LIFE LONG TRAGEDY, CLOAK/DAGGER, GOLD KIDS, LIGHTHOUSE
D-Nürnberg, Z-Bau (Roter Salon) - 13. Dezember 2007
Alle Jahre wieder zog die Frostzeit zum Doom nach Nürnberg. Der traditionellen Doomnacht „Low Frequency Assault“ war diesmal eine vom Fanzine „Today The Scene“ ausgerichete Hardcore-Show vorgelagert. Schauplatz war der vollständig in Rot getauchte „Rote Salon“ der Südkaserne. Lieber Hardcore als Himmelfahrtskommando, hatte ich mir gedacht und mit Peanut die Zeit bis zum Doom mit der harten Gangart des Punk gekillt. Für acht Oiro, mit auf den Handrücken gemaltem „X“, sowie einem geschenkten Konzertplakat, standen wir halb neun auf den im Urzustand belassenen Eichenbohlen der Wehrmacht. Achtzig Gesichter neben uns: Jungvolk mit raspelkurzen Haaren und Schriftzügen wie „Let´s Fight White Pride“, „Straight Edge“, „Drugfree“, „XXX“ oder „Veganism“. Mann und Frau waren ideologisch korrekt ausgerichtet und tranken nur Wasser und Kaffee - sozusagen...
Nach einem Dank für die gute Verpflegung und daß sie sich die Bäuche so vollschlugen durften, eröffneten um 20.53 Uhr LIGHTHOUSE den Reigen. Der blutjunge Fünfer aus der Deadtown Augsburg spielte schnellen Hardcore Punk mit einem gewissen Schlag zum hysterischen Screamo der neuen Schule. Blickfang war dabei ganz klar der wie von Sinnen in der Meute stehende und schreiende Frontbursche Daniel. Lighthouse hatten ein Demo am Start, von dem sie „Lie Lie Lie“ und „Soul, Survivor!“ brachten. Nach 21 Minuten und einem Cover, daß ich nicht verstand, war Sense. Gemessen an ihren Nachfolgern waren Lighthouse etwas zahnlos, aber auch nicht unbedingt schlecht.
 
Nach einem Intermezzo in einem endlosen, dunklen Kasernengang (zwei Amis hatten sich darin aufs Damenklo verirrt; einem war dies wenig peinlich: „I don´t care“ - einer Aktivistin hingegen sehr wohl: „But I care!!“), nahm der Abend im Roten Salon seinen Lauf...
Italiener sind bekannt für dramatisches Tamtam und sie haben ein Näschen für „Action“. Die fünf aus der sardinischen Hauptstadt Cagliari eingeflogenen GOLD KIDS machten da keine Ausnahme. Speziell deren Vokalist war schon lange vorm Auftritt mit großem Interesse und Neugier für alles und jeden aufgefallen. Später, auf der Bühne, bewies Andre mit schlangenartigen Verwringungen, wild in die Pupillen hängendem Pony und weit aufgerissener Schnute tief in den Spuren Mick Jaggers Showtalent vorm Herrn. Einzig mit dem Gesang haperte es. (Italienisches Englisch gehört verboten!) Ferner waren GK eine Horde aus tätowierten Rockern, Metallern und Studis, die Hardcore Punk von altem Schrot ablieferte. Bellende Chöre und knallige Gitarren rissen mit auf einen Trip von fliegend schnell bis krude polternd. „Desperate Souls“ und „I Went to Rome to Know the End“ hießen zwei Nummern; erste Luftsprünge und Crowdsurfer wurden ausgemacht; und - wie üblich im HC - währte die Show der Inselkinder wegen totaler Verausgabung nur eine halbe Stunde - von 21.28 bis 22.05 Uhr.
 
An diesem Punkt wollte ich eigentlich den Rückzug antreten: Stunden zuvor hatte ich eine fettige Kolbasa aus einem Russen-Markt verputzt, die mir höllische Darmkrämpfe bescherte. Doch wie von Zauberhand gingen die Schmerzen beim Umbau. Die Beatles unterlegten ihn (wie auch alle anderen): „I am the walrus - goo goo goo joob...“
Ab 22.20 Uhr waren CLOAK/DAGGER dran. Klingen wie „Klodeckel“, kamen aber aus Virginia, USA, und waren anfangs hölzern wie die zu Getränkepfand umfunktionierten Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielfiguren. Jedoch nur anfangs. Denn nach etwas lustlos-apokalyptischem Post-Hardcore-Gewichse stach der Dolch mit geradliniger Alter Schule von der Straße - wie „Set the Alarm“ - doch noch tödlich zu. Und: Stretch ist wieder in! Die Träger jener sehr expliziten Hosen aus den Achtzigern (darunter die Hälfte Girlies, auch eins auf Krücken), bewegten sich ab der vierten Nummer wie Geistesgestörte in Pogo und Mosh-Kreis. Auch Cloak/Dagger waren schnell durch, sie rappelten 28 Minuten. Die angedeutete Zugabe haben sie komischerweise abgeblasen.
 
Auf den Krieg aus Amerika regierten wieder Frieden und freie Liebe aus Liverpool: die Beatles mit „Sun sun sun here it comes...“
Atemlos dem Ende entgegen: Ab 23 Uhr ließen LIFE LONG TRAGEDY aus Amiland den Christbaum brennen. Wie das Sprachrohr der Goldkinder, so war auch Fronter Jerry den ganzen Abend mit einer schwarzen Sonnenbrille aufgefallen. Obwohl sich die Reihen nun schlagartig lichteten, sollten die Kalifornier nicht nur der schnellste, sondern auch geilste Trupp, der mit der prallsten Action werden. Die Abfaller haben was verpaßt. Der Rest (rund vierzig) bewegte sich rhythmisch von einem Bein aufs andere, betrieb Pseudo-Headbanging, und die meisten verwirbelten wie in einer Waschmaschine zu einem Knäuel aus menschlichen Leibern. Es wurde Circle-Pit, Crowd-Surfing und Chaos-Bashing betrieben. Dazu rasten knallharte Gitarren, massive Bässe und heisere Schreie um Ängste, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit durch den Salon. Und manchmal - wie in „Bottomless Hole“, „Hey Death“ und „Sweet Innocence“ - wurde es auch richtig doomig, finster und vernichtend. Nach 33 heftigen bis verstörenden Minuten war die Lebenslange Tragödie ohne Verlängerung am Ende.
 
 
Heiliger Vitus, 18. Dezember 2007
ABSPIELLISTE LIFE LONG TRAGEDY
1. Explaining a Feeling
2. The Bottomless Hole
3. This Years
4. This Feels Right
5. Harm
6. Intro
7. Hey Death
8. Sweet Innocence
9. Make or Break
10. Andromeda
11. Time Stands Still