einfall im Sommer beim Scheren seines Hundes. Radikale Taten - schöne Taten am Körper. Mit 67 Besuchern (auf dem Höchststand bei Heavy Lord), 20 Protagonisten, rund 10 Mitarbeitern und Händlern, einem Stachelpunk und - außer Sturmkind - allen Mitgliedern von Versus The Stillborn-Minded, ging es sehr intim zu. Laut Boris fehlten 30 zur Kostendeckung.
CALLIOPHIS verschoben den Start um vierzig Minuten auf kurz nach acht. Unter anfangs dreißig Gesichtern hatten die Leipziger zumindest einige Landsleute aus Sachsen und Mitglieder der Franzosen Children of Doom, mit denen sie das Netzwerk „Triumvirat of Doom“ bilden, als Anfeuerer dabei. Ferner dankten Calliophis mehrmals dem Veranstalter für die Möglichkeit zum Auftritt, und wie schön es sei, im „Kunstverein“ zu sein. (Ein Batzen Fäkalien untern Stiefeln - aufgesammlt im Klo - plädierte eher für rasche Säuberung vom Filz, Anm. Verf.) Calliophis boten nicht den erwarteten Death Doom, sondern die schwerere Version des Funeral. Morbides Geröchel kreuzte sich mit bleischweren Gitarren und einer grabesschwarzen Ausstrahlung, bei „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ wurde auch mal geflüstert und es ging etwas progessiver daher. Ferner herrschten jedoch Tod und Schauder. Die letzte Todeskapsel verteilten Calliophis an die gefolgten Kameraden aus Frankreich durch ihren ältesten Titel „Eyes of Suffering“ und ein salbungsvolles „We love you“.
Nach Schwierigkeiten mit der „Stageline“ standen kurz vor halb zehn endlich die Zweiten des Abends auf der Rampe. „STARVE“ lautete der knappe Gruß. Starve stammten aus dem niederländischen Utrecht und durften im Bus von Heavy Lord mit nach Franken gondeln. Mit Titeln wie „Black Sludge“, „This Town is Dead“ oder „Wasteland“ standen Starve für eine halbe Stunde Sludge, für grimmig gekeiften Hardcore gekreuzt mit Doom Rock und einigen spirituellen Momenten. Wüst, rauh, grob und oft sehr trist gestrickt war das. Jedenfalls für mich. Denn bei meinem Weib kamen Starve gut an. Doch bereits am neuen Morgen war alles hinfällig. Im Tageslicht waren die Tiefländer ohne bleibenden Eindruck zwischen den artverwandten Leitbildern EyeHateGod und Iron Monkey und der Ausstrahlung ihrer Landsmänner Heavy Lord verhungert.
HEAVY LORD... Die traurige Nachricht ist, daß die legendäre Haus- und Hofkapelle des LFA uns bei ihrem vierten Auftritt in Nürnberg verlassen hat. Die vier Niederländer starben um 23 Uhr 02, als sie ihre Schau mit „Fear the Beard“ und einem seltsamen „Later!“ besiegelten. Heavy Lord wurden mit ihrem Auftritt 2005 zu einer der schillerndsten Gruppen des LFA. Die ungestümen Doomriffs, die wuchtigen Bässe und die durchgebrannte Körperlichkeit der Kerle aus Rotterdam waren ein wesentlicher Teil des Low Frequency. Als sie den Sturm des Heavy Doom auf dem Album 'Balls To All' durch flachen Heavy Rock ersetzten, änderte sich auch der Ton von Heavy Lord für immer. Alles wirkte heute rätselhaft tranquilliert, distanziert (Wes bereits vorm Auftritt, Jeff währenddem) und ohne höheren Sinn. Ferner schien der Frontmann etwas durch den Wind zu sein (Steve hatte erst mit Nachdruck mein Mädel berührt, sich entschuldigt, und dann seine Bühnenansagen mit spinnerter Kindsstimme ausgeführt). Es hat keine Erklärung gegeben und so will nicht mehr sagen, als daß ich traurig bin über diese Vorstellung. Ich habe Heavy Lord heute zum sechsten Mal erlebt. Der heutige Auftritt stürzte die einstigen Helden auf den Tiefpunkt.
Den Lords auf Valium folgten die Tiefseeungeheuer auf Dope. Seit ewiger Zeit von Boris herbeigesehnt, und vor zwei Jahren nur durch einen verpaßten Flieger aufgehalten, hatte sich Englands Space- und Stoner-Doom-Ikone THE DEEP BLUE 2011 endlich bis nach Nürnberg durchgewurstelt. Übergangslos waren sie von der Klangprobe in ihren Auftritt hineingeglitten. Getreu dem Motto „Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine Revolution“, fingen die Frye-Brüder Dan und Jason sowie Sam Richardson überaus mitreißend an. Mit „Under The Ice: Resurrection“ waren die Tommys andere Wege als die elegischen Sleep gegangen, und hatten ihr Heil im gefrorenen Ozean gesucht. Harsch verhallende Stimmfetzen erzeugten in Verbindung mit den harten Doomriffs eine sehr kalte Atmosphäre (wobei der Frontmann die wenigen Zeilen erstaunlicherweise von einem Spickzettel ablesen mußte). Doch dem stringenten Auftakt folgte eine verwässerte, teils rein instrumentale Fortführung, in der The Deep Blue etwas richtungslos im Raum herumgründelten. Ein Drittel trat den Heimweg an. Auch Peanut und ich hätten dies als Feinde der Stilart getan. So aber waren die auf den Fliegern oben stehenden Angelsachsen noch nicht die Letzten! Der Auftritt war anständig und einwandfrei gemacht. Doch niemand schrie nach einer Zugabe. Die Großen kamen erst jetzt...
RORCAL waren ans Ende gesetzt, da ihre Klangwelt etwas Endgültiges hat. Rorcal hatten zwei magische Kerzen entzündet, zwei rot glühende Schriftzüge „BadCal“ an den Bassboxen eingeschaltet, die Bühne vernebelt und sich hinter ihre Apparillos verkrochen. Von den fünf Mitgliedern - namentlich JP Schopfer, Ron, Diogo, Christophe und Bruno - war fortan nichts mehr zu sehen. Aber das war vielleicht ganz gut so. Denn ohne Tarnung wirkte die Quinte aus Genf sehr studentisch. In den folgenden 39 Minuten performten Rorcal ein schwarzes Geflecht aus Drone, Doom, Black Metal und Geräuschen aus dem Raum. Keine Vorstellung, keine Ansage, keine Unterbrechung, keine Verlängerung. Wer sich an Burzum, Sunn oder Wolves in the Throne Room erinnert fühlte, lag keinesfalls falsch. Schon nach wenigen Takten war „Stuart West“ zu mir gekommen, um mir ein „Na, ist der Abend gerettet?“ ins Ohr zu raunen. Wir wurden nicht nur Zeugen der faszinierendsten Schau in der Geschichte des LFA, sondern auch einer Weiterentwicklung einer Gruppe wie B.SON und einer ganz neuen Ära im Doom! Rorcal - übrigens benannt nach dem großen Wal - brachten vier Teile: „Heliogabalus“, dazu drei, die erst im neuen Jahr erscheinen. Was als Doom begann, ging unter irritierenden Lichtblitzen ansatzlos in Black Metal über. Delirierend schnelle Gitarren kämpften gegen tief polternde Trommeln an. Dazu fauchte und schabte sich der am Boden bückende und liegende Vokalist stummen Schreien aus dem Jenseits gleich die Seele aus dem Leib. „Das hält der nicht lange durch“, hatte Peanut gesagt. Eigentlich waren Rorcal mehr Black Metal als Doom... und nur ein störender Fotograf konnte da noch zwischen mir, den fünf Phantomen im schleichenden Gift und der totalen Ekstase im ersten Sturm stehen. „Helliogabalaus“: ein Wahnwitz zwischen Himmel, Hölle und Fegefeuer - auf Lichtscheibe: 66 Segmente verteilt über 70 Minuten - jede Sekunde spirituell, esoterisch und emotional aufs Äußerste packend. Rorcal waren eine Katharsis für die Ewigkeit.
 
Halb drei nachts haben wir das Licht in unsrem Quartier ausgemacht...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
CALLIOPHIS
(20.10-20.58)
Intro
1. Tragedy´s Rising
2. Little Ease
3. Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen
4. Eyes of Suffering
Outro
 
STARVE
(21.20-21.50)
1. Cacophonous Shrieking
2. Black Sludge
3. White Sludge
4. This Town is Dead
5. Wasteland
6. Hard to Forget
 
HEAVY LORD
(22.17-23.02)
1. The Holy Grail
2. Dope Smoking Days
3. Necrology Echo
4. Drown
5. Maelstrom
6. Looking Into The Makers Eyes
7. Fear the Beard
 
THE DEEP BLUE
(23.25-0.13 / unvollständig)
1. Under The Ice: Resurrection
2. Haunted Tide: The Freezing Storm
3. Antarctic Abyss
 
RORCAL
(0.48-1.27)
1. Heliogabalus
2. Untitled
3. Untitled
4. Untitled
Sonntag, 11. Dezember
 
... um acht war ich munter, und eine Stunde später hab ich mich in herrlichster Winteratmosphäre zu einem Morgenlauf in den verschneiten Kulissen der bösen Bauten von Nürnberg aufgemacht. Unter der Sonne im Luitpoldhain schimmerte noch der weiße Rauhreif aus der Nacht des Doom. An jenem Sonntag haben wir womöglich auch zum letzten Mal die billigen Semmeln der grantigen Müllerin gegessen und deren aufgewärmte Pulverbrühe getrunken. Als wir uns am Mittag aus der griechischen Taverne unseres Quartiers verabschiedeten, offenbarte sich der Schankbursche als Metalhead (und das nachdem wir schon acht Jahre jeden Winter dort waren). Lakis kannte sich nicht nur mit Metallica, Amon Amarth und Doom aus, sondern legte uns auch gleich noch seine griechischen Landsmänner Rotting Christ und Heathendom ans Herz. Ob wir uns jemals wiedersehen?
 
Salutionen
Boris und Sebastian (wie wärs im Falle einer Absage 2012 mit einem Interims-LFA in Frankfurt?)
Stuart Bootsy West (viel Glück mit Obelyskkh!)
Mike (Doomedsouls)
Christophe und Bruno (Rorcal)
Peanut (Danke fürs Durchhalten!)
 
Pfiffe für
Die Abtrünnigen aus Ostdeutschland
 
Acht Tage nach dem Low Frequency Assault...

 
...ließ Boris die Katze aus dem Sack. „Hallo Vitus, dein Rapport läßt sich wie immer hervorragend lesen! Mit deiner Annahme, daß es der letzte LFA gewesen sein wird, hast du wohl recht ... Das Interesse der Leute schwindet offensichtlich und der Aufwand wird durch die eigenen Ansprüche (den Bands etwas bieten zu wollen) eher höher.“ [...]
 
 

Doom, Fascination und Gewalt: ((((((Heiliger Vitus)))))), 15./23. Dezember 2011