HIGH ON FIRE, FIREBREATHER, GOSPEL OF THE FUTURE
D-Dresden, Chemiefabrik - 8. Juli 2022
Radrennen oder Konzertnacht? Ich mußte eine schwere Entscheidung treffen. Eigentlich war ich mitten in der Radsaison mit einem tags darauf steigenden Kriterium in Wernigerode. Andererseits standen in Dresdens Chemiefabrik die Zeichen auf Sludge... Für mich gab es nur einen Grund, den eigenen Auftritt abzusagen: eine Mutation aus Sommergrippe und Omikron. Seit zwei Wochen schlug ich mich damit herum; sie zerstörte alle meine Ziele! Bis zwei Stunden vorm Konzert hatte ich mit den Jungs vom Dresdner SC ein Straßentraining durchgezogen. Danach fiel mein Entschluß: runter vom Rennrad, rein ins Metalshirt. Abends um neun tauchte ich mit leerem Gehirn, feuchten Augen und meinem Mädel in die locker gefüllte „Chemo“ ab. Bier und Haschisch durchwehten den Raum.
Mit unsererm Erscheinen dröhnte vom rot ausgeleuchteten Geviert Höllenlärm, mir fielen fast die Ohren ab. Ahoi! GOSPEL OF THE FUTURE hatten wir vor dreizehn (!) Jahren beim Nürnberger Doomritual „Low Frequency Assault“ erlebt. Der Trommler erinnerte sich gern an diese Zeit. Mittlerweile sind die Tschechen in ihrer Heimat die Vorreiter des Sludge. In ihren Reihen hatte es allerdings zwei Wechsel gegeben: Die kleine Bassistin und Vokalistin Alena The Burning Witch war ausgestiegen und liierte sich mit ihrem Nachfolger am Viersaiter. Ihre Stelle am Mikro übernahm der schrullige Sechssaiter Ultra. Dazu gesellten sich der wie ein Honigkuchenpferd grinsende neue Gitarrist Lukas Benesovsky, sowie die Urmitglieder Jiri Kos und Alesh an Bass und Trommeln - durch die Bank schwer sympathische Kerle. Die Gruppe aus Olmütz lieferte drei Stücke ihres morbiden dritten Langwerks 'Blowtorch Mankind', und ersetzte die fünfzehnminütige Doomwalze „Pharmaka Lugra“ durch eine Altigkeit von 2007. Schwere Bässe, Verzerrungen und Tieffrequenzen im gedrosselten Tempo prägten den wortkargen, nur von verhallten Schreien durchsetzten Auftritt, der ein mantraartiges, repetetives Grundmuster besaß. Gospel of the Future waren weder schöne Musik noch eine Revolution im Doom, aber eine Gruppe wie aus einer fernen guten Zeit. langsam, tief und verdammt heavy! Ein schlichtes „Dekuji!“ (Vielen Dank!) beschloß diese kurze, aber grundehrliche halbe Stunde. 'Blowtorch Mankind' ist das Sludge-Doom-Album des Jahres bislang - echter Doom!
FIREBREATHER hatten ihr riesiges Schlagzeug am Eingang zum Konzertraum hinterm Publikum zwischengeparkt. Der Umbau dauerte eine Dreiviertelstunde, dann war es wie bei den Tschechen vorn am Bühnenrand aufgebaut. Die elfte Stunde war schon angebrochen, als die Schweden ans Werk gingen. Ihr Auftakt verlief vehement und mit der doppelten Geschwindigkeit der Tschechen. Mit ihren langen Haaren, Bärten, Tattoos und Bandshirts waren Nööjd, Hellqvist und Wittbeck Metalheads aus dem Bilderbuch - die ihr halbes Stündlein von Anfang bis Ende entfesselt headbangten. Das Trio aus der Metalcity Göteborg zelebrierte fünf Lieder, die mit Herz und Verstand gemacht waren, und zwischen treibender Energie, melodischen Ohrwürmern und gefühlvoller Melancholie changierten. Über allem stand die rohe Reibeisenstimme des urgewaltigen Nööjd. Wenn heute eine Horde das Banner „Sludge Metal“ verdient hatte, dann waren es die Feuerspeier aus dem Nordland.
HIGH ON FIRE aus USA hatten schon 28 Konzertnächte hinter sich. Der zwischen Portland, Washington und Oakland angesiedelte Dreibund tingelte dabei durch halb Europa. Die Reise führte von Wiesbaden über Italien, Spanien, Frankreich und England über Dresden in die Tschechei, wo es anderntags beim „Masters of Rock“ zum Finale kam. Im Unterschied zu den Tschechen und Schweden, die jeweils im Transporter vor der Chemo standen, reisten Matt Pike, Jeff Matz und Coadie Willis jedoch im abgedunkelten Nightliner an. Eingangs der Geisterstunde legte die Nacht an Charisma, Schlagkraft und Geschwindigkeit noch mal zu. Zwei knallige Nummern zwischen Hardcore und Thrash Metal machten den Auftakt - bevor mit dem an die magische Langsamkeit von 'Sleep´s Holy Mountain' erinnernden Stonerdoomer „Madness of an Architect“ der Höhepunkt der Nacht folgte. Alle Blicke waren auf Matt Pike gerichtet, der vor drei Dekaden mit Al Cisnero Sleep und damit das Genre Stoner Doom in die Welt setzte. Aber nun war Pike schlanke fünfzig Jahre alt, und wollte mit High on Fire und staubtrockenen Ansagen wie „Time for a hippie-song: „Carcosa“.“ den Mythos offenbar zu Grabe tragen. „Carcosa“ war das zweite Lied im Schneckentempo. Die restliche Stunde war Sludge Metal auf Speed mit allenfalls unterschwelligen Sleepschen Vibrationen. Pike bestach als Kultfigur mit genialen Momenten, viel Haut, Tattoos und Thors Hammer auf der Brust. Der ziegenbärtige Bassist Matz (früher bei Zeke) stand als zweiter Vokalist kaum nach. Verrückt indes war der Trommler der Melvins: Coadie Willis´ Performanz über 75 Minuten lang war hochenergetischer Wahnsinn, beängstigend geradezu! Zwei Crowdsurfer schwebten überm Publikum, ein Stagediver stürzte sich mit Anlauf in die Menge. Wie die Vorgänger endeten High on Fire ansatzlos und ohne Zugabe. Halb eins waren alle Feuer erloschen.
 
 
Heiliger Vitus, 10. Juli 2022; Bilder Peanut, Vitus
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
GOSPEL OF THE FUTURE
(21.00-21.33)
1. The Ant Hill Kids
2. Blood Throne
3. Stigmata
4. 5ive
 
FIREBREATHER
(22.15-22.48 / Titel ohne Gewähr)
1. Kiss of Your Blade
2. Dancing Flames
3. Sorrow
4. Weather the Storm
5. Spirit's Flown
 
HIGH ON FIRE
(23.16-0.31)
1. Turk
2. Spewn From the Earth
3. Madness of an Architect
4. Speedwolf
5. Cyclopian Scape
6. Carcosa
7. Fertile Green
8. Rumors of War / DII
9. Baghdad
10. Blood From Zion
11. Fury Whip
12. Snakes for the Divine