LOW FREQUENCY ASSAULT
 
SPANCER, THEE PLAGUE OF GENTLEMEN, LOW MAN´S TUNE, VERSUS THE STILLBORN-MINDED
D-Nürnberg, Z-Bau (Kunstverein) - 10. Januar 2004
Vorwort
 
Doomerstag, 8. Januar

 
Ein eigenartiges, mausoleumskaltes Fluidum lag an jenem Januartag in der Luft, als ich mit meinem Mädel Peanut nach Nürnberg aufbrach. Es war eine Reise in die Vergangenheit und Gegenwart zugleich. Für mich bedeutete sie die erste Rückkehr nach Nürnberg, das ich nach einer schmutzigen Androhung 1984 verlassen mußte. Und an diesem Wochenende stieg nun in Nürnberg erstmals ein doomiger Polterabend namens LOW FREQUENCY ASSAULT. An Doom war 1984 überhaupt nicht zu denken... In 2 ½ Stunden war für uns die Zugreise von Frankfurt in die Stadt an der Pegnitz erfolgt. Nach 19 Jahren stand ich wieder auf fränkischem Boden. Peanut und ich waren direkt am Austragungsort, der von Einheimischen noch immer so genannten „SS-Kaserne“ untergebracht, die das Einfallstor zum Reichsparteitagsgelände bildet. Bald nach unserer Ankunft legte sich das Dunkel über die Stadt. Der Tag endete mit essen, trinken und Geschichten erzählen. Die Pensionsschänke treppab verwöhnte uns mit halben Litern Hellem zum Spottpreis von Einsachtzig.
 
Freitag, 9. Januar
 
Heute wollten wir die Kultstätten des Dritten Reichs in Augenschein nehmen. Nach einer morgendlichen Lagebesprechnung schlichen wir aus unserer Herberge und liefen durch den Regen in Richtung Dutzendteiche. Bald standen wir auf der Anhöhe westlich der Kongreßhalle. Nun folgten wir einem Weg aus 14 Stationen. Von der trutzigen Fassade der Kongreßhalle schritten wir... durch den Säulengang des Arkadengangs... hinein in den gigantischen Innenhof. Wir umrundeten den Großen Dutzendteich... liefen ins schweigende Zeppelinfeld... erklommen die lichte Zeppelintribüne und standen in der „Führerempore“... liefen „flink wie Windhunde“ vorbei am Städtischen Stadion... rasteten in der „Gaststätte Zeppelinfeld“... zogen weiter zum Märzfeld... über die Granitquader der Zwei-Kilometer-Achse Große Straße... vorbei an der Silbersee genannten Baugrube des Deutschen Stadions... und zum Luitpoldhain mit der Tribünenanlage und dem Gefallenendenkmal. Unser Streifzug durch das größte Freiluftmuseum der Nazizeit endete nach sechs Stunden im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Wir haben den Duft der Vergangenheit eingeatmet, Führermythos- und Kult begriffen, und Granit, Eisenbeton und Jurakalk als steinere Zeugen mit heimgenommen. Am Abend schlenderten wir durch die romantischen Gassen, Zinnen und Türme der Altstadt. Auf dem Rückweg in die Südstadt stoppten wir in der Frankenstraße und machten uns dort ein Bild vom Konzertort des LFA, dem „Kunstverein“. Die zwangsversteigerten Doppelhaushälften vereinten in jener Nacht „Prächtig Provokanten Prasselnden Proll Prosa Punk“ und „Grausam Grob Grollenden Grattler Grunge“ zu prolligem Deutsch-Punk. Allerdings lag die Combo aus Fürth in den letzten Zügen. Und weil die Beschallung alle Dezibel-Rekorde sprengte, setzten wir uns zügig ab.
N-Z-Bau (© Vitus)
Sonnabend, 10. Januar
 
Der Tag begann mit einem Besuch des Justizpalastes in der Bärenschanze. Mit einer Führung durch den Saal 600, Schauplatz der Nürnberger Prozesse, waren wir über das Geschehene aufgeklärt, ab sofort zählte die Zukunft... In der achten Abendstunde trafen wir im wegen seines Grundrisses so genannten Z-Bau im Westflügel der Südkaserne ein. Schauplatz für den Low Frequency Assault war der 150 Personen fassende, längliche Konzertraum „Kunstverein“. 120 Personen bevölkerten ihn. Die schwere Stahltür am Eingang, fehlendes Tageslicht und dicke Betonwände schufen eine Art Bunkeratmosphäre. Darin hatte die Plattenfirma psycheDOOMelic einen Händlertisch aufgezogen. Chef Hegedüs hieß mich willkommen und erkundigte sich nach meinem neuen Technics Zwölfzehner. (Wien und Frankfurt trafen sich ein Jahr nach dem schwäbischen „Doom Shall Rise“ in Franken wieder, und redeten über Plattenabspielgeräte: Das ist Doom!) Die süddeutsche Doomelite um Mirror of Deception und Well Of Souls war vor Ort. Dazu von der Ostfront Low Man's Tune nebst Partnerin, welche im Kanapee an der Schmalseite des Raumes saßen. Gruß hier, Gruß da. Und Besuch der Bar, wo ploppendes „Kanone“ zum Kampfpreis von Einsfuffzich zu haben war.
Es war 20 Uhr 40, als dumpfes Brummen und tödliches Sirren und Dröhnen die alten Soldatenwände erfüllte. Alle Regler waren nach rechts gedreht, so, als sei eine Bomberstaffel im Anflug. Die Operation „Angriff der Niederfequenzen“ hatte begonnen - mit den Männern Breuer, Satt, Partheymüller, Trautwein und Pürschel, alle zusammen: VERSUS THE STILLBORN-MINDED. Sechs Minuten hielt dieses gleichbleibende Gedröhn aus Stahltrossen, die Einleitung zur Sturmgeburt „Stormborne“ an. Und jeder wußte, was folgen würde: die unbehaglichste und destruktivste Musik der Welt - Sludge Doom! Einer glibberigen Giftschnecke gleich kroch die nächste Kreatur - „Zicke Zacke Hakenkacke“ - aus den Boxentürmen. Dazu dieses grabestiefe Stöhnen, Röcheln und Klagen am Mikrofon. Dann ließ - von allgewaltigen Saint-Vitus-Gitarren inthronisiert und von wuchtigen Bässen und derben Trommeln weitergetragen - der „Stormborne II“ die Luft vibrieren. Mit „Climax of Delusion“ und „A Place Called Earth“ drückten sich weitere ultrafiese Slowfucks durch den Raum. Und auch die „Victims of Imperfection“ (oder „Of Penis of Blood Doomsiegendlösung“) ließen nicht den Schatten einer Frage. Raffinesse war nicht die Stärke von Versus The Stillborn-Minded. Die Klänge kamen oftmals mit dem Vorschlaghammer daher; die Inszenierung massiv zu nennen, wäre untertrieben. Nach der „Mengenlehrenle“ stand final der „Noland´s Man“ und sein alles vernichtendes Schwert. Nach achtzig Minuten war der extrem änigmatische Mahlstrom des Stoßtrupps aus Nürnberg erstarrt. Wenngleich Tempo und Körperlichkeit manchmal quälend lang unter Null verharrten, sollten die über anderthalb Stunden erstreckten acht Teile zumindest die Schwere erahnen lassen.
 
Derweil stieg im Nebenraum eine orientalische Hochzeit mit dreihundertfünfzig Gästen. Mafiöse Anzugträger zersetzten zuweilen auch das Doomreich und sorgten damit nicht nur bei mir für Zorn. - Ein Mitglied von Well Of Souls flirtete mit meiner Frau und erklärte, er brauche keinen Hörschutz mehr, er habe seit Jahren Tinnitus...
Um 22 Uhr 40 schlug die Stunde für LOW MAN´S TUNE aus der Lausitz. Sludgegenosse Holger hatte mir vor längerer Zeit einen Brief mit allerhand Auskünften und dem Silberling 'Solitunes' geschickt. Seither quert regelmässig Elektropost die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland. - Heute sah ich den adretten Holger, Rene, Patrick und Alex erstmals in natura. Low Man's Tune beim Low Frequencay Assault! Wenn ein Trupp aus dem tiefen Osten kommt, wo es heute „blühende Landschaften“ aber keine Arbeit mehr gibt, wo das Leben von Armut und Isolation geprägt ist, kapiert man vielleicht den Sinn des Gruppenemblems. „Rejection-Sufferance-Stupefaction“: Ablehnung-Erduldung-Abstumpfung. LMT verquicken in eyehategodscher Manier brutalen Hardcore mit dem Blues des Doom zu einem sehr dräuenden, sehr schroffen Doomcore. Der knallhart abgehende Sludger „Hold“ machte den Anfang und stürzte mich halsüberkopf in einen komatösen Zustand. Darauf rasselte „All Cometh Down“ als eine böse Voraussehung herunter. Der Frontmann röchelte und knurrte und seine Mitstreiter schossen heftig explodierende Mörsergranaten in den Eisenbeton. Mit „My Heart“, „Numb“ und „Zero“ ging es gleichsam gedrückt, psychotisch und bedrohlich weiter. Alles Außenseiterstücke, die mein Herz schneller pochen ließen und mir aus der Seele redeten. Und dann widmete Holger dem „Heiligen Vitus für seinen Support“ gar die sludgerockende Altigkeit „School“. Was einem da so durch den Kopf geht... Weiter ging´s. Der Schwermüter „For Every Stone“ und der raserische Wutausbruch „Down and Out“ zwangen zum bedingungslosen Abdoomen. Und bei den finalen „Nothin´“ und „L.M.T.“ schließlich, habe ich mich selbst aufgegeben. Die Männer aus dem Osten waren Krieg von der ersten bis zur letzten Sekunde.
 
Es folgte das Unternehmen Barbarossa: Herr Fopp führte eine metallene Kapsel mit. Sie war klein, hatte es aber in sich: bosnischen Sliwowitz! Und davon hatte er einen ganzen Kanister mitgebracht. Draußen auf dem Kasernenhof, im Kraftwagen, war der hochprozentige Stoff gebunkert. Mit ihm lief alles, alles aus dem Ruder... Ich verdingte mich als Torwächter hinterm verwaisten Kassentisch. Zwei halbseidene Osmanen buhlten um Einlaß. Ich winkte sie durch - sie umarmten mich...
Nachdem Sachsens SUBVERSION wegen wichtigen Prüfungen kurzfristig absagen mußten, gaben sich nach einem Umbau von vierzig Minuten THEE PLAGUE OF GENTLEMEN aus dem ostflandrischen Gent die Ehre. Nach Mitternacht kam das Kommando mit dem interessanten Doppel-E kam ins Rollen, und lieferte - wie der Gruppenname ahnen ließ - starken Tobak. Die Flamen verkoppelten die verblichenen Celtic Frost (Thrash) und Winter (Death Doom) zu einem extrem hochtourigen und extrem barbarischen Heavy-Doom-Gebräu. Und wenn sich neben zwei wahnwitzig die Haare wirbelnden Saitenmännern ein Fleisch und Blut gewordener Angsttraum einer jeden Pussycombo - wie der massive, mit Esoteric-Hemd bekleidete Berserker Steve S.M. - über den Gefechtsstand keift, kann einem die Band nicht ganz unangenehm sein. Doch leider war ich unrettbar dem Untergang geweiht. Vom nervenzermürbenden Brutalodoomer „Motown Misfortune“ bis zum sperrigen Malmer „Blackwood Cabinet“ blieben keine tiefen Erinnerungen. Ich habe die finsteren Gentlemen mit Fopp und Gefolge eine Stunde lang schädelschüttelnd unterstützt, und war überglücklich, die viertletzte von 400 teerschwarzen TPOG-Schallrillen erbeutet zu haben. Steve S.M., Fred 666, Sven 666 und Eddy E.D.L. veredelten die Hülle mit ihrem Gekritzel. Wir sollten uns beim Doom Shall Rise wiedersehen.
 
Diversen Einheimischen zufolge sind drei Uhr endende Konzerte in Nürnberg Normalität. Also dann: Carpe noctem! Oder mit den Worten von Thee Plague Of Gentlemen: „Time lies when you´re having fun.“
Auch SPANCER hatte erst mal alle Not, das Geschütz einzunorden... bis schließlich kurz vor zwei die Postapokalypse des Doom losbrach. Die ursprünglich in Braunschweig gegründete Gruppe ist mittlerweile über Hamburg (Gitarre), Salzgitter (Stimme), Bremen und Braunschweig (Bässe) und Berlin (Schlagzeug) zerrieben. Als die gesprochenen Worte „Der vierzigste Seetag. Seit einer Woche Sturm.“ und der Hilfeschrei „Wasserbrecher... Wasser... Mann über Bord!!!“ die Galeere ins Unheil trieb, war ich bereits im hochtourigen Brackwasser abgetaucht. Jedoch kannte ich Spancer von ihrem Erstlingswerk. 'Countdown To Victory' - ein Sludgedoomer erster Kajüte - war bei mir rauf und runter gelaufen. Damit galt auch bei den destruktiv den Z-Bau flutetenden Ungetümen „Throne Of Wisdom“, „Master File God“ und „Soulcadger“ oberste Headbangpflicht. Glich der „Gesang“ der Vorgänger einem tödlichen Geröchel, so pfefferten einem York, Markus, Kaptain666, Kappe und Jan eher psychotisch verlorene Fauchtöne vor die Knochen. Unterlegt waren jene von schwergewichtigen Tiefsequenzen durch die doppelte Bass-Power und allgewaltigen Saint-Vitus-Linien. Bei Spancer unterschritt kein Teil die Zehn-Minuten-Grenze. Jedes erzeugte eine ungeheuer tiefe Ausdruckskraft. Dank ihrer sympathisch unbekümmerten Akteure wirkten Spancer erstaunlich beseelt, und es war beeindruckend mit welcher Gelassenheit die fünf Lausbuben ihre Rolle als Himmelfahrtskommando zu später Stunde hinnahmen. Herr Kappe dankte für meinen Bier-Nachschub mit „Dich schickt der Himmel!“, und der erste „Low Frequency Assault“ endete nach 66 Minuten Spancer - Punkt drei Uhr.
 
Im Anschluß narrte mich jemand mit einer Abspielliste voller Quatschtitel. Kaptain666 befahl eine Korrektur, und „China Swordsman“ York schrieb mir die echten Namen in Schönschrift. Ich revanchierte mich beim Abbau des Schlagzeugs. Bis Peanut die Faxen dicke hatte und zum Aufbruch drang. Was für die Belgier galt, galt auch für Spancer: Ich war durch den Wind. Doch wir sehen uns in der Chapel zu Göppingen im April. Der heutige Tag war zu lang und zu krass! Nach einem Marsch durch den frostigen süddeutschen Winter sind wir um vier Uhr in einen totengleichen Schlaf gefallen. Vier Stunden später...
 
Sonntag, 11. Januar
 
... schreckte uns der Wecker zur Rückkehr nach Frankfurt hoch.
 
 
Nachwort
 

Versus The Stillborn-Minded ...... Die auf eine blau-weiße Rautentischdecke gekritzelte Spaß-Liste las sich origineller als die echten Liedtitel.
Low Man's Tune ...... hingen auf dem Heimweg nach einem Unfall auf der Autobahn dreieinhalb Stunden im Stau fest.
Thee Plague Of Gentlemen ...... nahmen zur Erinnerung an die Tage von Nürnberg Erkältungsbazillen nach Belgien mit.
Spancer ...... wurden von der Stasi bespitzelt, und halten nach einer Woche nicht Waschen U-Boot-Abende mit Cognac-Saufen, Dosenbrotfressen und der U-Boot-Simulation „Silent Hunter“ ab.
Herr Fopp ...... Sliwowitz-Intoxikation.
Peanut 333 ...... Hexenschuß.
Vitus 666 ...... Hexenschuß, Nackenwirbel-Luxation, Slivovice-Repulsion und schwere Amnesie.
 
 
Doom, Fascination und Gewalt: ((((((Heiliger Vitus)))))), 13. Januar 2004
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
VERSUS THE STILLBORN-MINDED
(20.40-22.00)
1. Stormborne I
2. Neues
3. Stormborne II
4. Climax of Delusion
5. A Place Called Earth
6. Victims of Imperfection
7. Neues
8. No Land´s Man
 
LOW MAN´S TUNE
(22.40-23.30)
1. Hold
2. All Cometh Down
3. My Heart
4. Numb
5. Zero
6. Down & Out
7. For Every Stone
8. Edge Driven
9. Nothin´
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10. LMT
 
THEE PLAGUE OF GENTLEMEN
(0.10-1.10)
1. Motown Misfortune
2. Your Love is King (of the dead)
3. New track
4. Battleburns
5. The Ocean Has No Sides
6. Pressure and Time
7. As Cold as They Come
8. Blackwood Cabinet
 
SPANCER
(1.55-3.00)
1. The Beat Goes On
2. Throne of Wisdom
3. Master File God
4. Soulcadger
5. The Art of True Mastership