FRANK THE BAPTIST, HOLY ORANGE
D-Frankfurt am Main, Das Bett - 18. Mai 2012
In Gedenken an Ian Curtis († 1980) stieg am dritten Freitag im Mai im Frankfurter „Bett“ ein Tribut-Abend an den Kopf des englischen Post-Punk-Mythos Joy Division. Auf den Tag genau 32 Jahre nach Curtis´ Suizid begannen in Frankfurt aber auch die Vorbereitungen auf die Großdemos der Blockupy-Bewegung. Rund 30 000 Blockupy-Aktivisten und Kapitalismusgegner, darunter 500 gewalttätige Linksradikale, sollten Stunden später vom Bahnhof ins seit Tagen abgeriegelte Bankenviertel ziehen. Damit hatte Blockupy die Anreise nach Frankfurt am 18. Mai zu einer besonders ekligen werden lassen! Betroffen war im Vorfeld auch der Busverkehr. Als wir den Klub 21 Uhr 30 erreichten, verloren sich dort zehn menschliche Wesen (bei der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft Frank the Baptist können es später fünfzig gewesen sein). Doch zu der Zeit (nach 23 Uhr) war der Zutritt frei.
Von 21.51 Uhr bis 22.40 Uhr trug die Stunde heiliges Orange. Bei HOLY ORANGE handelte es sich um alte Männer aus Mainz und Wiesbaden, die schon in der Postpunk-, Wave- und Gothic-Szene Ende der 1980er unterwegs waren, sich nach dem „mysteriösen Verschwinden“ ihres Gitarristen auflösten - - um sich über zwei Jahrzehnte später noch mal neu zu finden. Dementsprechend stellte der Frontmann gleich zu Beginn folgendes mit salbungsvoller Stimme fest: „Wir sind Holy Orange. Wir sind auferstanden aus der Asche - wie Phoenix. Es ist schön zu leben, wie es schön ist, hier zu sein.“ Spray Athen, Captain Swami, W. Galore, Frank Incense und Ernest II. stellten die aktuelle Besetzung aus Gesang, zwei Gitarren (eine davon im Wechsel auch als Orgel), Baß und Schlagzeug. Im Vordergrund der fünf im schwarzen Zwirn standen dabei der sonnenbebrillte, dauergrinsende W. Galore (dessen lysergsäuregebeiztes Gerät der Bande ihren Namen gab), der Trommler (dessen Joy-Divison-Fetzen den einzigen Nachweis für den heiligen Grund des Konzerts lieferte) sowie Spray Athen (als vorweggenommene Wiedergeburt von Robin Gibb [in der Erscheinung] und Ronnie James Dio [Mimik] in einem). Es ist der alte Glaubenskrieg: Der eine steht auf Gesang, der andere nicht. Holy Orange bestanden von A bis Z aus Texten und gebleckten Jacketkronen. Dabei schraubte sich Spray Athen auch noch viel zu theatralisch ins Gerät, melodramatisch geradezu. Aber so waren sie damals eben - die exaltierten Frontkrähen der Achtziger. Krautrock-Geklimper wechselte sich mit manierlichen Hardrock ab. Zum einzigen Licht stieg für mich die dunkle Poe-Parabel „Morella“ auf (eins der im Netz kursierenden „Morella“-Filmchen war auch ein Grund für unseren heutigen Besuch). „Morella“ kam wie bei E.A. Poe zweimal nacheinander. Erst als schöner wilder Gefühlssturm... und gleich noch mal als langweilig entschleunigte Sterbehilfe-Version.
Schlag 23 Uhr stieg der Hauptakt aufs Geviert. Deren Leader hatte sich überhaupt keine Platte gemacht, und neben vier Flaschen Bier auch noch eine Gallone Whiskey aus dem Wams gezogen und am Mikroständer drapiert. Imagepflege, nannte man das früher. Frank sollte aber nicht nur trinken und singen, sondern auch reden wie ihm der Schnabel gewachsen war. „What´s happening is FRANK THE BAPTIST!“, lautete die wild entschlossene Ansage vorm ersten Takt. Dabei kam der Baptist (der gar keiner ist!) mit dem Habitus von Lemmy und der Stimme eines Majestäten daher. Neben dem Meister mit Zylinder und Rickenbacker im Anschlag, war da noch ein geradezu surreales, spindeldürres langes Leiden mit Wavefrisur, ein Langhaariger in General-Custer-Uniform (alle mit schwarzumränderten Augen) sowie eine gänzlich unscheinbare Figur hinterm Schlagzeug angerückt. Mit „Vogelscheuche“ waren die Deathrocker aus San Diego und Berlin noch nett umschrieben. Frank „The Baptist“ Vollmann und die Herren Hünefeld, Stephens und „Phantomas“ Fietz lieferten ein Gekreuz aus verrauchten, kraftvollen Vokalen, zwei knallharten Elektrogitarren, einem dunkeln Viersaiter und punkigem Geknüppel ab. Das Ganze ließe sich als Synthese aus Rock, Wave, Goth und Alkohol umschreiben und war - wie im Bett üblich - von viel Nebel und leuchtenden Farben untermalt. Mit dem flammenden „Falling Stars“ ging das los... und mit dem stolzen „Our Chariot Awaits“ weiter. Spray Athen, Captain Swami und Frank Incense verfolgten die Schau dicht neben uns. FTB kamen schneller, härter und trockener zur Sache. Dabei galt: Kennste einen Frank, kennste alle. Unter all den „brandnew songs“ ragte für mich der zwar stockschwul, aber unglaublich abgewichst wirkende Schlaks am postrockig gefrickelten Sechssaiter hervor. Offenbar wußte man auch unter Musikern um die Emotionalität dieses Tages in Frankfurt. Nur so war Franks „Thank you so much for coming out. Blockupy doesn´t work!“ zu deuten. Worauf er die Schau mit einem „Rest in peace, Ian Curtis!“ auch besiegelte. „If I Speak“ und eine neue Ladung Bier beschloßen das reguläre Programm. „Call the Tune“, die letzte von drei kurzen und knackigen Zugaben, erlebten Peanut und ich draußen im Regen unterm Dach des Buswartehäuschens. Punkt 0.15 Uhr waren alle Messen gesungen.
 
Im weiteren Verlauf sollte der DJ Evangel zur „Desperate Society Party“ im Zeichen von Ian Curtis die depressiven Höhepunkte wie auch B-Seiten von Joy Division auflegen.
 
Mit etwas Schwein kamen wir nachhause. In der Nacht waren Mannschaftswagen der Polizei mit Blaulicht durchs Rebstockgelände gerast. Einige Buslinien mußten eingestellt werden. Mit dem 34er sind wir gerade noch mal durchgekommen.
 
 
Heiliger Vitus, 21. Mai 2012
ABSPIELLISTE HOLY ORANGE
1. Always on My Mind
2. Winter Song
3. The Beast´s Alive
4. The Phoenix
5. Pretty Baby
6. Sister Candy
7. Blue Sunshine
8. Walls
9. Fading Girl
10. Morella (schnell)
11. Morella (langsam)
 
ABSPIELLISTE FRANK THE BAPTIST
1. Falling Stars
2. Our Chariot Awaits
3. Letters to Earth

4. Ashes Ashes
5. Bleeding in My Arms
6. Hold Fast
7. When the Sky
8. Thumbelina
9. Scars Forever
10. How Low are We
11. Signing Off
12. Forever Yes
13. Silver is Her Color
14. If I Speak
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15. Beg, Steal and Borrow
16. Ever
17. Call the Tune
Aus dem Bus heraus...