HAMMER OF DOOM X
 
MY DYING BRIDE, CANDLEMASS, 40 WATT SUN, SKEPTICISM, THE ORDER OF ISRAFEL, CARONTE, BLACK OATH, DOOMSHINE, LORD VIGO
D-Würzburg, Posthalle - 21. November 2015
Sonnabend, 21. November (2. Tag)
 
Wieder brauten sich schwarze Wolken über Würzburg zusammen. Doch heute wurde uns der eigene Wecker zum Verhängnis: Wir hatten kräftig verschlafen. Wenigstens schafften wir es noch im Trockenen zur Posthalle. Petrus sollte uns erst später in die Suppe spucken... Ausgerechnet heute, wo sich unser treuer Freund Micha mit seiner alten und neuen Schnitte Andrea den weiten Weg aus dem Bördeland gemacht hatte... Von weit her war auch der Chef von „Blood Rock“ angereist. Mit seinen Platten, Shirts und Aufnähern ließ der Mann aus Genua die alten Tage mit Doomraiser aufleben... Erstmals präsentierte sich der Austragungsort auch in einem leicht propagandistischen Gewand: Vor der Bühne pappte ein Banner mit dem Schriftzug „In Union We Stand“ über dem Eiffelturm-Symbol. Dazu waren Aufkleber über die Händlertische verstreut, auf denen „Black Sabbath Vol. 4“ zu „Stop Violence Now“ umgedichtet war...
LORD VIGO waren eine relativ neue Rotte. Vinz Clortho, Tony Scoleri und Volguus Zildrohaar - nicht aus Mittelerde, sondern aus der Pfalz - agierten nach der Devise „Einfach loslegen, das Fest nutzen, und sich in einem guten Licht zeigen“. Dabei hatte man sich um einen Geist am Bass und einen Kapuzenmann mit Gesichtsschutz hinter den Kesseln verstärkt. Und diese fünf waren gar nicht mal übel. Mit ihrem Album 'Under Carpathian Sun' brachten sie einen okkulten Doom Metal mit rauhem, unbehauenen Charme und einer kräftigen Kante NWoBHM auf die Planken - respektive die Fläche davor. Denn das Vorletzte - „Odium“ - bestritt der Viersaiter komplett im Publikum stehend. „Witchfinder General“ setzte den finalen Schlag.
Hammer of DOOMSHINE... Er hätte es werden können. Alle Zeichen standen auf echten Doom. Doch dann glitten die Schwaben geradezu unscheinbar in ihre Darbietung - und genauso unscheinbar geriet ihr Fortgang. Doomshine litten unter dem (mit Abstand!) dünnsten Klang des gesamten Festivals. Dazu kam, daß Doomshine ihren traurig-dramatischen Epik-Stoff allzu lässig servierten. Ja, Doomshine: Wir hatten „gefrühstückt und gekackt“ (und sonstige Wollust gehabt). Aber dazu war ein „Stop Violence Now“ am Solitude-Shirt ebenso wenig vonnöten, wie amüsante Possen am Rande (etwa die von Herrn Liebling bei Tee und Zeitung in der Küche), oder ideologische Appelle (wie „No one kills freedom!“). Auf all die Plappereien und Verlautbarungen hätte man verzichten und sich stattdessen auf die Musik konzentrieren sollen! Die gerade mal 37 Minuten gerieten zu einer allenfalls mäßigen Schau. Sogar die Schelte „Lagerfeuerdoom“ machte die Runde... Es war ein bißchen wie ein verpufftes Wiedersehen mit Leuten aus einer längst vergangenen Zeit. Doom Shall Rise 2003... Doomhsine bleiben die Allerersten überhaupt, und der Zehn-Zöller mit „Shine On Sad Angel“ und „Where Nothing Hurts But Solitude“ die schönste Erinnerung daran!
Den italienischen Doppelschlag leiteten die schwächer eingeschätzten BLACK OATH ein. Doch dann stieg die Rotte aus Mailand zum Schlaglicht des zehnten Hammer Of Doom empor. Und dabei zelebrierten Black Oath gar keinen Doom... Bassist und Propagandist A.th, die Sechssaiter Bon R. und The Uninvited Guest, sowie Trommler Chris Z trugen änigmatische Decknamen und waren mit schwarz-weißer Tarnschminke bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Nicht nur das: Sie trugen lange Haare, Spikes und schweres Schuhwerk am Körper. Damit stand ein Kommando in Black-Metal-Ästhetik vor uns. Aber das wäre viel zu leicht. Wer kennt heute noch die Italo-Ikone Death SS, „Cursed Mama“? Immer weniger Menschen. Ebenjener huldigten Black Oath und zermorphten Jahrzehnte später ihren Metal mit Horror und Okkultismus zu einer - wie sie selbst sagen - Cursed Rock Musick. Nach einem etwas hakeligen Auftakt posierten, headbangten und rifften sich die Lombarden in einen kleinen Black-Doom-Rausch. Zum verstaubten Charme kamen Leidenschaft und Hingabe am Rande des Wahnsinns... bis alles im Finale furioso „The Black Oath“ gipfelte! Der in edler schwarz-goldener Hülle steckende Silberling trug den Namen 'To Below And Beyond'. Der „Schwarze Fluch“ aus Italia war das Heidenspekatkel überhaupt!
Die Quadriga CARONTE aus Parma kredenzte eine Art Stoner Doom, den sie selbst auf den Namen „Shamanic Doom“ taufte. Lakonisch könnte man sagen: Nick Cave (Gesang) traf auf Sleep (Aparillos). Dabei gingen die drei Bones-Brüder mit Trommler De Chirico etwas arg eindimensional zu Werke. Die Lieder waren schlicht gestrickt, der Klang extrem verrauscht bis dronig verzerrt, die Performanz wie auf Dope oder Opium. Nach dem dritten Teil - „Horus Eye“ - beschlossen meine Freunde mit mir eine Runde an der frischen Luft. Es fiel Wasser aus dem Himmel. Der Baseler Doomfreund Hannes bekannte später, daß er bei Caronte „sehr steil gegangen“ sei...
THE ORDER OF ISRAFEL wurden für uns Opfer von Vorurteilen. Etliche Besucher sahen die Schweden mit ihrem australischen Sänger als Hippies und schwächste Gruppe des gesamten Festivals, und auch die eigenen Hörproben verhießen nichts Großes. Aufgrund der katastrophalen Verpflegung vor Ort, hatten wir den Auftritt für ein Mahl im Pavillon am Bahnhofsvorplatz genutzt. Bei unserer Rückkehr in die Posthalle staunten wir: The Order of Israfel präsentierten sich uns als funktionierende Psychedelicrocker mit grundehrlicher Ausstrahlung. Fast so wie Pentagram...
„The genuine stormcrow flight since 1995“ (Die echte Sturmkrähe fliegt seit 1995): So steht es auf meinem Shirt und so ist der Name des stilprägenden Albums 'Stormcrowfleet'! Nach Thergothon waren die 1991 formierten SKEPTICISM die zweiten von drei Kommandos der finnischen Selbstmord-Serie des Funeral Doom (Shape of Despair zählen auch dazu). Unter den Vertretern des kompromisslos Langsamen, Depressiven und Melancholischen gingen Skepticism den wohl konsequentesten Weg, drosselten das Tempo gen Null und kontrastierten die bis zum Anschlag ausgereizte Monotonie mit weichen Trommelschlegeln und einer grandiosen Optik mit hohem Kunstanspruch. Vokalist Tilaeus, Gitarrist Kekarainen, Organist Pöyry und Schlagzeuger Pelkonen trugen die Aura eines Bestattungsinstitutes zum Hammer Of Doom. Was anfangs an ein überspitztes Theaterstück mit luxuriöser Orgel, großem Spiegel und vier feierlich gekleideten Menschen erinnerte, entwickelte sich zu einer durch und durch glaubwürdigen, eindringlichen Geschichte. Die Gruppe aus dem südfinnischen Riihimäki zelebrierte ihre avantgardistische Kunst aus Dadaismus, Surrealismus und Skepsis am Leben höchst feinnervig bis echt unheimlich. Vereint mit den superb gespielten, mollig dahinwehenden Klängen war es ein rauschendes Fest der Sinne. Skepticism waren wie ein lebensmüdes Kunstwerk. Final warf der Sänger mit der dunklen Sehnsuchtsstimme weiße Totenlilien in die Menge. So ein schönes Ende wünscht sich wohl jeder!
Harmlos, belanglos und auf der Bühne absolut nichts los, galt dagegen für 40 WATT SUN aus England. Mit ihrer leichtgewichtigen Volksmusik zogen die schwach leuchtenden Tommys die Laune von Anfang an runter. Anders als bei Warning (R.I.P.) nervte Frontmann Walker mit Karohemd, artig wie arrogant vorgetragenen Zeilen im Tonfall von R.E.M., und einer in Liedermachermanier unter die Achsel geklemmten Wandergitarre. Zu allem Überdruß versanken seine beiden Begleiter als matte Zierde in der Weite der Bühne. 40 Watt Sun wären die perfekten Rausschmeißer gewesen; die meisten hätten freiwillig Reißaus genommen. Nur ein paar Frauen verlangten tatsächlich „Zugabe!“. Welch ein nichtiges Ende für Warning!
Ene, mene, miste - wer geht heute für CANDLEMASS auf die Piste? 1984 gegründet, 19 Alben, fünf verschlissene Sänger, eine Knastgeschichte, zig Pseudo- und Quasi-Auflösungen, sollte es mit Mats Levén die Sirene von Krux als Nummer sechs hinterm Mikro wieder aufwärtsgehen. Da Kreativkopf Leif Edling wie im Vorjahr unter Avatarium wegen Depressionen passen mußte, war mit Sechssaiter Mats Björkman heute nur noch einer aus der Urbesetzung dabei. Leitgitarrist Lars Johansson, Bassist Per Wiberg und Schlagzeuger Jan Lindh komplettierten die Gruppe. Leider ließ sich die in den Keller geschlitterte Stimmung nicht mehr so recht aufbessern. Candlemass brachten ihren Epic Doom im Monumentalformat, der heute bittersüßem Edelkitsch vom Fließband glich. Alles war um die Überhymnen „Under the Oak“, „At the Gallows End“ und „Solitude“ drapiert. Nur hatten die Tre Kronor jemand in vorderster Linie, der bei Krux so packend singt, dem man aber unter Candlemass so gar nichts abkaufen will. Derweil Candlemass spielten, versuchte ich mit meinen Leuten hinter den Wassertanks im Ruheabteil die Spannung hochzuhalten - bis die bewußten Zeilen aus den Lautsprechern hallten „I´m sitting here in darkness, waiting to be free... And please let me die in solitude...“. Das waren auch die letzten Worte, die Don Nihili im Beisein seiner Frau am Sterbebett vernahm!... Nach siebzig Minuten waren die Kerzen niedergebrannt. In der heutigen Aufstellung verkamen Candlemass zu Schatten ihrer selbst! Und die Letzten sollten kaum besser sein...
MY DYING BRIDE (zu deutsch: Meine sterbende Braut) war eine Gruppe, um die keiner kam, der auf melodischen Gothic Metal und Death Doom stand. Seit dem Debüt 'As The Flower Withers' aus dem Jahre 1992 machen Vokalist Aaron Stainthorpe und die Gitarristen Andrew Craighan und Calvin Robertshaw mystisch-düstere Melodien, und bildeten zusammen mit Paradise Lost und Anathema die „Big Three“ des englischen Gothic Metal. Verstärkt wurden die drei Urmitglieder heute von der wild headbangenden Bassistin Lena Abé, von Schlagzeuger Dan Mullins sowie Keyboarder und Geiger Shaun Macgowan. Alle steckten in schwerem, schwarz-weißen Zwirn. Ein Vierteljahrhundert nach seiner Entstehung ging das Sextett aus Halifax mit der bereits 15. Langrille - 'Feel The Misery' - auf Reisen. Davon gaben sie heute gleich drei Stücke zur Uraufführung frei. „Hinten kackt die Ente“, sagt so mancher. Doch die Briten waren vielmehr eine Einschlafhilfe mit Katzenjammergefahr. Mit ihrem technisch versierten Orgelmetal gelang My Dying Bride ein gespenstisches Fluidum in bizarrer Neunziger-Ästhetik. Nur leider ließen sie es an Echtheit und Glaubwürdigkeit fehlen. Der gesamte Auftritt litt unter einer immensen innerlichen Leere. Beginnend mit „Your River“ reihte sich ein stromlinienförmiger Downie an den nächsten... bis vier Minuten nach Mitternacht das Ende des Hammer Of Doom kam. Das vor geschätzen vierhundert Jahren verfaßte „God is Alone“ und ein knappes „Take care!“ setzten den herbeigesehnten Schlußpunkt.
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
LORD VIGO
(13.30-14.10)
1. Babylon the Great
2. Vigo von Homburg Deutschendorf
3. Ishtar - Queen of the Night
4. The Arrival
5. Terror Witchcraft
6. Odium
7. Witchfinder General
 
DOOMSHINE
(14.33-15.10)
1. unbekannt
2. Third From Inferno
3. Shelter From The Beast
4. unbekannt
5. Where Nothing Hurts But Solitude
6. Shine On Sad Angel
7. unbekannt
 
BLACK OATH
(15.30-16.17)
1. Donum Dei / Wicked Queen
2. Witch Night Curse
3. Healing Hands of Time
4. Death As Liberation
5. To Below and Beyond (Ars Diaboli)
6. Drakon, Its Shadow Upon Us
7. The Black Oath
 
CARONTE
(16.30-17.15)
1. unbekannt
2. Ode to Lucifer
3. Horus Eye
weitere: unbekannt
 
THE ORDER OF ISRAFEL
(17.30-18.15)
unbekannt
 
SKEPTICISM
(18.38-19.17)
1. Sign of a Storm
2. Pouring
3. The Road
4. Oars in the Dusk
5. March October
6. The Departure
7. Closing Music
8. Antimony
9. The Castles Far Away
 
40 WATT SUN
(19.35-20.25)
unbekannt
 
CANDLEMASS
(21.02-22.12)
Intro: Marche Funebre
1. Dark Reflections
2. Bewitched
3. The Dying Illusion
4. A Cry From the Crypt
5. Emperor of the Void
6. Under the Oak
7. At the Gallows End
8. Mirror Mirror
9. Crystal Ball
10. Solitude
 
MY DYING BRIDE
(22.40-0.04)
1. Your River
2. From Darkest Skies
3. A Kiss to Remember
4. And My Father Left Forever (Live-Premiere)
5. The Thrash of Naked Limbs
6. To Shiver in Empty Halls (Live-Premiere)
7. The Songless Bird
8. Feel the Misery (Live-Premiere)
9. The Cry of Mankind
10. Like Gods of the Sun
11. God is Alone
Epilog
 
Sonntag, 22. November
 
Schlagartig mit der letzten Gruppe leerte sich die Posthalle. Während die Getränkestände unverdrossen Bier ausschänkten, drängte das Sicherheitspersonal zum Verlassen der Halle. Halb eins wurden Kischde, P. und ich mit zu Pflügen umfunktionierten Absperrgittern rausgeschoben. Wir durften nicht austrinken und verloren damit auch unseren Pfand. - - Wie zum Hohn strahlte nach zwei Tagen Regen am Morgen des Totensonntags die Sonne über Mainfranken. Doch der Terror machte auch hier nicht Halt: Auf dem Bahnhof patroullierten mit Maschinengewehren bewaffnete Polizisten. Wir fühlten uns schuldig im eigenen Land. Auf Wiedersehen Würzburg? Wir wissen es nicht!
 
Danke an
Die Frau und den Herrn von Main Ding (für die selbstlose Bereitstellung der Bilder)
Micha & Andrea (für die Freundschaft)
Kischde & Uli (für den vertriebsreifen Silberling von One Past Zero: 'Master Of The Obscure')
 
 
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Heiliger Vitus, 27. November 2015, Bilder: Main-Ding.de, Vitus