JESSIKA KENNEY & EYVIND KANG, MAXIM ENGL
D-Frankfurt am Main, Atelier Frankfurt - 9. Februar 2012
“Verhaltet euch ruhig!“ Dieses Gebot stand über jener Nacht im Februar 2012 in Frankfurt. His Master´s Voice (jene von Maxim Engl) hatte ein Rundschreiben auf die Reise gebracht. „Ich möchte Euch ein ganz besonderes, leises Konzert ankündigen, daß ich gemeinsam mit zwei Freunden und meinem Bruder am 9.2.2012 im Atelier Frankfurt veranstalte. Mindestens drei Alben von EYVIND KANG zählen zu meinen All time favourites und JESSICA KINNEY ist eine ganz phantastische Sängerin“, stand darin geschrieben. Ausschlaggebend für unseren Besuch waren auch die Hintergründe, daß Kenney ihre Stimme Gruppen wie Sunn O))), Asva oder Wolves in the Throne Room lieh, daß Kang schon mit John Zorn, Secret Chiefs 3 und Boris zu tun hatte, daß beide auf Sunns Album 'Monoliths & Dimensions' mitwirkten (Kang bediente die Viola, beide waren für Arrangements zuständig), und letztlich ihr Album 'Aestuarium' durch den Ideologic-Organ- und Sunn-Chef Stephen O´Malley veröffentlicht wurde... Veranstaltungsort war der in den 1920ern in der Hohenstaufenstraße nahe der Messe erbaute Firmensitz des Pharmariesen Anzag. Zuletzt zum Polizeipräsidium gehörend, wurde das Gebäude vor drei Jahren von einer Bank erworben und an den Verein „Atelierfrankfurt“ verpachtet, welcher wiederum 45 Räume an freie Künstler, Maler, Filmemacher und Architekten vermietet. Exklusives Rundschreiben, erlauchter Ort, einmaliger (!) Deutschland-Auftritt. Da bei dieser Privatveranstaltung nur fünfzig Personen teilnehmen durften, beschränkte sich der Kreis im Vortragsraum im zweiten Stock auf einen Türsteher, einen Kamerafritz, eine Thekendame, die drei Musiker und 44 eingeladene Gäste - alles Kopfmenschen, darunter Ike Anger, Chef der Gruppe Petra. Der Saal - ein schloßartiges Wohnzimmer - war mit sechs Reihen aus je acht Holzschemeln bestuhlt. Schlichtes Weiß zierte die Wände, den Boden blankgebohnertes Parkett. Hohe Fenster gaben den Blick auf den nagelneuen, 200 Meter hohen „Tower 185“ auf der anderen Straßenseite frei. Als Getränk wurde nur Rotwein kredenzt.
Es schien, als wären alle mit sich und der Welt ins Reine gekommen. Ein unglaublicher, nur von Flüstern und Räuspern durchbrochener Frieden lag in dem distinguierten und mit Liebe hergerichteten Raum, als das Lo-Fi-Avantgarde-Projekt MAXIM ENGL mit ätherischen Klängen die Stille beendete - und einen Abend zum Genießen einleitete. Der hagere Kopf der Dronerocker Ephemerol sollte ein Stück performen. Es hieß „The Sky is Bleeding“ und wurde in den ersten zehn Minuten von einem Effektgerät eingeleitet, welches in der Folge von einem auf Moll getrimmten Sechssaiter begleitet wurde. Zehn Minuten war da nur ein weites Firmament aus elektronischen Sequenzen zwischen Schmerz, Sehnsucht, Bedrohung und Erlösung gewesen. Dazu Engl, der mit den Händen auf der Gitarre reglos und in sich versunken allein vor dem Auditorium stand - bis er die ersten Töne freigab. Sparsame, dunkle, mantraartige Gitarrenriffs. So als ob der Himmel weint. Dazu gesellte sich diese feierliche Stille im Raum. „Kunst“ sagt man dazu. Die Darbietung war hochartifiziell und abstrakt und nahm nach zwanzig Minuten ein jähes Ende. Die Zeit reichte noch nicht mal für ein Foto.
JESSIKA KENNEY & EYVIND KANG hatten die Präsentation ihres Albums 'Aestuarium' im Rücken des Publikums begonnen. Meditative, kräftige „Om“s ausstoßend, war Kenney dann auf der rechten Seite zur Stirnseite des Raums geschlendert - Kang hatte sich links vorbeigeschlichen, um - in der Ecke angelangt - mit zur Decke gerichtetem Blick seine Bratsche zu bearbeiten. Schließlich machten die Beiden es sich auf Stühlen direkt vorm Publikum gemütlich. Für die nächsten siebzig Minuten saßen Kenney und Kang in Schal und smartem Zwirn hauteng an den Leuten. Sie mit geschlossenen Augen am Mikrofon; er mit dem Kinn auf der Viola. Der Auftritt der Spektralmusiker aus Seattle wurde ein Leckerbissen. Stille stand am Anfang und im ersten von drei Kapiteln. Die heilend reinen Vokale einer Elfe mit tibetischem und gälischem Hintergrund verschmolzen darin mit der mal gestrichenen, mal gerissenen Bratsche eines schamanenhaften Manns mit kanadischen Wurzeln. Kenney und Kang entführten ihre Gäste vom frostigen Mainhattan in eine Zauberwelt und ließen uns erleben, daß das Leben von der Natur und einer höheren Gewalt bestimmt wird (und nicht vom Menschen). Doch es war nicht alles fragil und feinnervig auf dieser Reise. Daß Kang auch andes kann, zeigten äußerst bedrohliche Drone-Passagen im Stil von Sunn im Mittelteil des zweiten Akts - der sich wiederum in verschiedene Unterkapitel verzweigte, und allein eine halbe Stunde beanspruchte. Das dritte und letzte Kapitel - eine Zugabe - war getragen durch ein dunkles Riff auf der Viola, der von Echos gepuschten Stimme Kenneys (die sowieso nicht von dieser Welt war), und einer dunklen Aura wie in Burzums 'Daudi Baldrs'. Punkt elf durfte sich das Paar unter Pfiffen, stehendem Applaus und einem tosenden Wasserfall als Schlußakkord in einer Art Allegorie in die Arme nehmen. Es war wie das Album 'Aestuarium': eine Vereinigung von Fluß und Meer.
 
Im Anschluß ergaben sich einige Worte mit den Künstlern. Jene erwiesen sich als stille, fast zerbrechliche Erdenbesucher, die immer wieder ihre Freundschaft zu Stephen O´Malley durchblicken ließen, den es an keinem Ort der Welt lange hält. Nach New York und London lebt der Meister nun in Paris... Maxim fand es toll, daß wir gekommen waren. In einer Art von Ruhe und Glück sind wir eine halbe Stunde vor Mitternacht mit signierter Platte unterm Arm die archaisch breite Treppe und über den roten Marmor des Foyers hinweg unter Frankfurts eisigen Nachthimmel gegangen. Diese Nacht war einmalig!
 
 

Heiliger Vitus, 13. Februar 2012 (heute vor 67 Jahren blutete der Himmel über Dresden)
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
MAXIM ENGL
(21.11-21.32)
1. The Sky is Bleeding
 
JESSIKA KENNEY & EYVIND KANG
(21.50-23.00)
1.1. Orcus Pellicano
1.2. Figura Nox
2.1. Unnamed Figures
2.2. Dies Mei
2.3. Towards Solitude